Buchempfehlung: Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? Ein Geheimdienst und seine Praxis – Cornelia Kerth / Martin Kutscha (Hg.)

geschrieben von Cornelia Kerth

30. April 2020

,

»Verfassungsschutz« – das klingt gut. Aber werden die mit diesem Namen geadelten Behörden ihrem Anspruch gerecht? Zahlreiche Skandale wie etwa das völlige Versagen beim Aufspüren der neonazistischen Terrorzelle »NSU« lassen daran zweifeln. Gleichwohl wurden in den letzten Jahren die Verfassungsschutzämter finanziell und personell aufgestockt und ihre Überwachungsbefugnisse noch erweitert. Dieser Sammelband nimmt Geschichte, Handlungsgrundlagen und aktuelle Praxis des Verfassungsschutzes unter die Lupe. Sind es wirklich nur »Pannen«, wenn dieser so wenig zur Aufklärung der Neonaziszene in Deutschland beiträgt? Welche Aufgaben weisen Grundgesetz und Fachgesetze den Geheimdiensten eigentlich zu? Wie sind die Vertuschung und Blockade bei der Aufdeckung terroristischer Netzwerke z. B. im NSU-Prozess zu erklären? Werden die parlamentarischen Kontrollgremien ihrer Aufgabe gerecht oder dienen sie lediglich als Feigenblatt für fragwürdige Aktivitäten? Welche Alternativen gibt es, um die demokratische Verfassungsordnung wirksam zu schützen? Mit Beiträgen von Antonia von der Behrens, Rolf Gössner, Luca Heyer, Udo Kauß, Martin Kutscha, Till Müller-Heidelberg, Martina Renner, Niklas Schrader und Klaus Stein. Martin Kutscha, Dr. iur., *1948, Professor a.D. für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, engagiert in der Humanistischen Union; Cornelia Kerth, *1954, Sozialwissenschaftlerin, Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Neue Kleine Bibliothek 287. ISBN 978-3-89438-729-7. Paperback, 148 Seiten; 12,90 Euro Ab sofort im Buchhandel oder Bestellung über https://shop.papyrossa.de https://shop.papyrossa.de/Kerth-Cornelia-/-Kutscha-Martin-Hg-Was-heisst-hier-eigentlich-Verfassungsschutz

Erschienen im März 2020 im Verlag PapyRossa, Köln

Kein Mut zur Lücke, aber zum Kommentar – Kanzleramt benennt Globkes Mitschuld an Judenverfolgung

geschrieben von Hans-Jürgen Nagel

29. April 2020

,

Endlich: Das in der Portraitgalerie des Chefs des Bundeskanzleramtes hängende Foto von Hans Josef Maria Globke wurde mit einem Kommentar versehen, der unter dem Foto auf die Mitverantwortung Globkes für die Verfolgung der europäischen Juden durch  das NS-Regime hinweist. Hans-Jürgen Nagel, Autor der Zweiwochenschrift Ossietzky, hatte 2018 im Bundeskanzleramt nach dem kritischen Umgang mit dem Portrait gefragt – im vorigen Jahr mehrmals erneut. Nach fast zwei Jahren erhielt er nun im  April die Antwort, dass „nach reiflicher Prüfung und in Abstimmung mit  der Historikerkommission“ entschieden wurde, ein Hinweisschild unter dem  Bild anzubringen. Die in der Tradition der Weltbühne stehende Zweiwochenschrift Ossietzky  brachte dazu in ihrer am Sonnabend, den 18. April, erscheinenden Ausgabe  einen ausführlichen Artikel, unter anderem mit dem Wortlaut des  Kommentars. Das Bundeskanzleramt teilte mit, keine eigene Presseinformation zum  Sachverhalt herausgeben zu wollen.

Hintergrund:
In einem Verwaltungsflügel des Bundeskanzleramtes hängen, wie auch schon  im Bonner Bundeskanzleramt, Portraitfotos aller bisherigen Chefs des  Bundeskanzleramtes, darunter auch eines von Globke. Die Bilder sind  einheitlich groß (Rahmen ca. DIN A4), in schwarz/weiß fotografiert,  einheitlich gerahmt und in chronologischer Reihenfolge gehängt. Das  Passepartout enthält jeweils in zwei Zeilen die Angaben von Namen und  Amtszeit (hier: ›Dr. Hans Globke / 1953-1963‹). Bundeskanzler Konrad Adenauers rechte Hand war Staatssekretär Hans Josef  Maria Globke, zu NS-Zeiten Kommentator der Nürnberger Rassengesetze. Von  1953 bis 1963 war er Chef des Bundeskanzleramts.

„Aktionsbündnis 8. Mai“ in Demmin zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

geschrieben von Axel Holz

29. April 2020

,

Das „Aktionsbündnis 8. Mai“ in Demmin fordert die Erklärung dieses Tages zu einem Feierteg. Gleichzeitig gedenkt das Bündnis anlässlich des 75. Jahretages der Befreiung vom Faschismus auf Großplakaten der Opfer rechtsradikaler Gewalt in Hanau.

Gedenken an den 75. Jahrestag der Befreiung in Gedenkstätte Wöbbelin

geschrieben von Ramona Ramsenthaler

29. April 2020

,

Die Internationale Begegnung der Generationen sowie die Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Wöbbelin mussten auf Grund der Covid-19-Epidemie abgesagt werden.Der Verein Mahn- und Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim e. V. und der Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin werden dennoch dafür Sorge tragen, dass an diese bedeutsamen Tage erinnert wird. Denn auch in diesen ungewöhnlichen Zeiten ist es wichtig, dass das Gedenken anlässlich des 75. Jahrestags stattfindet, dass an das unfassbare Leid der Menschen und den Tag der Befreiung des KZ Wöbbelin, der ein Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur war, erinnert wird und das Schicksal der Opfer unvergessen bleibt.

Das Gedenken verbinden wir mit dem Bekenntnis zur bleibenden historischen Verantwortung. Es darf nicht vergessen werden, wozu Menschen aus ideologischer Verblendung und Rassenwahn fähig waren. Stille Gedenken und Kranzniederlegungen finden anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ Wöbbelin im kleinen Rahmen mit Vertretern der beiden Vereine sowie der Städte und Gemeinden am 30. April und am 2. Mai 2020 an den Gedenkstätten und Ehrenfriedhöfen statt.

Am 2. Mai werden Frau Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Herr Stefan Sternberg, Landrat des Landkreises Ludwigslust-Parchim, und Rolf Christiansen, Vorsitzender des Vereins Mahn-und  Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim, am Gedenkplatz des ehemaligen Lagergeländes an die Befreiung des KZ Wöbbelin erinnern und  Kränze niederlegen.

Auf der Website www.gedenkstaetten-woebbelin.de  haben Sie die Möglichkeit, sich die Gedenkreden anzuschauen und damit in dieser Form am Erinnern teilzuhaben. Dort werden wir Sie in den nächsten Tagen über weitere Veranstaltungen über weitere Formen des Gedenkens an den verschiedenen Orten informieren. Außerdem wird in weiteren Gruß- und Videobotschaften an die Ereignisse Anfang Mai 1945 erinnert werden. Wir werden diese auf unserer Website einstellen. Wenn Sie möchten, können Sie uns auch gern persönliche Beiträge zusenden, die wir dann mit Ihrem Einverständnis auf der Internetseite veröffentlichen.

Am Abend des 1. Mai können Sie über einen Link auf unserer Website ein Konzert anhören, das  im Rahmen des Ökumenischen Gottesdienstes am 2. Mai 2015 in der Ludwigsluster Stadtkirche  von Johanna Mill und Danilo Volpyansky, vom Konservatorium Schwerin aufgeführt wurde.  Das Triptychon für Klavier und Querflöte wurde von Janusz Kahl (1927 bis 2016), Polen, 1959 komponiert. Er war vom 23. März bis zum 2. Mai 1945 im KZ Wöbbelin inhaftiert. Herr Kahl studierte nach der Befreiung Klavier und Komposition.

Wir hoffen, die geplanten Veranstaltungen im nächsten Jahr, 2021, beim 76. Jahrestag der Befreiung im Mai 2021 durchführen und erneut Einladungen an Überlebende und Angehörige aussprechen zu können.

29. April: Hauskonzert von Igor Levit: Botschaft an die Überlebenden – Gemeinsame Aktion des Pianisten Igor Levit und des Internationalen Auschwitz Komitees

geschrieben von Ulrich Schneider

28. April 2020

,

Seit dem 12. März bestärkt der Pianist Igor Levit mit seinen mittlerweile weithin bekannten Hauskonzerten im abendlichen streaming um 19.00 Uhr auf twitter (@igorpianist) und Instagram (igorpianist) weltweit Menschen in Zeiten der Corona Einsamkeiten. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee hat sich Igor Levit jetzt zu einer besonderen Geste der Solidarität und Ermutigung entschlossen. Sein Hauskonzert am Mittwoch, dem 29. April, dem 75. Jahrestag der Befreiung des Lagers Dachau, wird Igor Levit allen Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager widmen, um ihnen für ihre jahrzehntelange pädagogische Arbeit als Zeitzeugen und für ihre Verteidigung der Demokratie angesichts des zunehmenden rechtsextremen und antisemitischen Hasses zu danken. Gerade in diesen Tagen und Wochen, in denen die Welt des 75. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager und des Ende des 2. Weltkrieges gedenkt, ist dem Künstler dieses Zeichen der Verbundenheit mit den hochbetagten Überlebenden auch in der Erinnerung an ihre ermordeten Familien besonders wichtig.

Zu der Aktion Levits betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: „Den Überlebenden rücken in diesen Tagen, in denen ihrer Befreiung vor 75 Jahren gedacht wird, ihre Erinnerungen und ihre Schmerzen besonders nah. Sie leiden zudem unter der durch Corona erzwungenen Einsamkeit und der Isolation von ihren Familienmitgliedern, Leidensgenossen und Freunden. Etliche wollten anlässlich der Befreiungsfeierlichkeiten wahrscheinlich zum letzten Mal die Orte ihrer schrecklichen Erfahrungen aufsuchen. Umso dankbarer sind sie Igor Levit für diese einzigartige künstlerische und menschliche Geste, gerade weil sie sein Engagement und sein Aufbegehren gegen populistische Dummheiten, Verschwörungstheorien und rechtsextremen Hass immer wieder ermutigt. Weil auch Levit die Demokratie mit Mut, Kreativität und Lebensfreude verteidigt und mit seiner Haltung viele Menschen motiviert, hat das IAK ihn im Januar diesen Jahres mit der Statue“B“ als „Gabe der Erinnerung“ des Komitees ausgezeichnet. Am 2. April war Igor Levit von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier eingeladen, sein Hauskonzert im Schloß Bellevue zu spielen.“

Gedenken zum 8. Mai in Rostock

geschrieben von Axel Holz

27. April 2020

Am 8. Mai werden in Rostock Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen und Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück am Puschkinplatz um 16.00 Uhr anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung Blumen für die Opfer des Faschismus und zum Gedenken an die Befreier unter Berücksichtigung der CORONA-Regeln niederlegen. Die Rostocker Bevölkerung wurde zum stillen Gedenken und zur Ablage von Blumen am Puschkinplatz im Verlauf des Tages aufgefordert. Am selben Tag wird als kirchliche Initiative auf youtube eine Lesung von Rostocker Bürgern anlässlich der 75. Widerkehr des Kriegsendes zu sehen sein, die bereits am 3. Mai in der Rostocker Petrikirche aufgenommen werden soll. Unter den Lesenden ist auch die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft Regine Lück.

Gedenken am 9. Mai in Güstrow

geschrieben von Wilfried Schubert

25. April 2020

,

Anfang Mai jährt sich zum 75. Mal der Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg und die Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus.  Diesem Ereignis wollen wir am 09. Mai um 09.30 Uhr auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof an der Plauer Chaussee, bei strikter Respektierung der Anti Corona Bestimmungen, gedenken. Wir bitten Dich herzlich, daran teilzunehmen.  Schon am 02. Mai 1945 erfolgte die kampflose Übergabe Güstrows an die Rote Armee. Den 28.000 Einwohnern, vielen Flüchtlingen und Verwundeten in der Stadt, blieben Tod und Zerstörung erspart. Mit zu verdanken ist das den Pastoren der Stadt Grüner, Siegert, Klein, Plachte und der katholischen Kirche, die den Stadtkommandanten am 29. April 1945 baten, Güstrow zur offenen Stadt zu erklären.  Hauptmann a.D. Wilhelm Beltz und die Dolmetscherin Slata Kowalewskaja verhandelten mit den sowjetischen Truppen die kampflose Übergabe Güstrows. Unter den Kompanien des Volkssturms wirkte der Kommunist Johannes Warnke, Ehrenbürger der Stadt, erfolgreich für die Niederlegung der Waffen.

Gedenken an Befreiung des Ravensbrücker KZ-Außenlagers in Malchow findet statt

geschrieben von Axel Holz

23. April 2020

Zahlreiche Veranstaltungen können derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden oder werden abgesackt. Nicht so aber das Gedenken an die Befreiung des Ravensbrücker KZ-Außenlagers in Malchow am 2. Mai, die sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt. „Die Veranstaltung wird in einem kleinen Rahmen abgehalten“, teilte Malchows Stadtarchivar Dieter Kurth mit. So habe er Bürgermeister René Putzar, die Fraktionsvorsitzenden der Parteien und Wählergemeinschaften in der Stadtvertretung sowie Pastor Eckhard Kändler eingeladen. Auch Mitglieder des Arbeitskreises Stadtgeschichte sollen kommen. In der Zeit des Nationalsozialismus hat sich in Malchow eines der größten Außenlager des Frauen-KZ Ravensbrück befunden. Zwischen dem Außenlager und dem Munitions- und Sprengstoffwerk, dass knapp zwei Kilometer westlich von Malchow auf einer Fläche von 361 Hektar lag und 1938 seine Arbeit aufnahm, gab es eine enge Verbindung. Dabei habe es sich um ein einfaches Holz- und Barackenlager gehandelt. Dessen Aufbau begann 1943 und erreichte im Dezember 1944 eine Belegung von etwa 1200 Frauen. Wachtürme und ein elektrisch geladener Stacheldrahtzaun haben dafür gesorgt, dass zu diesen Frauen kein Kontakt aufgenommen werden konnte und durfte. In den Häftlingsbaracken herrschten menschenunwürdige Bedingungen. Schließlich sei am 2. Mai 1945 mit dem Einmarsch der Roten Armee in Malchow die Befreiung der Häftlinge erfolgt. „Diese Gräueltaten sollen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Kurth mit Blick auf die Gedenkfeier.

Der Arbeitskreis Stadtgeschichte sowie Schüler und Lehrer der Fleesenseeschule Malchow haben mit der Aufarbeitung der Geschichte des KZ-Außenlager beschäftigt. So hatten Elftklässler im Jahr 2015 in enger Gemeinschaftsarbeit mit Professorin Sigrid Jacobeit, der ehemalige Leiterin der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte des Frauen-KZ-Ravensbrück sowie der Zeitzeugin des KZ-Außenlagers Malchow, Batsheva Dagan und der Stadt sowie mit dem städtischem Archiv eine Broschüre über die KZ-Zwangsarbeit im Außenlager Malchow von 1943 bis 1945 erstellt. Darüber hinaus wurde unter anderem vom Arbeitskreis Stadtgeschichte im November 2018 die erste Erinnerungstafel zur Munitionsfabrik und dem KZ-Außenlager in der Gedenkstätte aufgestellt.

Buch zum Frauen-Widerstand im deutschen Faschismus

geschrieben von Axel Holz

23. April 2020

,

Florence Hervé hat ein Buch  „Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg“ herausgegeben. Das Buch ist bei Papyrossa erschienen. Das Freie Radion Neumünster hat mit der Autorin ein halbstündiges Interview zum neuen Buch geführt. Sie ist Autorin, Journalistin und Dozentin und hat zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. zu den Themen Faschismus, Widerstand und Frauenbewegung herausgegeben.

Das Interview kann unter folgendem Link in vollem Umfang gehört werden: https://freiesradio-nms.de/2020/mit-mut-und-list/

NSU-Tribunal zur Urteilsbegründung: „Trio-These heute noch unhaltbarer als vor zwei Jahren“

geschrieben von Tribunal "NSU-Komplex auflösen"

22. April 2020

, ,

Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München hat am 21.04.2020 die schriftliche Urteilsbegründung im Strafverfahren gegen wenige Mitglieder des NSU in der Geschäftsstelle des Gerichts hinterlegt. Damit wurde die Frist von 93 Wochen seit der mündlichen Urteilssprechung am 11. Juli 2018 maximal ausgereizt. Ab heute gilt eine Frist von vier Wochen für die Revisionsbegründungen. Hier wird es darauf ankommen, dass vor allem das milde Urteil gegen André Eminger angefochten wird. Teresa Ramani, Pressesprecherin des Aktionsbündnisses ‚NSU-Komplex auflösen’, betont: „Unsere Gedanken sind heute besonders bei den Angehörigen der vom NSU ermordeten Menschen und den Opfern der Anschläge und Überfälle des NSU. Wir sind gespannt, ob ihre Perspektive in der Urteilsbegründung vorkommt.“ Schon in der mündlichen Urteilsverkündung hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die These vom NSU als „Trio“ vertreten. Der NSU soll demnach aus einer aus drei Personen bestehenden, isoliert agierenden Gruppe mit nur wenigen Unterstützer*innen bestanden haben. Alle Anträge der Opferfamilien Yozgat und Kubaşık, das Netzwerk der NSUUnterstützer*innen in Dortmund und Kassel aufzuklären, schmetterte das OLG ab. Bis heute fürchten Gamze und Elif Kubaşık, die Tochter und die Witwe des ermordeten Mehmet Kubaşık, seinen Mörder*innen in Dortmund zu begegnen. Der Quasi-Freispruch von Eminger kommt einer Amnestie für das „Netzwerk der Kameraden“ gleich, von dem der NSU in seinem Bekennervideo sprach. Nazis und Rassist*innen wurden ermuntert, weiterzumachen. Etwa ein Jahr nach der Urteilsverkündung erschossen Nazis im Juli 2019 den Politiker Walter Lübcke. Einer der mutmaßlichen Täter war schon 2006 in die polizeilichen Ermittlungen zum Mord an Halit Yozgat einbezogen. Im Oktober 2019 folgte der antisemitische Anschlag auf die voll besuchte jüdische Synagoge in Halle. Weil dieser misslang, erschoss der Täter zwei Menschen, darunter einen Besucher im Kiez-Döner. Am 19. Februar ermordete ein Rassist in Hanau neun Menschen. In Geist, Intention und teilweise in der Ausführung sind Parallelen zwischen den Morden an Walter Lübcke, denen von Halle, dem Massaker von Hanau und der Mordserie des NSU unübersehbar. Das geringe Strafmaß für Ralf Wohlleben und André Eminger sendete ein fatales Zeichen an die Betroffenen und an die Neonazi-Szene. Beide sind auf freiem Fuß und weiterhin aktive Neonazis.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass Wohlleben ein zentraler Unterstützer und Eminger wohl ein viertes Mitglied des Kerntrios des NSU war. Eminger erfuhr Milde, um das Konstrukt der „isolierten Gruppe“ weiter aufrecht zu erhalten. Dazu Teresa Ramani: „Oberstaatsanwalt Weingarten hat in seinem Plädoyer in München selbst ausgeführt, dass vieles dafür spricht, Eminger als viertes Mitglied des NSU anzusehen. Wir fordern, dass die Bundesanwaltschaft ihre Revision mit Blick auf André Eminger aufrecht erhält.“ In der mündlichen Urteilsverkündung wurde auch die Polizei von jeglicher Verantwortung freigesprochen und eine Erwähnung der Inlandsgeheimdienste vom Senat mit keinem Wort für nötig erachtet. Fast zwei Jahre nach der Urteilsverkündung wissen wir heute mehr über rassistische und neonazistische Strukturen in der Polizei. Wir wissen, dass Polizist*innen für Morddrohungen an der Rechtsanwältin der Familie Şimşek, Seda Başay-Yıldız, verantwortlich sind. Allein in Hessen stehen aktuell 38 Polizist*innen wegen neonazistischer Aktivitäten unter Verdacht. Wir wissen auch, dass der hessische Verfassungsschutz die Akten mit Bezug zum NSU mit unverhältnismäßig langen Sperrfristen versah. Teresa Ramani: „Die Sperrung der NSU-Akten erschwert die Ermittlungen zum Mord an Walter Lübcke und zu möglichen Verbindungslinien zum NSU. Wir fordern die unverzügliche Freigabe der Akten. Und wir fordern eine Enquete-Kommission zu rassistischen Strukturen in den Sicherheitsbehörden.“ Mehmet Daimagüler, Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, bewertet die Entwicklungen so: „Deutlich ist, dass der Staat ‚endlich’ ein Schlussstrich ziehen will, wobei dieses ‚endlich’ bereits Wochen nach der Selbstenttarnung deutlich spürbar war. Aus dem Verschweigen des Staates soll ein Schweigen der Gesellschaft werden. Wenn wir uns aber mit dem großen Verschweigen abfinden, dann sollten wir auch nicht überrascht sein, dass Nazis und Rassisten weiter drohen und morden, dass Menschen sterben und dass die Zustände nicht besser, sondern schlechter werden.“ Das nimmt das Aktionsbündnis ‚NSU-Komplexauflösen’ nicht hin und fordert: Kein Schlusstrich!

Das Tribunal ist ein Projekt des Aktionsbündnisses ‚NSU-Komplex auflösen’, einem Zusammenschluss aus Initiativen in ganz Deutschland, die solidarisch mit Betroffenen von Rechtsterrorismus sind. Mehr Informationen auf  www.nsu-tribunal.de.

Ältere Nachrichten · Neuere Nachrichten