Opferverband kritisiert beschlossenen Text der Gedenkplakette am Wismarer Rathaus

geschrieben von VVN-BdA MV e.V.

25. Juni 2023

Presseinformation

Mit Sorge und Entsetzen nehmen wir zur Kenntnis, dass offenbar die Mehrheit der Mitglieder des Wismarer Bürgerschaft nicht an einem adäquaten Gedenken an die Opfer der des NS-Regimes gelegen ist.

Der Beschluss über den von der CDU-Fraktion eingebrachten und schließlich beschlossenen Text – Gedenktafel am Wismarer Rathaus – relativiert unumwunden die Verbrechen der Nationalsozialisten, darunter den millionenfachen Mord an jüdischen Menschen und an vielen anderen Opfergruppen.

Mit der Gleichsetzung der Nazi-Verbrechen mit den Verbrechen anderer Diktaturen wird nicht nur die deutsche Schuld sondern auch der Charakter des Nazi-Regimes, des Holocaust in Europa und des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nazis relativiert. Für das Gedenken an die Opfer anderer Diktaturen sollten auch andere Formen des Gedenkens gefunden werden.

Dies ist besonders fatal, weil in der Bundesrepublik Deutschland das Gedenken an die Opfer der Faschismus über Jahrzehnte unterblieb oder einseitig erfolgte, die Verfolgung der Nazi-Verbrechen lange behindert, zahlreiche Opfergruppen viele Jahre lang nicht anerkannt oder erneut diskriminiert wurden und die Einzigartigkeit der industriellen Vernichtung der europäischen jüdischen Bevölkerung und des Vernichtungskrieges der Nazis lange relativiert wurden.

Es ist bezeichnend, dass Bundespräsident von Weizsäcker erst über vierzig Jahre nach Kriegsende von der Befreiung vom Nazismus sprechen konnte, nur wenige Jahre zuvor die Verbrechen der Wehrmacht mit dem Märchen vom Präventivkrieg im Historikerstreit, von der deutschen Regierung unwidersprochen, relativiert wurden und der Charakter der Nazi-Herrschaft und des Nazi-Krieges in Frage gestellt wurden.

Diese Unkultur der Relativierung der Nazi-Verbrechen wird nun mit der gewählten Formulierung einer Gedenktafel in Wismar bedauerlicherweise fortgesetzt. Dieser Beschluss der Bürgerschaft sollte zurückgenommen und korrigiert werden. Nicht erwähnt wird zudem die Mitverantwortung demokratischer Parteien, wie der des katholischen Zentrums, für die Machtübertragung an die Nazis.

Gerade hieraus ergibt sich heute die besondere historische Verantwortung der demokratischen Parteien für die Verteidigung der Demokratie gegen jeglichen Nationalismus und Rassismus sowie gegen die Versuche der heutigen Feinde der Demokratie, die Demokratie verächtlich zu machen. Das sollte die Botschaft einer solchen Gedenktafel für die Gegenwart und Zukunft sein.

Vor 90 Jahren starb Clara Zetkin

geschrieben von FIR

23. Juni 2023

Die FIR erinnert diesmal an eine bedeutende Vertreterin der deutschen Arbeiterbewegung, die vor 100 Jahren zum ersten Mal eine umfassende Analyse der faschistischen Bedrohung vorgelegt hat und die zehn Jahre später, nachdem sie die Machtübertragung an den Hitler-Faschismus in Deutschlande erleben musste, am 20. Juni 1933 starb. Noch im August 1932 war sie trotz einer Erkrankung nach Berlin gereist, um als Alterspräsidentin den Deutschen Reichstag zu eröffnen. Sie hielt eine flammende Rede gegen den Faschismus und seine Hintermänner. „Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und Macht ihrer Organisation zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Von dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten.“
Dieser Appell für eine Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr entsprach ihrer Haltung, die sie schon am 20. Juni 1923 in ihrem politischen Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale unter der Überschrift „Der Kampf gegen den Faschismus“ politisch begründet hatte.

Clara Josephine Zetkin, geborene Eißner (* 5. Juli 1857; † 20. Juni 1933) war eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Arbeiterbewegung. Schon zu Zeiten des Sozialistengesetzes (1878) wurde sie Mitglied der SPD, 1917 schloss sie sich der USPD und später der Spartakusgruppe an, und gehörte zu den Gründerinnen der KPD. Aufgrund ihrer großen Popularität war Zetkin von 1920 bis 1933 Reichstagsabgeordnete für die KPD.
Sie war eine engagierte Frauenrechtlerin, die die Gleichberechtigung der Geschlechter mit der sozialistischen Revolution verband. Sie trat entschieden für die Einbeziehung der Frauen in den Klassenkampf ein und kritisierte die Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung allein nach Frauenwahlrecht, freier Berufswahl und besonderen Arbeitsschutzgesetzen für Frauen, da die bürgerlichen Frauen diese im Rahmen des herrschenden Systems umsetzen wollten. Auf internationaler Ebene nahm Zetkin 1889 am Internationalen Arbeiterkongress in Paris und der Gründung der Zweiten Internationale teil. Sie setzte sich beim „Internationalen Sozialistenkongress“ 1907 in Stuttgart für einen Internationalen Frauentag ein.
Als Angehörige der Leitung der KPD war sie von 1921 bis 1933 Mitglied im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI). In diesem Rahmen analysierte sie vor 100 Jahren zum ersten Mal die faschistische Gefahr durch die Machteinsetzung Mussolinis in Italien und das Auftreten vergleichbarer politischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Staaten. Noch hatte man nur wenige Erfahrungen mit dem Faschismus an der Macht, daher bezog sich Clara Zetkin vor allem auf den italienischen Faschismus. Sie betonte insbesondere dessen soziale Dimension, auf die die Arbeiterbewegung reagieren müsse: „Wir müssen uns bewusst bleiben, dass … der Faschismus eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten ist. Wir müssen danach trachten, dass wir die sozialen Schichten, die jetzt dem Faschismus verfallen, entweder unserem Kampfe eingliedern oder sie zum mindesten für den Kampf neutralisieren. Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren … Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden.“
Clara Zetkin verstand also antifaschistische Handlungsorientierung als politisches Einwirken auf jene gesellschaftlichen Kräfte, die entweder durch die Politik des Faschismus in Mitleidenschaft gezogen werden oder aber der faschistischen Ideologie zu verfallen drohen. Die einen gilt es als Mitstreiter zu gewinnen, die anderen zu neutralisieren, damit sie sich nicht als „Landsknechte“ der Herrschenden missbrauchen lassen. Es ging schon damals darum, auf der einen Seite die Kampffront gegen die faschistische Bedrohung zu erweitern, indem die Interessen und Bedarfslagen auch nicht-proletarischer Gruppen aufgenommen wurden, auf der anderen Seite die faschistische Propaganda und Mobilisierung zu behindern, so dass sie nicht in der Lage ist, verunsicherte Teile der Gesellschaft auf ihre Seite zu ziehen.
1923 forderte Clara Zetkin in einer Rede vor Betriebsräten: „Männer und Frauen aller Berufe, aller politischen und gewerkschaftlichen Richtungen, aller sozialen und religiösen Bekenntnisse, vereinigt euch zum Kampf gegen Faschismus und Kriegsgefahr!“
Diese Forderung ist auch 100 Jahre später noch immer sehr aktuell!

Zum Tag der Befreiung vom Faschismus

geschrieben von Axel Holz

6. Mai 2023

Wir feiern heute am 8. Mai den Tag der Befreiung vom Faschismus und gedenken der Opfer des Faschismus – auch derer, die über Jahrzehnte verschwiegen und unerwähnt blieben oder erneute Diskriminierung erfahren haben wie Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte oder Deserteure aus der faschistischen Armee.

Unvergessen bleiben die Opfer des Holocaust, der einzigartigen industriellen Vernichtung der europäischen Juden, derer die Nazis habhaft geworden sind. Wir vergessen aber auch nicht die Millionen Opfer in Polen sowie in der damaligen ukrainischen und belorussischen Sowjetrepublik, die aus rassistischen Gründen systematisch ermordet wurden, um für den verbrecherischen Nazi-Plan der deutschen Besiedlung im Osten Platz zu machen. Allein in Belorussland war ein Viertel der Bevölkerung im Krieg umgekommen.

Wir erinnern daran, dass die Befreiung Europas vom Faschismus eine gemeinsame Leistung der Alliierten war. Daran erinnert noch heute ein Denkmal für die Alliierten Befreier in Moskau. Unvergessen bleiben die Millionen Opfer der Befreier. Die Sowjetunion hatte mit ihren zahlreichen Nationen die größte Zahl der Opfer im Kampf gegen den Faschismus erleiden müssen.

Am 8. Mai erinnern wir aber aber auch den jahrzehntelangen problematischen Umgang Deutschlands mit seiner Nazi-Vergangenheit, die ihre Schatten bis in die heutige Zeit wirft. Gerade erst hat die Wismarer Bürgerschaft die Anbringung einer Gedenktafel am Rathaus beschlossen, auf der die Opfer des Faschismus mit denen anderer Diktaturen gleichgesetzt werden. Mit der Gleichsetzung der Nazi-Verbrechen mit den Verbrechen anderer Diktaturen wird nicht nur die deutsche Schuld sondern auch der Charakter des Nazi-Regimes, des Holocaust an den jüdischen Menschen in Europa und der Charakter des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nazis relativiert. Für das Gedenken an die Opfer anderer Diktaturen sollten deshalb auch andere Formen des Gedenkens gefunden werden.

Dies ist besonders fatal, weil in der Bundesrepublik Deutschland das Gedenken an die Opfer der Faschismus über Jahrzehnte unterblieb oder einseitig erfolgte, die Verfolgung der Nazi-Verbrechen behindert, zahlreiche Opfergruppen nicht anerkannt oder erneut diskriminiert wurden und die Einzigartigkeit der industriellen Vernichtung der europäischen jüdischen Bevölkerung und des Vernichtungskrieges der Nazis lange geleugnet oder relativiert wurden. Es ist bezeichnend, dass Bundespräsident von Weizsäcker erst über vierzig Jahre nach Kriegsende von der Befreiung vom Nazismus sprechen konnte.

Nur wenige Jahre zuvor wurden die Verbrechen der Wehrmacht mit dem Märchen vom Präventivkrieg im Historikerstreit, dabei von der deutschen Regierung unwidersprochen, relativiert und der Charakter der Nazi-Herrschaft und des Nazi-Krieges in Frage gestellt. Diese Unkultur der Relativierung der Nazi-Verbrechen wird nun mit der gewählten Formulierung einer Gedenktafel in Wismar bedauerlicherweise fortgesetzt. Nicht erwähnt wird dort die Mitverantwortung demokratischer Parteien, wie der des katholischen Zentrums, für die Machtübertragung an die Nazis. Gerade hieraus ergibt sich heute die besondere historische Verantwortung der demokratischen Parteien für die Verteidigung der Demokratie gegen jeglichen Nationalismus und Rassismus sowie gegen die Versuche der heutigen Feinde der Demokratie, die Demokratie verächtlich zu machen.

Der 8. Mai ist aber auch ein Tag, der an die Ursachen des Nazi-Regimes erinnern soll, das mit der Niederlage Deutschland in einem selbst gewählten Eroberungs- und Vernichtungskrieg endete. Nationalismus und Rassismus, die Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten oder die Annahme lebensunwerten Lebens sind solche fundamentalen Ursachen, einschließlich eines jahrhundertelang geförderten Antisemitismus. Nicht zuletzt haben Demokraten selbst die Übergabe der Macht an die Nazis erst ermöglicht, wie das katholische Zentrum, als es für das Ermächtigungsgesetz stimmte. Eine Demokratie lebt von der demokratischen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Das war in der Weimarer Republik schwer mit einem Staatsapparat durchsetzbar, der selbst erheblich monarchistisch und antidemokratisch geprägt war.

Die Verteidigung der Demokratie und der demokratischen Werte sind einer der wichtigsten Lehren aus dem Faschismus. Das trifft besonders heute für eine Zeit zu, in der Nationalismus und Rassismus an Einfluss in der Gesellschaft gewinnen. Das bedeutet auch, die zu benennen und juristisch zu belangen, die heute bereits wieder die Demokratie verächtlich machen.

Ich möchte aber auch auf ein weiteres wichtiges Ergebnis der Befreiung vom Faschismus aufmerksam machen. Erstmals haben sich Nationen nach Kriegsende darauf verständigt, Kriegsverbrechen konsequent zu verfolgen und zu ahnden. Der europäische Gerichtshof hat dieses Prinzip auf Kriegsverbrechen weltweit angewandt. Dieser Maßstab sollte weltweit anerkannt und gesetzlich ratifiziert werden – auch von bisher außen stehenden Staaten, wie Russland, China und den USA. Hinter die konsequente Verfolgung von Kriegsverbrechen sollte es kein zurück mehr geben, von welcher Seite die Verbrechen auch begangen worden sein sollten.

Mit der Zerschlagung des Faschismus begann für die Welt eine neue Friedensordnung, die in der Charta der Vereinten Nationen begründet und im Helsinki-Abkommen bestärkt wurden. Die Anerkennung und Verteidigung von grundlegenden Menschenrechten und Regeln des staatlichen Umgangs dürfen nicht erneut untergraben werden. Dazu gehören auch die Unantastbarkeit der Souveränität und der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen. Hinter diese vereinbarten Werte sollte es im Umgang der Staaten untereinander kein zurück mehr geben.

Das oberste Ziel und eine wichtige Lehre aus der Befreiung vom Faschismus ist für uns Antifaschisten aber die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Friedens. Wir als Organisation der Verfolgten des Naziregimes fühlen uns dem Friedensgebot der Staaten und Nationen besonders verpflichtet. Mit Blick auf den aktuellen Krieg in Osteuropa stellt sich aber die Frage, wie der Frieden wieder hergestellt werden kann. Hier kann eine strategische Weisheit des römische Politikers Cicero vielleicht hilfreich sein. Er behauptete, dass manchmal ein ungerechter Frieden besser sein kann als ein gerechter Krieg. Darüber lohnt es sich nachzudenken.

Vor 80 Jahren: Antifaschistischer Widerstand für die Rettung jüdischer Menschen

geschrieben von Ulrich Schneider

21. April 2023

Zwei herausragende Ereignisse vor 80 Jahren machen deutlich, dass der antifaschistische Widerstand in Europa in vielfältiger Form auch ein Versuch der Rettung jüdischer Menschen vor der Vernichtungspolitik des NS-Regimes war.
Das erste Beispiel betrifft eine Rettungsaktion belgischer Partisanen, die mit ihrem militärischen Eingreifen bewusst einen Deportationszug attackierten. Am 19. April 1943 startete der 20. Deportationszug von Mechelen nach Auschwitz. Es war der erste Transport aus Belgien, der mit Güterwagen durchgeführt wurde. Die kleinen Fensteröffnungen der Güter- und Viehwaggons wurden mit Holzlatten zugenagelt. In diesem Transport befanden sich 1631 Menschen, vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma aus dem französischen Département Pas-de-Calais. Youra Livchitz, Robert Maistriau und Jean Franklemon stoppten den Zug. Beim erzwungenen Halt auf offener Strecke nahe Boortmeerbeek verhalfen sie 231 Menschen zur Flucht, obwohl der Transport von bewaffneten Wachmannschaften begleitet wurde. Die drei Befreier wurden später von der Gestapo verhaftet, zwei überlebten das NS-Lagersystem.
1995 wurde am Bahnhof von Boortmeerbeek eine Gedenkstätte für die Deportierten und die Helfer errichtet. Auch 2023 erinnerte die belgische Auschwitz-Stiftung an diesen Rettungswiderstand.

Das zweite bedeutende Beispiel war der Aufstand im Warschauer Ghetto vom April 1943. Im November 1940 wurde in Warschau das Ghetto eingerichtet, in dem auf engstem Raum mehr als 380.000 Menschen zusammengepfercht waren. Da das Wohngebiet mitten in Warschau lag, konnte es nie komplett abgeriegelt werden. Schmuggel von Lebensmitteln, die Rettung von Menschen und einzelne Kontakte nach draußen waren die ganze Zeit möglich. Den Menschen war aber bewusst, dass das Ghetto die Vorstufe zur Vernichtung sein sollte und sie bereiteten sich auf Widerstand vor. Am 18. Januar 1943 zeigte sich dieser zum ersten Mal, als die jüdische Kampforganisation (ŻOB) mit Waffengewalt versuchte die Deportationen durch die NS-Besatzer zu stoppen. Dennoch setzte die SS bis zum 21. Januar die Deportation von insgesamt 5.000 Menschen durch, über 1.000 Menschen wurden im Ghetto getötet. Durch den Widerstand überrascht, brachen die NS-Besatzer die Räumung des Ghettos vorerst ab.
Im April 1943 befahl Heinrich Himmler die Auflösung des Ghettos. Am Morgen des 19. April, kurz vor Beginn des Pessach-Festes, marschierten Einheiten der SS in das Ghetto ein. Die jüdischen Widerstandskämpfer wehrten sich mit selbst gebauten Granaten und anderen Waffen. Am ersten Tag wurden die überraschten Deutschen bis zur Ghettomauer zurückgedrängt. Am dritten Tag des Aufstands begann die SS, das Ghetto systematisch niederzubrennen, Bunker und Gebäude zu sprengen, um den Widerstand zu brechen. Obwohl die wenigen 100 Kämpferinnen und Kämpfer den deutschen Truppen klar unterlegen waren, hielt die Bevölkerung des Ghettos den Widerstand beinahe vier Wochen lang aufrecht.
In einem ZOB-Aufruf vom 23. April 1943 an die polnische Bevölkerung Polen und die Weltöffentlichkeit heißt es: „Der Kampf geht um unsere und eure Freiheit, um unsere und eure menschliche, soziale, nationale Ehre und Würde. Wir rächen die Verbrechen von Auschwitz, Treblinka, Belzec und Majdanek. Es lebe die Waffen- und Blutsbrüderschaft des kämpfenden Polens! Tod den Henkern und Henkersknechten! Es lebe der Kampf auf Leben und Tod gegen den Okkupanten! Die Jüdische Kampforganisation.“
Der Übermacht der SS waren die Kämpfer auf die Dauer nicht gewachsen. Auch weil ihnen die Kämpfer der polnischen „Heimatarmee“ nicht zu Hilfe eilen konnten.
Am 16. Mai zerstörte die SS als letzte symbolische Aktion die große Synagoge im Ghetto. Leiter dieses Einsatzes von SS, Polizeieinheiten und Wehrmacht war der SS-Brigadeführer Jürgen Stroop, der das Verbrechen unter der Überschrift dokumentierte „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“
Bis zu diesem Tag waren über 56.000 Menschen von SS- und Polizeieinheiten getötet oder in Vernichtungslager transportiert worden.
Wenigen Kämpfern der ZOB wie Marek Edelman gelang die Flucht. Sie tauchten unter oder schlossen sich polnischen Partisanen an.

Die FIR erinnert an dieses Verbrechen, aber auch daran, dass es in allen europäischen Ländern Frauen und Männer im jüdischen Widerstand gab, die sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“ der Vernichtungspolitik ergaben. Sie sind ein bedeutender Teil unserer gemeinsamen antifaschistischen Tradition.

Erfolgreiche Nordkonferenz der VVN-BdA

geschrieben von Axel Holz

5. März 2023

Florian Gutsche und Frank Hornschu

Am 4. März hat im Wohn- und Ferienheim Heideruh die 28. Nordkonferenz der VVN-BdA teilgenommen. Lucius Teidelbaum aus Tübingen hatte mit einem Impulsvortag in das Thema „Extreme Rechte nach dem Wutwinter “ in das Thema eingeführt, dass dann im Podium mit dem Vorsitzenden der VVN-BdA, Florian Gutsche, und dem DGB-Regionalgeschäftsführer in Kiel, Frank Hornschu, mit dem Publikum aus fünf Landesverbänden der VVN-BdA und zahlreichen Gewerkschaftern kritisch diskutiert wurde.

Hintergrund ist die die Situation bei der Mobilisierung der Menschen für Frieden, soziale Gerechtigkeit und andere emanzipatorische gesellschaftliche Themen, die zunehmend auch von rechts besetzt werden und nicht selten von Rechtsextremen gekapert oder unterwandert werden. „Die Tür nach rechts bleibt zu“ ist die angemessene Forderung in der verantwortungsbewussten politischen Landschaft. 

Aber Wen oder Was betrifft die Abgrenzung, nach welchen Kriterien wollen wir uns angrenzen und wie gelingt es, dabei aktionsfähig zu sein bzw. zu bleiben?  Wer darf beim Protest für den Frieden und für den Krieg mitmachen, wen w wollen wir bei emanzipatorischen Themen, wie Gerechtigkeit, Klimaschutz und Solidarität dabeihaben bzw. wen nicht? Wie weit darf die Bündnisfähigkeit für Frieden und Gerechtigkeit gehen? Die rechte Massenmobiliserung der letzten Monate mit Corona-Leugnern gegen Corona-Maßnahmen, gegen Krieg und neuerdings wieder gegen Asylunterkünfte  zeigt, dass  rechte Brandschifter u.a. mit Hilfe des geschickten Einsatzes sozialer Medien und durch Ausnutzung von Zukunfts-Unsicherheit und Ängsten Massen für  historisch linke Themen wie Frieden, die Ablehnung der Hochrüstung und den Missbrauch emanzipatorischer Ideen, wie die Beteiligung der Menschen an politischen Prozessen, und selbst den antifaschistischen Ansatz linker Kräfte zu missbrauchen. Im Internet kursiert etwa ein Statement, dass von einer faschistischen Corona-Diktatur spricht und sich dabei auf Umberto Ecos Definition des Urfaschismus stützt, nur eins von vielen Beispielen der rechten Vereinnahmung. Gerade die jüngste bisher größte Friedensdemonstration der letzten Jahrzehnte in Berlin zeigt, dass Abgrenzung gegen Rassisten, Reichsbürger, Antisemiten, Flüchtlingsfeinde und Sexisten dringend notwendig ist, denn wie soll man gemeinsam für ein Grundrecht auf friedliches Zusammenleben kämpfen, wenn Teile der mobilisierten Menge andere Grundrechte mit Füßen treten oder sogar abschaffen wollen. Hier müssen die Gefahren und die Gefährder für die demokratischen Diskurs und die demokratische Aktion immer wieder konkret untersucht und klar beim mitunter wechselnden Namen benannt werden.  Ohne eine solches konkretes Bekenntnis und eine solche konkrete Abgrenzung wird emanzipatorisches Handeln verwässert und schließlich von den Emanzipationsfeinden vereinnahmt werden.

Vor 90 Jahren: Die Berliner Reichstagsbrand-Provokation

geschrieben von FIR

3. März 2023

Ein zentrales Ereignis zur Etablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland war die Inszenierung des Reichstagsbrandes in Berlin. Am Abend des 27. Februar 1933 brannte das Gebäude des deutschen Parlaments.
Schon die bekannte Chronologie der Ereignisse macht deutlich, welche Inszenierung und Intention hinter dem Ereignis stand. Kurz nach 21:00 h wurde der Brand im Gebäude gemeldet. Knapp 10 Minuten später erreichte der erste Feuerwehrzug das Gebäude. Bereits fünf Minuten später wurde der Niederländer Marinus van der Lubbe als angeblicher Brandstifter im Reichstagsgebäude verhaftet und Hermann Göring, und wenig später Hitler und Goebbels waren vor Ort. Noch während die Feuerwehr versuchte, den Brand zu löschen, verkündeten Göring und Hitler, dieser Brand sei ein „kommunistisches Fanal“ zum Aufstand und van der Lubbe habe den Brand „im Auftrag der Kommunisten“ gelegt.
Nachdem der Chef der politischen Polizei am Nachmittag des Tages alle Polizeidienststellen angewiesen hatte, wegen angeblich bevorstehender Überfälle anlässlich der Reichstagswahl kommunistische Funktionäre zu verhaften, begannen in der Nacht zum 28. Februar 1933 weitere Massenverhaftungen basierend auf den seit November 1932 aktualisierten Verhaftungslisten. Am folgenden Tag wurde ein Verbot der Presse von KPD und SPD für 14 Tage ausgesprochen.

Dass die Behauptung eines „kommunistischen Fanals“ von Anfang an unglaubwürdig war, erkannten selbst ausländische Berichterstatter, von denen einer schon am Abend des 27. Februar an die „Wiener Allgemeinen Zeitung“ kabelte, es sei unzweifelhaft, dass das Feuer „von Söldnern der Hitlerregierung entfacht worden“ sei. Ungeachtet dessen verabschiedete das Kabinett am 28. Februar eine „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“), die dann vom Reichspräsidenten erlassen wurde, mit der grundlegende Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt wurden. In der Verordnung heißt es: „Es sind … Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“
Hitler bezeichnete den Brand als ein „von Gott gegebenes Zeichen“, um die Kommunisten „mit eiserner Faust zu vernichten“. Die Nazis eröffneten einen Terrorfeldzug größten Ausmaßes und verhafteten noch in der Brandnacht rund 12.000 Mitglieder der KPD und der SPD, ferner parteilose Demokraten.
Die FIR-Mitgliedsorganisation „Kinder des Widerstands“ erinnert in einer Erklärung daran, dass sich unter den Verhafteten auch Eltern und Großeltern ihrer Mitglieder befanden. Wir erinnern „an die Provokation vor 90 Jahren, um vor Wiederholungen eines Aufstiegs von Faschisten zu warnen, erneut die Lehren aus jener Zeit zu ziehen und nie die Mahnung des Widerstandes zu vergessen, die Peter Gingold, Widerstandskämpfer und unermüdlicher Mahner uns hinterließ: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Gegner der Nazis ihren Streit untereinander zurückgestellt und gemeinsam gehandelt hätten.“

Das NS-Regime wollte den Reichstagsbrand für ihre Propaganda nutzen, als Georgi Dimitroff, der sich als Vertreter der Kommunistischen Internationale in Deutschland aufhielt, mit weiteren Kommunisten verhaftet und in einem Prozess vor dem Reichsgericht angeklagt wurde. Bevor der Prozess überhaupt startete, hatten Antifaschisten im französischen Exil mit eigenen Ermittlungen über den Brandhergang und der Zusammenstellung weiterer Dokumente im „Braunbuch – Über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ bereits die faschistische Propagandalüge entlarvt und die direkte Tatbeteiligung der SA an dieser Brandstiftung nachweisen können. Nicht zuletzt durch das heroische Auftreten von Georgi Dimitroff im Leipziger Prozess scheiterte die Anklage und die vier angeklagten Kommunisten mussten freigesprochen werden.

Ende der 1950er Jahre im Kalten Krieg versuchte ein Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz gemeinsam mit dem Magazin „Spiegel“, in geschichtsrevisionistischer Manier die SA und ihre Hintermänner von der Verantwortung für die Brandstiftung freizusprechen, indem er äußerst windige, aber medial aufbereitete Thesen über die Alleintäterschaft von Marinus van der Lubbe aufstellte. Es ist antifaschistischen Historikern zu verdanken, dass diese Behauptung heute keine Aufmerksamkeit mehr erhält.

Ein großartiger antifaschistischer Dramatiker und Schriftsteller: Bertolt Brecht

geschrieben von Ullrich Schneider

13. Februar 2023

Vor 125 Jahren, am 10. Februar 1898, wurde der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht in Augsburg geboren. Schon als Schüler unternimmt er erste literarische Versuche.
Anders als viele seiner Generation will er nicht begeistert in den Ersten Weltkrieg ziehen. Nach Notabitur schreibt er sich für ein Medizinstudium ein, um dem Fronteinsatz zu entgehen. Dennoch wird er im Herbst 1918 noch als Lazarettsoldat eingezogen. In der Novemberrevolution 1918 wird er Mitglied des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates.
1922 wird in München sein erstes Theaterstück aufgeführt, er experimentiert mit Lehrstücken und dem Ansatz eines epischen Theaters. Sein tatsächlicher Durchbruch erfolgt jedoch erst 1928 in Berlin mit einer scheinbaren Unterhaltungsrevue „Die Dreigroschenoper“. Zwei Jahre später folgt die Opfer „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony“.  
Dabei hat er sich immer als politischer Schriftsteller verstanden, wie seine Werke „Mutter Courage und ihre Kinder“, ein Anti-Kriegsstück mit Bezug auf den Dreißigjährigen Krieg, oder „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, eine Anklage der kapitalistische Ausbeutung in der US-Fleischindustrie und deren Krisenprofiteure.
Er schrieb aber nicht nur für die Bühne, sondern auch für den Alltagsgebrauch. Dabei umfassten seine literarischen Formen die ganze Bandbreite von Erzählung und Kurzprosa, Sinnsprüche, Lyrik in den verschiedenen Formen bis hin zur Dramatik.
Sein erster Gedichtband „Hauspostille“ erneuerte beispielsweise die Balladendichtung. In der Sammlung „Svendborger Gedichte“, entstanden im dänischen Exil, erweitert er diese zu Erzählgedichten. Er schrieb aber auch Gelegenheitsdichtung, Protest- und Kampflieder. Seine „Kalendergeschichten“, besonders die Erzählung „Der Augsburger Kreidekreis“ und die späteren „Geschichten vom Herrn Keuner“ fanden breite Veröffentlichung, nicht nur unter dem bürgerlichen Lesepublikum. Brecht sah als Adressanten seiner literarischen Arbeit den interessierten Arbeiter, der durch die Auseinandersetzung mit Literatur seine Welt und ihre Veränderbarkeit besser erkennt. Exemplarisch zeigt sich dies an dem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“, das er 1935 im Exil in Dänemark schrieb. Gedruckt wurde es erstmals 1936 in der Zeitschrift Das Wort in Moskau.
Als Nazigegner ging Brecht früh ins Exil. Am Tag nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verlässt er mit seiner Familie Deutschland und begibt sich über Prag nach Wien, in die Schweiz und schließlich nach Dänemark. Im Exil entstehen viele Stücke, die dem antifaschistischen Kampf gewidmet sind. In Paris entstanden das Episoden-Werk „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, das die Etablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland zu erklären versucht, und das Drama „Die Gewehre der Frau Carrar“ als Zeichen der Solidarität mit dem Kampf der Spanischen Republik gegen den Franco-Putsch. Der jüdische Kommunist Peter Gingold, der mit seiner Familie nach Paris geflohen war, berichtet in seinen Erinnerungen über die Proben zu diesem Stück, die komplizierten Arbeitsbedingungen, aber auch den großen Erfolg.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Dänemark und Norwegen flieht Brecht nach Finnland, wo das Parabelstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ entsteht. 1941 gelingt ihm die Emigration in die USA, wo er im „Council for a Democratic Germany“ mitarbeitet.
Als er sich 1945 kritisch zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki äußert, gerät er in das Visier der McCarthy-Verfolger. 1947 wird er vor das „Komitee für unamerikanische Tätigkeiten“ vorgeladen. Nach dem Verhör verlässt er die USA in Richtung Schweiz, von wo aus er nach Ost-Berlin übersiedelt. Dort übernahm er am Theater am Schiffbauerdamm sein eigenes Ensemble und setzte seine ungemein produktive Theaterarbeit fort.
Er starb als bedeutendster deutscher Dramatiker des 20. Jahrhunderts am 14. August 1956 in Berlin/DDR. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und Prominenz aus Politik und Kultur wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben.
Auch über seinen Tod hinaus blieb er ein Feindbild der „Ewiggestrigen“. Vor denen warnte Brecht bereits 1941 in seinem Stück „Der Aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, eine dauerhafte Lehre für alle Antifaschisten

„So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Bertolt Brecht

Der 30. Januar 1933

geschrieben von VVN-BdA

26. Januar 2023

Datum und Ereignis sind bekannt: Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. Die Interpretation dieses Ereignisses ist jedoch bis heute umstritten. Die einen nennen es Machtergreifung. Damit wird ausgedrückt, dass die Weimarer Demokratie dieses Ereignis nicht verhindern konnte; es sei „schicksalhaft“ gewesen.
Die anderen nennen es Machtübernahme. Dies ist der Versuch, den Akt der Ernennung eines Faschisten und erklärten Gegners der Weimarer Republik einigermaßen neutral zu beschreiben; Hitler übernahm die Macht, die Reichspräsident Paul von Hindenburg ihm übergab.
Wir nennen es Machtübertragung. Damit soll beschrieben werden, es handelte sich um einen bewusst herbeigeführten Akt. Denn es bedurfte einer Reihe von Vorgesprächen, Verhandlungen und großer Überzeugungskunst, diesen Akt zu vollziehen. Die NSDAP verfügte nicht über eine Mehrheit im Reichstag (bei der Reichstagswahl im November 1932 hatte die NSDAP 33,1 % der Stimmen erhalten). Damit beschreiben wir auch, die Einsetzung Adolf Hitlers als Reichskanzler war mehr als ein „normaler“, formaler demokratischer Akt. Die Ernennung zum Reichskanzler wurde von maßgeblichen Parteien des Weimarer Parlaments geduldet oder gefördert, seine Ernennung wurde aus Kreisen des deutschen Militärs sowie von einflussreichen Vertretern der Wirtschaft geduldet, gefordert oder gar gefördert.
Was bedeutet dieses Datum für Demokraten, Antifaschisten und unsere Organisation? Für die Vertreter der liberalen und bürgerlichen Demokratie bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler die Bankrotterklärung der gerade mal vierzehnjährigen Demokratie der Weimarer Republik. Die repräsentative parlamentarische Demokratie war auch an ihren eigenen Maßstäben und Regeln gescheitert. Für die parlamentarischen Vertreter der Arbeiterbewegung, also SPD und KPD und die Gewerkschaften, bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler das Eingeständnis ihrer Niederlage gegenüber ihrem erklärten und tatsächlichen Hauptfeind, dem deutschen Faschismus. Die Erkenntnis, dass die Machtübertragung an Adolf Hitler auch der Zerstrittenheit und Uneinigkeit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Arbeiterbewegung geschuldet war, wuchs mit der Stabilisierung der Macht der Nazis; sie entstand in den Zuchthäusern, Konzentrationslagern, im Widerstand und im Exil.
Für unsere Organisation, VVN – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler so etwas wie eine Geburtsurkunde. Kein Antifaschismus ohne Faschismus, keine Opfer ohne Täter, keine Verfolgten ohne Verfolger. Mit welcher Brutalität die Nazis ihre Gegner vernichten und ihre erklärten Ziele mit Terror durchsetzen würden, haben viele Verfechter der Weimarer Demokratie nicht geglaubt. Das reichte von der Einschätzung, man möge die Nazis mal regieren lassen, dann würden sie sich selbst abwirtschaften, über den Versuch, durch Annäherung an die Position der Nazis Schlimmeres zu verhindern, bis dahin, die Arbeiterbewegung würde des braunen Mobs schon Herr werden. Auch wurde der Masseneinfluss der Nazis und ihrer Organisationen unterschätzt. Die Arbeiterbewegung setzte darauf, ihre guten Argumente werden die Menschen überzeugen und von den Nazis abbringen. Die KPD setzte auf ihre Mobilisierungsfähigkeit gegen die Nazis. Die bürgerlichen Parteien vertrauten auf die Macht des Wahlzettels. Es kam anders. Keine 48 Stunden feierten die Nazis und demonstrierten ihre erworbene Macht durch Fahnenmeere und Aufmärsche, mit markanten Reden und triumphierenden Artikeln in den einschlägigen Zeitungen. Dann begann der Terror, der im faschistischen Expansionskrieg und der millionenfachen Ermordung von Menschen, überwiegend Jüdinnen und Juden, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mündete, also Auschwitz hervorbrachte.

Am 27. Januar der Opfer der nazistischen Barbarei zu gedenken, heißt daher auch, den 30. Januar 1933 mitdenken. Über Terror und Verbrechen des NS-Regimes zu berichten, ihn in Erinnerung zu behalten, vor den Gefahren zu mahnen und zu warnen, die Täter und Mitläufer zu benennen, der Opfer zu gedenken und die Frauen und Männer des Widerstandes zu ehren, dazu gibt es genügend Anlässe in diesem Jahr. Es steht uns gut an, sich der Lehren zu erinnern, die Verfolgte, der Widerstand und die Anti-Hitler Koalition spätestens ab 1945 gezogen haben. Dazu zählen:
• Den Charakter des Faschismus an der Macht und die Bedingungen seiner Entstehung klar zu benennen und ihn nie wieder zu unterschätzen.
• Die Einheit der Arbeiterbewegung herzustellen und die Zusammenarbeit neuer emanzipatorischer Bewegungen zur Verteidigung der Demokratie zu organisieren.
• Das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit auszubauen und zu stärken.
• Demokratie als antifaschistisch und friedliebend zu verstehen, statt Aufrüstung und einen starken Staat
zu beschwören.

Abschließend bleibt, die Mahnung eines Zeitzeugen zu zitieren:
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir diese Erfahrung … Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“ Peter Gingold, Paris – Boulevard St. Martin No. 11, Köln, 2009, S. 28f.

Ankündigung der 13. Gedenk-Fahrradtour von Schwerin nach Sachsenhausen vom 7. bis 10. September 2023

5. Januar 2023

Vom 7. bis 10. September 2023 führt die VVN-BdA Schwerin-Westmecklenburg ihre 13. Gedenkfahrradtour auf der Todesmarschstrecke von Schwerin zur Gedenkstätte Sachsenhausen durch. Zwischenstationen sind der Gedenkort für die Opfer des Faschismus in Crivitz und die Gedenkstätte Belower Wald. Unterwegs gibt es Gespräche mit kommunalen Vertretern in Orten, die auf der Todesmarschstrecke liegen. Die Fahrradtour beginnt am 7. September um 11.30 Uhr am Grunthalplatz, dem Gedenkort für die Lehrerin Marianne Grunthal am Bahnhof Schwerin, die am Tag der Befreiung von den Nazis dort erhängt wurde. Die Fahrradtour endet am 10. September nach einem Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen gegen 14 Uhr. Für die Anreise empfehlen wir die Zugfahrt bis zum Hauptbahnhof Schwerin, für die Abreise den Bahnhof Oranienburg.

Die Teilnehmer der Fahrradtour übernachten mit Frühstück in kleinen Hotels und Pensionen in Parchim, Wittstock und Neuruppin. Abends sind Tische für das Abendbrot bestellt. Die Fahrradtour wird von einem Begleitfahrzeug unterstützt, das auch für die Pausenverpflegung sorgt und bei Fahrradpannen unterstützt. Die Eigenbeteiligung der Teilnehmer beträgt 40 Euro pro Tag. Die Gedenktour wird vom Europäischen Sozialfonds unterstützt.

Interessenten können sich im beiliegenden Tourflyer weiter informieren und unter folgender Email-Adresse ihre Teilnahme anmelden: vvn-bda-schwerin@mailbox.org

Rostock, Heinkel und die deutsche Geschichte – Eine Ausstellung räumt auf mit einem Mythos

geschrieben von Michael Schmidt

5. Januar 2023

Die Hansestadt Rostock ist weithin bekannt für ihre Werften und den Überseehafen. Was außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern aber in Vergessenheit geraten sein dürfte, ist die Tatsache, dass Rostock jahrelang auch ein Zentrum des deutschen Flugzeugbaus war. Vor einhundert Jahren, im Dezember 1922, nahm in Warnemünde das erste Flugzeugwerk seinen Betrieb auf. Gegründet von  Ernst Heinkel, einem württembergischen Konstrukteur und Unternehmer. Wichtige Auftraggeber waren von Anfang an deutsche und ausländische Militärs. Es folgte ein rasanter Aufstieg, an dessen Höhepunkt die Heinkel-Werke zum zweitgrößten deutschen Flugzeughersteller wurden. Das Unternehmen stand für Erfindergeist – so kamen der erste serienmäßig eingebaute Schleudersitz für Piloten und das erste Strahltriebwerk aus Rostock. Vor allem aber stand und steht der Name Ernst Heinkel für den Bau von Kriegsflugzeugen und für engste Verflechtung mit dem NS-Staat. „Heinkel in Rostock – Innovation und Katastrophe“ heißt auch folgerichtig eine Ausstellung im Rostocker Kulturhistorischen Museum, die sich diesem wohl umstrittensten Kapitel der Stadtgeschichte widmet. Klar, dass besonders hiesige Mitglieder der VVN BdA diese Ausstellung besuchen wollten. Um es gleich vorweg zu sagen: der Rundgang hatte sich gelohnt. Das lag nicht zuletzt an der sachkundigen Begleitung durch den Kurator Ullrich Klein. Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass etliche der historischen Fotografien und Dokumenten  erstmals öffentlich gezeigt werden. Ausführliche Textinformationen sorgen für die notwendige Einordnung. In den vergangenen Jahren gab es auch in Rostock immer wieder Bestrebungen, den Flugzeugbau doch bitte vor allem als Beleg für Erfindergeist und schöpferisches Unternehmertum zu werten. Diese rein technische Betrachtung wird in der Ausstellung faktenreich ad absurdum geführt. Schon die präsentierten Fotos verdeutlichen das. Da zeigt sich Unternehmensgründer Heinkel schon 1933 gut gelaunt neben Nazi-Propagandaminister Goebbels bei einem Werksbesuch. Da erhält er 1938 von Hitler den Nationalpreis. Da bombardieren deutsche Flugzeuge vom Typ He 111 als Teil der berüchtigten Legion Condor spanische Städte, um dem Putschistengeneral Franco zum Sieg zu verhelfen. Nein, Heinkel war kein „Mitläufer“ – er war Teil einer Maschinerie, die einem verbrecherischen Eroberungskrieg diente. Allerdings war das Ausmaß der Verflechtung von Heinkel mit Nazi-Diktatur und Kriegswirtschaft auch für die Besucher der VVN BdA eine neue Erkenntnis. Anfang 1943 schufteten allein in Rostock 1606 Kriegsgefangene für Heinkel. Dazu kamen 6700 verschleppte ausländische Zwangsarbeiter, von deren Ausbeutung Heinkel bestens profitierte. Damit nicht genug. Sein Werk in Oranienburg wurde sogar „Musterbetrieb“ für den Einsatz von KZ-Häftlingen. Besonders brutal muss es in Barth zugegangen sein. Im dortigen Werk wurden 7000 Menschen zur Arbeit gezwungen. Kurator Ullrich Klein: „Zweitausend von ihnen überlebten diesen höllenhaften Ort nicht.“ – Getreu dem Motto: „Vernichtung durch Arbeit“. Wer mag da Heinkel und seinen Flugzeugbau noch als einen „Mythos der Moderne“ glorifizieren? Es stimmt – in der Heinkel-Ära wurde Rostock zur Großstadt, tausende neue Wohnungen entstanden. Nie zuvor fanden so viele Menschen eine qualifizierte Arbeit. Den Preis dafür zahlten nicht nur die anderen. Im April 1942 wurde Rostock Ziel britischer Bombenflugzeuge. Ein Feuersturm vernichtete die Altstadt. Auch die Heinkel-Werke wurden angegriffen. Der Krieg kehrte dorthin zurück, von wo er ausgegangen war – nach Deutschland. Nach dem Krieg durchlief Heinkel in Westdeutschland ein „Entnazifizierungsverfahren“, wurde als „unbelastet“ eingestuft und durfte wieder als Unternehmer aktiv werden. Das Verdienst der Rostocker Ausstellung ist es, ihm und seinem Werk den Platz in der Geschichte zuzuweisen, den sie verdienen. Leider nur zu sehen bis zum 22. Januar. Umso mehr ist der Katalog zur Ausstellung zu empfehlen. 

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