Novemberpogrome 1938 – wir vergessen nicht!

geschrieben von Ulrich Schneier

5. November 2021

Zwar ist dieses Jahr kein „rundes“ Jubiläum. Dennoch erinnert die FIR mit diesem Newsletter an die antisemitischen Pogrome vom November 1938 im Deutschen Reich und Österreich, das seit März 1938 Teil des „Großdeutschen Reiches“ geworden war.
Den Anlass für diese Ausschreitungen hatten die deutschen Faschisten mit der Zwangsdeportation von über 17.000 jüdischen Menschen nach Polen selber geschaffen. Das Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter von Rath in Paris war nur der gewünschte Vorwand für eine neue Eskalationsstufe der antisemitischen Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Menschen im Deutschen Reich.
Der Ablauf der Ereignisse, die in der Nazipropaganda als „Kristallnacht“ bezeichnet wurden, ist bekannt. Die grausame Bilanz: In diesen Tagen wurden 400 jüdische Menschen ermordet oder in den Tod getrieben. Über 1.400 Synagogen und weitere Räume der jüdischen Gemeinden wurden zerstört, zusätzlich mehrere tausend Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe.
Schon In der Nacht vom 9./10. November und in den folgenden Tagen verhafteten Polizei und Hilfspolizei 30.000 jüdische Menschen nach vorgegebenen Listen. Sie wurden in die KZ Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Aus Österreich wurden 4.600 Juden ins KZ Dachau deportiert.
Ein zentraler Aspekt der Novemberpogrome war die forcierte „Arisierung“, der Raub jüdischen Eigentums im Interesse des faschistischen Staates. Es ging um Barvermögen, Versicherungen, aber auch Unternehmensanteile und Immobilien. Zusammen mit einer so genannten „Reichsfluchtsteuer“ bei Auswanderung fielen in diesen Wochen über 2 Milliarden RM an das Deutsche Reich – gestohlen aus jüdischem Besitz. „Arisierungsgewinne“ von Einzelpersonen oder Parteistellen waren darin noch nicht einmal enthalten.
In den Tagen nach den Novemberpogromen wurden zahlreiche Sondergesetzen erlassen, die nur ein Ziel hatten, jüdischen Menschen im Deutschen Reich ein normales Alltagsleben unmöglich zu machen. Jüdische Kinder wurden vom Besuch deutscher Schulen ausgeschlossen. In Berlin wurde ein „Judenbann“ verhängt, d.h. ein Betretungsverbot für Theater, Kinos, öffentliche Konzert- und Vortragsräume, Museen, Ausstellungshallen am Messedamm einschl. Ausstellungsgelände und Funkturm, die Deutschlandhalle und den Sportpalast, sämtliche Sportplätze, öffentliche und private Badeanstalten und Hallenbäder, einschließlich Freibäder und selbst für die Wilhelmstraße von der Leipziger Straße bis Unter den Linden. Ähnliches galt in vielen deutschen Städten.
Kurios erscheint das Verbot, Brieftauben zu halten. Folgenreicher waren dagegen der Entzug von Führerscheinen und die ungültig Erklärung von Kraftfahrzeugzulassungspapieren für jüdische Menschen.
Gegen all diese Verfolgungsmaßnahmen und gesetzlich fixierten Ausgrenzungen gab es im öffentlichen Raum keinen Widerspruch. In Gestapoberichten wurden keine Proteste registriert. Die faschistische Propaganda war offenkundig bereits so weit wirksam, dass mehr Gaffer und Schaulustigen das Feld besetzten, weniger die Skeptiker oder gar Nazigegner.
Allein im politischen Widerstand, der in diesen Jahren durch die massive Verfolgung des NS-Regimes auf kleinere konspirative Gruppen reduziert war, wurde dieser Terror offen kritisiert. Ein wichtiges Dokument dieses Widerstandes ist die Erklärung der Inlandsleitung der KPD vom November 1938 „Wider die Schmach der Judenpogrome“. Fast schon visionär hieß es: „Die Befreiung Deutschlands von der Schande der Judenpogrome wird zusammenfallen mit der Stunde der Befreiung des deutschen Volkes von der braunen Tyrannei.“ Veröffentlicht wurde das Dokument in der „Roten Fahne“, die als illegale Flugschrift in Berlin, im Rheinland, im Ruhrgebiet und in anderen Teilen des Deutschen Reiches verbreitet wurde.