Zerstörung von Erinnerungskultur

geschrieben von FIR

9. Dezember 2022

Schon mehrfach habt sich die FIR mit klaren Worten gegen die barbarische Beseitigung der Stätten des Erinnerns an den antifaschistischen Widerstand, die Orte faschistischer Verfolgung und der Denkmäler für die Befreiung und die Befreier ausgesprochen.
Die Beseitigung der historischen Zeugnisse und der Gedenkorte sind Ausdruck von Geschichtsvergessenheit, mehr noch der bewussten Umschreibung der Geschichte und der Versuche, die gesellschaftliche Erinnerung an das Handeln der Frauen und Männer aus allen europäischen Völkern gegen die faschistische Barbarei zu zerstören.
Erschreckend ist die Tatsache, dass diese Form von Geschichtsrevision sich nicht auf einzelne Länder beschränkt, sondern in verschiedenen europäischen Ländern praktiziert wird. Als im September 2019 die skandalöse Entschließung des Europäischen Parlaments übe die „Bedeutung der europäischen Vergangenheit (oder des europäischen Geschichtsbewusstseins) für die Zukunft Europas“ verabschiedet wurde, glaubten Regierungen verschiedener europäischer Länder, einen Freibrief zur Umschreibung von Geschichte und zur Beseitigung von Erinnerungsorten zu besitzen. Insbesondere in den Transformationsstaaten, die neu in die Europäische Union aufgenommen worden waren, wurden solche Zerstörungen der Erinnerungskultur massiv betrieben.
Dabei gingen die Initiativen nicht allein von den Regierungsstellen aus, auch kommunale Einrichtungen und lokale Akteure traten hervor, wenn es darum ging, Denkmäler oder historische Orte zu beseitigen. In einer Untersuchung, die erst vor wenigen Wochen veröffentlich wurde, war zu lesen, dass gegen den Widerstand der Veteranenorganisationen in Kroatien etwa die Hälfte aller Gedenkorte für den jugoslawischen Befreiungskampf abgeräumt oder zerstört worden sind.
In der tschechischen Hauptstadt Prag wurde das berühmte Denkmal für den Befreier der Stadt Marschall Konev in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf Beschluss einer Bezirksregierung abgeräumt. In Deutschland (genauer in Sachsen) setzte ein Ortsbürgermeister gegen die Einwände von Wissenschaftlern und Veteranenverbänden durch, dass ein historisches Gebäude des frühen Konzentrationslagers Sachsenburg zerstört wurde – mit Geldern der sächsischen Landesregierung zur „Brachflächenrevitalisierung“.

Besondere Vorreiter in der Zerstörung von Erinnerungsorten und Denkmälern in der Europäischen Union sind jedoch die baltischen Republiken. Vor wenigen Tagen verkündete die lettische Nachrichtenagentur Leta stolz, dass in Lettland seit dem Sommer mehr als 120 sowjetische Denkmäler demontiert worden seien. Nach Angaben der Kommunalverwaltungen seien alle 69 Objekte entfernt worden, deren Abbau von der Regierung in Riga bis zum 15. November vorgegeben war. Zusätzlich seien 55 weitere Objekte auf eigene Initiative der Kommunen abgerissen oder aus dem öffentlichen Raum entfernt worden, erklärte eine Sprecherin des Kulturministeriums. Da der lettischen Regierung bewusst ist, dass diese Art von Geschichtsvergessenheit nicht nur auf Protest der russischen Bevölkerungsteile in Lettland stoßen würde, sondern auch in der internationalen Öffentlichkeit Widerspruch auslösen könnte, legitimierte man diese geschichtspolitische Barbarei mit Parlamentsbeschluss. Ein Abkommen mit der Russischen Föderation aus den 1990er Jahren wurde einseitig gekündigt. Als „Begründung“ musste der Ukraine-Krieg herhalten. Da diese Denkmäler angeblich die „Rote Armee verherrlichen“, sollten sie keinen Platz mehr im öffentlichen Raum haben.
In Litauen haben die Behörden mit der Demontage von sechs Granitstatuen auf einem Friedhof in Vilnus begonnen. Bürgermeister Remigijus Simasius verkündete, man werden sich von diesem sowjetischen Symbol „reinigen“. Mit dem Abbau setzt sich die Stadtverwaltung über eine Empfehlung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen hinweg, die das Vorhaben aufgrund einer Beschwerde vorübergehend untersagte.
Kein Wort ist von der Europäischen Kommission zu hören, dass die Denkmäler an die sowjetische Armee erinnern, die die Befreiung Europas von der faschistischen Barbarei im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition ermöglicht hat. Niemand erwähnt, dass die Zerstörungen sowjetischer Denkmäler längst vor dem 24. Februar 2022 begonnen hatten. Und in Brüssel hat man vollkommen „vergessen“, dass in Lettland und Estland die Rehabilitierung der ehemaligen SS-Freiwilligen, die sich als Kollaborateure im Krieg gegen die Sowjetunion und an den Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung im Baltikum beteiligt haben, seit vielen Jahren mit staatlicher Unterstützung praktiziert wird. Faschistische Täter werden zu „Kämpfern für die Freiheit des Landes“ umdefiniert, Aufmärsche zu ihren Ehren durchgeführt und Antifaschisten, die gegen solche Geschichtsrevision protestieren, massiv verfolgt.
All das hat natürlich nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun – es zeigt, wie dieser Krieg instrumentalisiert wird, um die Gedenk- und Erinnerungspolitik im Sinne einer Rehabilitierung von Kollaboration und Mittäterschaft zu verändern.
Die FIR unterstützt alle Mitgliedsverbände in ihrem Bestreben, die Zeugnisse der historischen Erinnerung zu erhalten und das Vermächtnis des antifaschistischen Kampfes gegen solche Formen der Geschichtsrevision lebendig zu halten.