Denkmal für einen Kriegsverbrecher

geschrieben von Axel Holz

13. Oktober 2022

Stellen wir uns vor, die österreichische Familie Schicklgruber würde auf ihrem Familiengrab ein Steinkreuz errichten – für einen Gefreiten des 1. Weltkrieges, der dort zwar nicht begraben liegt, weil dessen Asche irgendwo im Großraum Berlin verstreut liegt. Auf dem Denkmal würde stehen: „Adolf Hitler (geborener Schicklgruber)/20.4.1889 – 30.4.1945/Politiker“. Mit diesen Gedanken beginnt der Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld seine Überlegungen zum Fall Jodl. Der Aufschrei im Falle eines Hitler-Denkmals wäre zweifellos groß, über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Doch ein solches Denkmal für einen Kriegsverbrecher gibt es. Nur eben nicht für Hitler, sondern für einen seiner engsten Mitarbeiter, den Kriegsverbrecher Alfred Jodl. Der hochrangige Militär, Massenmörder und glühende Nazi wurde beim Nürnberger Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt, hingerichtet und seine Asche in einem Fluss verstreut. Unter seiner Leitung wurde der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ausgearbeitet und durchgeführt, der zum Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern führte. Er hatte die Deportationen der Juden vorangetrieben und den Kommissarbefehl erdacht,  die Richtlinien zur sofortigen Tötung der gefangenen sowjetischen Offiziere, und die Belagerung Leningrads konzipiert, die eine Million Menschen das Leben kostete. Für ihn gibt es ein Ehrenmal und zwar nicht irgendwo, sondern auf dem  Friedhof des Klosters der Insel Frauenchiemsee, die seit der Erschaffung des Leer-Grabes und Denkmals 1953 wohl hundertausende Touristen besucht haben und mehr oder weniger mit diesem Scheingrab konfrontiert wurden. Das Scheingrab befindet sich zwischen den Gräbern beider Ehefrauen des Kriegsverbrechers und enthält neben dessen Lebensdaten auch seinen militärischen Rang. Der Kenotaph hätte der Friedhofsordnung nach nie errichtet werden dürfen, ebenso wenig wie unseren Grundwerten nach ein Ehrengrab für einen Kriegsverbrecher. Daran hat sich so mancher gestört, nicht aber die zuständige Friedhofsverwaltung, nicht die verantwortliche Kommune, nicht das verantwortliche Parlament oder die bayerische Staatsregierung.

Widerstand gegen Kriegsverbrecherehrung

Erst Bundestagsvizepräsident Lammert empfahl dem Künstler Wolfram Kastner eine Petition einzureichen. Die hatte zwar mit dem Bundestag die falsche Adresse, wurde aber auch im zuständigen bayerischen Landtag nicht verhandelt. Niemand fühlte sich auf Kastners Anfragen hin zuständig. So besann sich der Künstler auf sein Widerstandsrecht und machte die Öffentlichkeit mit mehreren Aktionen auf den Skandal aufmerksam. Er versah das Denkmal mit dem Zusatz „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher“, verdeckte das Kreuz, las am Jodl-Denkmal aus den Erinnerungen Überlebender von Leningrad vor, entfernte das „J“ im Namen Jodl und ließ den Rest als bayrisches Wort für Jauche stehen und überzog das Denkmal schließlich mit roter Farbe – deutlich als Blutspur zu erkennen. Man müsste meinen, das wäre genug, um die Öffentlichkeit und die Zuständigen zu einer öffentlichen Stellungnahme und schließlich zur Entfernung des Denkmals zu bewegen. Nichts davon geschah.

Merkwürdiges Rechtsverständnis

Stattdessen wurde der Künstler angezeigt und von einem bayerischen Gericht wegen Verletzung der Eigentumsrechte des Denkmal-Besitzers zu 12.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Das Eigentumsrecht stünde über dem Recht auf Kunstfreiheit und Volksverhetzung konnte die Richterin in dem Grab nicht erkennen, das aber wegen der fehlenden Überreste keines war und erst dadurch zum Ehrengrab avancierte. Man müsste meinen, dass eine solche juristische Sicht, die Volkverhetzung billigt und Widerstand gegen Kriegsverbrechervergötzung kriminalisiert, kaum vor höherer juristischer Instanz Bestand haben würde. Aber falsch gedacht. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte das Urteil. Im Kern dementierte es, dass es sich mit dem Übergießen des Gedenksteins mit roter Farbe um Kunst handle. Kunst müsse immer interpretierbar sein, aber das sei hier nicht der Fall. Der Sänger und Liedermacher Konstantin Wecker bemerkte hierzu, es sei möglich, dass Juristen von Kunst keine Ahnung hätten. Keinesfalls dürften sie sich aber anmaßen, bestimmen zu wollen, was Kunst sei.

Schatten der Vergangenheit

Wir wissen heute, wie sehr deutsche Juristen in der Nazidiktatur verfangen waren, vielfach ungestört nach dem Krieg über ihre ehemaligen Opfer erneut richteten und auch mit dafür sorgten, dass die juristische Verfolgung der Kriegsverbrecher lange unterblieb oder mit Verjährung bzw. der Umwandlung von Mord in Totschlag und Beihilfe zu beiden abgemildert wurde. Mengen an Artikeln, Büchern, Dokumentationen und Spielfilmen sind zu diesem Thema entstanden. Aber das juristische Erbe der Nazis, die langjährig fehlende juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen und die vielfache Verharmlosung der Kriegsverbrecher und ihrer Taten werfen offensichtlich auch im Rechtswesen ihre Schatten bis in die heutige Zeit.

Eine Überlebende des Holocaust hatte jüngst gegen das Jodl-Denkmal auf Frauenchiemsee geklagt. Jodls Name und Dienstgrad sind nun hinter einer Steinplatte verborgen und beides ist hinter einer mobilen Tuja-Pflanze verschwunden. Bereit, jederzeit wieder an die Öffentlichkeit zu treten, wenn die Zeit reif ist.