- Wie bewerten Sie Ihr Engagement zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode? Welche parlamentarischen und außerparlamentarischen Initiativen haben Sie dazu ergriffen?
Die SPD tritt seit ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Wir treten jenen Kräften entschieden entgegen, die unsere Gesellschaft spalten wollen und auf Hass und Hetze setzen. Extremismus und Gewalt dürfen keinen Platz in unserem Land haben. Wir stehen für ein demokratisches und vielfältiges Mecklenburg-Vorpommern und stärken allen den Rücken, die aktiv für ein friedliches Miteinander eintreten. Mit der letzten Landtagswahl folgte im Parlament auf die NPD eine radikalisierte AfD mit ihrem rechtsextremen Flügel. Auch darum bildete das Engagement zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in dieser Wahlperiode einen Schwerpunkt für uns. Engagement benötigt einen staatlichen Rahmen, der gesetzliche und institutionelle Leitplanken setzt und Engagement unterstützt, qualifiziert und wertschätzt. Ein solches Demokratie-Fundament bildet unser Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ Das Programm und seine Umsetzungsstrategie enthalten zahlreiche Maßnahmen, um Mecklenburg-Vorpommern weiter als ein weltoffenes und tolerantes Land zu gestalten. Wir haben in dieser Wahlperiode das Landesprogramm weiterentwickelt und an die aktuellen Herausforderungen bzw. Gefährdungen unserer Demokratie angepasst. Auch haben wir eine Reihe parlamentarischer Initiativen ergriffen, etwa die Anträge „Landesprogramm Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ (Drucksache 7/1130), „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Extremismus entgegentreten“ (Drucksache 7/2616), „Demokratie stärken – engagierte Menschen schützen“ (Drucksache 7/4030) oder „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz“ (Drucksache 7/4748), die vom Landtag beschlossen wurden; auch hat der Landtag auf unseren Antrag hin entsprechende Aussprachen durchgeführt (z.B. „Halle war ein weiterer Angriff auf unsere freie und vielfältige Gesellschaft – Demokratie, Toleranz und Freiheit verteidigen“). Auch außerhalb des Parlaments engagieren wir uns für die Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus Mit der Initiative „WIR. Erfolg braucht Vielfalt“ sind wir Teil eines breiten Bündnisses, das für Demokratie und Toleranz und gegen Vorurteile und Diskriminierung eintritt. Wir haben zudem bereits vor längerer Zeit eigene Initiativen ins Leben gerufen, die auch in dieser Wahlperiode sehr aktiv waren. „Endstation Rechts.“ und „Storch Heinar“ wirken inzwischen deutlich über unser Bundesland hinaus. Wir werden dieses für uns sehr wichtige Engagement fortsetzen. Denn für Rassisten, Anti-Demokraten und Menschenfeinde darf es keinen Platz bei uns geben – weder im Landtag noch an anderer Stelle. - Wie bewerten Sie die Wirksamkeit von Artikel 18a (Friedensverpflichtung, Gewaltfreiheit) der Landesverfassung im politischen Alltag des Landes? Halten Sie eine Konkretisierung dieses Artikels hinsichtlich andauernder rechtsextremistischen Aktivitäten im Land für notwendig?
Artikel 18a wurde im Jahr 2007 aufgrund der Volksinitiative „Für ein weltoffenes, friedliches und tolerantes Mecklenburg-Vorpommern“ in die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen. Der ursprüngliche Textvorschlag, der konkretere Ziele beinhaltete, wurde in Zuge des Gesetzgebungsverfahrens
insbesondere im Ergebnis einer Anhörung von Sachverständigen sowohl aus verfassungsrechtlichen Gründen als auch verfassungspolitischen Bedenken geändert und der Artikel 18a mit seinem heutigen Wortlaut beschlossen. Mecklenburg-Vorpommern ist ein demokratisches und weltoffenes Bundesland. Dass das so bleibt,
daran werden wir auch in den kommenden Jahren kontinuierlich und hart arbeiten.
Statt einer Konkretisierung des Verfassungsartikels sind hinsichtlich andauernder rechtsextremistischer Aktivitäten neben der Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagement u.a. die bestehenden gesetzlichen Regelungen weiterhin konsequent umzusetzen und die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen. Gerade zum Schutz der Bevölkerung muss vor allem das Gewaltpotential der rechtsextremen Szene inklusive ihrer militanten Arme weiterhin mit hohem Verfolgungsdruck kontrolliert, zurückgedrängt und zerschlagen werden. Wir brauchen gut ausgestattete und ausgebildete Ordnungs- und Sicherheitsbehörden, die sich den Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entschlossen entgegenstellen und das friedliche, freie und vielfältige Zusammenleben ermöglichen. Und wir brauchen einen demokratisch kontrollierten Verfassungsschutz, der auch den Versuch der Unterwanderung der Sicherheitsbehörden durch Demokratiefeinde wirksam erkennt. - Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung der Verbrechen des „NSU“. in Mecklenburg-Vorpommern? Werden Sie sich nach der Wahl für die Einsetzung eines neuen Parlamentarischen Untersuchungsausschusses NSU einsetzen? Halten Sie dabei die Erweiterung des Untersuchungsauftrages hinsichtlich neu entstandener rechtsextremer Strukturen wie z.B. „Nordkreuz“ für erforderlich? Die NSU-Mordserie im Land ist noch nicht aufgearbeitet, da wurde mit der terrorbereiten, rechtsextremen Preppergruppe „Nordkreuz“ bereits die nächste potenzielle Bedrohung eines friedlichen Zusammenlebens aufgedeckt. Die Aufarbeitung des NSU-Terrors sowie des Nordkreuzkomplexes werden wir nach der
Wahl mittels parlamentarischer Untersuchung fortsetzen. Sowohl bei den Themenkomplexen Nordkreuz als auch beim NSU sind die Sicherheitsbehörden in der Pflicht, maximale Transparenz, Offenheit und Unterstützung zu gewährleisten. - Laut dem .Gesetz über Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz Mecklenburg- Vorpommern)“ ist der 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2.Weltkrieges“ offizieller Gedenktag. Unterstützen Sie die Bestrebungen diesen Tag im Sinne des Gesetzes zum offiziellen Feiertag zu erklären?
Den 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2.Weltkrieges“ zu einem regionalen Feiertag zu erklären, wird von uns skeptisch gesehen. 2002 wurde dieser Tag unter anderem auf Initiative der SPD Landtagsfraktion bewusst als offizieller Gedenktag in Mecklenburg-Vorpommern eingeführt, um ihn im öffentlichen Bewusstsein wach zu halten. Dieser Tag sollte durch Denken, Nachdenken und Erinnerungen ausgefüllt werden. Nach unserer Auffassung ist gerade dieses historische Datum als Tag des Gedenkens besser geeignet, daran zu erinnern, welches Elend und Leid im Namen Deutschlands über die Welt gebracht wurde, und welche Mahnung und Verantwortung daraus für uns und die nachfolgenden Generationen erwächst. Auch angesichts der zig-millionenfachen Opfer erachten wir es als angemessener, diesen Tag als Gedenktag zu begehen und nicht als einen weiteren arbeits- und schulfreien Feiertag. - Der Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist in jüngster Vergangenheit mehrfach bundesweit in Negativ-Schlagzeilen geraten. Wie bewerten Sie diese Reihe von Skandalen und welche Vorstellungen haben Sie zur künftigen Ausrichtung der Behörde?
Wir brauchen gut ausgestattete und ausgebildete Ordnungs- und Sicherheitsbehörden, die sich den vielfältigen Bedrohungen der freiheitlichdemokratischen Grundordnung entschlossen entgegenstellen und das friedliche, freie und vielfältige Zusammenleben ermöglichen. Und wir brauchen einen demokratisch kontrollierten Verfassungsschutz, der auch den Versuch der Unterwanderung der Sicherheitsbehörden durch Demokratiefeinde wirksam erkennt und verhindert. Denn in unseren Sicherheitsbehörden ist kein Millimeter Platz für Rassismus, Hass und Diskriminierung. Der Verfassungsschutz muss strukturell reformiert, sein Aufgabenbereich konkretisiert und insgesamt einer strikten demokratischen Kontrolle unterzogen werden. Das bedeutet für uns auch eine stärkere administrative Trennung von Verfassungsschutz und Polizei.
Unsere Wahlprüfsteine: Antworten der SPD M-V
17. August 2021
Die geforderte Mitte
4. August 2021
Rechtsextreme Einstellungen nehmen ab, aber die Mitte bleibt offen für antidemokratischen Populismus, einem Einfallstor zum Rechtsextremismus. Das ist das Resümee der neuen Mitte-Studie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Titel „Die geforderte Mitte“. Die Studie wird seit 2006 aller zwei Jahre durchgeführt und zeigt die Entwicklung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit innerhalb der deutschen Bevölkerung. Dazu wurden 1.750 deutsche Staatsbürger Anfang des Jahres 2021 telefonisch befragt. Von Ihnen schätzten immerhin 70 Prozent den Rechtsextremismus als größte Bedrohung der Gesellschaft ein – noch vor Klimawandel, sozialer Spaltung und Corona-Krise. Mit 72 Prozent sieht sich die große Mehrheit als überzeugte Demokraten, aber der Anteil derer wächst, die sich gegenüber der Demokratie ambivalent verhalten oder demokratiefeindliche Positionen vertreten. Die Bevölkerung ist zu 13 Prozent offen für rechten Populismus. Populismus sei in Teilen der Mitte anschlussfähig, kommentieren die Autoren, und die Mitte könne bei dort schwelenden Ressentiments auch abgeholt werden.
Rassismus nimmt zu
Die Studie konstatiert eine Zunahme fremdenfeindlicher Positionen von 3,3 auf 4,5 Prozent gegenüber 2019. Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen sind sogar bei zehn Prozent der Bevölkerung ausgeprägt vorhanden. Diese Haltungen seien besonders bei Befragten mit niedriger Schulbildung und in Regionen mit hohem AfD-Wähleranteil verbreitet. Obwohl das kontrovers diskutierte Thema der Zuwanderung an Bedeutung abgenommen hat und nur noch von jedem Vierten als Bedrohung angesehen wird, äußern sich 40 Prozent der Befragten negativ zu Asylsuchenden. Auch der Antisemitismus wächst. 7,5 Prozent stimmen offen antisemitischen Meinungen zu, aber 13 Prozent äußern israelbezogenen Antisemitismus und sogar 30 Prozent stimmen dem in Teilen zu. Zugenommen hat auch der Glaube an Verschwörungsmythen, die nicht selten mit antisemitischen Narrativen Hand in Hand gehen. Eine rechtsgerichtete Diktatur befürworten nur 2,2 Prozent der Bevölkerung, aber im Graubereich zwischen Zustimmung und Ablehnung befinden sich 15 Prozent der Befragten. Sozialdarwinismus nimmt laut Studie seit 2014 kontinuierlich zu und stieg von 7,3 auf 9,3 Prozent an. Sie ist Ausdruck zunehmend fremdenfeindlicher Positionen.
Demokratiefeindlichkeit wächst
Nach einer Phase der Polarisierung und Radikalisierung am rechten Rand der Mitte verhärte sich die Demokratiedistanz in Teilen der Mitte, stellt Studienleiter Andreas Zick fest. Daraus speise sich im schlimmsten Falle auch Bedrohung, Hass und Gewalt. Menschen mit diskriminierenden Einstellungen neigen zur Diskriminierung unterschiedlicher Gruppen von Menschen und tendieren verstärkt zu Gewalt, auch gegenüber Politikerinnen und Politikern. Nicht wenige Menschen äußern sich in Bezug auf die Demokratie unsicher, widersprüchlich oder teilen demokratiefeindliche Einstellungen. Offener Rechtsextremismus ist in Ost und West gleichermaßen verbreitet, aber populistische Einstellungen sind bei im Osten sozialisierten Menschen mit 37 Prozent deutlich stärker verbreitet als im Westen mit 21 Prozent. Ein Viertel der Bevölkerung ist offen für rechten Populismus. So überrascht es nicht, dass 18 Prozent der Befragten sich eine Partei wünschen, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpere, während weitere 16 Prozent der Befragten dazu mit teils/teils antworten. Zugenommen hat ebenfallt Wissenschaftsfeindlichkeit gegenüber Institutionen und Medien, angefeuert durch Impfgegner und Corona-Zweifler in der gegenwärtigen Pandemie.
Zweifel am Klimawandel
Die FES-Studie arbeitet auch die rechte Reaktion auf die zunehmend und breit diskutierte Klimaschutzpolitik auf. Sie ist für Alexander Gauland das dritte große Thema für die AfD nach dem Euro und der Zuwanderung. Angeblich alternative Medien wie KenFM, Rubicon und GEOLITICO verbreiten systematisch Zweifel am menschengemachen Klimawandel, der auch international Propagandafeld der extremen Rechten geworden ist. Sie nutzen dabei den globalen und komplexen Charakter des Phänomens, der im lokalen Raum oft nur indirekt erkennbar ist, während erneuerbare Energien das Landschaftsbild deutlich sichtbar prägen. Neben der Elitenkritik und dem Antipluralismus avanciert die Leugnung des Klimawandels zunehmend zur dritten Säule rechtspopulistischer Argumentation.
Wahlprüfsteine der VVN-BdA MV zur Landtagswahl 2021 in Mecklenburg-Vorpommern
7. Juli 2021
- Wie bewerten Sie Ihr Engagement zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode? Welche parlamentarischen und Außerparlamentarischen Initiativen haben Sie dazu ergriffen?
- Wie bewerten Sie die Wirksamkeit von Artikel 18a (Friedensverpflichtung, Gewaltfreiheit) der Landesverfassung im politischen Alltag des Landes? Halten Sie eine Konkretisierung dieses Artikels hinsichtlich andauernder rechtsextremistischen Aktivitäten im Land für notwendig?
- Wie bewerten Sie den Stand der Aufarbeitung der Verbrechen des „NSU“ in Mecklenburg-Vorpommern? Werden Sie sich nach der Wahl für die Einsetzung eines neuen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss NSU einsetzen? Halten Sie dabei die Erweiterung des Untersuchungsauftrages hinsichtlich neu entstandener rechtsextremer Strukturen wie z.b. „nordkreuz“ für erforderlich?
- Laut dem „Gesetz über Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz Mecklenburg-Vorpommern) ist der 8.Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2.Weltkrieges“ offizieller Gedenktag. Unterstützen Sie die Bestrebungen diesen Tag im Sinne des Gesetzes zum offiziellen Feiertag zu erklären?
- Der Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist in jüngster Vergangenheit mehrfach bundesweit in Negativ-Schlagzeilen geraten. Wie bewerten Sie diese Reihe von Skandalen und welche Vorstellungen haben Sie zur künftigen Ausrichtung der Behörde?
Erklärung der VVN-BdA zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
24. Mai 2021
Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941 überfielen die Armeen Hitlerdeutschlands und ihrer Verbündeten die Sowjetunion. Damit begann das letzte Kapitel der Aggression des deutschen Faschismus gegen alle europäischen Völker. Doch dieser Krieg war nicht allein ein Eroberungskrieg um Raum und Ressourcen, es war von der Ideologie und Kriegsplanung ein Vernichtungskrieg gegen den „jüdisch-bolschewistischen“ Feind. Die Generalität der Deutschen Wehrmacht machte mit dem Kommissarbefehl, dem Generalplan Ost sowie dem Handeln der Einsatzgruppen deutlich, dass sie dieses Konzept des Vernichtungskriegs von Anfang an unterstützten. Dieser Vernichtungswille zeigte sich in zahlreichen Mordaktionen, die Wehrmachtseinheiten und Einsatzgruppen des SD (Sicherheitsdienst der SS) gegen jüdische und slawische Zivilisten in den okkupierten Gebieten verübten. Allein dem Massaker von Babi Jar fielen im September 1941 über 30.000 Menschen zum Opfer. Dieser Vernichtungskrieg brachte unendliches Leid über die Menschen und forderte mehr als 27 Millionen Opfer aus allen Teilen der Sowjetunion. Es liegt in der Verantwortung heutiger Generationen, dass niemand diese Gräueltaten je vergessen oder relativieren darf.
Daher verwahren wir uns dagegen, dass u.a. durch die Resolution des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 eine skandalöse Form der Geschichtsverfälschung betrieben wird, indem mit Verweis auf den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und damit letztlich auch für den Überfall auf die Sowjetunion den Opfern selber zugewiesen wird. Außerdem müssen wir erleben, dass in verschiedenen europäischen Ländern Kollaborateure des faschistischen Krieges, Freiwillige in den SS-Verbänden im Baltikum, die „Blaue Division“ in Spanien oder Bandera-Einheiten in der Ukraine als „Freiheitshelden“ in ihren jeweiligen Ländern gewürdigt werden. Hierin sehen wir verhängnisvolle Formen von Geschichtsrevisionismus, denen wir uns auch international entgegenstellen.
Wir erinnern daran, dass es die Einheiten der sowjetischen Streitkräfte waren, die im Verbund der Anti-Hitler-Koalition die Hauptlast der militärischen Befreiung Europas und auch unseres Landes getragen haben. Beginnend im Dezember 1941 mit der Schlacht vor Moskau, bei der die faschistische Illusion eines „Blitzkrieges“ platzte, im Februar 1943 mit der Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad und dem anschließenden verlustreichen Vormarsch nach Westen.
Möglich wurde dies im gemeinsamen Handeln der Roten Armee
- mit der Zivilbevölkerung, die in Leningrad eine Blockade von 900 Tagen standhielt, bevor es gelang, die faschistischen Aggressoren zu vertreiben, und an der Heimatfront enorme Anstrengungen in der Rüstungsproduktion unternahm,
- mit den Partisaneneinheiten, die im Rücken der deutschen Einheiten begannen, die Versorgungswege zu blockieren und durch eigene militärische Aktionen eine große Zahl von Einsatzkräften im Hinterland banden
- und mit Unterstützung der westalliierten Verbündeten, die durch Lieferung von Rüstungsgütern und weiteren Materialien die Kampffähigkeit der sowjetischen Streitkräfte unterstützten.
Wir erinnern daran, dass auch deutsche Antifaschisten, die in der Sowjetunion Exil gefunden hatten, aber auch deutsche Soldaten, die im Krieg auf die sowjetische Seite wechselten, ihren Anteil als Frontbeauftragte, in Einheiten der Roten Armee und in anderen Formen an der militärischen Niederschlagung des deutschen Faschismus gehabt haben.
In Erinnerung an all diese Menschen, die sich an dieser Front für die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und die Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit eingesetzt haben, treten wir ein
- für eine angemessene Erinnerung und Würdigung der millionenfachen Opfer des Vernichtungskrieges,
- gegen jede Form von Geschichtsrevisionismus und Rehabilitierung von NS-Kollaborateuren
- für eine Friedenspolitik, die im Dialog mit Russland und den anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion eine neue Politik der Entspannung und Abrüstung in Europa ermöglicht.
Neofaschistische Provokationen rund um die Befreiungstage
14. Mai 2021
Während in allen Teilen Europas die Befreiung der Konzentrationslager und die Befreiung der vom deutschen Faschismus okkupierten Länder und damit die militärische Zerschlagung der faschistischen Barbarei gefeiert wurde, musste man gleichzeitig in verschiedenen Ländern neofaschistische Provokationen erleben, die deutlich machen, dass die Gefahr des Wiederauflebens des Faschismus nicht gebannt ist.
Skandalös sind die Vorgänge in der Ukraine. Mehrere hundert Menschen marschierten Ende April durch die ukrainische Hauptstadt Kiew, um der Gründung der Waffen-SS-Division Galizien am 28. April 1943 zu gedenken. Mit SS-Symbolen, Flaggen der Ukraine, Blumen und Fahnen von Freiwilligenverbänden zogen die Teilnehmer zum Maidan. Auf dem Weg dorthin, entrollten sie ein überdimensionales Banner. Für ihre Sicherheit sorgte die Polizei, die einen Teil der Demonstrationsroute für den Verkehr gesperrt hatte. Die ukrainischen Neofaschisten vom rechten Sektor und anderen Gruppen betrachten die SS-Division als Vorbild für ihre antirussische und nationalistische Propaganda.
Auch in Italien glaubten Anhänger des Faschistenführers Benito Mussolini in der norditalienischen Stadt Dongo, wo der Diktator 1945 erschossen wurde, am 2. Mai einen entsprechenden Aufmarsch zur Verherrlichung der Mussolini-Tradition begehen zu können. Zwar organisierten ANPI und andere Antifaschisten öffentliche Proteste in der Region Como, aber die Polizei sicherte den Aufmarsch zu Ehren von Mussolini, bei dem auch der faschistische Gruß öffentlich gezeigt wurde. Zwei Tage später marschierten 800 Neofaschisten in Mailand auf, um an ihren verstorbenen „Helden“ Sergio Ramelli zu erinnern. Zwar hatte die Stadtverwaltung den von Casa Pound und Forza Nuova geplanten Aufmarsch offiziell verboten, dennoch versammelten sich die Rechten an dem traditionellen Gedenkort, zeigten den faschistischen Gruß und skandierten das Ritual, den Namen von Ramelli aufzurufen, und die Teilnehmer antworten mit „anwesend“.
Dramatisch sind außerdem die Ergebnisse der vorgezogenen Kommunalwahl in der spanischen Hauptstadt Madrid, die faktisch einen massiven Rechtsruck bedeuten. Die franquistische Rechtspartei Partido Popular, deren Spitzenkandidatin zur äußersten Rechten in ihrer Partei gezählt wird, konnte die Verluste bei den letzten Kommunalwahlen weitgehend ausgleichen und fast 50% der Mandate erringen. Sie hat bereits angekündigt, mit der offen faschistischen Partei VOX koalieren zu wollen, die ebenfalls etwa 10 % der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Damit hat in Spanien ein deutlicher Rechtsruck stattgefunden. Antifaschisten Spaniens sehen in diesem Wahlergebnis auch eine Bedrohung der linken Zentralregierung,
Versuche neofaschistischer Kleinparteien in Deutschland, den 1. Mai, den Kampftag der Arbeiterbewegung mit provokativen Aufmärschen für ihre sozialdemagogische Propaganda zu missbrauchen, scheiterten in diesem Jahr kläglich. Bis auf wenige Kleinstaktionen fielen sämtliche geplanten Aufmärsche ins Wasser, entweder wurden sie wegen Corona-Einschränkungen untersagt oder der Widerstand antifaschistischer Kräfte war so groß, dass sie mit ihren Aktionen nicht zum Zuge kamen.
Diese Situationsbeschreibung könnte man durch weitere Schlaglichter aus anderen europäischen Ländern ergänzen. Das macht deutlich, dass unsere Feiern zum Tag der Befreiung/ Tag des Sieges zwar ein wichtiges und richtiges Signal darstellten, der alltägliche Kampf gegen die Rechtsentwicklung in Europa aber weitergehen muss. Und wenn man die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Kolumbien, Brasilien und auch Chile betrachtet, die aus europäischer Perspektive oftmals ausgeblendet werden, dann sehen wir die Gefahr extrem rechter Machtansprüche auch 76 Jahre nach der Zerschlagung der faschistischen Barbarei. Antifaschistische Gegenwehr bleibt nötig, die FIR und ihre Mitgliedsverbände haben auch in Zukunft große Aufgaben vor sich.
Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung unseres Landes von Faschismus und Krieg – der 8. Mai muss Feiertag werden!
3. Mai 2021
Wir wiederholen es auch nach 76 Jahren immer wieder aufs Neue: Der 8. Mai 1945 markiert den militärischen Sieg der Anti-Hitler-Koalition – der Streitkräfte der Alliierten, der Partisan*innen und Widerstandskämpfer*innen – über das menschenverachtende Regime des Hitler-Faschismus,
– das politische Gegner und Andersdenkende ausgrenzte, verfolgte und inhaftiert,
– das Menschen allein aus einer konstruierten Rassezugehörigkeit als Juden, als Sinti und Roma, als Slawen millionenfach ermordete,
– das Europa und selbst Länder und Völker in anderen Teilen der Welt mit Krieg, Okkupation und Vernichtung überzog, mit dem Ziel der imperialen Hegemonie und der Zerschlagung der Sowjetunion,
– das im grausamen Ergebnis mindestens 55 Millionen Menschen das Leben kostete.
Anlässlich dieses Tages gedenken und erinnern wir an die Millionen Opfer der faschistischen Herrschaft in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und als Folgen des faschistischen Expansionismus.
Die militärische Niederwerfung des deutschen Faschismus war tatsächlich eine Befreiung auch für die deutsche Bevölkerung. Wer an diesem Tag erinnert, der muss auch politische Konsequenzen ziehen. Dazu gehört
AfD, NPD und andere extreme Rechte aufzuhalten,
das Treiben gewalttätiger und mordender Neonazis zu unterbinden, ihre Netzwerke in Polizei, Bundeswehr aufzudecken und aufzulösen,
einzugreifen, wenn Jüdinnen und Juden, Muslime, Roma und Sinti und andere, die nicht in das Weltbild von Nazis passen, beleidigt und angegriffen werden,
Geflüchtete in Deutschland aufzunehmen,
die Logik des Militärischen zu durchbrechen, Auslandseinsätze der Bundeswehr und Waffenexporte zu verhindern und
die Angriffe auf antifaschistische, antirassistische und andere demokratische Gruppen und Organisationen durch Geheimdienste zu beenden.
Für uns ist das Vermächtnis der Überlebenden der Konzentrationslager, wie sie es im „Schwur von Buchenwald“ formuliert haben: „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“, nicht nur ein historisches Dokument, sondern eine politische Verpflichtung für heute und morgen, einzutreten für umfassende politische und soziale Menschenrechte, für Frieden, Freiheit und Demokratie.
In diesem Sinne forderte bereits Anfang vergangenen Jahres Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e.V. und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten:
„Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.“
Über 120.000 Menschen haben diesen Appell in einer Petition bereits unterstützt – es ist an der Zeit, sie zu verwirklichen.
Der 8. Mai muss Feiertag werden!
Rechte Bedrohungsallianzen
3. Mai 2021
›Einzeltäter‹ ist seit Jahrzehnten das regelmäßig wiederkehrende Stichwort in der juristischen und politischen Debatte zu rassistisch und neonazistisch initiierten Gewalttaten. Dem stellt Wilhelm Heitmeyer mit seinen Mitautoren die Analyse rechter Bedrohungsallianzen entgegen.
Zusammen mit Peter Sitzer und Manuela Freiheit dokumentiert Heitmeyer am Beispiel der Ausschreitungen vom August 2018 in Chemnitz, wie sich innerhalb eines Kontinuums Allianzen im extremen rechten Milieu herausbilden. Bereits 2012 hatte er dazu sein Modell eines konzentrischen Eskalationskontiniuums entwickelt. Demnach stehen in einem Wirkungszusammenhang ganz außen menschenfeindliche Einstellungen. Im Zentrum des Eskalationsmodells stehen terroristische Zellen. Dazwischen finden sich organisierte Akteure, Vordenker, systemfeindliche Milieus und Unterstützernetzwerke. Von innen nach außen nimmt die Gewaltbereitschaft zu, und die jeweils äußere Schicht liefert ihrer inneren Nachbarin Legitimation. Mit dem Buch »Rechte Bedrohungsallianzen« schließt Heitmeyer an seinen Band »Autoritäre Versuchungen« aus dem Jahre 2018 an und an die Langzeitstudie »Deutsche Zustände«, die er von 2002 bis 2011 durchgeführt hatte.
Diskriminierende rechte Muster werden salonfähig
Heitmeyer legt mit einer Unmenge Material Belege dafür vor, wie die Zustimmung zu rechten politischen Thesen in den letzten Jahrzehnten gewachsen und der politische Diskurs damit tatsächlich nach rechts verschoben worden ist. Im Mittelpunkt stehen dabei Überzeugungen vom »Untergang Deutschlands« durch angebliche Überfremdung, wie sie vorher eher nur in der Naziszene zu finden war. Die Rede ist von Muslimen, die die »kulturelle Identität« vermeintlich zerstörten und von geheimen Mächten, die angeblich einen »großen Austausch« der Bevölkerung herbeiführen wollten. Das Buch gibt einen guten Überblick, um über die Vernetzung rechter Gesinnungsgenossen aufzuklären. Dabei spielt wachsende gesellschaftliche Verunsicherung, die durch die Corona-Krise noch verstärkt wurde, für die Rechtsentwicklung ebenso eine Rolle wie die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den einzelnen rechten Phänomenen. Die sich gegenseitig unterstützenden rechten Allianzen bleiben von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, agieren abgeschirmt und werden häufig übersehen. Die Autoren beschreiben sehr genau, wie Intellektuelle, Politiker und Parteien, aber auch rechte Gruppierungen wie Pegida und rechte Terrorgruppen in einem sich verstärkenden Wirkungszusammenhang die Demokratie bedrohen.
Beispiel Chemnitz
Heitmeyer beschreibt Chemnitz als eine Stadt, die mehrheitlich proletarisch und kleinbürgerlich geprägt ist. Von den Einwohnerinnen und Einwohnern schätzen nach Umfragen 81 Prozent ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut ein. Dennoch rotteten sich am 26. August 2018 nach der Tötung eines Deutschen auf dem Chemnitzer Stadtfest in der Nacht zuvor 800 Neonazis zusammen, und 100 Vermummte verfolgten Migranten durch die ganze Stadt. Die Leugnung dieser Jagd durch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen führte zu einer Regierungskrise und letztlich zu seiner Entlassung. Am 1. September 2018 demonstrierten 10.000 autoritär und rassistisch Orientierte unter der Führung der AfD im Bündnis mit Pro Chemnitz, Pegida, NPD, der Dritte Weg, den Identitären, der Partei Die Rechte und Fangruppen aus ganz Deutschland. Den Weg bereitet hatte ein Klima autoritärer Raumergreifung durch eine aktive rechte Fußballfangruppe, Kameradschaften und rechte Organisationen aller Art, die über Jahre hinweg ungehindert agieren konnten. Während die AfD mit dem Slogan vom Kontrollverlust des Staates eine Art Propaganda der Tat verbreitete, sorgten Hooligans um Pro Chemnitz und das geheime Untergrundnetzwerk Revolution Chemnitz für die Umsetzung der Gewaltaufrufe in die Tat, geschtützt auf eine breite amorphe Masse unorganisierter Bürgerinnen und Bürger mit Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Der rechte Theoretiker Götz Kubitschek sprach von einem elementaren Vorgang, bei dem es darum gegangen sei, als eine Art »Bürgerwehr« den eigenen Raum abzusichern. Das Modell lässt sich deutschlandweit übertragen und verspricht Erfolg, wenn die unterschiedlichen Milieus der extremen Rechten nicht gezielt bekämpft und Vorurteilseinstellungen nicht länger hingenommen werden.
Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer: Rechte Bedrohungsallianzen – Signaturen der Bedrohung II. edition suhrkamp 2748, Taschenbuch, 325 Seiten, 18 Euro
Vor 50 Jahren Öffnung der VVN für junge Generationen
1. April 2021
Bei Ihrer Gründung in den Besatzungszonen und Kreisen zwischen 1946 und 1948 hatte die VVN Opfer des Faschismus und deren Angehörige in ihre Reihen aufgenommen. Vor 50 Jahren hat sich die Organisation für für junge Generationen geöffnet.
Zwar ist der Oberhausener Kongress der VVN bereits 50 Jahre vergangen, aber vieles von dem damals Gesagten klingt aktueller denn je. Dabei sind grundlegende Unterschiede, die sich aus der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ergeben haben, nicht zu übersehen. So fällt heutigen Leser:innen sofort die Abwesenheit geschlechtergerechter Spra-che ins Auge. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hat die VVN darauf reagiert und den Organisationsnamen in „VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ geändert. Wer sich heute für eine sozial gerechte Gesellschaft einsetzt, muss sel-ber für die Überwindung ausgrenzender Sprachformen eintreten. Aber viele Probleme und Herausforderungen sind ähnlich geblieben. So muss auch heute darum gerungen werden, dass innerhalb der Organisation Raum für unter-schiedliche politische und weltanschauliche Überzeugungen vorhanden ist. Das be-trifft sowohl die Einschätzung, wie und in welcher Radikalität dem Auftreten von ex-tremen Rechten und anderen Gegnern der Demokratie entgegenzutreten ist, als auch die Frage, was jedes Mitglied unter einer friedlichen, solidarischen und sozial gerechten Gesellschaft versteht, für die Antifaschistinnen und Antifaschisten als Zu-kunftsentwurf eintreten. Bekanntermaßen vertritt die VVN kein bestimmtes Gesell-schaftsmodell. Damals wie heute hilft dabei ein Blick auf das politische Vermächtnis der überlebenden Frauen und Männer aus den Haftstätten, aus Verfolgung und Widerstand.DasbleibteinepolitischeVerpflichtungfürheute.Und an diesem Punkt steht – wie vor 50 Jahren – unsere gemeinsame Aufgabe, das Wissen über die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes weiterzuge-ben und das Andenken der Frauen und Männer, die ihre Freiheit, Gesundheit und oftmals auch ihr Leben für die antifaschistische Sache riskiert haben, zu bewah-ren. Nicht als nostalgischerRückblick,sondernals gesellschaftlicheVerpflichtungfür heute. Zwei Rahmenbedingungen sind jedoch heute grundlegend anders als vor 50 Jahren. Damals war es im Selbstverständnis junger Menschen in der BRD vollkommen nor-mal, dass man – wollte man politische Ziele durchsetzen – sich einer Organisation anschloss, zumindest der Gewerkschaft oder einer politischen Jugendorganisation, oftmals sogar einer Partei. Das ist heute in Zeiten von Initiativen, Netzwerken oder projektbezogener Zusammenschlüsse anders. Es bedarf einer größeren Überzeu-gungsarbeit, sich einer Organisation längerfristig anzuschließen. Zweitens sind die kommunikativen Kanäle der Informationsverbreitung durch elek-tronische Medien grundlegend verändert worden. Damals bekam man seine Infor-mationen über Radio, Zeitungen, Flugblätter oder auf Versammlungen. Heute sind die wichtigen Informationswege das Internet oder Social-media-Kanäle. Dies hat Auswirkungen auf die Ansprechbarkeit junger Menschen. Doch selbst unter diesen Bedingungen bleibt eine Voraussetzung für die Gewin-nung und Integration neuer Mitglieder „ein interessant gestaltetes Organisations-leben und die Heranziehung neuer Menschen für Leitungsfunktionen“, wie es schon vor 50 Jahren formuliert wurde.
Die Broschüre zum 50 jahrestag der Öffnung der 15Zwar ist der Oberhausener Kongress der VVN bereits 50 Jahre vergangen, aber vieles von dem damals Gesagten klingt aktueller denn je. Dabei sind grundlegende Unterschiede, die sich aus der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ergeben ha-ben, nicht zu übersehen. So fällt heutigen Leser:innen sofort die Abwesenheit geschlechtergerechter Spra-che ins Auge. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hat die VVN darauf reagiert und den Organisationsnamen in „VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ geändert. Wer sich heute für eine sozial gerechte Gesellschaft einsetzt, muss sel-ber für die Überwindung ausgrenzender Sprachformen eintreten. Aber viele Probleme und Herausforderungen sind ähnlich geblieben. So muss auch heute darum gerungen werden, dass innerhalb der Organisation Raum für unter-schiedliche politische und weltanschauliche Überzeugungen vorhanden ist. Das be-trifft sowohl die Einschätzung, wie und in welcher Radikalität dem Auftreten von ex-tremen Rechten und anderen Gegnern der Demokratie entgegenzutreten ist, als auch die Frage, was jedes Mitglied unter einer friedlichen, solidarischen und sozial gerechten Gesellschaft versteht, für die Antifaschistinnen und Antifaschisten als Zu-kunftsentwurf eintreten. Bekanntermaßen vertritt die VVN kein bestimmtes Gesell-schaftsmodell. Damals wie heute hilft dabei ein Blick auf das politische Vermächt-nis der überlebenden Frauen und Männer aus den Haftstätten, aus Verfolgung und Widerstand.DasbleibteinepolitischeVerpflichtungfürheute.Und an diesem Punkt steht – wie vor 50 Jahren – unsere gemeinsame Aufgabe, das Wissen über die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes weiterzuge-ben und das Andenken der Frauen und Männer, die ihre Freiheit, Gesundheit und oftmals auch ihr Leben für die antifaschistische Sache riskiert haben, zu bewah-ren. Nicht als nostalgischerRückblick,sondernals gesellschaftlicheVerpflichtungfür heute. Zwei Rahmenbedingungen sind jedoch heute grundlegend anders als vor 50 Jahren. Damals war es im Selbstverständnis junger Menschen in der BRD vollkommen nor-mal, dass man – wollte man politische Ziele durchsetzen – sich einer Organisation anschloss, zumindest der Gewerkschaft oder einer politischen Jugendorganisation, oftmals sogar einer Partei. Das ist heute in Zeiten von Initiativen, Netzwerken oder projektbezogener Zusammenschlüsse anders. Es bedarf einer größeren Überzeu-gungsarbeit, sich einer Organisation längerfristig anzuschließen. Zweitens sind die kommunikativen Kanäle der Informationsverbreitung durch elek-tronische Medien grundlegend verändert worden. Damals bekam man seine Infor-mationen über Radio, Zeitungen, Flugblätter oder auf Versammlungen. Heute sind die wichtigen Informationswege das Internet oder Social-media-Kanäle. Dies hat Auswirkungen auf die Ansprechbarkeit junger Menschen. Doch selbst unter diesen Bedingungen bleibt eine Voraussetzung für die Gewin-nung und Integration neuer Mitglieder „ein interessant gestaltetes Organisations-leben und die Heranziehung neuer Menschen für Leitungsfunktionen“, wie es schon vor 50 Jahren formuliert wurde.
Die Broschüre zum 50. Jahrestag der Öffnung der VVN zur VVN-BdA ist Teil der Kongressunterlagen zum hybriden Bundeskongress am 24. und 25. April 2021 in Frankfurt am Main.
Nachruf der VVN-BdA für Günter Pappenheim (1925 – 2021)
1. April 2021
Mit großer Trauer mussten wir erfahren, dass Günter Pappenheim, Überlebender des KZ Buchenwald, erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos, Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, jahrzehntelang Mitglied der VVN und ihrer Nachfolgeverbände und Mitglied des Ehrenpräsidiums der FIR im Alter von 95 Jahren verstorben ist.
Aufgewachsen in einer sozialdemokratisch geprägten Familie, musste er bereits 1934 erleben, dass die Nazis seinen Vater wegen seiner antifaschistischen Haltung im Moorlager Neusüstrum ermordeten. Er selber wurde als Jugendlicher verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Sein „Verbrechen“: Er hat für französischen Zwangsarbeitern heimlich die Marseilles auf einer Mundharmonika gespielt. Gemeinsam mit seinen Kameraden sprach er am 19. April 1945 auf dem Appellplatz den „Schwur von Buchenwald“, der ihm Zeit seines Lebens die politische Richtschnur war: „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“.
Für ihn war es nur folgerichtig, dass er im August 1947 Mitglied in der in der SBZ neugegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wurde. Er war damit eines der letzten noch lebenden Gründungsmitglieder der VVN und blieb der Organisation bis zur Auflösung im Februar 1953 in der DDR verbunden. Auch auf anderen Ebenen setzte er sich für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn in der SBZ und später der DDR ein, so im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR.
Nach dem Ende der DDR blieb er seiner antifaschistischen Überzeugung treu. Er schloss sich schon 1990 dem „Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener“ (IVVdN) an und setzte sich beharrlich dafür ein, dass die Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung gemeinsam mit jungen Antifaschisten auf Augenhöhe mit den Antifaschisten aus den westlichen Bundesländern zusammenarbeiteten. Gerade wegen der politischen Angriffe auf die Gedenkstätte Buchenwald sah er die Notwendigkeit dieses engen Zusammenwirkens, um das antifaschistische Vermächtnis der Überlebenden zu bewahren.
Als sich im Oktober 2002 im Vereinigungskongress der IVVdN, der BdA und die VVN-BdA zusammenschlossen, war er dabei und vertrat als Vorsitzender die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora im Bundesausschuss der nun gesamtdeutschen Organisation. In Veranstaltungen, bei Beratungen in Buchenwald und anderen Gelegenheiten wurde sichtbar: Günter Pappenheims Stimme hatte Gewicht in den öffentlichen Auseinandersetzungen um das Gedenken an den gemeinsamen Kampf der Häftlinge von Buchenwald. Das wurde – selbst unter Corona-Bedingungen – zum 75. Jahrestag der Selbstbefreiung des KZ Buchenwalds am 11. April 1945 erneut deutlich.
Geehrt wurde er zuerst im Ausland. Die FIR ernannte ihn zum Mitglied des Ehrenpräsidiums. Der französische Staat ernannte ihn zum Ritter der Ehrenlegion. Erst in den letzten Jahren erfuhr er diese Anerkennung auch in der BRD. Er erhielt den Verdienstorden des Landes Thüringen und in seinem letzten Lebensjahr wurde er noch Ehrenbürger der Stadt Weimar.
Mit seinem Tod geht ein weiteres Gründungsmitglied unseres antifaschistischen Verbandes, der der antifaschistischen Organisation fast 75 Jahre verbunden war. Seine Stimme wird uns bei der Bewahrung des Vermächtnisses der Überlebenden fehlen.
Wir drücken seiner Frau Margot, seiner Tochter Gertrud, seinen Kameradinnen und Kameraden, seinen politischen Weggefährten unser tiefes Mitgefühl aus. Er bleibt unvergessen.
Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA
Das #unteilbar-Bündnis und das Netzwerk Solidarischer Osten im Frühjahr 2021 – VVN-BdA MV ist Bündnispartner
29. März 2021
2021 stehen wir vor politischen Wendepunkten. Wie lange nicht mehr, wird verhandelt, in welcher Gesellschaft wir leben werden.Wir haben daher neue Bündnisse geschmiedet. Als #unteilbar Sachsen-Anhalt, #unteilbar Mecklenburg-Vorpommern und Bündnis Solidarisches Thüringen machen wir den Solidarischen Osten sichtbar. Und auch vor der Bundestagswahl im Herbst werden wir ein deutliches Signal senden – Mit einer großen gesellschaftlichen Breite machen wir unüberhörbar klar: #unteilbar ist Hoffnung und Aufbruch. Wir wollen eine andere Gesellschaft! Wir stehen für die solidarische Gesellschaft der Vielen und setzen uns für eine lebenswerte Zukunft für alle ein. Überall im Land und darüber hinaus sind in den vergangenen Jahren vielfältige Bewegungen für klimagerechte, antirassistische und demokratische Wege lauter geworden. Diesen Aufbruch sozialer Bewegungen werden wir in diesem Sommer fortschreiben.Wir – Menschen, Initiativen und Organisationen – stellen uns gemeinsam der gesellschaftlichen Entwicklung der Entsolidarisierung entschieden entgegen. Gerade im Vorfeld der Landtagswahlen unterstreichen wir: Solidarität ist #unteilbar – oder sie ist keine!Wir wissen: Den einen Osten gibt es nicht – einen Solidarischen Osten gibt es gewiss. Wir stehen für einen gesellschaftlichen Aufbruch, der alle in ihrer Unterschiedlichkeit mitnimmt. Denn gerade hier im Osten entscheidet sich, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt: Erringen nationalistische und menschenfeindliche Akteure fortschreitend Einfluss auf das Regierungshandeln? Nimmt die Ungleichheit der Lebensverhältnisse noch weiter zu? Deshalb gilt es all diejenigen Menschen und Initiativen zu unterstützen, die sich seit Jahrzehnten für eine offene und freie Gesellschaft einsetzen. Zusammen und #unteilbar machen wir uns stark für Vielfalt, soziale Gerechtigkeit und eine Demokratie, die alle einbezieht. Es ist eine Aufgabe, die uns alle angeht.Seit einem Jahr prägt die Coronapandemie unseren Alltag. Sie trifft uns alle, aber bei weitem nicht alle gleich. Zehntausende Menschen sind allein in Deutschland am Coronavirus gestorben. Die soziale Ungleichheit hat sich in der Krise massiv verschärft und viele geraten in Existenznöte. Die Schwächen des Sozialsystems treten immer offensichtlicher zutage. Die Regierung fährt auf Sicht und reagiert mit Variationen einer Politik des Weiter-So: Hier ein paar Überbrückungshilfen, die zu spät oder gar nicht ankommen, dort ein Appell an die Eigenverantwortung im Privaten. Sie lässt zu, dass Krankenpfleger*innen auf dem Zahnfleisch gehen, Menschen in der Pandemie ihre Wohnung verlieren, Geflüchtete an den EU-Außengrenzen sterben oder entrechtet und in menschenunwürdigen Zuständen ausharren müssen, oder Beschäftigte wie in der Lebensmittelindustrie einem vielfach erhöhten Risiko zu erkranken ausgesetzt sind.Die Krise verschärft dabei Probleme, die schon vorher bestanden. Überall – und mit besonderer Härte in Ostdeutschland – zeigen sich jetzt die Auswirkungen einer Politik, die jahrzehntelang gesellschaftlichen Zusammenhalt geschwächt und unsichere Lebensbedingungen befördert hat. Während der Kahlschlag der Neunziger und Nullerjahre in der löchrigen sozialen Infrastruktur und den Arbeitsverhältnissen fortwirkt, erstarken die Rechten durch das Angebot nationalistischer Scheinlösungen. Gleichzeitig werden durch die Pandemie die Bedingungen des Gemeinsamen und zivilgesellschaftlichen Handelns in Stadt und Land noch weiter erschwert.So kann es nicht bleiben. So muss es nicht bleiben!Wir setzen uns ein für eine Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, und stellen das Gemeinsame unserer unterschiedlichen Kämpfe und Aktivitäten in den Vordergrund.Wir wollen eine Politik, die alle mitnimmt und die verhindert, dass Einige immer reicher und Viele immer ärmer werden.Wir stehen für Demokratie von unten und setzen uns dafür ein, dass Menschenrechte #unteilbar sind und für alle Menschen gelten – auch an den EU-Außengrenzen und darüber hinaus.Zusammen fordern wir einen gesellschaftlichen Aufbruch gegen Rassismus, Antisemitismus und RechtsterrorismusUnsere Solidarität ist #unteilbar – oder sie ist keine.Mut ziehen wir daraus, dass sich in der Krise eine große zwischenmenschliche Solidarität zeigt. Vielerorts helfen wir uns durch den Alltag und setzen uns weiter in Initiativen und Organisationen ein. Solidarität ist die Basis unserer Netzwerke und Aktivitäten, die das Ziel des guten Lebens für alle eint. Wir lassen nicht zu, dass wir in unseren Nöten und unseren Rechten gegeneinander ausgespielt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Solidarität auch über Grenzen hinweg praktisch wird und nicht zu hohlen Phrase verkommt!Es steht viel auf dem Spiel: Machen wir uns gemeinsam auf den Weg!Wir schmieden neue Bündnisse – zwischen Land und Stadt, Jung und Alt, zwischen Migrant*innen und Klimaaktivist*innen, Gewerkschafter*innen und Feminist*innen – zwischen all denjenigen, diesich für solidarische Gesellschaft einsetzen.Zusammen, als Gesellschaft der Vielen, setzen wir uns für mehr Teilhabe aller ein. #unteilbar steht für ein unabhängiges Handeln der Zivilgesellschaft jenseits parteipolitischer Interessen. Wir verstehen uns als außerparlamentarisches Bündnis, das gerade im Superwahljahr 2021 unterschiedliche Formen von politischem, kulturellem und alltäglichem Handeln verbindet. An vielen Orten und bundesweit machen wir klar: An der solidarischen Gesellschaft gibt es kein Vorbeikommen!Gemeinsam stehen wir für einen Solidarischen Osten. Wir sind uns der Tragweite der anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und insbesondere Sachsen-Anhalt bewusst. Angesichts des Regierungsdebakels um die Rundfunkgebühren im vergangenen Dezemberwissen wir als Zivilgesellschaft um unsere Aufgabe, ein Einknicken demokratischer Parteien vor Rechtsextremen zu verhindern und uns klar gegen jegliche Zusammenarbeit zu stellen. Die Wahl Kemmerichs zum Kurzzeitministerpräsidenten haben wir nicht vergessen. Für uns gilt daher auch 2021 klar: #nichtmituns! Kein Pakt mit Faschist*innen – niemals und nirgendwo!Wir stehen zusammen für eine bessere Zukunft für alle. Lasst uns gemeinsam auf den Weg machen!