Vor 80 Jahren: Die „Endlösung der Judenfrage“

geschrieben von Ulrich Schneider

21. Januar 2022

Wir erinnern an die „Wannsee-Konferenz“ vom 20. Januar 1942, das zentrale Datum in Vorbereitung der „Endlösung der Judenfrage“. Nachdem im Vernichtungskrieg im Osten und bei Versuchen mit Giftgas in den Konzentrationslagern bereits Erfahrungen gesammelt worden waren, ging es der faschistischen Administration bei diesem Treffen nur noch um die organisatorische Seite des Massenmordes.
Eingeladen vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich kamen fünfzehn Vertreter der Ministerialbürokratie, des „Reichssicherheitshauptamts“ (RSHA) der SS, der Sicherheitspolizei und des SD, die für die östlichen Besatzungsgebiete zuständig waren, zusammen, um die Deportation aller europäischen Juden zu besprechen. Allen Beteiligten war bewusst, dass diese Deportationen die Vernichtung der Menschen bedeuteten. Nicht nur in der Ideologie, sondern in der politischen Praxis hatte das NS-Regime zu diesem Zeitpunkt bewiesen, dass jüdische Menschen, Sinti und Roma oder Slawen als „Untermenschen“ und „Volksschädlinge“ im faschistischen Herrschaftsraum kein Lebensrecht mehr besaßen.
In dem von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, „Judenreferent“ im RSHA, verfassten Besprechungsprotokoll heißt es: „Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Juden kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht. (…) Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchkämmt. (…) Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in so genannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort weiter nach dem Osten transportiert zu werden.“
Alle Beteiligten waren sich sicher, dem „Willen des Führers“ entsprechend zu handeln. Adolf Hitler verkündete gleichzeitig „die endgültige Abrechnung mit jener Verschwörung, die von den Bankhäusern der plutokratischen Welt bis in die Gewölbe des Kremls“ reiche und die „Ausrottung der arischen Völker und Menschen“ anstrebe. So eingestimmt, verschickte Adolf Eichmann in den folgenden Tagen einen „Schnellbrief“ an die Gestapo: „Die in der letzten Zeit in einzelnen Gebieten durchgeführte Evakuierung von Juden nach dem Osten stellen den Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren dar.“ Die Gestapo wurde aufgefordert, alle noch im Reichsgebiet lebenden jüdischen Menschen zu melden. Bürokratisch wurden nun „Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden“ erstellt, so dass sich alle Mittäter an der Massenvernichtung – Stadtverwaltungen, Finanzämter und die Reichsbahn – dahinter verstecken konnten, man habe doch nur „Anweisungen“ befolgt. Wie sich die Angehörigen der „arischen Volksgemeinschaft“ jedoch an den Gütern der deportierten Menschen bereicherten, wurde nach dem Krieg in der deutschen Gesellschaft schnell verdrängt.

Der industrielle Massenmord in den Vernichtungslagern begann Mitte März 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhard“. Im Mai 1942 war das Vernichtungslager Sobibor einsatzbereit, Anfang Juni Auschwitz-Birkenau, Mitte Juli 1942 die Mordstätte Treblinka und weitere Lager. Historisch gesichert muss man von weit über 6 Mio. Opfer der Vernichtungspolitik im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ ausgehen.

Obwohl auf dieser Konferenz der millionenfache Massenmord geplant wurde, war die juristische Verfolgung der Täter nach der Befreiung ein Trauerspiel. Nachdem Reinhard Heydrich 1942 bei einem Attentat in Prag ums Leben kam, wurden nur wenige Beteiligte überhaupt angeklagt. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen wurde der Vertreter des SS Rasse- und Siedlungshauptamtes 1948 zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, aber bereits 1954 entlassen. Wilhelm Stuckart aus dem Innenministerium wurde zu drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, kam aber schon 1949 frei.
Nur im Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem wurde ein Verantwortlicher wegen der Schwere der Verbrechen zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet.
Die Erinnerung an dieses historische Datum ist für die VVN-BdA eine Verpflichtung zum aktiven Handeln gegen Rassismus und Antisemitismus auch heute.

Antifaschismus ist kein Spaziergang – Gegen die Mobilisierung der Verschwörungsideologen

geschrieben von VVN-BdA

16. Januar 2022

Die größte verschwörungsideologische Organisation in Deutschland hieß NSDAP. Im Namen der „deutschen Freiheit“ mobilisierte sie gegen eine „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“, die das deutsche Volk vergiften und knechten wolle. Das kann man alles nachlesen in einem der meistgedruckten Bücher deutscher Sprache – Adolf Hitlers „Mein Kampf“.

An dieses Vorbild knüpfen heute der „III. Weg“, die „Freien Sachsen“, die „AfD“ und weitere neofaschistisch geprägte oder beeinflusste Organisationen an. Ihnen ist es in diesen Wochen gelungen die von Anfang an wissenschaftsfeindliche, egoistische und nach Feindbildern gierende Szene der deutschen Impfgegner*innen in nie dagewesenem Ausmaß bundesweit in vielen Städten zu mobilisieren.

Längst geht es nicht mehr nur darum inmitten einer Pandemie in völliger Verkennung der Realität lebensrettende Maßnahmen des Infektionsschutzes zu hintertreiben, sondern gegen „das System“ an sich zu mobilisieren. Diese Bewegung ist

  • antidemokratisch, indem sie einen angeblichen „Volkswillen“ über demokratische Prozesse stellt
  • mindestens latent antisemitisch, indem sie erneut das altbekannte antisemitische Denkmuster von der Existenz einer angeblichen geheimen Elite mit ebensolch geheimen Pläne behauptet
  • sozialdarwinistisch – soll doch sterben, wer nicht gesund genug ist,
  • geschichtsrevisionistisch und eine Beleidigung der Opfer des NS-Regimes, indem sie sich selbst als „verfolgt wie die Juden“ gerieren
  • zunehmend verbal und körperlich gewaltbereit gegen Journalist*innen, Beamt*innen und sogar Ärzt*innen, die ohnehin schwer genug an der Pandemie zu kämpfen haben.

Es zeigt sich außerdem, dass sowohl Behörden und Polizei als auch etablierte Politiker*innen dem Druck der Straße zu weichen beginnen.

Stattdessen fordern wir:

  • Gesetzte Regeln für das öffentliche Leben, die Leib und Leben retten sollen, müssen auch durchgesetzt werden.
  • Infrastruktur und Personal des Gesundheitswesens als auch Journalist*innen sind zu schützen.
  • Mordaufrufe in Sozialen Medien sind genauso zu verfolgen wie in der realen Welt.
  • Tatsächliche soziale Verwerfungen, die durch die Pandemie verstärkt werden, gehören auf die Tagesordnung, u.a. die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens.
  • Wir brauchen klare Kante gegen die Ideologien des Egoismus und der Verschwörungsmythen.

Halten wir dagegen!

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. protestiert gegen die Zwangsauflösung von Memorial International

geschrieben von VVN-BdA

4. Januar 2022

Wir sind entsetzt über die Verfügung des russischen Obersten Gerichtshofs zur Zwangsauflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial und fordern die sofortige Rücknahme dieser Entscheidung.Unsere Vereinigung wurde 1947 von überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer:innen gegen den Faschismus gegründet. Eine unserer wesenlichen Aufgaben ist die Erinnerung an Verfolgung und Widerstand. Dazu gehört auch das Schicksal  tausender deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten, die von sowjetischen Machtorganen in dem Land, in dem sie Schutz gesucht hatten, eingekerkert, gefoltert und oft auch ermordet wurden.Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Schicksale konnte erst nach dem Zerfall der UdSSR und der Auflösung der mit ihr verbündeten Staaten ernsthaft begonnen werden. Die 1989 in Moskau gegründete Menschenrechtsorganisation Memorial International hat dabei mit ihrer sehr konkreten und akribischen Tätigkeit einen unschätzbaren Beitrag zur Anerkennung und Ehrung von in der Sowjetunion verfolgten deutschen Antifaschistinnen und Antifaschisten geleistet.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. würdigt auf vielfältige Weise die historische Leistung der UdSSR bei der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus, der mehr als 25 Millionen Menschen aus allen Völkern der Sowjetunion das Leben gekostet hat, und wendet sich konsequent gegen jede Art der Relativierung oder Verfälschung dieses Beitrages.  Dies betrifft auch die offensive, durch Dokumente und Fakten belegte historische Aufarbeitung des Stalinschen Terrors. Jegliche Vertuschung oder Verharmlosung begünstigt die Propaganda von Verschwörungstheoretikern oder alten und neuen Nazis.

ver.di-Tagung „Solidarität ist unsere Alternative“

geschrieben von Axel Holz / Ulrich Schneider

14. Dezember 2021

Der Zentrale Arbeitskreis „Offensiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus“ (ZAKO) setzt sich mit rechtsextremen und diskriminierenden Tendenzen in der Gesellschaft auseinander.

Der Arbeitskreis vernetzt sich mit vielen Organisationen und Initiativen. Er beteiligt sich an der aktuellen Extremismus-Debatte und setzt sich gezielt mit dem Thema „Rechtsextremismus und Gewerkschaft“ auseinander. Am 22.und 23. Oktober fand nach einer Corona-Verschiebung vom Vorjahr in der ver.di-Bildungsstätte in Berlin-Wannsee zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Tagung unter dem Motto „Solidarität ist unserer Alternative“ statt. Es ist kein Geheimnis, dass sich unter den Betiebs-und Personalräten auch AfD-Wähler befinden, die AfD sogar rechte Gewerkschaften wie AidA gegründet hat. Seit Jahren ist bekannt, dass nicht nur rassistische und diskriminierende Einstellungen zunehmen, sondern bei Umfragen unter  Gewerkschaftmitgliedern überdurchschnittlich vorkommen. Ver.di hat sich diesem Problem gestellt. Der Soziologe Klaus Dörre eröffnete die Diskussion mit einem Beitrag zu den ökonomischen Ursachen des Nationalismus und zum Aufstieg der Rechten in Deutschland. IG-Metall-Chef Hoffman hatte mit dem Aufruf „Wer hetzt, der fliegt“ klare Kante gegen rassistische Äußerungen in den Gewerkschaften gefordert. Darauf verließen Hunderte die Gewerkschaft. Juliane Krakayali plädierte für Gesprächsangebote, die aber nicht selten bei den Betroffenen auf taube Ohren stießen. Die Auseinandersetzung mit Rassismus müsse bereits auf institutioneller Ebene beginnen und sei eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften in der Migrationsgesellschaft, erläuterte die Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Erfahrungsaustausch zum Alltagsrassismus

Der intensive Austausch zwischen den Teilnehmenden fand in den Arbeitsgruppen am zweiten Konferenztag statt, wo betriebliche Erfahrungen und gewerkschaftliche Reaktionen thematisiert wurden. Unter dem Titel „Betriebliche Praxis gegen Alltagsrassismus und gegen extreme Rechte“ berichteten Kai Venohr von der DGB-Bildungsstätte Hattingen und Romin Khan von ver.di über rechtliche und politische Möglichkeiten, sich rassistischen und neofaschistischen Ansätzen im betrieblichen Alltag zu widersetzen. Venohr plädierte dafür, offensiver die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten (Allgemeines Gleichstellungsgesetz, BVerfG und Betriebsvereinbarungen) zu nutzen. Erschreckend ist, wie die extreme Rechte innerhalb und außerhalb der Betriebe zunehmend Gewerkschafter und die Organisationen selber angreifen. Das betrifft nicht nur das „Zentrum Automobil“, sondern alle Neonazigruppen. Aktuell führt der DGB ein Projekt „Vernetzen/ Aufklären/ Unterstützen“ (VAU) zur Unterstützung antirassistischer Arbeit in den Betrieben durch. Im Panel „Die Abwehr der Anderen – Ideologiekern der extremen Rechten und was das mit mir zu tun hat“ diskutierte Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein Diskriminierungserfahrungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und wie sich dies in der betrieblichen Wirklichkeit bis hinein in die Funktionärskörper niederschlägt.

Gewerkschaftpolitische Bildung fokussieren

In der Arbeitsgruppe „Aufgaben für die gewerkschaftspolitische Bildung“ diskutierten der Autor und ver.di-Bildungsverantwortliche Andreas Michelbrink über Ansatzpunkte antifaschistischer und antirassistische Bildungsarbeit. Beispielhaft wurden dabei die über zwanzigjährigen Erfahrungen von ver.di-NRW mit Work-camps in der Gedenkstätte Buchenwald thematisiert. Wichtig sei es auch, die Erfahrungen gewerkschaftlicher Kämpfe, die teilweise erfolgreich zur sozialpolitischen Veränderung in diesem Land beigetragen haben, im gewerkschaftlichen Bewusstsein zu verankern, um Individualisierung und Ausgrenzungen entgegenzuwirken. Zu diesen Erfahrungen gehört auch das Wissen über diejenigen Frauen und Männer, die sich selbst unter den Bedingungen extremer Verfolgung für die Ideale der Gewerkschaft eingesetzt haben, erläuterte VVN-Bundesprecher Ulrich Schneider in seinem Beitrag. Andreas Michelbrink sah die Aufgabe gewerkschaftlicher Bildungsarbeit weniger in der „Erinnerungsarbeit“, sondern als Ermöglichung und Angebot für Debatten über Problemlagen vom Klimawandel bis zur Altersarmut, die an den Interessen heutiger Mitglieder anknüpfen.

Aufgaben in der Migrationsgesellschaft

Den Blick auf die Gewerkschaften selber richtete die Arbeitsgruppe „Aufgaben für die gewerkschaftliche Migrationspolitik“ mit Werner Schmidt. Hier ging es sehr praxisnah und handlungsorientiert um die Frage, welche Möglichkeiten die Gewerkschaften und ihre betrieblichen Funktionäre bei der Integration von Geflüchteten in Betrieben haben, wie dem strukturellen Rassismus zu begegnen sei und wie die Gewerkschaft in ihren eigenen Strukturen erkennbar antirassistische Strategien praktiziert. Zwar wurden in den Diskussionen mehrfach Bezug genommen auf gesellschaftliche antirassistische Netzwerke wie #unteilbar und „Aufstehen gegen Rassismus“. Im Fokus der Überlegungen stand jedoch die gewerkschaftliche Bildungsarbeit, die zur Sensibilisierung und demokratischen politischen Bildung genutzt werden müsse, um Gegenkräfte zu verstärken, wie es in der Abschlussrunde mit ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke präsentiert wurde. Ein emotionaler Höhepunkt der Konferenz war das kulturelle Abendprogramm, das von Mikrofone Mafia und Joram Bejarano sowie der Weltmusik-Gruppe Klangbande aus Berlin gestaltet wurde.

Situation Geflüchteter an der polnisch-belarussischen Grenze

geschrieben von VVN-BdA

11. November 2021

Wir fordern ein Ende der menschenunwürdigen Behandlung von Flüchtenden an der polnisch-belarussischen Grenze durch eine schnelle Versorgung der ankommenden Menschen und ihre Aufnahme durch Polen, Deutschland und die EU, die mit ihrer Politik Fluchtursachen nicht bekämpfen, sondern Teil des Problems sind. Wer sich auf Werte wie Aufklärung und Humanismus beruft hat nur eine Wahl: Schluss mit der Abschottung Europas, mit dem europäischen Grenzregime Frontex und den Pushbacks von Menschen an die Orte, von denen sie geflohen sind!

Novemberpogrome 1938 – wir vergessen nicht!

geschrieben von Ulrich Schneier

5. November 2021

Zwar ist dieses Jahr kein „rundes“ Jubiläum. Dennoch erinnert die FIR mit diesem Newsletter an die antisemitischen Pogrome vom November 1938 im Deutschen Reich und Österreich, das seit März 1938 Teil des „Großdeutschen Reiches“ geworden war.
Den Anlass für diese Ausschreitungen hatten die deutschen Faschisten mit der Zwangsdeportation von über 17.000 jüdischen Menschen nach Polen selber geschaffen. Das Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter von Rath in Paris war nur der gewünschte Vorwand für eine neue Eskalationsstufe der antisemitischen Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Menschen im Deutschen Reich.
Der Ablauf der Ereignisse, die in der Nazipropaganda als „Kristallnacht“ bezeichnet wurden, ist bekannt. Die grausame Bilanz: In diesen Tagen wurden 400 jüdische Menschen ermordet oder in den Tod getrieben. Über 1.400 Synagogen und weitere Räume der jüdischen Gemeinden wurden zerstört, zusätzlich mehrere tausend Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe.
Schon In der Nacht vom 9./10. November und in den folgenden Tagen verhafteten Polizei und Hilfspolizei 30.000 jüdische Menschen nach vorgegebenen Listen. Sie wurden in die KZ Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Aus Österreich wurden 4.600 Juden ins KZ Dachau deportiert.
Ein zentraler Aspekt der Novemberpogrome war die forcierte „Arisierung“, der Raub jüdischen Eigentums im Interesse des faschistischen Staates. Es ging um Barvermögen, Versicherungen, aber auch Unternehmensanteile und Immobilien. Zusammen mit einer so genannten „Reichsfluchtsteuer“ bei Auswanderung fielen in diesen Wochen über 2 Milliarden RM an das Deutsche Reich – gestohlen aus jüdischem Besitz. „Arisierungsgewinne“ von Einzelpersonen oder Parteistellen waren darin noch nicht einmal enthalten.
In den Tagen nach den Novemberpogromen wurden zahlreiche Sondergesetzen erlassen, die nur ein Ziel hatten, jüdischen Menschen im Deutschen Reich ein normales Alltagsleben unmöglich zu machen. Jüdische Kinder wurden vom Besuch deutscher Schulen ausgeschlossen. In Berlin wurde ein „Judenbann“ verhängt, d.h. ein Betretungsverbot für Theater, Kinos, öffentliche Konzert- und Vortragsräume, Museen, Ausstellungshallen am Messedamm einschl. Ausstellungsgelände und Funkturm, die Deutschlandhalle und den Sportpalast, sämtliche Sportplätze, öffentliche und private Badeanstalten und Hallenbäder, einschließlich Freibäder und selbst für die Wilhelmstraße von der Leipziger Straße bis Unter den Linden. Ähnliches galt in vielen deutschen Städten.
Kurios erscheint das Verbot, Brieftauben zu halten. Folgenreicher waren dagegen der Entzug von Führerscheinen und die ungültig Erklärung von Kraftfahrzeugzulassungspapieren für jüdische Menschen.
Gegen all diese Verfolgungsmaßnahmen und gesetzlich fixierten Ausgrenzungen gab es im öffentlichen Raum keinen Widerspruch. In Gestapoberichten wurden keine Proteste registriert. Die faschistische Propaganda war offenkundig bereits so weit wirksam, dass mehr Gaffer und Schaulustigen das Feld besetzten, weniger die Skeptiker oder gar Nazigegner.
Allein im politischen Widerstand, der in diesen Jahren durch die massive Verfolgung des NS-Regimes auf kleinere konspirative Gruppen reduziert war, wurde dieser Terror offen kritisiert. Ein wichtiges Dokument dieses Widerstandes ist die Erklärung der Inlandsleitung der KPD vom November 1938 „Wider die Schmach der Judenpogrome“. Fast schon visionär hieß es: „Die Befreiung Deutschlands von der Schande der Judenpogrome wird zusammenfallen mit der Stunde der Befreiung des deutschen Volkes von der braunen Tyrannei.“ Veröffentlicht wurde das Dokument in der „Roten Fahne“, die als illegale Flugschrift in Berlin, im Rheinland, im Ruhrgebiet und in anderen Teilen des Deutschen Reiches verbreitet wurde.

Ehrenbürgerschaft für Antifaschisten in Güstrow

geschrieben von Wilfried Schubert, VVN-BdA Basisgruppe Güstrow

5. November 2021

Allen ein kräftiges Dankeschön, die mitgewirkt haben, die Aberkennung der Ehrenbürgerschaften von Bernhard Quandt, Klaus Sorgenicht  und Johannes Warnke erfolgreich zu verhindern. Unsere zweieinhalb Jahre Beharrlichkeit haben sich ausgezahlt.

Anfang Mai 2019 regte Güstrows Bürgermeister, Herr Arne Schuldt, die Bürger am „Gedenkstein für die Opfer stalinistischer Willkür“ an, „darüber nachzudenken, ob Klaus Sorgenicht, Bernhard Quandt und Johannes Warnke, weiter Ehrenbürger der Stadt bleiben sollten.„ Innerhalb kurzer Zeit, votierten mehr als 600 Bürger für die Beibehaltung der Ehrenbürgerschaften.

Am 18. 11. 2019 stellte der Güstrower, Herr Ulrich Schirow, den Antrag, den drei Antifaschisten und Protagonisten des Neuanfangs, die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen.

Am 12. 03. 2020 beschloss der Hauptausschuss, der Stadtvertretung die Aberkennung der Ehrenbürgerschaften von Johannes Warnke, Bernhard Quandt und Klaus Sorgenicht vorzuschlagen. Der Bürgermeister wurde beauftragt, das Vorhaben öffentlich bekannt zu machen und Meinungsäußerungen entgegen zu nehmen.

Bedingt durch die Corona Pandemie, stellten wir die weitere Gewinnung von Unterschriften ein. Dem Bürgermeister wurden die Listen mit 734 Unterschriften für die Beibehaltung der Ehrenbürgerschaften übergeben. Dieser teilte am 08. 09. 2020 mit: „Die bereits eingegangenen Unterschriftlisten der VVN-BdA Basisorganisation Güstrow … werden im laufenden Verfahren dokumentiert und der Stadtvertretung zur Entscheidung mit vorgelegt.“ In der abschließenden Wertung der Stadtverwaltung fanden sie jedoch keine Berücksichtigung (Mitteilung der Stadtverwaltung vom 22. 10. 2021).

Am 17. 06. 2021 beschloss die Stadtvertretung eine neue Satzung „Zur Verleihung und Beendigung des Ehrenbürgerrechts“. Danach können nur lebende Persönlichkeiten Ehrenbürger werden. Die bisherigen 18 Güstrower Ehrenbürger verbleiben als ehemalige Ehrenbürger im Archiv verzeichnet.

Im Bericht des Bürgermeisters vom 28. 10. 2021 an die Stadtvertretung heißt es in Bezug auf die Ehrenbürgerschaften von Bernhard Quandt, Klaus Sorgenicht und Johannes Warnke:„ Das Aberkennungsverfahren wurde damit hinfällig.“

Unseren Antrag auf Zugang zu den Resultaten der öffentlichen Diskussion unterstützten der Bürgerbeauftragte des Landes  M-V und der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit M-V. Am 07. 10. 2021 konnten wir die Ergebnisse einsehen.

Berichte sendete das Nordmagazin am 26.11.20 und 18.06.2021 über die Ehrenbürger sowie die Dorfgeschichte über Bredentin am 14. 06. 2021.

Güstrow, den 04. November 2021

Antisemitismus in der Sprache

geschrieben von Axel Holz

6. Oktober 2021

Das Buch „Antisemitismus in der Sprache“ ist nur 64 Seiten lang, aber der Text hat es in sich. Dass Antisemitismus in Deutschland und weltweit ein Problem ist, ist bekannt. Antisemitische Übergriffe hatten in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Sie werden im rechten, linken und im islamistischen Milieu verortet. Der Antisemitismus in der Sprache betrifft aber alle politischen, sozialen und Altersgruppen mehr oder weniger bewusst. Das hat damit zu tun, dass die Tradition der jiddischen Sprache von ehemals fast 10 Millionen jiddisch Sprechenden in Europa die deutsche Sprache über Jahrhunderte mitgeprägt hat. Mitunter vergessen wir, dass es mit 1.700 Jahren in unserem Raum länger jüdische Kultur gibt als christliches Leben. Da ist es auch nicht ungewöhnlich, dass einige jiddische Worte fast unbewusst im Deutschen gebraucht werden. Häufig empfinden wir sie als angenehm und charmant. Dazu gehört beispielsweise das Lehnwort Tacheles, also Klartext reden. Oder das Schmusen, das nur im Deutschen die Bedeutung von Liebkosen hat, in New York aber mehr im Sinne von schwätzen gebraucht wird und dem eigentlichen Sinn im Jiddischen als unterhalten oder plaudern näher kommt. Ähnlich geht es uns mit dem jiddischen Wort Chuzpe, das Dreistigkeit bedeutet, oder mit dem Schlamassel, der das Unglück, den das jiddische Wort meint, nicht ganz so schlimm erscheinen lässt. In diesem Sinne können und sollten wir jiddische Traditionen in unserer Sprache bewusst fortführen, weil sie unsere Sprache spürbar bereichern, meint der Buchautor, Journalist und Jurist Ronen Steinke.

Antisemitische Bedeutungsänderung

Anders sieht es mit jiddischen Worten in unserer Sprache aus, die während ihres langjährigen Gebrauchs eine antisemitische Umdeutung erfahren haben, die dem ursprünglichen Gebrauch wiederspricht und eine abwertende Bedeutung erhalten hat. So hatte die selbst von einem migrationsfeindlichen Attentat betroffene Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen als „verschwörungstheoretische und rechtsextreme Mischpoke“ bezeichnet. Das Wort Mischpoke bedeutet im Jiddischen einfach Familie, bekommt aber eingedeutscht den düsteren, anrüchigen Klang einer verschworenen Gemeinschaft. Dieser Bedeutungswechsel ist nur dadurch zu erklären, dass ein gewisses Bild von Jüdinnen und Juden auf das Wort im deutschen Gebrauch abgefärbt hat mit einer antisemitischen, diskriminierenden Bedeutung. Ähnlich ist es mit zahlreichen Lehnwörtern aus dem Jiddischen. So ist das „Geschachere um Ministerposten“ ein solches eindeutig antisemitisch eingefärbtes jiddisches Wort. Es bedeutet im Jiddischen einfach Handel. Die deutsche Sprache macht daraus „Handeln wie ein Jude“ und meint die Stigmatisierung von Juden als angeblich unlautere, unsaubere, profitsüchtige Händler mit oder in einer Sache. Auch dieses Wort  sollte man nicht verwenden, um nicht das damit verbundene antisemitische Bild zu nähern. Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe ist das Wort mauscheln. Wir kennen es als Mauschelei im Gemeinderat oder bei der Bankenfusion. Hier geht es irgendwie um korrupte Dinge, die hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Das Wort stammt vom jüdischen Vornamen Moses, hebräisch Mosche und in der jiddischen Form als Mauschel ab. Abgeleitet von einem Spottnamen für jüdische Händler wird es als Synonym für alle Juden eingesetzt, ähnlich wie Ali in rassistischer Absicht für Türken gebraucht wird. Ebenso ist es mit der Ische, dem jiddischen Wort für Mädchen oder Braut. Niemand möchte eine Ische sein. Auch wenn Berliner gern mal in der Kneipe von ihrer Ische im Sinne von Braut sprechen. Es bleibt ein Ausdruck, den man dem Betroffenen möglichst nicht ins Gesicht sagt. Er transportiert ein Bild, dass Nichtjuden ursprünglich von einer jiddisch sprechenden Frau vor sich hatten: nichts Gutes.

Spezifische Ausrichtung der Diskriminierung

Die Abwertung von jüdischen Menschen ist Teil des kulturellen Vokabulars, erklärt der Autor Ronen Steinke. Sie unterscheidet sich vom Rassismus eben dadurch, dass hierbei nicht auf Schwächere nach unten getreten wird, sondern auf die da oben, eine angeblich machthungrige Elite, geschimpft wird. Auch hier wirkt Corona nur wie ein Verstärker auf bereits vorhandene antisemitische Anfeindungen mit dem „Weltjudentum“ als angeblichem Ursprung allen Übels. Minderheiten für Katastrophen verantwortlich zu machen ist nichts Neues in der Geschichte. Gerade weil der Großteil der Juden eher arm war, musste ein nicht sichtbarer Vorwurf herhalten. Deshalb nützt es auch wenig, auf den eigentlichen Ursprung bestimmter jiddischer Worte nur zu verweisen, sondern erscheint es sinnvoller, den Gebrauch antisemitisch aufgeladener jiddischer Worte bewusst zu vermeiden.

Landtagswahl in MV

geschrieben von Axel Holz

6. Oktober 2021

Im nördlichsten Bundesland hat klar die Demokratie gewonnen. Mit 70,8 Prozent  stieg die Teilnahme an der Wahl zum neuen Landtag um etwa neun Prozent. Anders als im Bund hat die SPD in Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 40 Prozent ein überwältigendes Ergebnis erzielt. Dieser Wahlsieg  ging zu Lasten ihrer bisherigen Koalitionspartnerin CDU, die mit 13,3 Prozent deutlich verloren hatte. Der CDU-Vorsitzende Sack gab danach nicht nur den Parteivorsitz auf, sondern auch gleich sein Landtagsmandat zurück. Erheblich verloren hat auch die Linke mit knapp 10 Prozent. Sie könnte dennoch ein rot-rotes Bündnis eingehen, zumal die SPD ihrem Überdruss an der seit 2016 bestehenden Großen Koalition mehrfach bekundet hat. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig versteht sich nicht nur mit der linken Fraktionschefin Simone Oldenburg recht gut , sie hatte auch nach der letzten Wahl mit ihrer Forderung nach Mindestlöhnen die Bundespolitik zu Veränderungen gedrängt. Die Verluste aller bisherigen Parteien außer der SPD gingen auch zu Gunsten von FDP und Grünen, die jeweils knapp über der Fünf-Prozent-Marke mit jeweils fünf Abgeordneten in den Landtag ziehen. Die AfD hat mit 16,3 Prozent viereinhalb Prozentpunkte verloren, bleibt aber zweitstärkste Partei. Sie hatte sich im Vorfeld eine  innerpolitische Schlammschlacht geleistet, die in den Medien breite Aufmerksamkeit fand. Durch den Widerstand der Zivilgesellschaft hatte sich Neubrandenburg als Austragungsort  des AfD-Wahlparteitages verweigert, so dass der Parteitag in ein Zelt auf dem Lande ziehen musste. Die Listenwahl wurde abgebrochen, verschoben und unterbrochen. Am Ende gehören dem neuen Landesparlament von den 14 AfD-Abgeordneten nur vier aus der alten Riege an. Parteivorsitzender Leif-Erik Holm hatte immer wieder versucht, offene Nazi-Sympathisanten aus den Listen zu verbannen, wie den MdL und Jura-Professor Weber. Der hatte ein Flügel-Treffen in Binz organisiert und stand im Fokus des Inlandgeheimdienstes. Der Charakter der AfD hat sich dadurch aber nicht verändert. Noch kurz vor der Wahl hatte der alte und neue Fraktionschef Nikolaus Kramer mit frauenfeindlichen  Sprüchen Aufmerksamkeit erregt. Männer eigneten sich besser für die Politik, hatte er in einem Interview kolportiert. Schaut man in die Antragsgeschichte der Fraktion im Lande, hatten migrationsfeindliche Inhalte, die Verunglimpfung von Demokratieinitiativen, Antifaschisten und Gedenk-Projekten, Angriffe gegen Sexualaufklärung,  Gendergerechtigkeit und Religionsfreiheit die Legislatur kontinuierlich durchzogen.  Im Landtagswahlkampf hatte die AfD auch 2,5 Prozentpunkte an die NPD und die Querdenkerpartei diebasis verloren. Insgesamt bleibt das extrem rechte Spektrum damit mit knapp 20 Prozent im Lande stark und hat sich in der Fläche verfestigt. Im Schweriner Plattenbaugebiet Dreesch und im Ort Mustin hatte die AfD nahezu 40 Prozent erzielt. Auch wenn die Gesamtergebnisse der extrem Rechten deutlich unter denen in Sachsen und Thüringen blieben, das gesellschaftliche Klima hat sich auch im Norden deutlich verändert. Demokratiefeinde, Nazis, Corona-Leugner und Querdenker belasten das Klima der Gesellschaft mittlerweile nachhaltig.

Unsere Wahlprüfsteine: Antworten von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN M-V 2021

geschrieben von Bündnis 90/ Die Grünen MV

25. September 2021

, ,

1. Wie bewerten Sie Ihr Engagement zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode? Welche parlamentarischen und außerparlamentarischen Initiativen haben Sie dazu ergriffen?

Das Engagement für die Stärkung von Demokratie und Akzeptanz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus gehört zum Kernbestand der Grundwerte von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. In unserem Landtagswahlprogramm gibt es dazu klare Worte: „Ausgrenzung, Mobbing, Hetze und rassistische Gewalt stellen eine Bedrohung für unsere offene Gesellschaft dar. Dem stellen wir BÜNDNISGRÜNE uns entgegen.“

Derzeit gibt es keine BÜNDNISGRÜNE Landtagsfraktion, die sich diesem wichtigen Thema auf Landesebene widmen kann. Dennoch haben wir als außerparlamentarische Opposition stetig umfassende, öffentliche Kritik an den Missständen und dem Nicht-Handeln der Landesregierung geübt. In den kommunalen Vertretungen haben wir zudem vielfältige politische Initiativen eingebracht. Praktische Beispiele hierfür sind der Antrag in der Rostocker Bürgerschaft, mit Xavier Naidoo aufgrund seiner antisemitischen Hetze keinen neuen Vertrag mehr zu schließen, und Anfragen und Anträge zu Reichsbürger*innen, weiteren rechtsextremen Gruppen und Aktivitäten sowie zivilgesellschaftlichem Engagement in allen Landesteilen.

Auch in der außerparlamentarischen Arbeit gegen Rechtsextremismus sind wir GRÜNE aktiv beteiligt. In den Bündnissen vor Ort planen wir mit, übernehmen Verantwortung und zeigen Gesicht gegen Rechtsextremist*innen, Rechtsradikale und andere Rassist*innen. Auf uns ist Verlass. Auf der Straße. In den Kommunen. Und bald auch wieder im Schweriner Landtag.

2. Wie bewerten Sie die Wirksamkeit von Artikel 18a (Friedensverpflichtung, Gewaltfreiheit) der Landesverfassung im politischen Alltag des Landes? Halten Sie eine Konkretisierung dieses Artikels hinsichtlich andauernder rechtsextremistischer Aktivitäten im Land für notwendig?

Angesichts der fortwährenden rechtsextremistischen Aktivitäten bei uns in MV sind wir weniger für eine Änderung der Verfassung, als vielmehr für konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie und zur konsequenten Reformierung der Sicherheitsbehörden.

Hierzu zählen der weitere Ausbau des Landesprogramms für Demokratie und Toleranz und eine Weiterentwicklung der Angebote der Landeszentrale für politische Bildung sowie der Regionalzentren für demokratische Kultur, um antidemokratischen Entwicklungen frühzeitig entgegenzutreten und die Fähigkeit staatlicher und nichtstaatlicher Akteure zur Gegenwehr zu stärken. Auch die Arbeit des Vereins LOBBI e.V. soll an dieser Stelle anerkennend genannt werden, denn auch die Unterstützung für Betroffene rechtsextremer Gewalt muss deutlich ausgeweitet werden.

Darüber hinaus braucht es eine umfassende sicherheitspolitische Strategie, um der Problematik der Ausbreitung rechtsextremer Aktivitäten und Strukturen angemessen begegnen zu können. Bausteine hierfür müssen sein:

– eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes Wir wollen einen Verfassungsschutz, der offensiv rechtsstaatliche Mittel nutzt, zutiefst demokratischen Ansprüchen genügt und Mittel und Methoden nutzt, die eine Unterstützung rechtsradikaler Strukturen ausschließt. Der Verfassungsschutz muss die Praxis, Mitglieder der rechtsextremen Szene als Informant*innen (V-Personen) anzuwerben, schnellstmöglich beenden. Dies finanziert nur verfassungsfeindliche Strukturen.

3. Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung der Verbrechen des „NSU“ in Mecklenburg-Vorpommern? Werden Sie sich nach der Wahl für die Einsetzung eines neuen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss NSU einsetzen? Halten Sie dabei die Erweiterung des Untersuchungsauftrages hinsichtlich neu entstandener rechtsextremer Strukturen wie z.b. „nordkreuz“ für erforderlich?

Die Aufarbeitung der Verbrechen des NSU in Mecklenburg-Vorpommern ist noch nicht abgeschlossen. Darum werden wir uns nach der Wahl für die Einsetzung eines neuen Parlamentarischen Untersuchungsausschusses einsetzen. Um diesem Ausschuss eine Chance zu geben, seine Arbeit in der kommenden Legislaturperiode zu beenden, halten wir es derzeit nicht für sinnvoll, den Untersuchungsauftrag auf neu entstandene bzw. weitere rechtsextreme Strukturen auszuweiten.

Nichtsdestotrotz müssen die Verbindungen der Sicherheitsbehörden zur rechtsextremen Preppergruppe „Nordkreuz“ und deren Aktivitäten dringend tiefgehend aufgearbeitet werden. Die Erkenntnisse der Recherchen von taz, Focus und ganz frisch Jörg Köpke (Buch „Unterwandert“) müssen umfassend analysiert und mit praktischen Konsequenzen beantwortet werden (siehe oben). Wir werden ergebnisoffen prüfen, welches parlamentarische Verfahren (evtl. ein weiterer Parlamentarischer Untersuchungsausschuss) sich am besten eignet, um hier für Transparenz zu sorgen.

4. Laut dem „Gesetz über Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz Mecklenburg-Vorpommern) ist der 8.Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2.Weltkrieges“ offizieller Gedenktag. Unterstützen Sie die Bestrebungen diesen Tag im Sinne des Gesetzes zum offiziellen Feiertag zu erklären?

Ja, wir unterstützen Bestrebungen, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum offiziellen Feiertag zu erklären.

5. Der Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist in jüngster Vergangenheit mehrfach bundesweit in Negativ-Schlagzeilen geraten. Wie bewerten Sie diese Reihe von Skandalen und welche Vorstellungen haben Sie zur künftigen Ausrichtung der Behörde?

Wir BÜNDNISGRÜNE wollen einen Verfassungsschutz, der die Verfassung schützt und nicht sich selbst. Skandale wie die der jüngsten Vergangenheit weisen auf tiefgreifende strukturelle Probleme bei der Verfassungsschutzbehörde hin. Es ist fraglich, ob sich diese durch die Umsetzung der Empfehlungen der vom Innenministerium eingesetzten Expertenkommission beheben lassen. Wir werden diesen Prozess konstruktiv-kritisch begleiten und eigene Vorschläge für eine wirksame Reform unterbreiten.

Hierzu fordern wir BÜNDNISGRÜNE bereits lange eine wirksame Kontrolle des Verfassungsschutzes durch eine grundsätzlich öffentlich tagende Parlamentarische Kontrollkommission, die über das für diesen Zweck erforderliche Personal und über echte Befugnisse verfügt. Auch treten wir entschlossen ein für eine Beendigung der Praxis, Mitglieder der rechtsextremen Szene als Informant*innen anzuwerben.

Für einen besseren zivilgesellschaftlichen Schutz der Verfassung wollen wir eine unabhängige Forschungsstelle „Demokratie” einrichten, die wissenschaftliche Analysen demokratiefeindlicher und –gefährdender Bestrebungen erarbeitet, der Öffentlichkeit durch Publikationen und Bildungsangebote zugänglich macht und somit auch dem Verfassungsschutz eine wissenschaftsbasierte Grundlage für seine Aufgaben bietet. Zu den weiteren konkreten Maßnahmen siehe Liste unter 2.

Ältere Nachrichten · Neuere Nachrichten