Aktion gegen Reichsbürger*innen zeigt nur die Spitze des Eisbergs – VVN-BdA warnt vor weiteren rechten Umsturzplänen

geschrieben von VVN-BdA

7. Dezember 2022

Während in Medien, Talkshows und von politischen Repräsentant*innen die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ als „Bedrohung“ herbeifantasiert wurden, erlebten wir am gestrigen Mittwoch, dass das Bundesinnenministerium mit seinen Sicherheitsorgane in erfreulicher Konsequenz einer wirklichen Bedrohung unseres Gemeinwesens entgegengetreten ist. In einer bundesweiten Razzia wurde gegen Reichsbürger*innen und Querdenker*innen vorgegangen, die in ihren Allmachtsfantasien einen großen Umsturz planten. Bundeswehrsoldaten und Polizist*innen waren für sogenannte „Heimatschutzkompanien“ rekrutiert worden, Bundeswehrkasernen ausgekundschaftet und Minister*innenposten für die Zeit nach dem Systemwechsel vergeben. Eine zentrale Figur dieses Terrornetzes ist die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Für die Bundesanwaltschaft ist es der größte Anti-Terroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

Rechte Massenbewegungen, ihr parlamentarischer Arm und rechtsterroristische Netzwerke unter Beteiligung von Bundeswehr- und Polizeiangehörigen sind personell eng miteinander verwoben.   Das ist ein hochgefährliches Konglomerat aus Neonazis mit Zugang zu Waffen und dem Ziel eines „Systemwechsels“. Was das bedeutet, können wir uns unschwer ausmalen: Linke, politisch Andersdenkende, als „fremd“ Stigmatisierte und alle, die für eine friedliche, freie und gerechte Gesellschaft einstehen, finden sich auf Feindeslisten der rechten Umstürzler und sind in Gefahr. Das  ist keine Theorie: das rechte Terrornetzwerk „Nordkreuz“ hatte Leichensäcke und Löschkalk schon bestellt.

Naumann-Kreis und Wehrsportgruppe Hoffmann

Wer jetzt erschrocken behauptet, dass man so etwas nicht habe absehen können, der sei an die zahlreichen rechten Netzwerke bei Bundeswehr und Polizei erinnert, die in den letzten Jahren ans Licht kamen und in denen sich Soldat*innen, Polizist*innen, Angehörige von Spezialeinsatzkommandos (SEK) und des Kommando Spezialkräfte (KSK) unter anderem auf den „Tag X“ vorbereiteten. Ebenso sei an hunderte Mordopfer rechter Gewalt in den letzten Jahrzehnten erinnert, zuletzt in Halle, Hanau und am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke. Wir vergessen auch nicht, dass es in der Geschichte der BRD schon mehrfach rechte Umsturzversuche gab. Schon in den 1950er Jahren planten alte Nazis im so genannten Naumann-Kreis einen faschistischen Umsturz. Und in den 1970er Jahren gab es in der BRD die Wehrsportgruppe Hoffmann, die in ihrer Hochphase mehrere hundert Mitglieder hatte, mit militärischem Gerät für einen Umsturz in der BRD übte, verschiedene politische Gegner ermordete und dessen Mitglied Gundolf Köhler das grausame Oktoberfestattentat verübte, bei dem 13 Personen getötet und 221 verletzt wurden.

Die AfD – der parlamentarische Arm der Neofaschist*innen

Die Umsturzpläne wurden aufgedeckt nur etwas mehr als einen Monat bevor sich der 30. Januar 1933 und die Machtübertragung an Hitler und die deutschen Faschisten zum 100. Mal jährt. Wir können nicht anders, als historische Parallelen zu ziehen. Alle, die die AfD als „demokratisch gewählte“ Partei verharmlosen, verstehen nicht, dass das demokratische System für die in großen Teilen faschistische Partei nur genutzt wird, um sich damit an die Macht zu hebeln. Sobald sie das geschafft haben, werden demokratische Rechte abgeschafft und ihre Gegner*innen verfolgt.

Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, deren Gründungsmitglieder den Terror des NS noch am eigenen Leibe erlebt hatten, haben wir immer wieder vor der real existierenden Gefahr des rechten Terrorismus gewarnt. Die gestrige Aktion bestätigt unsere Warnungen. Sie darf nicht dazu führen, in unserer Wachsamkeit nachzulassen.

KSK auflösen! Keinen Raum der extremen Rechten! Stoppt die AfD!  

Protest gegen NS-Symbole im Bereich der KZ Gedenkstätte Buchenwald

geschrieben von Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis e.V.

31. Oktober 2022

Die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis drückt ihren Abscheu und ihren Protest gegen die neofaschistischen Angriffe auf die Gedenkstätte Buchenwald aus. Am Donnerstag wurden – zum wiederholten Male – Hakenkreuz-Schmierereien und Symboliken, die mit der Thüringer neofaschistischen Szene verbunden sind, an Tafeln und Schildern der Gedenkstätte angebracht.
Offenkundig sind die Arbeit der Gedenkstätte und das gesellschaftliche Erinnern an die Verbrechen des deutschen Faschismus den Neonazis so zuwider, dass sie glauben, mit solchen Schmierereien – angebracht im Schutz der Dunkelheit – Präsenz zeigen zu müssen. Vor wenigen Wochen erst mussten wir erleben, dass mit der gezielten Zerstörung von Gedenkbäumen für Häftlinge des KZ Buchenwald selbst solche Erinnerungszeichen in das Fadenkreuz der extremen Rechten kamen.
Dabei können wir nicht übersehen, dass in dieser Region – aufgeheizt durch die Hetze eines Björn Höcke und seiner AfD – die extreme Rechte zunehmend mit gewalttätigen Aufmärschen Raum greift.
Wir rufen alle antifaschistischen Kräfte der Zivilgesellschaft auf, sich diesen Nazi-Provokationen entgegenzustellen.
Wir erwarten von den demokratischen Politikern über die Parteigrenzen hinweg, ein klares Bekenntnis gegen solche Schändungen und politischen Angriffe.
Wir versichern der Gedenkstätte Buchenwald unsere Unterstützung gegen die Attacken auf ihre Arbeit.

Denkmal für einen Kriegsverbrecher

geschrieben von Axel Holz

13. Oktober 2022

Stellen wir uns vor, die österreichische Familie Schicklgruber würde auf ihrem Familiengrab ein Steinkreuz errichten – für einen Gefreiten des 1. Weltkrieges, der dort zwar nicht begraben liegt, weil dessen Asche irgendwo im Großraum Berlin verstreut liegt. Auf dem Denkmal würde stehen: „Adolf Hitler (geborener Schicklgruber)/20.4.1889 – 30.4.1945/Politiker“. Mit diesen Gedanken beginnt der Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld seine Überlegungen zum Fall Jodl. Der Aufschrei im Falle eines Hitler-Denkmals wäre zweifellos groß, über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Doch ein solches Denkmal für einen Kriegsverbrecher gibt es. Nur eben nicht für Hitler, sondern für einen seiner engsten Mitarbeiter, den Kriegsverbrecher Alfred Jodl. Der hochrangige Militär, Massenmörder und glühende Nazi wurde beim Nürnberger Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt, hingerichtet und seine Asche in einem Fluss verstreut. Unter seiner Leitung wurde der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ausgearbeitet und durchgeführt, der zum Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern führte. Er hatte die Deportationen der Juden vorangetrieben und den Kommissarbefehl erdacht,  die Richtlinien zur sofortigen Tötung der gefangenen sowjetischen Offiziere, und die Belagerung Leningrads konzipiert, die eine Million Menschen das Leben kostete. Für ihn gibt es ein Ehrenmal und zwar nicht irgendwo, sondern auf dem  Friedhof des Klosters der Insel Frauenchiemsee, die seit der Erschaffung des Leer-Grabes und Denkmals 1953 wohl hundertausende Touristen besucht haben und mehr oder weniger mit diesem Scheingrab konfrontiert wurden. Das Scheingrab befindet sich zwischen den Gräbern beider Ehefrauen des Kriegsverbrechers und enthält neben dessen Lebensdaten auch seinen militärischen Rang. Der Kenotaph hätte der Friedhofsordnung nach nie errichtet werden dürfen, ebenso wenig wie unseren Grundwerten nach ein Ehrengrab für einen Kriegsverbrecher. Daran hat sich so mancher gestört, nicht aber die zuständige Friedhofsverwaltung, nicht die verantwortliche Kommune, nicht das verantwortliche Parlament oder die bayerische Staatsregierung.

Widerstand gegen Kriegsverbrecherehrung

Erst Bundestagsvizepräsident Lammert empfahl dem Künstler Wolfram Kastner eine Petition einzureichen. Die hatte zwar mit dem Bundestag die falsche Adresse, wurde aber auch im zuständigen bayerischen Landtag nicht verhandelt. Niemand fühlte sich auf Kastners Anfragen hin zuständig. So besann sich der Künstler auf sein Widerstandsrecht und machte die Öffentlichkeit mit mehreren Aktionen auf den Skandal aufmerksam. Er versah das Denkmal mit dem Zusatz „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher“, verdeckte das Kreuz, las am Jodl-Denkmal aus den Erinnerungen Überlebender von Leningrad vor, entfernte das „J“ im Namen Jodl und ließ den Rest als bayrisches Wort für Jauche stehen und überzog das Denkmal schließlich mit roter Farbe – deutlich als Blutspur zu erkennen. Man müsste meinen, das wäre genug, um die Öffentlichkeit und die Zuständigen zu einer öffentlichen Stellungnahme und schließlich zur Entfernung des Denkmals zu bewegen. Nichts davon geschah.

Merkwürdiges Rechtsverständnis

Stattdessen wurde der Künstler angezeigt und von einem bayerischen Gericht wegen Verletzung der Eigentumsrechte des Denkmal-Besitzers zu 12.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Das Eigentumsrecht stünde über dem Recht auf Kunstfreiheit und Volksverhetzung konnte die Richterin in dem Grab nicht erkennen, das aber wegen der fehlenden Überreste keines war und erst dadurch zum Ehrengrab avancierte. Man müsste meinen, dass eine solche juristische Sicht, die Volkverhetzung billigt und Widerstand gegen Kriegsverbrechervergötzung kriminalisiert, kaum vor höherer juristischer Instanz Bestand haben würde. Aber falsch gedacht. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte das Urteil. Im Kern dementierte es, dass es sich mit dem Übergießen des Gedenksteins mit roter Farbe um Kunst handle. Kunst müsse immer interpretierbar sein, aber das sei hier nicht der Fall. Der Sänger und Liedermacher Konstantin Wecker bemerkte hierzu, es sei möglich, dass Juristen von Kunst keine Ahnung hätten. Keinesfalls dürften sie sich aber anmaßen, bestimmen zu wollen, was Kunst sei.

Schatten der Vergangenheit

Wir wissen heute, wie sehr deutsche Juristen in der Nazidiktatur verfangen waren, vielfach ungestört nach dem Krieg über ihre ehemaligen Opfer erneut richteten und auch mit dafür sorgten, dass die juristische Verfolgung der Kriegsverbrecher lange unterblieb oder mit Verjährung bzw. der Umwandlung von Mord in Totschlag und Beihilfe zu beiden abgemildert wurde. Mengen an Artikeln, Büchern, Dokumentationen und Spielfilmen sind zu diesem Thema entstanden. Aber das juristische Erbe der Nazis, die langjährig fehlende juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen und die vielfache Verharmlosung der Kriegsverbrecher und ihrer Taten werfen offensichtlich auch im Rechtswesen ihre Schatten bis in die heutige Zeit.

Eine Überlebende des Holocaust hatte jüngst gegen das Jodl-Denkmal auf Frauenchiemsee geklagt. Jodls Name und Dienstgrad sind nun hinter einer Steinplatte verborgen und beides ist hinter einer mobilen Tuja-Pflanze verschwunden. Bereit, jederzeit wieder an die Öffentlichkeit zu treten, wenn die Zeit reif ist.

Eröffnung der Neofaschismus-Ausstellung am 29.09.2022 in Lübeck

geschrieben von Axel Holz

30. September 2022

Die Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ der VVN-BdA gibt es seit 1985. Sie erscheint jetzt in der 7. Version und wurde in den vergangenen Jahrzehnten an die Entwicklungen im neofaschistischen Milieu angepasst. In diesem Zeitraum zeigen sich deutliche Kontinuitäten in der neofaschistischen Szene, die eine enge Anlehnung an das NS-Gedankengut erkennen lässt. Dazu gehören u.a. ein gefährlicher Nationalismus, die Ablehnung der Demokratie soweit sie der rechten Szene nicht selbst hilft, militanter Rassismus und Antisemitismus,  ein frauenfeindliches Familienbild, ein braunes Heimatbild, die Verherrlichung und Anwendung von Gewalt, Geschichtsrevisionismus und eine enge nationale und internationale Vernetzung der Szene, die Geld und Kader für die extreme Rechte bereitstellt. Mit dem Einzug in die Parlamente verfügen nationalistische Parteien auch über eine umfangreiche finanzielle Ausstattung.

Der gesamten Rechten liegt ein rassistisches Weltbild zu Grunde, ob bei Funktionären oder Mitgliedern, gemäßigten oder offen neofaschistischen Strömungen. Menschen, die nicht als weiße, nordische oder sogenannte deutschblütige Menschen charakterisiert werden, sollen nicht gleichberechtigt behandelt und am besten ausgewiesen werden. Trotz Dementis der AfD, der Querdenker und Corona-Leugner, werden dabei auch systematisch antisemitische Klischees bedient. Wir haben diese Kontinuitäten in der Ausstellung mit aktuellen Bildern, Gestaltungselementen und Texten belegt.

Es gibt aber auch neuere Entwicklungen, die für die Demokratie mehr als gefährlich sind. Dazu gehört die Präsenz der rechten Szene im Netz, rechte Bewegungen wie Pegida und Querdenker, aber auch die Kaperung von Corona- und Energie-Protesten und die Inszenierung von neonazistischen Gedankengut als Entertainment mit Videospielen, Devotionalien und dem unkritischem Nachstellen von Nazi-Geschichte.

Die rechte Szene bewegt sich erfolgreich zunehmend in die Mitte der Gesellschaft und profitiert von aktuellen gesellschaftlichen Konflikten. Damit wird auch die bisherige staatliche Verortung der Neonazi-Bewegung als Extremismus erneut in Frage gestellt. Ganz abgesehen, das Nazis an gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft geschickt anknüpfen und diese verstärken, treten diese in Teilen der Gesellschaft gefestigten Vorurteile als Antisemitismus und Rassismus in Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie und Energiediskussion offen zu Tage.

Der schon vor Jahren geprägte Begriff des Extremismus der Mitte als Ausdruck dieser Entwicklung führt den problematischen methodischen Extremismusansatz damit voll ad absurdum. Ganz abgesehen, das mit diesem Ansatz in bewährter antikommunistischer Tradition jegliche emanzipative gesellschaftliche Bewegung nicht selten als extremistisch diffamiert wurde. Wir verwenden deshalb schon seit Jahren den international verwendeten Begriff Neofaschismus für die Bewegungen der extremen Rechten am Rand und in der Mitte der Gesellschaft.

Wir sehen heute, wie die extreme Rechte sich verfestigt, international vernetzt und die Mitte der Gesellschaft vielfach erreicht. Das wird etwa im Schulterschluss der extremen Rechten mit den Konservativen bei der Landtagswahl in Thüringen deutlich, aber auch mit dem Vordringen von Neonazis in sozialen Netzen und bei Massendemos in gesellschaftlichen Konfliktsituationen auf der Straße. Nicht zufällig hat Martin Sellner als Chef der Identitären Bewegung als einer der ersten mit der Besetzung des Lubminer Nordstream 2-Geländes das Thema öffentlich von rechts besetzt.

Wir sehen auch bei der AfD eine Entwicklung hin zu einer faschistischen Partei im Werden. In den letzten Jahren haben wir die Entwicklung der AfD mit zwei eigenen Ausstellungen untersucht und öffentlich gemacht. Während zunächst neoliberale und europakritischen Stimmen dominierten, hat der rechte Flügel die Partei mittlerweile übernommen, während frühe neoliberale Protagonisten der Partei schon fast vergessen sind.

Auch bezüglich des Weges in der AfD gibt es immer noch unterschiedliche Vorstellungen in der Partei. Die beinhalten eine offene autoritäre Diktatur, wie beim Höckeflügel, aber auch relativistische Strömungen, die eine Wiederbelebung des Kaiserreiches mit militaristischer Kontrolle der Exekutive und Marginalisierung der Opposition fordern. Sie reichen schließlich bis Ablehnung des historischen Faschismus wegen der Shoah und der Bekämpfung des Christentums im Rahmen einer konservativen Revolution.

In ihren Werten sind sich diese unterschiedlichen Strömungen aber einig. Sie agieren demokratiefeindlich, rassistisch und nationalistisch und versuchen, die emanzipatorischen Errungenschaften der modernen Gesellschaft bei der Gewährung der sexuellen Freiheit, bei der Gleichstellung der Frauen und der gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit aller in Bewusstsein und Gesetzgebung gesellschaftlich zurückzudrehen.

Deshalb ist es erforderlich, nicht nur die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen. Die Kritik am Regierungshandeln darf nicht den Rechten überlassen werden. Gewerkschaften, demokratische Parteien und die aktive Zivilgesellschaft  sind gefordert, sinnvolle, nachhaltige und soziale Lösungen für die Gesellschaft zu fordern.

Zum Tag der Erinnerung und Mahnung

geschrieben von Axel Holz

26. August 2022

Der Tag der Erinnerung und Mahnung findet jedes Jahr am zweiten Sonntag im September statt. Der Tag der Erinnerung und Mahnung wurde zum ersten mal am 9. September 1990 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e.V.) begangen. Der Tag der Erinnerung und Mahnung ist die Wiederaufnahme des OdF-Gedenktages (Gedenktag für die Opfer des Faschismus), welcher 1945 vom Berliner Magistrats beschlossen wurde und seit 1947 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) getragen wurde. Es ist ein Gedenktag der Erinnerung und der Mahnung zur Wahrung der Menschenrechte, für Frieden und Freiheit.

In diesem Jahr erinnern wir besonders an das Selbstverständnis der VVN-BdA als Organisation, die dem Frieden verpflichtet ist und die Verhinderung jeglichen Krieges aus der Geschichte als Lehre weitergetragen hat. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine muss unbedingt mit allen diplomatischen Mitteln beendet werden, um weiteres Sterben und verheerende Kriegsfolgen für Zivilisten und Soldaten zu beenden. Die VVN-BdA setzt sich daher für eine Stärkung der zivilen Konfliktbewältigung ein, die sich auch in der Schwerpunktsetzung und Haushaltsplanung des Regierung wiederfinden muss.

30 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen werden wir an die größten rassistischen Übergriffe in Deutschland nach 1990 erinnert. Sie waren geprägt durch Rassismus, Vorurteile und nationalistische Tendenzen in der Bevölkerung, während Medien diese Entwicklung teilweise mit unterstützten, Politiker hilflos agierten und staatliche Stellen systematisch versagten. Die Auseinandersetzung mit Nationalismus, Rassismus und rechtem Terror muss deshalb ständige Aufgabe der Gesellschaft und des Staates sein.

In diesem Jahr ist mit Dr. Ulrich Rabe eines der letzten direkten Opfer der NS-Diktatur in den Reihen der VVN-BdA Mecklenburg-Vorpommern verstorben. Wir werden das Andenken unseres aktiven Mitglieds in zahlreichen Gremien der VdN und später VVN-BdA in Ehren halten. Gleichzeitig wollen wir mit dieser Zäsur darauf verweisen, die Erinnerung der Verfolgten des Nazi-Regimes wach zu halten und in geeigneter Form weiterzutragen. Dies ist beispielsweise bereits sehr gut mit der Neuauflage der Broschüre über den Gründer der VVN in Schwerin, Kurt Schliwski, gelungen. Die Broschüre basiert auf Interviews der Journalistin Regina Scheer mit Nazi-Verfolgten Ende der achtziger Jahre. Der Text wurde historisch eingeordnet sowie durch Fotos und Archivrecherchen ergänzt. Die Broschüre ist bei der VVN MV oder im VVN-Shop erhältlich. In Rostock wurde kürzlich bereits aus den Erinnerungen von Dr. Ulrich Rabe gelesen. Wir benötigen weitere Zeitzeugenberichte, die einer modernen Aufbereitung für ein Publikum des 21. Jahrhunderts bedürfen.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe statt teure PR-Besuche! – Gedenkbündnis kritisiert Alleingang der Hansestadt Rostock anlässlich des Lichtenhagen-Gedenkens

geschrieben von PI Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“

16. August 2022

Rostock, 10. August 2022. Das Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“ sieht die aktuelle Vorgehensweise der Hansestadt hinsichtlich einer Einladung an den Bundespräsidenten anlässlich des Gedenkens an das Pogrom kritisch. Es fordert, zivilgesellschaftliche Perspektiven in den Fokus zu stellen und politische Konsequenzen aus dem Gedenken an das Pogrom zu ziehen.

„Im Gedenken der Stadt geht es um politisches Protokoll. Wir kritiseren, dass nicht ernsthaft die politischen Auswirkungen des Pogroms angegangen werden“, erklärt Imam-Jonas Dogesch, Sprecher des Bündnisses. „Hätte uns die Stadt vorher gefragt, hätten wir gesagt: Im Fokus stehen die Betroffenen. Auftritte der Bundespolitik haben die Tendenz den Fokus vom Inhalt auf die Form zu lenken. Wir brauchen aber eine tatsächliche antirassitische Auseinandersetzung. Wir erwarten von der Hansestadt, sowie vom Bundespräsidenten sich dazu zu äußern und konkrete Handlungsschritte vorzulegen.“

Die Hansestadt verschickte in der vergangenen Woche Einladungen für eine Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten am 25. August 2022 im Rostocker Rathaus an handverlesene Vertreter:innen von Rostocker Vereinen. Anfang des Jahres hatte das Bündnis von der Stadt eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe gefordert (www.gedenken-lichtenhagen.de/positionen). Das Bündnis bewertet das Interesse des Bundespräsidenten an einer Auseinandersetzung mit dem Thema grundsätzlich positiv, fordert aber auch nachdrücklich effektives politisches Handeln.

„Es geht uns darum, dass politische Akteur:innen die Jahrestage als Anlass nehmen, etwas an den real existierenden Verhältnissen zu ändern. Hier sind alle Parteien auf allen politischen Ebenen gefragt, von Hansestadt bis Bundespräsident“, so Dogesch weiter. „Das Motto unserer Demo ist: Erinnern heißt verändern. Und es gibt hinsichtlich Rassismus noch vieles zu verändern in unserem Land, auch Dinge, die sofort umgesetzt werden könnten, wenn der politische Wille da ist.“

Das Bündnis fordert unter anderem:

  • Mit Blick auf die Kommunalpolitik:
    Den Neudierkower Weg (Rostock-Toitenwinkel) in Mehmet Turgut Weg umbenennen!
    Die Familie von Mehmet Turgut, der 2004 in Rostock vom NSU-Kerntrio erschossen wurde, fordert dies seit etwa 10 Jahren. Die RechtsterroristInnen des NSU wurden durch die Straflosigkeit für rechte Gewalt in den 90er Jahren politisch geprägt. Ihr Unterstützungsnetzwerk in MV ist bis heute weder aufgedeckt noch zerschlagen.
  • Mit Blick auf die Landespolitik:
    Asylsuchende dezentral unterbringen und Aufnahmestelle für Geflüchtete in Nostorf-Horst schließen!
    Die Pflicht in Sammellagern zu leben, ist eines der rassistischen Gesetze, die mit dem sog. „Asylkompromiss“ 1993 eingeführt wurden. CDU/CSU, FDP und SPD hatten dies unter anderem mit dem Pogrom in Lichtenhagen begründet. Die Aufnahmestelle Nostorf-Horst wurde kurz nach dem Pogrom unter restriktiven Vorgaben eingerichtet. Bis heute werden in der sog. „ankerähnlichen Einrichtung“ Asylsuchende bis zu zwei Jahre untergebracht. Seit 1993 hat keine Bundesregierung diese Gesetze in ihrer Grundstruktur angegriffen. Im Gegenteil: Die große Koalition setzt in den vergangenen Jahren zahlreiche Verschärfungen durch.
  • Mit Blick auf die Bundespolitik:
    Einen Abschiebestopp für Rom:nja, sowie Bleiberecht für asylsuchende Rom:nja und für Betroffene rassistischer Gewalt!
    Das Pogrom in Lichtenhagen wurde flankiert von einer rassistischen und antiziganistischen Debatte rund um das Thema Asyl und Einwanderung. Die Betroffenen aus der ZASt wurden auch aus der gesellschaftlichen Mitte heraus stigmatisiert und größtenteils kurz nach dem Pogrom abgeschoben. Die betroffenen ehemaligen Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam kämpften noch viele Jahre für ein Bleiberecht. Bis heute gibt es keine Bleiberechtsregelung für Betroffene von rassistischer Gewalt.

Das Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“ ist ein Zusammenschluss von etwa 20 Gruppen aus Rostock und Umgebung. Es bündelt anlässlich des 30. Gedenkens an das Pogrom die Veranstaltungen von Rostocker Organisationen (www.gedenken-lichtenhagen.de/veranstaltungen). Am 27. August organisiert das Bündnis die bundesweite Demonstration „Erinnern heißt verändern“ in Rostock-Lichtenhagen. Am 21. August finden zudem Kundgebungen vor dem Schweriner Innenministerium und der Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst statt.

Alle Forderungen des Bündnisses finden Sie unter www.gedenken-lichtenhagen.de/demo

Filme zum Gedenken beim Filmkunstfest MV

geschrieben von Axel Holz

5. August 2022

Das Filmkunstfest MV wird vom 30. August bis 4. September 2022 in Schwerin stattfinden. 

Die 31. Auflage des größten Publikumsfestivals Norddeutschlands wird im Schweriner Filmpalast Capitol und an anderen Spielorten stattfinden. Dazu sollen auch Open-Air-Aufführungen mit Highlights aus dem Gesamtprogramm im Innenhof des Schweriner Schlosses gehören. 

Das Filmkunstfest 2022 zeigt u.a. auch Filme zum Thema Gedenken an Opfer, Hintergründe und Widerstand in der NS-Diktatur, von denen wir drei Filme empfehlen:

  • Zum Antikriegstag 01.09., 20:15 Uhr, Filmpalast Capitol: DER FALL GLEIWITZ (DDR 1961), im Anschluß Filmgespräch mit Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase
  • Fr, 02.09., 16 Uhr, Filmpalast Capitol: NICHT VERRECKEN (D 2022, über die Todesmärsche aus Ravensbrück u. Sachsenhausen durch Mecklenburg im April 1945), im Anschluß Filmgespräch mit Regisseur Martin Gressmann (Wdh. am So, 04.09., 14.15 Uhr, Filmpalast Capitol) 
  • Sa, 03.09., 17 Uhr, Filmpalast Capitol: KÖNIGSKINDER (antifaschistisches Drama von Frank Beyer, DDR 1962), im Anschluß Filmgespräch mit Hauptdarstellerin Annekathrin Bürger

Lichtenhagen war kein Einzelfall – unteilbarMV dokumentiert rechte Übergriffe in MV 1992

geschrieben von unteilbar-mv

1. August 2022

Liebes Bündnis unteilbarMV,

In wenigen Tagen jährt sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Hunderte Rechtsextreme – unter wohlwollendem Applaus von bis zu 3.000 Anwohner*innen und Zuschauer*innen – attackierten das sogenannte Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. 


Zu dem Zeitpunkt befand sich in dem Gebäude die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen (ZAst) für Mecklenburg-Vorpommern, aufgrund mehrerer Faktoren und Fehlentscheidungen mussten dort teilweise Hunderte Personen unter teils menschenunwürdigen Zuständen vor dem Gebäude campieren.

Ab 22. August kam es schließlich zu dem Pogrom. Vieles wurde bereits berichtet, wir möchten an der Stelle auf die Dokumentation „The Truth Lies in Rostock“ verweisen und ausdrücklich das Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992.“ erwähnen. 

Das Bündnis organisiert nicht nur die Großdemo am 27. August, sondern hat auch mehrere zentrale Forderungen formuliert: 

  • Den Angriff in Lichtenhagen 1992 als rassistisches Pogrom benennen!
  • Rassistische Gewalt benennen und bekämpfen!
  • Abschiebestopp und Bleiberecht für Rom:nja und alle Betroffenen rassistischer Gewalt!
  • Dezentrale Unterbringung jetzt! Auflösung der Aufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst und aller Sammellager!
  • Perspektiven und Forderungen Betroffener in den Mittelpunkt stellen!
  • Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg!

Trauriger Fakt ist allerdings auch, dass das Pogrom weder im luftleeren Raum entstand noch auf Rostock begrenzt war. Wir möchten daher in den kommenden Wochen bis zur Demo auf den grassierenden Rassismus sowie die über 60 rechtsextremen Angriffe und Attacken verweisen, zu denen es alleine im Jahr 1992 in Mecklenburg-Vorpommern kam. 

Wir werden dieses jeweils montags, mittwochs und freitag auf unseren Social-Media-Kanälen veröffentlichen und freuen uns, wenn ihr neben den Aktivitäten des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992.“ auch unsere Inhalte beachtet und gerne verbreitet.

Beste Grüße
Euer Orga-Team von #unteilbarMV

Ein Kommentar von Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, zu den antisemitischen Bildern, die das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi auf der documenta 15 zeigte.

geschrieben von Floriane Azoulay

29. Juni 2022

Kassel ist direkt vor der Tür der Arolsen Archives, dem weltweit größten Archiv über die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Hier sind die Schicksale von Menschen dokumentiert, deren Mörder Antisemitismus zum Kern ihrer Weltanschauung machten – und den millionenfachen Mord damit „rechtfertigten“.

Kassel ist die Stadt der documenta.  „Antisemita 15“ nennt der Autor Sascha Lobo sie im Spiegel. Die documenta, die dafür bekannt war, internationale Maßstäbe zu setzen, zeigt im Jahr 2022 in Deutschland Kunstwerke, die ganz ausdrücklich antisemitische Stereotype bedienen.

Wegschauen ist eines der zentralen Themen, wenn es um den Nationalsozialismus geht. Wenn man sich fragt, wie diese Verbrechen an Jüdinnen und Juden möglich werden konnten und so viele Menschen mitgemacht und weggeschaut haben. Mich erschüttert bei der aktuellen documenta, dass viele Menschen diese antisemitischen Kunstwerke gesehen haben – vor der Eröffnung. Und es gab im Vorfeld bereits Treffen, bei denen über Kunstfreiheit und Kulturrelativismus debattiert werden sollte.

Und die Entschuldigungsversuche der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann und des Künstlerkollektivs Taring Padi machen alles nur noch schlimmer. Denn es geht überhaupt nicht darum, dass „Gefühle verletzt wurden“. 

Antisemitismus hat keinen Platz im öffentlichen Raum in Deutschland – und nirgendwo – und noch weniger darf er aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Dass die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth jetzt Konsequenzen fordert, ist gut – reicht aber meiner Meinung nach nicht aus.

Vielleicht müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Als Zivilgesellschaft und wir als Arolsen Archives, deren Sammlung als Wissensquelle für die heutige Gesellschaft dient. Es kann nicht sein, dass Antisemitismus immer noch nicht als Antisemitismus erkannt wird.

Ich lade alle Verantwortlichen und Künstler*innen in unser Archiv ein. Denn die Dokumente zeigen, wohin Antisemitismus führt.

Rede von K. Voigt zum 8. Mai auf dem Platz der OdF in Schwerin

geschrieben von K. Voigt

28. Juni 2022

Ich gehöre zur Generation der Kriegsenkelkinder. Es gibt immer weniger Menschen, die aus eigenem Erleben den Krieg noch kennen, um Zeugnis ablegen zu können.

Wer hätte aber gedacht, dass wir im Jahr 22 des 21. Jahrhunderts wieder in unserem Land Menschen begegnen können, die Krieg aus eigenem Erleben kennenlernen mussten?!

Den 8./9. Mai 1945 hat mein Großvater bereits in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft verbracht. Er war im Kriegsgefangenenlager 168 in Minsk. Was er als Gefreiter an der Ostfront gemacht hat, ob er Schuld auf sich geladen hat, weiß ich nicht und werde es wohl auch nie erfahren. Kaum jemand aus der Wehrmacht hat von seinen Taten und Erlebnissen an der Ostfront berichtet.

Er kam 1948 aus der Kriegsgefangenschaft nach „Hause“, an einen Ort, an dem meine Oma mit meiner Mutter und meinem Onkel auf ihrer Flucht aus Ostpreußen gestrandet war: in Saal am Saaler Bodden.

Als mein Opa später erfuhr, dass ich, seine Enkelin, ab 1978 in Minsk studieren werde, also genau 30 Jahre nach seiner Rückkehr von dort – eine historisch gesehen sehr kurze Zeitspanne -, hat er zumindest angefangen, von seiner Zeit in Minsk zu berichten. Unter anderem erzählte er, dass die jungen Soldaten, die ihn bewachten, oft weniger zu essen hatten als die deutschen Kriegsgefangenen.

Belarus hat im 2. Weltkrieg 1/3 seiner Bevölkerung verloren. Wie die Ukraine erhielt das Land deswegen einen eigenen Sitz in der UNO. Während der 5 Jahre in Belarus hat mich als Deutsche nie jemand schief angesehen, nur eine alte Frau sagte einmal: Kindchen, ich finde Sie ja ganz nett, aber Ihren Eltern will ich nicht begegnen.

Nach meinem Studium kam ich nach Schwerin und war hier u. a. für die Zusammenarbeit der FDJ mit dem Komsomol der Sowjetarmee der Schweriner und der Perleberger Divisionen zuständig.

Es gab keinen 23. Februar, dem Tag der Sowjetarmee, keinen 8. Mai als Tag der Befreiung und 9. Mai als Tag des Sieges und keinen 7. November, dem Tag der Oktoberrevolution, an dem der Schwur, dass es nie wieder Krieg geben darf, nicht erneuert wurde.

Das Erinnern an die Kriegsgräuel, an die 27 Mill. Toten der Sowjetunion, an den Sieg über Hitlerdeutschland war den sowjetischen Menschen immer sehr heilig.

Kein Treffen ohne den Trinkspruch AUF DEN FRIEDEN!, keine Begegnung ohne den Spruch NIEMAND UND NICHTS IST VERGESSEN!

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands vollzog sich der Abzug der Westgruppe der Streitkräfte aus MV bis 1993 und 1994 aus Deutschland mit einer logistischen Meisterleistung.

Ich hatte weiterhin Kontakte mit ehemaligen Offizieren, die in Schwerin dienten. Sie sind jetzt in Russland, Belarus und der Ukraine zu finden – sollen sie nun aufeinander schießen?

Ich bekam Kontakt zum Veteranenverband ehemaliger Militärangehöriger der GSSD in Russland und kenne daher ihre Enttäuschung darüber, dass die USA in Deutschland mit ihren Truppen und Militärstützpunkten verblieben. (Es gibt 11 US-Hauptstützpunkte und Dutzende Nebenstützpunkte in Deutschland, nicht nur Ramstein.)

Ich kenne ihre Fragen: War nicht die Systemkonfrontation zu Ende? War nicht der Kalte Krieg vorbei?

Ich war bei Diskussionen dabei, als die Aufkündigung der Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat durch die NATO 2014 passierte. 2019 gab es nur eine einzige größere halboffizielle Veranstaltung in Berlin, die den 25. Jahrestag des Abzugs der Westgruppe der Streitkräfte würdigte. In Russland wurde sie sehr beachtet, in Deutschland spielte dieser Jahrestag so gut wie keine Rolle.

Die Osteuropa-Freundschaftsgesellschaft MV, deren Landesvorsitzende ich bin, hervorgegangen aus der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft der drei Nordbezirke der DDR, hat sich stets die Völkerverständigung und den Frieden auf die Fahnen geschrieben.

Wir sind im Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften. Viele davon hatten ihre Arbeit auf die Freundschaft mit russischen Menschen ausgerichtet, die Vereine stehen jetzt alle vor einem Scherbenhaufen ihrer jahrelangen Arbeit und Bemühungen.

Es ist so bitter, dass all die von uns gelebten zivilgesellschaftlichen Kontakte diesen Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verhindert haben.

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

An dieser Stelle auf dem Friedhof der Opfer des Faschismus haben wir oft diese Zeilen von Jewgenij Jewtuschenko zitiert, entstanden in der Zeit des Kalten Krieges und der Kuba-Krise. Und wahrscheinlich hätte jeder von uns hier bis vor Kurzem diese Frage vehement verneint.

Ja, ich gehöre zu den Menschen, die sich zumindest bis zur Rede Putins am 21. Februar und der Anerkennung der beiden Republiken Donezk und Luhansk sicher waren, dass Russland niemals einen Krieg gegen die Ukraine anfangen würde.

Und ja, es gibt eine Vorgeschichte für diesen Konflikt, zu dem vor allem die USA, die NATO und leider auch die EU ihr Scherflein beigetragen haben.

Dem Werben um ein gemeinsames Haus Europa (Gorbatschow) und einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur und einem Handelsraum von Lissabon bis Wladiwostok (Putin) hat der Westen stets eine Absage erteilt. Wem mögen diese Ideen wohl nicht gefallen haben? Dreimal darf man raten.

Es gab in den letzten Jahren und Jahrzehnten so viele Zurückweisungen russischer Initiativen durch den sog. Westen, dass man die gegenwärtigen Ereignisse auch aus der MACHT DER KRÄNKUNG heraus interpretieren könnte.

Doch genauso wie man weder Hitler mit Stalin aufrechnen kann, kann man die vielen völkerrechtswidrigen Handlungen, Vorfälle, Einmischungen und Kriege seit 1945, begangen bis heute durch die westlichen Geheimdienste, die USA und die NATO, nicht aufrechnen mit einem Krieg Russlands gegen die Ukraine. So nach dem Motto: Die durften schon so oft und jetzt dürfen wir auch einmal…

KRIEG DARF NIE WIEDER MITTEL DER POLITIK SEIN! Darüber waren wir uns in Europa seit der unmittelbaren Nachkriegszeit einig. Das Völkerrecht sollte das Mittel zur Lösung von Konflikten sein.

Nikita Chruschtschow sagte 1962 bei der Kuba-Krise: Jeder Idiot kann einen Krieg anfangen, aber hundert Genies werden Probleme haben, ihn zu beenden.

Niemand weiß, was in den nächsten Tagen passieren wird, wie lange dieser Krieg gehen wird. Auf keinen Fall werden mehr Waffen – schon gar nicht schwere –Frieden schaffen. Nur Diplomatie kann der Ausweg sein.

Ich habe daher den OFFENEN BRIEF AN KANZLER OLAF SCHOLZ unterschrieben, der in den Medien sehr viel Schelte erfährt.

Aber damit sollte ich – wenn man Umfragen glauben kann – mit fast der Hälfte der deutschen Bevölkerung übereinstimmen. Wo spielt in der deutschen Politik und in den Medien diese Meinung eine Rolle?

Auf alle Fälle dürfen wir nicht zulassen, dass die aktuelle Situation zu einer überbordenden Russophobie führt. Als Osteuropa-Freundschaftsgesellschaft werden wir unsere zivilgesellschaftlichen Kontakte fortsetzen.

Stalin hatte seinerzeit gesagt, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt. Genau so können wir sagen: die Putins kommen und gehen, aber das russische Volk bleibt.

Ein guter Freund von mir sagte kürzlich sinngemäß: Es ist immer festzustellen, wer konkret die Verantwortung für Konflikte und Kriege trägt. Aber für den Frieden trägt jeder einzelne von uns die Verantwortung.

Ich wünsche uns allen gemeinsam, dass wir alle unserer Verantwortung für den Frieden gerecht werden!

K. Voigt

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