Der Völkermord an den Sinti und Roma

geschrieben von Axel Holz

8. Dezember 2023

Charlie Chaplin und Marianne Rosenberg – sie waren Stars beim Film und in der Schlagerwelt. Über ihre Herkunft haben sie aber während ihrer Karriere nicht öffentlich gesprochen. Aus gutem Grund, denn die Vorurteile gegen über Sinti und Roma sind nach dem zweiten Weltkrieg auch in Deutschland nicht geringer geworden, sondern über Jahrzehnte erhalten geblieben. Sie reichen bis in die Neuzeit.

Dennoch hat sich etwas geändert. Das betrifft auch ein lange verschwiegenes Verbrechen – den Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nazis mit dem rassistisch motiviertem Ziel ihrer Auslöschung als ethnische Gruppe. Das Buch von Sebastian Lotto-Kusche zeichnet den langen Weg zur Anerkennung als Nazi-Opfer von 1949 bis 1990 nach. Das Buch schließt eine wichtige Lücke in der Opferforschung im Umgang mit einer lange vernachlässigten Opfergruppe der Nazis. Es erklärt den Paradigmenwechsel bei der Betrachtung der „NS-Zigeunerverfolgung“, wie sie lange hieß, von einem kriminalpräventiven hin zu einem genozidkritischen Denkstil.

Im Alltag nahm die Mehrheitsgesellschaft in der Bundesrepublik die überlebenden Sinti und Roma nur dann wahr, wenn sie mit ihnen im Konflikt war, insbesondere aufgrund der angespannten Wohn- und Versorgungssituation nach dem Krieg. Die Alliierten sorgten durch Anordnungen nach dem Krieg dafür, dass des überlebenden Sinti und Roma in den Kommunen Anspruch auf Versorgung hatten. Die Kommunen folgten dieser Order oft nur wiederwillig. Fast nahtlos nutzten die Polizeibehörden die sogenannten „Zigeunerakten“ aus der Nazizeit weiter und zementierten deren Diskriminierung. In Köln formulierte die Polizeidienstelle 1949, dass es sich beim überwiegenden Teil dieser Personen um „asoziale Elemente“ handele – eine Einschätzung, die mit der der Nazis konform ging. Am 25. Oktober 1949 nahm die Bundeszentrale zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens in München seine Arbeit auf und setzte die politische Sondererfassung der Minderheit bis in die 70er Jahre fort. Der kriminologische „Zigeuner“- und „Landfahrerdiskurs“ blieb in seinen rassistischen Annahmen unverändert und wurde nur begrifflich zur Ebene der „Landfahrer“ umgewidmet.

Beim Ringen um Anerkennung ihrer Entschädigungsansprüche, wofür Haftnachweise und der Nachweis der deutschen Staatsbürgerschaft erforderlich waren, wandten sich Sinti und Roma zunächst an das Internationale Rote Kreuz. Aber diese Ansprüche wurden von den deutschen Behörden oft abgewiesen, die von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nicht wieder hegestellt. In den 50er Jahren wurde der sogenannte „Zigeunerdiskurs“ weiter durch dieselben Akteure geprägt wie in der Nazizeit. Auch im Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche vom 23.07.1945 und im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kriech vom Oktober 1945 tauchte die Opfergruppe nicht auf. Selbst in der DDR hatten es Sinti und Roma nicht leicht. Von 30.000 anerkannten Opfern des Faschismus (OdF) waren nur 117 „Zigeuner“ und mussten besondere Anforderungen an ihre Lebensweise bezüglich Wohnung und Arbeitsplatz nachweisen, um diesen Status nicht zu verlieren.

Noch in den 60er Jahren griffen westdeutsche Forscher wie Hans-Joachim Döhring verbreitete Vorurteile auf und behauptete, „Zigeuner“ würden bei Entschädigungsanfragen  die Unwahrheit sagen und aggressiv auftreten. Auf die massiven sozialen Probleme der Sinti und Roma reagierten die Börden ignorant. Mit der verdienstvollen Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker änderte sich der Blick auf die Minderheit. Erst 1981 gelang auf Initiative von Herbert Wehner, Hans-Joachim Vogel und Gerhard Jahn die Errichtung eines Fonds im Umfang von 80 Millionen Euro für nichtjüdische Härtefälle unter den Naziopfern. Am 18.07.1981 folgte das lange geforderte Gespräch des Bundespräsidenten Carstens mit Romani Rose, gefolgt von einem Gespräch der Verbände der Sinti und Roma mit dem Bundeskanzler am 17.03.1982. Für dieses Gespräch war der Kanzler gebrieft worden, eine Veränderung des Pressetextes nicht zuzulassen, der die Verfolgung der Minderheit auf den Beginn des Machantritts der Nazis verlegen sollte. Eine Anerkennung als Minderheit sollte als unerfüllbar abgelehnt werden.

Ihrer fortlaufenden Diskriminierung begegneten Sinti und Roma 1983 mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, um Einsicht in die im Hamburger Staatsarchiv lagernden Landfahrerakten zu erhalten. Den langen Kampf um Anerkennung mussten Sinti- und Roma-Verbände mühsam selbst führen. Erst in den 80er Jahren setzte sich mit Detlef Peukert ein genozidorientierter Forschungsstil durch, der auch empirische Belege der Verfolgung und Vernichtung erbrachte. Viele halfen mit, diesem Bild Konturen zu verleihen, wie Götz Aly, Wolfgang Wippermann, Ulrich Herbert und der DDR-Forscher Reimar Gilsenbach. Im Historikerstreit der 80er Jahre um die Relativierung der Naziverbrechen geriet die Opfergruppe hinter den jüdischen Opfern erneut in den Schatten und wurde erst in den neunziger Jahren mit der Debatte um Denkmäler für einzelne Opfergruppen  gleichberechtigt anerkannt.

Gedenken in Schwerin zur Pogromnacht vom 9. November 1938

geschrieben von Axel Holz

1. November 2023

Am Donnerstag, den 9. November findet auf dem Schweriner Schlachtermarkt das traditionelle Gedenken an die Pogromnacht von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland statt. Veranstalter ist der Arbeitskreis „9. November 1938“. Das Gedenken erhält angesichts massiver antisemitischer Angriffe in diesem Jahr eine besondere Bedeutung.

Gedenken an das Novemberpogrom in Rostock

geschrieben von Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock

1. November 2023

Andacht mit anschließendem gemeinsamem Spaziergang zur Stele in der Augustenstraße 101
Freitag, 10. November 2023 von 9.30 bis 11.00 Uhr
Treffpunkt um 9.30 Uhr am ehemaligen jüdischen Friedhof im Lindenpark
10.00 Uhr Gedenken an der Stele in der Augustenstr. 101

Rostocks Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück und Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger rufen die Rostockerinnen und Rostocker auf, an den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 85. Jahrestages der Pogromnacht am 10. November teilzunehmen. Die Veranstaltung im Lindenpark, zu der das Max-Samuel-Haus/Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock und die Jüdische Gemeinde Rostock aufrufen, beginnt am 10. November um 9.30 Uhr mit einer Andacht auf dem Jüdischen Friedhof. Totengebete und Psalmen werden gesprochen. Danach folgt ein gemeinsamer Gang zur Gedenkstele am früheren Standort der Synagoge in der Augustenstraße. Dort findet um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Dabei soll auch an die in den Morgenstunden des 10. November 1938 in Brand gesetzte Synagoge erinnert werden. Schülerinnen und Schüler des Innerstädtischen Gymnasiums werden die Namen der Rostocker Opfer des Holocausts verlesen. „Zeigen Sie mit Ihrer Teilnahme, dass die Lehren aus dieser Zeit nichts von ihrer Aktualität für die heutige Demokratie verloren haben und sich dieses finstere Kapitel deutscher Geschichte niemals wiederholen darf“, appellieren die Bürgerschaftspräsidentin und die Oberbürgermeisterin an alle Rostockerinnen und Rostocker.

Die Geschichte des Holocaust

geschrieben von Axel Holz

21. Oktober 2023

Vor 50 Jahren erschien Raul Hilbergs Buch „Die Vernichtung der europäischen Juden“.  Der Fischer Verlag hat das Standardwerk 2023 erneut veröffentlicht.

Raul Hilberg entstammt einer jüdischen Wiener Familie, die vor den Nazis in die USA emigrieren musste. Als US-Soldat war er an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt. Seitdem hat ihn das Thema der Judenvernichtung durch die Nazis nicht mehr losgelassen. Er entdeckte in München die Kisten mit der Privatbibliothek Hitlers und befragte deutsche Soldaten im Auftrag der Alliierten. Im Politikstudium recherchierte er weiter an den Originalquellen zum Holocaust, der damals noch nicht so hieß und für den sich kaum jemand interessierte, nicht in den USA, nicht in Deutschland und häufig auch nicht unter den überlebenden Opfern.

Dokumentar des Grauens

Das Buch ist heute mehr als ein Standardwerk, sondern die „Gesamtgeschichte des Holocaust“, wie es in der ersten deutschen Ausgabe heißt. Das Buch, an dem Raul Hilberg ein halbes Leben gearbeitet hat, ist geblieben und auf 1.472 Seiten gewachsen. Es analysiert und ordnet mit Präzision ein, emotionslos und ohne moralische Bewertung. Es greift  auf Originalquellen zurück, von denen Hilberg viele neue Unterlagen entdeckte und bearbeitete. Es beschreibt den Mord an den europäischen Juden im Detail, das Vorgehen gegen die Juden durch die Nazis in den verschiedenen europäischen Ländern, aber auch den Widerstand von Helfern, Juden und Widerständlern. Es wird deutlich, wie perfide die Vernichtung der europäischen Juden organisiert wurde. Insbesondere in der Ukraine wurden die Juden durch eine Vereinbarung zwischen Wehrmacht und SS überrascht, die es ermöglichte, dass die Polizeitruppen unmittelbar nach der Einnahme der Städte und Dörfer durch die Wehrmacht zu tausenden vor Ort ermordet wurden. Manche Orte wurden bis zu fünfzehnmal durchsucht, um versteckte oder aus den Wäldern zurückgekehrte Juden aufzugreifen und zu ermorden. Raul Hilberg berichtet vom Antisemitismus in weiten Teilen von Europa, aber auch von der Hilfe durch Einheimische in Dänemark, Holland und Belgien bis nach Bialystok in Polen.

Werk der ganzen deutschen Gesellschaft

Der Massenmord an den Juden sei weder zentral geplant noch mittels eines eigenen Budgets finanziert worden, erläutert Hilberg-Biograf René Schlott. Dennoch sei die Vernichtungsmaschine nicht das Verbrechen weniger Täter, sondern das Werk der ganzen deutschen Gesellschaft. Hilsberg weist auf die Verwicklung der Führungseliten in Staat, Industrie und Wehrmacht hin. Er legt aber auch die Hingabe durchschnittlicher Bürokraten, Reichsbahner und Soldaten beim Vernichtungswerk offen. Viele teilten den Antisemitismus der Nazis, denunzierten Juden oder deren Helfer. Viele überhörten die Berichte über Morde und Massaker aus den KZs und von der Front. Die meisten wollten nach dem Krieg nichts davon gewusst haben. Hilberg beschreibt das System der Judenvernichtung detailliert von der Definition der als Juden Diskriminierten, über deren Erfassung, Konzentration durch Vertreibung, Gettoisierung und Zwangsarbeit bis zur Vernichtung in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, in Gräben durch Genickschüsse, durch medizinische Experimente und Verhungern.

Veröffentlichung lange verhindert

Für seine umfangreiche Promotion über den Judenmord fand Hilberg 1961 einen kaum bekannten Verlag in Chicago. Auch in Deutschland interessierten sich nun Verlage für das Buch. Doch ein Gutachter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte empfahl 1964, das Buch nicht in Deutschland zu veröffentlichen. Das Buch sei nicht umfassend genug und es gäbe anstehende Veröffentlichungen des eigenen Hauses. Zahlreiche Wissenschaftler glaubten, dass Deutsche einen nüchternen Blick auf das Thema hätten und Juden zu emotional urteilten. Als 1980 der Beck-Verlag erneut beim Institut für Zeitgeschichte wegen einer Veröffentlichung anfragte, hielt das Institut das Buch für veraltet. Es erschien erst 1982 im Kleinverlag Olle & Wolter, 1990 dann in großer Auflage bei  Fischer. Das Buch ist so wenig veraltet wie der Antisemitismus verschwunden ist. Es erscheint neu im richtigen Augenblick.

Zur Situation in Israel

geschrieben von VVN-BdA

10. Oktober 2023

Wir sind in tiefer Trauer über die vielen Toten der letzten Tage und die grauenhafte Gewalt, die diese Woche überschattet. 700 Frauen, Kinder und Männer wurden in ihren Wohnungen hingerichtet, entführt, vergewaltigt und durch die Straßen gezerrt. Wir verurteilen den Terror der islamistischen Hamas und den Antisemitismus, der sich in diesen Tagen – nicht nur im Nahen Osten – bahnbricht. Wer die Gewalttaten der letzten Tage „feiert“, sich über den Tod hunderter Menschen freut und ihn als „Befreiung“ tituliert, stellt dadurch seine Menschenverachtung zur Schau. Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in Israel und bei den palästinensischen Menschen im Gazastreifen, die bei Bombenangriffen getötet und verletzt wurden. Unsere Anteilnahme gilt auch jenen, deren Angehörige und Freund*innen sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.

Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vermeldete, mussten einige der Überlebenden von Buchenwald und Mittelbau-Dora mit ihren Familien Schutzräume aufsuchen und dort in Angst ausharren. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen.

Der vergangene Samstag waren ein schwarzer Tag war für alle, die sich im Nahen Osten für menschenwürdige und humanistische Lösungen und gegen religiösen Fanatismus einsetzen. Die demokratische Zivilbewegung in Israel und ihr Protest gegen den Demokratieabbau im eigenen Land dürfte vorerst an ihr Ende gekommen sein.

Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.

Eindrücke von der VVN-Fahrradgedenktour 2023

19. September 2023

Die Gedenktour vom 07.-10.09.20223 von Schwerin nach Oranienburg wurde durch die Ehrenamtsstiftung MV gefördert.

MdL Henning Förster eröffnet die Gedenktour am Platz der OdF in Schwerin

Andreas Sturm informiert über Gräber der Todesmarschteilnehmer auf dem Friedhof in Crivitz

Gedenkstele im Belower Wald beim Besuch der Gedenkstätte Belower Wald

Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen

Vor der Europawahl: Die extreme Rechte auf dem Vormarsch

geschrieben von Ulrich Schneider

11. August 2023

Mit Blick auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 müssen wir mit großer Sorge registrieren, dass sich extrem nationalistische, rassistische und offen faschistische Parteien in vielen europäischen Staaten auf dem Vormarsch befinden.
Schon bei der finnischen Parlamentswahl im April 2023 waren die extremen Rechten „Wahren Finnen“ mit 20 Prozent zweitstärkste Partei hinter der Nationalen Sammlungspartei des Ministerpräsidenten Petteri Orpo geworden. Seit dem 20. Juni sind sie Teil einer Vierer-Koalition und besetzen wichtige Ministerposten und Parlamentsfunktionen. Finnland erlebt gegenwärtig einen starken Rechtsruck. Zwar trat Ende Juni 2023 nach einem knapp überstandenen Misstrauensvotum im Parlament der Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila von den „Wahren Finnen“ nach nur zehn Tagen im Amt zurück, als rassistische Äußerungen Junnilas aus dem Jahr 2019 öffentlich wurden. Damals hatte er Abtreibungen in Afrika zur Bekämpfung der Klimakrise gefordert und an offen rassistischen Veranstaltungen teilgenommen. Da die Rechtsregierung jedoch die NATO-Aufnahme des Landes forciert und gleichzeitig die Militarisierung der EU unterstützt, war aus Brüssel – wie schon bei Meloni in Italien – keinerlei Kritik an dieser neuen Rechtsregierung zu hören.
Anders verhält es sich bei der polnischen PiS-Partei. Dort hat sich die Europäische Kommission deutlich gegen den reaktionären Staatsumbau positioniert. Während man in Brüssel hoffte, diese Kritik könnte den genehmen Kandidaten Tusk unterstützen, muss man aktuell feststellen, dass die PiS nur von einer Seite Konkurrenz erhält, nämlich durch die extrem rechte Partei Konfederacja. Diese liegt in Umfragen bei bis zu 14 Prozent. Bei den Parlamentswahlen im Herbst könnte die Partei zum Königsmacher werden. Ihr Spitzenkandidat Slawomir Mentzen (36 Jahre) präsentiert sich als junger Antipolitiker, seine Partei als Gegenentwurf zum Establishment. Während die PiS-Partei ihre reaktionäre Politik mit Sozialleistungen für die Schwächsten der Gesellschaft garniert, propagiert die Partei Konfederacja ein radikal marktliberales Programm, nach dem jeder Mensch für das eigene Schicksal verantwortlich ist, ohne Rücksichtnahme auf Arme und Schwache. Einfache, pauschale Steuersätze, das Ende teurer Sozialprogramme. Folgerichtig lehnt Konfederacia als einzige Partei in Polen die Aufnahme geflüchteter Ukrainer ab.
2019 erklärte Mentzen, die Konfederacja sei gegen „Juden, Homosexuelle, Abtreibungen, Steuern und die Europäische Union“. Ein anderer Parteivertreter erklärte: „Weder Deutsche noch Juden werden uns Geschichte beibringen. … Keine Perversen werden unsere Kinder erziehen und ihnen Toleranz beibringen. Und keine Eurokolchose der Volkskommissare wird uns erklären, wie wir unser eigenes Land führen sollen.“
Deutlichen Einfluss in Europa erwartet sich auch die Alternative für Deutschland (AfD), die auf ihrem jüngsten Parteitag die Kandidatenliste und das Wahlprogramm beschlossen hat. Da Demoskopen ihnen im Moment etwa 20% der Wählerstimmen vorhersagen, waren die Begehrlichkeiten groß. Als Spitzenkandidat gewählt wurde ein Vertreter, der bei den französischen Präsidentschaftswahlen nicht LePen, sondern Zemmour unterstützt hatte. Im Wahlprogramm wird der Umbau der Europäischen Union gefordert, wobei der rechte Frontmann Höcke davon sprach, dass die Europäische Union sterben müsse, damit ein Europa der Vaterländer leben könne.
Ein deutlicher Rechtsruck war auch bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien im Juli 2023 zu verzeichnen. Dass die postfranquistische Partido Popular (PP) stärkste Partei geworden ist, war schon vor dem Wahltermin angenommen worden. Für eine absolute Mehrheit reicht es jedoch nicht, die PP ist auf Unterstützer angewiesen, insbesondere die extrem rechte Vox, mit der die PP bereits in mehreren Regionalparlamenten Spaniens, wie Valencia, regiert. Zwar konnte auch VOX Stimmen gewinnen, jedoch weniger als erhofft. Das politische Programm von VOX ist eine Sammlung von extrem rechten Versatzstücken. Natürlich wendet man sich gegen jegliche Migration, außerdem leugnen die extremen Rechten den Klimawandel, verfolgen eine antifeministische Agenda und streben eine strikte Zentralisierung an. Dafür wollen sie den autonomen Gebieten in Spanien ihre Rechte entziehen.
Zwar dürfte die sozialdemokratische PSOE weiterhin die Regierung stellen, aber der Einfluss der offenen Rechten ist auch in Spanien gewachsen.
Die FIR verfolgt diese politische Entwicklung in den verschiedenen europäischen Ländern mit großer Sorge. Nur wenn es gelingt, eine breite gesellschaftliche Gegenbewegung mit Gewerkschaften und Sozialverbänden zu schaffen, können wir der drohenden Rechtsentwicklung in Europa Einhalt gebieten.

Ankündigung der VVN-Gedenkfahrradtour 2023

geschrieben von Axel Holz

28. Juli 2023

Die VVN-Gruppe Schwerin führt vom 7. bis 10. September 2023 ihre 13. Aktionsfahrradtour von Schwerin nach Oranienburg zu Gedenkstätte Sachsenhausen durch. Zwischenstationen sind Crivitz und Parchim, wo ein Dokumentarfilm über den Todesmarsch gezeigt und übernachtet wird. Es geht mit Übernachtung in Wittstock weiter zur Gedenkstätte Belower Wald und schließlich mit Station in Neuruppin zu einer Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Die Fahrradtour wird durch ein Begleitfahrzeug unterstützt. Die Rückfahrt erfolgt individuell. Die Selbstbeteiligung der Teilnehmenden beträgt 40 Euro je Übernachtung mit Frühstück.

Die Gedenkfahrradtour wird von der Ehrenamtsstiftung MV gefördert. Interessierte melden sich bitte bei Axel Holz: axelholz@msn.com

Opferverband kritisiert beschlossenen Text der Gedenkplakette am Wismarer Rathaus

geschrieben von VVN-BdA MV e.V.

25. Juni 2023

Presseinformation

Mit Sorge und Entsetzen nehmen wir zur Kenntnis, dass offenbar die Mehrheit der Mitglieder des Wismarer Bürgerschaft nicht an einem adäquaten Gedenken an die Opfer der des NS-Regimes gelegen ist.

Der Beschluss über den von der CDU-Fraktion eingebrachten und schließlich beschlossenen Text – Gedenktafel am Wismarer Rathaus – relativiert unumwunden die Verbrechen der Nationalsozialisten, darunter den millionenfachen Mord an jüdischen Menschen und an vielen anderen Opfergruppen.

Mit der Gleichsetzung der Nazi-Verbrechen mit den Verbrechen anderer Diktaturen wird nicht nur die deutsche Schuld sondern auch der Charakter des Nazi-Regimes, des Holocaust in Europa und des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nazis relativiert. Für das Gedenken an die Opfer anderer Diktaturen sollten auch andere Formen des Gedenkens gefunden werden.

Dies ist besonders fatal, weil in der Bundesrepublik Deutschland das Gedenken an die Opfer der Faschismus über Jahrzehnte unterblieb oder einseitig erfolgte, die Verfolgung der Nazi-Verbrechen lange behindert, zahlreiche Opfergruppen viele Jahre lang nicht anerkannt oder erneut diskriminiert wurden und die Einzigartigkeit der industriellen Vernichtung der europäischen jüdischen Bevölkerung und des Vernichtungskrieges der Nazis lange relativiert wurden.

Es ist bezeichnend, dass Bundespräsident von Weizsäcker erst über vierzig Jahre nach Kriegsende von der Befreiung vom Nazismus sprechen konnte, nur wenige Jahre zuvor die Verbrechen der Wehrmacht mit dem Märchen vom Präventivkrieg im Historikerstreit, von der deutschen Regierung unwidersprochen, relativiert wurden und der Charakter der Nazi-Herrschaft und des Nazi-Krieges in Frage gestellt wurden.

Diese Unkultur der Relativierung der Nazi-Verbrechen wird nun mit der gewählten Formulierung einer Gedenktafel in Wismar bedauerlicherweise fortgesetzt. Dieser Beschluss der Bürgerschaft sollte zurückgenommen und korrigiert werden. Nicht erwähnt wird zudem die Mitverantwortung demokratischer Parteien, wie der des katholischen Zentrums, für die Machtübertragung an die Nazis.

Gerade hieraus ergibt sich heute die besondere historische Verantwortung der demokratischen Parteien für die Verteidigung der Demokratie gegen jeglichen Nationalismus und Rassismus sowie gegen die Versuche der heutigen Feinde der Demokratie, die Demokratie verächtlich zu machen. Das sollte die Botschaft einer solchen Gedenktafel für die Gegenwart und Zukunft sein.

Vor 90 Jahren starb Clara Zetkin

geschrieben von FIR

23. Juni 2023

Die FIR erinnert diesmal an eine bedeutende Vertreterin der deutschen Arbeiterbewegung, die vor 100 Jahren zum ersten Mal eine umfassende Analyse der faschistischen Bedrohung vorgelegt hat und die zehn Jahre später, nachdem sie die Machtübertragung an den Hitler-Faschismus in Deutschlande erleben musste, am 20. Juni 1933 starb. Noch im August 1932 war sie trotz einer Erkrankung nach Berlin gereist, um als Alterspräsidentin den Deutschen Reichstag zu eröffnen. Sie hielt eine flammende Rede gegen den Faschismus und seine Hintermänner. „Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und Macht ihrer Organisation zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Von dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten.“
Dieser Appell für eine Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr entsprach ihrer Haltung, die sie schon am 20. Juni 1923 in ihrem politischen Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale unter der Überschrift „Der Kampf gegen den Faschismus“ politisch begründet hatte.

Clara Josephine Zetkin, geborene Eißner (* 5. Juli 1857; † 20. Juni 1933) war eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Arbeiterbewegung. Schon zu Zeiten des Sozialistengesetzes (1878) wurde sie Mitglied der SPD, 1917 schloss sie sich der USPD und später der Spartakusgruppe an, und gehörte zu den Gründerinnen der KPD. Aufgrund ihrer großen Popularität war Zetkin von 1920 bis 1933 Reichstagsabgeordnete für die KPD.
Sie war eine engagierte Frauenrechtlerin, die die Gleichberechtigung der Geschlechter mit der sozialistischen Revolution verband. Sie trat entschieden für die Einbeziehung der Frauen in den Klassenkampf ein und kritisierte die Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung allein nach Frauenwahlrecht, freier Berufswahl und besonderen Arbeitsschutzgesetzen für Frauen, da die bürgerlichen Frauen diese im Rahmen des herrschenden Systems umsetzen wollten. Auf internationaler Ebene nahm Zetkin 1889 am Internationalen Arbeiterkongress in Paris und der Gründung der Zweiten Internationale teil. Sie setzte sich beim „Internationalen Sozialistenkongress“ 1907 in Stuttgart für einen Internationalen Frauentag ein.
Als Angehörige der Leitung der KPD war sie von 1921 bis 1933 Mitglied im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI). In diesem Rahmen analysierte sie vor 100 Jahren zum ersten Mal die faschistische Gefahr durch die Machteinsetzung Mussolinis in Italien und das Auftreten vergleichbarer politischer Bewegungen in verschiedenen europäischen Staaten. Noch hatte man nur wenige Erfahrungen mit dem Faschismus an der Macht, daher bezog sich Clara Zetkin vor allem auf den italienischen Faschismus. Sie betonte insbesondere dessen soziale Dimension, auf die die Arbeiterbewegung reagieren müsse: „Wir müssen uns bewusst bleiben, dass … der Faschismus eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten ist. Wir müssen danach trachten, dass wir die sozialen Schichten, die jetzt dem Faschismus verfallen, entweder unserem Kampfe eingliedern oder sie zum mindesten für den Kampf neutralisieren. Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren … Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden.“
Clara Zetkin verstand also antifaschistische Handlungsorientierung als politisches Einwirken auf jene gesellschaftlichen Kräfte, die entweder durch die Politik des Faschismus in Mitleidenschaft gezogen werden oder aber der faschistischen Ideologie zu verfallen drohen. Die einen gilt es als Mitstreiter zu gewinnen, die anderen zu neutralisieren, damit sie sich nicht als „Landsknechte“ der Herrschenden missbrauchen lassen. Es ging schon damals darum, auf der einen Seite die Kampffront gegen die faschistische Bedrohung zu erweitern, indem die Interessen und Bedarfslagen auch nicht-proletarischer Gruppen aufgenommen wurden, auf der anderen Seite die faschistische Propaganda und Mobilisierung zu behindern, so dass sie nicht in der Lage ist, verunsicherte Teile der Gesellschaft auf ihre Seite zu ziehen.
1923 forderte Clara Zetkin in einer Rede vor Betriebsräten: „Männer und Frauen aller Berufe, aller politischen und gewerkschaftlichen Richtungen, aller sozialen und religiösen Bekenntnisse, vereinigt euch zum Kampf gegen Faschismus und Kriegsgefahr!“
Diese Forderung ist auch 100 Jahre später noch immer sehr aktuell!

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