Vor 80 Jahren: Antifaschistischer Widerstand für die Rettung jüdischer Menschen

geschrieben von Ulrich Schneider

21. April 2023

Zwei herausragende Ereignisse vor 80 Jahren machen deutlich, dass der antifaschistische Widerstand in Europa in vielfältiger Form auch ein Versuch der Rettung jüdischer Menschen vor der Vernichtungspolitik des NS-Regimes war.
Das erste Beispiel betrifft eine Rettungsaktion belgischer Partisanen, die mit ihrem militärischen Eingreifen bewusst einen Deportationszug attackierten. Am 19. April 1943 startete der 20. Deportationszug von Mechelen nach Auschwitz. Es war der erste Transport aus Belgien, der mit Güterwagen durchgeführt wurde. Die kleinen Fensteröffnungen der Güter- und Viehwaggons wurden mit Holzlatten zugenagelt. In diesem Transport befanden sich 1631 Menschen, vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma aus dem französischen Département Pas-de-Calais. Youra Livchitz, Robert Maistriau und Jean Franklemon stoppten den Zug. Beim erzwungenen Halt auf offener Strecke nahe Boortmeerbeek verhalfen sie 231 Menschen zur Flucht, obwohl der Transport von bewaffneten Wachmannschaften begleitet wurde. Die drei Befreier wurden später von der Gestapo verhaftet, zwei überlebten das NS-Lagersystem.
1995 wurde am Bahnhof von Boortmeerbeek eine Gedenkstätte für die Deportierten und die Helfer errichtet. Auch 2023 erinnerte die belgische Auschwitz-Stiftung an diesen Rettungswiderstand.

Das zweite bedeutende Beispiel war der Aufstand im Warschauer Ghetto vom April 1943. Im November 1940 wurde in Warschau das Ghetto eingerichtet, in dem auf engstem Raum mehr als 380.000 Menschen zusammengepfercht waren. Da das Wohngebiet mitten in Warschau lag, konnte es nie komplett abgeriegelt werden. Schmuggel von Lebensmitteln, die Rettung von Menschen und einzelne Kontakte nach draußen waren die ganze Zeit möglich. Den Menschen war aber bewusst, dass das Ghetto die Vorstufe zur Vernichtung sein sollte und sie bereiteten sich auf Widerstand vor. Am 18. Januar 1943 zeigte sich dieser zum ersten Mal, als die jüdische Kampforganisation (ŻOB) mit Waffengewalt versuchte die Deportationen durch die NS-Besatzer zu stoppen. Dennoch setzte die SS bis zum 21. Januar die Deportation von insgesamt 5.000 Menschen durch, über 1.000 Menschen wurden im Ghetto getötet. Durch den Widerstand überrascht, brachen die NS-Besatzer die Räumung des Ghettos vorerst ab.
Im April 1943 befahl Heinrich Himmler die Auflösung des Ghettos. Am Morgen des 19. April, kurz vor Beginn des Pessach-Festes, marschierten Einheiten der SS in das Ghetto ein. Die jüdischen Widerstandskämpfer wehrten sich mit selbst gebauten Granaten und anderen Waffen. Am ersten Tag wurden die überraschten Deutschen bis zur Ghettomauer zurückgedrängt. Am dritten Tag des Aufstands begann die SS, das Ghetto systematisch niederzubrennen, Bunker und Gebäude zu sprengen, um den Widerstand zu brechen. Obwohl die wenigen 100 Kämpferinnen und Kämpfer den deutschen Truppen klar unterlegen waren, hielt die Bevölkerung des Ghettos den Widerstand beinahe vier Wochen lang aufrecht.
In einem ZOB-Aufruf vom 23. April 1943 an die polnische Bevölkerung Polen und die Weltöffentlichkeit heißt es: „Der Kampf geht um unsere und eure Freiheit, um unsere und eure menschliche, soziale, nationale Ehre und Würde. Wir rächen die Verbrechen von Auschwitz, Treblinka, Belzec und Majdanek. Es lebe die Waffen- und Blutsbrüderschaft des kämpfenden Polens! Tod den Henkern und Henkersknechten! Es lebe der Kampf auf Leben und Tod gegen den Okkupanten! Die Jüdische Kampforganisation.“
Der Übermacht der SS waren die Kämpfer auf die Dauer nicht gewachsen. Auch weil ihnen die Kämpfer der polnischen „Heimatarmee“ nicht zu Hilfe eilen konnten.
Am 16. Mai zerstörte die SS als letzte symbolische Aktion die große Synagoge im Ghetto. Leiter dieses Einsatzes von SS, Polizeieinheiten und Wehrmacht war der SS-Brigadeführer Jürgen Stroop, der das Verbrechen unter der Überschrift dokumentierte „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“
Bis zu diesem Tag waren über 56.000 Menschen von SS- und Polizeieinheiten getötet oder in Vernichtungslager transportiert worden.
Wenigen Kämpfern der ZOB wie Marek Edelman gelang die Flucht. Sie tauchten unter oder schlossen sich polnischen Partisanen an.

Die FIR erinnert an dieses Verbrechen, aber auch daran, dass es in allen europäischen Ländern Frauen und Männer im jüdischen Widerstand gab, die sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“ der Vernichtungspolitik ergaben. Sie sind ein bedeutender Teil unserer gemeinsamen antifaschistischen Tradition.

Erfolgreiche Nordkonferenz der VVN-BdA

geschrieben von Axel Holz

5. März 2023

Florian Gutsche und Frank Hornschu

Am 4. März hat im Wohn- und Ferienheim Heideruh die 28. Nordkonferenz der VVN-BdA teilgenommen. Lucius Teidelbaum aus Tübingen hatte mit einem Impulsvortag in das Thema „Extreme Rechte nach dem Wutwinter “ in das Thema eingeführt, dass dann im Podium mit dem Vorsitzenden der VVN-BdA, Florian Gutsche, und dem DGB-Regionalgeschäftsführer in Kiel, Frank Hornschu, mit dem Publikum aus fünf Landesverbänden der VVN-BdA und zahlreichen Gewerkschaftern kritisch diskutiert wurde.

Hintergrund ist die die Situation bei der Mobilisierung der Menschen für Frieden, soziale Gerechtigkeit und andere emanzipatorische gesellschaftliche Themen, die zunehmend auch von rechts besetzt werden und nicht selten von Rechtsextremen gekapert oder unterwandert werden. „Die Tür nach rechts bleibt zu“ ist die angemessene Forderung in der verantwortungsbewussten politischen Landschaft. 

Aber Wen oder Was betrifft die Abgrenzung, nach welchen Kriterien wollen wir uns angrenzen und wie gelingt es, dabei aktionsfähig zu sein bzw. zu bleiben?  Wer darf beim Protest für den Frieden und für den Krieg mitmachen, wen w wollen wir bei emanzipatorischen Themen, wie Gerechtigkeit, Klimaschutz und Solidarität dabeihaben bzw. wen nicht? Wie weit darf die Bündnisfähigkeit für Frieden und Gerechtigkeit gehen? Die rechte Massenmobiliserung der letzten Monate mit Corona-Leugnern gegen Corona-Maßnahmen, gegen Krieg und neuerdings wieder gegen Asylunterkünfte  zeigt, dass  rechte Brandschifter u.a. mit Hilfe des geschickten Einsatzes sozialer Medien und durch Ausnutzung von Zukunfts-Unsicherheit und Ängsten Massen für  historisch linke Themen wie Frieden, die Ablehnung der Hochrüstung und den Missbrauch emanzipatorischer Ideen, wie die Beteiligung der Menschen an politischen Prozessen, und selbst den antifaschistischen Ansatz linker Kräfte zu missbrauchen. Im Internet kursiert etwa ein Statement, dass von einer faschistischen Corona-Diktatur spricht und sich dabei auf Umberto Ecos Definition des Urfaschismus stützt, nur eins von vielen Beispielen der rechten Vereinnahmung. Gerade die jüngste bisher größte Friedensdemonstration der letzten Jahrzehnte in Berlin zeigt, dass Abgrenzung gegen Rassisten, Reichsbürger, Antisemiten, Flüchtlingsfeinde und Sexisten dringend notwendig ist, denn wie soll man gemeinsam für ein Grundrecht auf friedliches Zusammenleben kämpfen, wenn Teile der mobilisierten Menge andere Grundrechte mit Füßen treten oder sogar abschaffen wollen. Hier müssen die Gefahren und die Gefährder für die demokratischen Diskurs und die demokratische Aktion immer wieder konkret untersucht und klar beim mitunter wechselnden Namen benannt werden.  Ohne eine solches konkretes Bekenntnis und eine solche konkrete Abgrenzung wird emanzipatorisches Handeln verwässert und schließlich von den Emanzipationsfeinden vereinnahmt werden.

Vor 90 Jahren: Die Berliner Reichstagsbrand-Provokation

geschrieben von FIR

3. März 2023

Ein zentrales Ereignis zur Etablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland war die Inszenierung des Reichstagsbrandes in Berlin. Am Abend des 27. Februar 1933 brannte das Gebäude des deutschen Parlaments.
Schon die bekannte Chronologie der Ereignisse macht deutlich, welche Inszenierung und Intention hinter dem Ereignis stand. Kurz nach 21:00 h wurde der Brand im Gebäude gemeldet. Knapp 10 Minuten später erreichte der erste Feuerwehrzug das Gebäude. Bereits fünf Minuten später wurde der Niederländer Marinus van der Lubbe als angeblicher Brandstifter im Reichstagsgebäude verhaftet und Hermann Göring, und wenig später Hitler und Goebbels waren vor Ort. Noch während die Feuerwehr versuchte, den Brand zu löschen, verkündeten Göring und Hitler, dieser Brand sei ein „kommunistisches Fanal“ zum Aufstand und van der Lubbe habe den Brand „im Auftrag der Kommunisten“ gelegt.
Nachdem der Chef der politischen Polizei am Nachmittag des Tages alle Polizeidienststellen angewiesen hatte, wegen angeblich bevorstehender Überfälle anlässlich der Reichstagswahl kommunistische Funktionäre zu verhaften, begannen in der Nacht zum 28. Februar 1933 weitere Massenverhaftungen basierend auf den seit November 1932 aktualisierten Verhaftungslisten. Am folgenden Tag wurde ein Verbot der Presse von KPD und SPD für 14 Tage ausgesprochen.

Dass die Behauptung eines „kommunistischen Fanals“ von Anfang an unglaubwürdig war, erkannten selbst ausländische Berichterstatter, von denen einer schon am Abend des 27. Februar an die „Wiener Allgemeinen Zeitung“ kabelte, es sei unzweifelhaft, dass das Feuer „von Söldnern der Hitlerregierung entfacht worden“ sei. Ungeachtet dessen verabschiedete das Kabinett am 28. Februar eine „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“), die dann vom Reichspräsidenten erlassen wurde, mit der grundlegende Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt wurden. In der Verordnung heißt es: „Es sind … Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.“
Hitler bezeichnete den Brand als ein „von Gott gegebenes Zeichen“, um die Kommunisten „mit eiserner Faust zu vernichten“. Die Nazis eröffneten einen Terrorfeldzug größten Ausmaßes und verhafteten noch in der Brandnacht rund 12.000 Mitglieder der KPD und der SPD, ferner parteilose Demokraten.
Die FIR-Mitgliedsorganisation „Kinder des Widerstands“ erinnert in einer Erklärung daran, dass sich unter den Verhafteten auch Eltern und Großeltern ihrer Mitglieder befanden. Wir erinnern „an die Provokation vor 90 Jahren, um vor Wiederholungen eines Aufstiegs von Faschisten zu warnen, erneut die Lehren aus jener Zeit zu ziehen und nie die Mahnung des Widerstandes zu vergessen, die Peter Gingold, Widerstandskämpfer und unermüdlicher Mahner uns hinterließ: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Gegner der Nazis ihren Streit untereinander zurückgestellt und gemeinsam gehandelt hätten.“

Das NS-Regime wollte den Reichstagsbrand für ihre Propaganda nutzen, als Georgi Dimitroff, der sich als Vertreter der Kommunistischen Internationale in Deutschland aufhielt, mit weiteren Kommunisten verhaftet und in einem Prozess vor dem Reichsgericht angeklagt wurde. Bevor der Prozess überhaupt startete, hatten Antifaschisten im französischen Exil mit eigenen Ermittlungen über den Brandhergang und der Zusammenstellung weiterer Dokumente im „Braunbuch – Über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ bereits die faschistische Propagandalüge entlarvt und die direkte Tatbeteiligung der SA an dieser Brandstiftung nachweisen können. Nicht zuletzt durch das heroische Auftreten von Georgi Dimitroff im Leipziger Prozess scheiterte die Anklage und die vier angeklagten Kommunisten mussten freigesprochen werden.

Ende der 1950er Jahre im Kalten Krieg versuchte ein Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz gemeinsam mit dem Magazin „Spiegel“, in geschichtsrevisionistischer Manier die SA und ihre Hintermänner von der Verantwortung für die Brandstiftung freizusprechen, indem er äußerst windige, aber medial aufbereitete Thesen über die Alleintäterschaft von Marinus van der Lubbe aufstellte. Es ist antifaschistischen Historikern zu verdanken, dass diese Behauptung heute keine Aufmerksamkeit mehr erhält.

Ein großartiger antifaschistischer Dramatiker und Schriftsteller: Bertolt Brecht

geschrieben von Ullrich Schneider

13. Februar 2023

Vor 125 Jahren, am 10. Februar 1898, wurde der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht in Augsburg geboren. Schon als Schüler unternimmt er erste literarische Versuche.
Anders als viele seiner Generation will er nicht begeistert in den Ersten Weltkrieg ziehen. Nach Notabitur schreibt er sich für ein Medizinstudium ein, um dem Fronteinsatz zu entgehen. Dennoch wird er im Herbst 1918 noch als Lazarettsoldat eingezogen. In der Novemberrevolution 1918 wird er Mitglied des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates.
1922 wird in München sein erstes Theaterstück aufgeführt, er experimentiert mit Lehrstücken und dem Ansatz eines epischen Theaters. Sein tatsächlicher Durchbruch erfolgt jedoch erst 1928 in Berlin mit einer scheinbaren Unterhaltungsrevue „Die Dreigroschenoper“. Zwei Jahre später folgt die Opfer „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony“.  
Dabei hat er sich immer als politischer Schriftsteller verstanden, wie seine Werke „Mutter Courage und ihre Kinder“, ein Anti-Kriegsstück mit Bezug auf den Dreißigjährigen Krieg, oder „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, eine Anklage der kapitalistische Ausbeutung in der US-Fleischindustrie und deren Krisenprofiteure.
Er schrieb aber nicht nur für die Bühne, sondern auch für den Alltagsgebrauch. Dabei umfassten seine literarischen Formen die ganze Bandbreite von Erzählung und Kurzprosa, Sinnsprüche, Lyrik in den verschiedenen Formen bis hin zur Dramatik.
Sein erster Gedichtband „Hauspostille“ erneuerte beispielsweise die Balladendichtung. In der Sammlung „Svendborger Gedichte“, entstanden im dänischen Exil, erweitert er diese zu Erzählgedichten. Er schrieb aber auch Gelegenheitsdichtung, Protest- und Kampflieder. Seine „Kalendergeschichten“, besonders die Erzählung „Der Augsburger Kreidekreis“ und die späteren „Geschichten vom Herrn Keuner“ fanden breite Veröffentlichung, nicht nur unter dem bürgerlichen Lesepublikum. Brecht sah als Adressanten seiner literarischen Arbeit den interessierten Arbeiter, der durch die Auseinandersetzung mit Literatur seine Welt und ihre Veränderbarkeit besser erkennt. Exemplarisch zeigt sich dies an dem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“, das er 1935 im Exil in Dänemark schrieb. Gedruckt wurde es erstmals 1936 in der Zeitschrift Das Wort in Moskau.
Als Nazigegner ging Brecht früh ins Exil. Am Tag nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verlässt er mit seiner Familie Deutschland und begibt sich über Prag nach Wien, in die Schweiz und schließlich nach Dänemark. Im Exil entstehen viele Stücke, die dem antifaschistischen Kampf gewidmet sind. In Paris entstanden das Episoden-Werk „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, das die Etablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland zu erklären versucht, und das Drama „Die Gewehre der Frau Carrar“ als Zeichen der Solidarität mit dem Kampf der Spanischen Republik gegen den Franco-Putsch. Der jüdische Kommunist Peter Gingold, der mit seiner Familie nach Paris geflohen war, berichtet in seinen Erinnerungen über die Proben zu diesem Stück, die komplizierten Arbeitsbedingungen, aber auch den großen Erfolg.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Dänemark und Norwegen flieht Brecht nach Finnland, wo das Parabelstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ entsteht. 1941 gelingt ihm die Emigration in die USA, wo er im „Council for a Democratic Germany“ mitarbeitet.
Als er sich 1945 kritisch zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki äußert, gerät er in das Visier der McCarthy-Verfolger. 1947 wird er vor das „Komitee für unamerikanische Tätigkeiten“ vorgeladen. Nach dem Verhör verlässt er die USA in Richtung Schweiz, von wo aus er nach Ost-Berlin übersiedelt. Dort übernahm er am Theater am Schiffbauerdamm sein eigenes Ensemble und setzte seine ungemein produktive Theaterarbeit fort.
Er starb als bedeutendster deutscher Dramatiker des 20. Jahrhunderts am 14. August 1956 in Berlin/DDR. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und Prominenz aus Politik und Kultur wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben.
Auch über seinen Tod hinaus blieb er ein Feindbild der „Ewiggestrigen“. Vor denen warnte Brecht bereits 1941 in seinem Stück „Der Aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, eine dauerhafte Lehre für alle Antifaschisten

„So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Bertolt Brecht

Der 30. Januar 1933

geschrieben von VVN-BdA

26. Januar 2023

Datum und Ereignis sind bekannt: Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. Die Interpretation dieses Ereignisses ist jedoch bis heute umstritten. Die einen nennen es Machtergreifung. Damit wird ausgedrückt, dass die Weimarer Demokratie dieses Ereignis nicht verhindern konnte; es sei „schicksalhaft“ gewesen.
Die anderen nennen es Machtübernahme. Dies ist der Versuch, den Akt der Ernennung eines Faschisten und erklärten Gegners der Weimarer Republik einigermaßen neutral zu beschreiben; Hitler übernahm die Macht, die Reichspräsident Paul von Hindenburg ihm übergab.
Wir nennen es Machtübertragung. Damit soll beschrieben werden, es handelte sich um einen bewusst herbeigeführten Akt. Denn es bedurfte einer Reihe von Vorgesprächen, Verhandlungen und großer Überzeugungskunst, diesen Akt zu vollziehen. Die NSDAP verfügte nicht über eine Mehrheit im Reichstag (bei der Reichstagswahl im November 1932 hatte die NSDAP 33,1 % der Stimmen erhalten). Damit beschreiben wir auch, die Einsetzung Adolf Hitlers als Reichskanzler war mehr als ein „normaler“, formaler demokratischer Akt. Die Ernennung zum Reichskanzler wurde von maßgeblichen Parteien des Weimarer Parlaments geduldet oder gefördert, seine Ernennung wurde aus Kreisen des deutschen Militärs sowie von einflussreichen Vertretern der Wirtschaft geduldet, gefordert oder gar gefördert.
Was bedeutet dieses Datum für Demokraten, Antifaschisten und unsere Organisation? Für die Vertreter der liberalen und bürgerlichen Demokratie bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler die Bankrotterklärung der gerade mal vierzehnjährigen Demokratie der Weimarer Republik. Die repräsentative parlamentarische Demokratie war auch an ihren eigenen Maßstäben und Regeln gescheitert. Für die parlamentarischen Vertreter der Arbeiterbewegung, also SPD und KPD und die Gewerkschaften, bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler das Eingeständnis ihrer Niederlage gegenüber ihrem erklärten und tatsächlichen Hauptfeind, dem deutschen Faschismus. Die Erkenntnis, dass die Machtübertragung an Adolf Hitler auch der Zerstrittenheit und Uneinigkeit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Arbeiterbewegung geschuldet war, wuchs mit der Stabilisierung der Macht der Nazis; sie entstand in den Zuchthäusern, Konzentrationslagern, im Widerstand und im Exil.
Für unsere Organisation, VVN – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, bedeutet die Machtübertragung an Adolf Hitler so etwas wie eine Geburtsurkunde. Kein Antifaschismus ohne Faschismus, keine Opfer ohne Täter, keine Verfolgten ohne Verfolger. Mit welcher Brutalität die Nazis ihre Gegner vernichten und ihre erklärten Ziele mit Terror durchsetzen würden, haben viele Verfechter der Weimarer Demokratie nicht geglaubt. Das reichte von der Einschätzung, man möge die Nazis mal regieren lassen, dann würden sie sich selbst abwirtschaften, über den Versuch, durch Annäherung an die Position der Nazis Schlimmeres zu verhindern, bis dahin, die Arbeiterbewegung würde des braunen Mobs schon Herr werden. Auch wurde der Masseneinfluss der Nazis und ihrer Organisationen unterschätzt. Die Arbeiterbewegung setzte darauf, ihre guten Argumente werden die Menschen überzeugen und von den Nazis abbringen. Die KPD setzte auf ihre Mobilisierungsfähigkeit gegen die Nazis. Die bürgerlichen Parteien vertrauten auf die Macht des Wahlzettels. Es kam anders. Keine 48 Stunden feierten die Nazis und demonstrierten ihre erworbene Macht durch Fahnenmeere und Aufmärsche, mit markanten Reden und triumphierenden Artikeln in den einschlägigen Zeitungen. Dann begann der Terror, der im faschistischen Expansionskrieg und der millionenfachen Ermordung von Menschen, überwiegend Jüdinnen und Juden, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mündete, also Auschwitz hervorbrachte.

Am 27. Januar der Opfer der nazistischen Barbarei zu gedenken, heißt daher auch, den 30. Januar 1933 mitdenken. Über Terror und Verbrechen des NS-Regimes zu berichten, ihn in Erinnerung zu behalten, vor den Gefahren zu mahnen und zu warnen, die Täter und Mitläufer zu benennen, der Opfer zu gedenken und die Frauen und Männer des Widerstandes zu ehren, dazu gibt es genügend Anlässe in diesem Jahr. Es steht uns gut an, sich der Lehren zu erinnern, die Verfolgte, der Widerstand und die Anti-Hitler Koalition spätestens ab 1945 gezogen haben. Dazu zählen:
• Den Charakter des Faschismus an der Macht und die Bedingungen seiner Entstehung klar zu benennen und ihn nie wieder zu unterschätzen.
• Die Einheit der Arbeiterbewegung herzustellen und die Zusammenarbeit neuer emanzipatorischer Bewegungen zur Verteidigung der Demokratie zu organisieren.
• Das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit auszubauen und zu stärken.
• Demokratie als antifaschistisch und friedliebend zu verstehen, statt Aufrüstung und einen starken Staat
zu beschwören.

Abschließend bleibt, die Mahnung eines Zeitzeugen zu zitieren:
„1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir diese Erfahrung … Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“ Peter Gingold, Paris – Boulevard St. Martin No. 11, Köln, 2009, S. 28f.

Ankündigung der 13. Gedenk-Fahrradtour von Schwerin nach Sachsenhausen vom 7. bis 10. September 2023

5. Januar 2023

Vom 7. bis 10. September 2023 führt die VVN-BdA Schwerin-Westmecklenburg ihre 13. Gedenkfahrradtour auf der Todesmarschstrecke von Schwerin zur Gedenkstätte Sachsenhausen durch. Zwischenstationen sind der Gedenkort für die Opfer des Faschismus in Crivitz und die Gedenkstätte Belower Wald. Unterwegs gibt es Gespräche mit kommunalen Vertretern in Orten, die auf der Todesmarschstrecke liegen. Die Fahrradtour beginnt am 7. September um 11.30 Uhr am Grunthalplatz, dem Gedenkort für die Lehrerin Marianne Grunthal am Bahnhof Schwerin, die am Tag der Befreiung von den Nazis dort erhängt wurde. Die Fahrradtour endet am 10. September nach einem Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen gegen 14 Uhr. Für die Anreise empfehlen wir die Zugfahrt bis zum Hauptbahnhof Schwerin, für die Abreise den Bahnhof Oranienburg.

Die Teilnehmer der Fahrradtour übernachten mit Frühstück in kleinen Hotels und Pensionen in Parchim, Wittstock und Neuruppin. Abends sind Tische für das Abendbrot bestellt. Die Fahrradtour wird von einem Begleitfahrzeug unterstützt, das auch für die Pausenverpflegung sorgt und bei Fahrradpannen unterstützt. Die Eigenbeteiligung der Teilnehmer beträgt 40 Euro pro Tag. Die Gedenktour wird vom Europäischen Sozialfonds unterstützt.

Interessenten können sich im beiliegenden Tourflyer weiter informieren und unter folgender Email-Adresse ihre Teilnahme anmelden: vvn-bda-schwerin@mailbox.org

Rostock, Heinkel und die deutsche Geschichte – Eine Ausstellung räumt auf mit einem Mythos

geschrieben von Michael Schmidt

5. Januar 2023

Die Hansestadt Rostock ist weithin bekannt für ihre Werften und den Überseehafen. Was außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern aber in Vergessenheit geraten sein dürfte, ist die Tatsache, dass Rostock jahrelang auch ein Zentrum des deutschen Flugzeugbaus war. Vor einhundert Jahren, im Dezember 1922, nahm in Warnemünde das erste Flugzeugwerk seinen Betrieb auf. Gegründet von  Ernst Heinkel, einem württembergischen Konstrukteur und Unternehmer. Wichtige Auftraggeber waren von Anfang an deutsche und ausländische Militärs. Es folgte ein rasanter Aufstieg, an dessen Höhepunkt die Heinkel-Werke zum zweitgrößten deutschen Flugzeughersteller wurden. Das Unternehmen stand für Erfindergeist – so kamen der erste serienmäßig eingebaute Schleudersitz für Piloten und das erste Strahltriebwerk aus Rostock. Vor allem aber stand und steht der Name Ernst Heinkel für den Bau von Kriegsflugzeugen und für engste Verflechtung mit dem NS-Staat. „Heinkel in Rostock – Innovation und Katastrophe“ heißt auch folgerichtig eine Ausstellung im Rostocker Kulturhistorischen Museum, die sich diesem wohl umstrittensten Kapitel der Stadtgeschichte widmet. Klar, dass besonders hiesige Mitglieder der VVN BdA diese Ausstellung besuchen wollten. Um es gleich vorweg zu sagen: der Rundgang hatte sich gelohnt. Das lag nicht zuletzt an der sachkundigen Begleitung durch den Kurator Ullrich Klein. Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass etliche der historischen Fotografien und Dokumenten  erstmals öffentlich gezeigt werden. Ausführliche Textinformationen sorgen für die notwendige Einordnung. In den vergangenen Jahren gab es auch in Rostock immer wieder Bestrebungen, den Flugzeugbau doch bitte vor allem als Beleg für Erfindergeist und schöpferisches Unternehmertum zu werten. Diese rein technische Betrachtung wird in der Ausstellung faktenreich ad absurdum geführt. Schon die präsentierten Fotos verdeutlichen das. Da zeigt sich Unternehmensgründer Heinkel schon 1933 gut gelaunt neben Nazi-Propagandaminister Goebbels bei einem Werksbesuch. Da erhält er 1938 von Hitler den Nationalpreis. Da bombardieren deutsche Flugzeuge vom Typ He 111 als Teil der berüchtigten Legion Condor spanische Städte, um dem Putschistengeneral Franco zum Sieg zu verhelfen. Nein, Heinkel war kein „Mitläufer“ – er war Teil einer Maschinerie, die einem verbrecherischen Eroberungskrieg diente. Allerdings war das Ausmaß der Verflechtung von Heinkel mit Nazi-Diktatur und Kriegswirtschaft auch für die Besucher der VVN BdA eine neue Erkenntnis. Anfang 1943 schufteten allein in Rostock 1606 Kriegsgefangene für Heinkel. Dazu kamen 6700 verschleppte ausländische Zwangsarbeiter, von deren Ausbeutung Heinkel bestens profitierte. Damit nicht genug. Sein Werk in Oranienburg wurde sogar „Musterbetrieb“ für den Einsatz von KZ-Häftlingen. Besonders brutal muss es in Barth zugegangen sein. Im dortigen Werk wurden 7000 Menschen zur Arbeit gezwungen. Kurator Ullrich Klein: „Zweitausend von ihnen überlebten diesen höllenhaften Ort nicht.“ – Getreu dem Motto: „Vernichtung durch Arbeit“. Wer mag da Heinkel und seinen Flugzeugbau noch als einen „Mythos der Moderne“ glorifizieren? Es stimmt – in der Heinkel-Ära wurde Rostock zur Großstadt, tausende neue Wohnungen entstanden. Nie zuvor fanden so viele Menschen eine qualifizierte Arbeit. Den Preis dafür zahlten nicht nur die anderen. Im April 1942 wurde Rostock Ziel britischer Bombenflugzeuge. Ein Feuersturm vernichtete die Altstadt. Auch die Heinkel-Werke wurden angegriffen. Der Krieg kehrte dorthin zurück, von wo er ausgegangen war – nach Deutschland. Nach dem Krieg durchlief Heinkel in Westdeutschland ein „Entnazifizierungsverfahren“, wurde als „unbelastet“ eingestuft und durfte wieder als Unternehmer aktiv werden. Das Verdienst der Rostocker Ausstellung ist es, ihm und seinem Werk den Platz in der Geschichte zuzuweisen, den sie verdienen. Leider nur zu sehen bis zum 22. Januar. Umso mehr ist der Katalog zur Ausstellung zu empfehlen. 

»Colonia Dignidad«: Ein Buch zur BRD-Außenpolitik im Umgang mit der Sekte in Chile

geschrieben von Axel Holz

12. Dezember 2022

Mitte Oktober hat Bodo Ramelow (Die Linke) als Vorsitzender des Bundesrats und bisher ranghöchster Vertreter Deutschlands zusammen mit Jens-Christian Wagner, dem Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Chile besucht. Deutsche Politik und Justiz ist aber bereits seit den 1960er Jahren mit dem wohl größten deutschem Verbrechen der Nachkriegsgeschichte befasst, ohne diese Verbrechen aktiv zu verhindern oder wirkungsvoll zu verfolgen.

Jan Stehle hat auf 600 Seiten den Umgang bundesdeutscher Außenpolitik und Justiz mit Menschenrechtsverletzungen 1961 bis 2020 untersucht. Es geht um die kriminelle Organisation »Colonia Dignidad« (CD) des Sektengründers Paul Schäfer, der bereits Anfang der 1960er Jahre einer Strafverfolgung wegen sexualisierter Übergriffe an Kindern durch die Flucht nach Chile entkam. Die tausendfachen Sexual-Verbrechen wurden erst mit der Flucht des Ehepaars Georg und Lotti Irene Packmor 1985 öffentlich und durch den BRD-Botschafter in Chile, Hermann Holzheimer, an das Auswärtige Amt weitergeleitet.

Ein Haftbefehl gegen Schäfer wurde bereits 1970 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bonn gelöscht. Auch weitere Verbrecher aus der Führungsriege des Terrororts in Chile wurden nach der beginnenden Aufklärung und juristischen Verfolgung ab den 90er Jahren in Chile trotz ihrer Flucht nach Deutschland in der Bundesrepublik niemals angeklagt geschweige denn ausgeliefert. Bereits in den 1960er Jahren waren durch die Flucht mehrerer Kolonisten die sklavenartigen Verhältnisse der Kolonie des Sektenführers Schäfer vielfach in der Presse öffentlich gemacht worden, ohne dass bis zum Sturz der Diktatur jemals durch die chilenische und deutsche Regierung eine wirksame juristische Verfolgung der Verbrechen erfolgte.

Im Gegenteil, das Opfer Wolfgang Müller wurde selbst wegen angeblicher Verleumdung zu fünf Jahren Haft in Chile verurteilt. Der Schäfer-Sekte gelang es, in engem Kontakt mit Mächtigen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik erfolgreich Zeugenaussagen mit eidesstattlichen Erklärungen zu begegnen. Sie erreichte, dass die Veröffentlichung von Presseartikeln des Stern und die Veröffentlichung der Recherche von Amnesty International juristisch massiv erschwert wurde. Ziel der Lobbyarbeit war es, die angebliche „Kolonie der Würde“ als wohltätige Gemeinschaft mit sozialem Auftrag bis in deutsche Gerichte zu platzieren.

Menschenrechtsverletzungen und Schutz der Täter

Zwar wird durch Stehle das Gerücht über die Kolonie als Zufluchtsort deutscher Nazis ausgeräumt, aber dennoch hatten deutsche Alt-Nazis engsten Kontakt zur Kolonie. So pflegte Gerhard Mertins, einer der Befreier Benito Mussolinis, später als BND-Agent engste Kontakte zum chilenischen DINA-Geheimdienstchef Manuel Contreras, unter dessen Leitung tausende Oppositionelle verschwanden. Mertins organisierte Waffengeschäfte nach Chile, in die auch die CD verwickelt war.

Noch in der 1980er Jahren wurden Unmengen an modernen Waffen und Ausrüstung auf dem Gelände der CD gefunden. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass die Kolonie als sektenartig geführtes Gefängnis mit Folterkeller, Prügelorgien und Sklavenarbeit angesehen werden sollte. Es war ein Ort von Mord, Entführung, Vergewaltigung, Experimenten mit Psychopharmaka und Gehirnwäsche, ein Platz der Zensur, von Rentenbetrug, Waffenschmuggel und Giftgasproduktion. Hier kamen dutzende Kolonisten um und hunderte chilenische Oppositionelle wurden gefoltert und ermordet. Jan Stele beschreibt die Verbrechen detailliert über 60 Seiten. Spätestens seit 1985 trügen bundesdeutsche Behörden die Mitverantwortung für die Fortsetzung der Verbrechen in der CD, indem sie sich zwar mit der CD befassten, aber keinerlei Beitrag zur Aufklärung der Verbrechen leisteten, beklagt der Autor. Zudem betrachteten die deutschen Behörden die CD-Verbrechen stets als Einzeltaten, ohne deren systematischen Zusammenhang zu berücksichtigen. Die politische Grundsatzentscheidung der Bundesregierung, auch nach 2005 eine vollständige Auflösung der Kolonie zu verhindern, trage dazu bei, die Machtstrukturen der Sektengemeinschaft als Folklorepark „Villa Bavaria“ zu bewahren und die kritische Aufarbeitung des so gestärkten Schweigekartells zu verhindern.

Weitere Aufklärungsschritte und Gedenkmaßnahmen erforderlich

Der Autor nennt abschließend wichtige politische Schritte der Aufklärung, die bisher ausgeblieben sind. Dazu zählt die Schaffung einer Wahrheitskommission, die nicht nur die Verbrechen der CD aufklären, sondern auch die Verantwortlichen dafür benennen soll, einschließlich der politischen Mitverantwortung der Bundesrepublik. Dafür müssten alle zum Fall CD existierenden Akten offengelegt werden, die es den Opfergruppen ermögliche, ein Leben in Würde zu führen, unabhängig von den Strukturen der Post-Sektengemeinschaft. Juristisch fehle bis heute die Einordnung der Sekte als kriminelle Organisation, die systematisch Verbrechen begangen hat. Dies würde auch eine Verurteilung der Täter zur Beihilfe zum Mord ermöglichen, ohne dass eine persönliche Tötungsabsicht nachgewiesen werden müsse. Zudem solle ein Gedenk-, Dokumentations- und Lernort eingerichtet werden, um umfassend über die Verbrechen der CD aufzuklären. Dazu zähle auch eine Überprüfung des offiziellen und versteckten Vermögens der CD, das den Opfern zu Gute kommen solle.

Zerstörung von Erinnerungskultur

geschrieben von FIR

9. Dezember 2022

Schon mehrfach habt sich die FIR mit klaren Worten gegen die barbarische Beseitigung der Stätten des Erinnerns an den antifaschistischen Widerstand, die Orte faschistischer Verfolgung und der Denkmäler für die Befreiung und die Befreier ausgesprochen.
Die Beseitigung der historischen Zeugnisse und der Gedenkorte sind Ausdruck von Geschichtsvergessenheit, mehr noch der bewussten Umschreibung der Geschichte und der Versuche, die gesellschaftliche Erinnerung an das Handeln der Frauen und Männer aus allen europäischen Völkern gegen die faschistische Barbarei zu zerstören.
Erschreckend ist die Tatsache, dass diese Form von Geschichtsrevision sich nicht auf einzelne Länder beschränkt, sondern in verschiedenen europäischen Ländern praktiziert wird. Als im September 2019 die skandalöse Entschließung des Europäischen Parlaments übe die „Bedeutung der europäischen Vergangenheit (oder des europäischen Geschichtsbewusstseins) für die Zukunft Europas“ verabschiedet wurde, glaubten Regierungen verschiedener europäischer Länder, einen Freibrief zur Umschreibung von Geschichte und zur Beseitigung von Erinnerungsorten zu besitzen. Insbesondere in den Transformationsstaaten, die neu in die Europäische Union aufgenommen worden waren, wurden solche Zerstörungen der Erinnerungskultur massiv betrieben.
Dabei gingen die Initiativen nicht allein von den Regierungsstellen aus, auch kommunale Einrichtungen und lokale Akteure traten hervor, wenn es darum ging, Denkmäler oder historische Orte zu beseitigen. In einer Untersuchung, die erst vor wenigen Wochen veröffentlich wurde, war zu lesen, dass gegen den Widerstand der Veteranenorganisationen in Kroatien etwa die Hälfte aller Gedenkorte für den jugoslawischen Befreiungskampf abgeräumt oder zerstört worden sind.
In der tschechischen Hauptstadt Prag wurde das berühmte Denkmal für den Befreier der Stadt Marschall Konev in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf Beschluss einer Bezirksregierung abgeräumt. In Deutschland (genauer in Sachsen) setzte ein Ortsbürgermeister gegen die Einwände von Wissenschaftlern und Veteranenverbänden durch, dass ein historisches Gebäude des frühen Konzentrationslagers Sachsenburg zerstört wurde – mit Geldern der sächsischen Landesregierung zur „Brachflächenrevitalisierung“.

Besondere Vorreiter in der Zerstörung von Erinnerungsorten und Denkmälern in der Europäischen Union sind jedoch die baltischen Republiken. Vor wenigen Tagen verkündete die lettische Nachrichtenagentur Leta stolz, dass in Lettland seit dem Sommer mehr als 120 sowjetische Denkmäler demontiert worden seien. Nach Angaben der Kommunalverwaltungen seien alle 69 Objekte entfernt worden, deren Abbau von der Regierung in Riga bis zum 15. November vorgegeben war. Zusätzlich seien 55 weitere Objekte auf eigene Initiative der Kommunen abgerissen oder aus dem öffentlichen Raum entfernt worden, erklärte eine Sprecherin des Kulturministeriums. Da der lettischen Regierung bewusst ist, dass diese Art von Geschichtsvergessenheit nicht nur auf Protest der russischen Bevölkerungsteile in Lettland stoßen würde, sondern auch in der internationalen Öffentlichkeit Widerspruch auslösen könnte, legitimierte man diese geschichtspolitische Barbarei mit Parlamentsbeschluss. Ein Abkommen mit der Russischen Föderation aus den 1990er Jahren wurde einseitig gekündigt. Als „Begründung“ musste der Ukraine-Krieg herhalten. Da diese Denkmäler angeblich die „Rote Armee verherrlichen“, sollten sie keinen Platz mehr im öffentlichen Raum haben.
In Litauen haben die Behörden mit der Demontage von sechs Granitstatuen auf einem Friedhof in Vilnus begonnen. Bürgermeister Remigijus Simasius verkündete, man werden sich von diesem sowjetischen Symbol „reinigen“. Mit dem Abbau setzt sich die Stadtverwaltung über eine Empfehlung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen hinweg, die das Vorhaben aufgrund einer Beschwerde vorübergehend untersagte.
Kein Wort ist von der Europäischen Kommission zu hören, dass die Denkmäler an die sowjetische Armee erinnern, die die Befreiung Europas von der faschistischen Barbarei im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition ermöglicht hat. Niemand erwähnt, dass die Zerstörungen sowjetischer Denkmäler längst vor dem 24. Februar 2022 begonnen hatten. Und in Brüssel hat man vollkommen „vergessen“, dass in Lettland und Estland die Rehabilitierung der ehemaligen SS-Freiwilligen, die sich als Kollaborateure im Krieg gegen die Sowjetunion und an den Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung im Baltikum beteiligt haben, seit vielen Jahren mit staatlicher Unterstützung praktiziert wird. Faschistische Täter werden zu „Kämpfern für die Freiheit des Landes“ umdefiniert, Aufmärsche zu ihren Ehren durchgeführt und Antifaschisten, die gegen solche Geschichtsrevision protestieren, massiv verfolgt.
All das hat natürlich nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun – es zeigt, wie dieser Krieg instrumentalisiert wird, um die Gedenk- und Erinnerungspolitik im Sinne einer Rehabilitierung von Kollaboration und Mittäterschaft zu verändern.
Die FIR unterstützt alle Mitgliedsverbände in ihrem Bestreben, die Zeugnisse der historischen Erinnerung zu erhalten und das Vermächtnis des antifaschistischen Kampfes gegen solche Formen der Geschichtsrevision lebendig zu halten.

Aktion gegen Reichsbürger*innen zeigt nur die Spitze des Eisbergs – VVN-BdA warnt vor weiteren rechten Umsturzplänen

geschrieben von VVN-BdA

7. Dezember 2022

Während in Medien, Talkshows und von politischen Repräsentant*innen die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ als „Bedrohung“ herbeifantasiert wurden, erlebten wir am gestrigen Mittwoch, dass das Bundesinnenministerium mit seinen Sicherheitsorgane in erfreulicher Konsequenz einer wirklichen Bedrohung unseres Gemeinwesens entgegengetreten ist. In einer bundesweiten Razzia wurde gegen Reichsbürger*innen und Querdenker*innen vorgegangen, die in ihren Allmachtsfantasien einen großen Umsturz planten. Bundeswehrsoldaten und Polizist*innen waren für sogenannte „Heimatschutzkompanien“ rekrutiert worden, Bundeswehrkasernen ausgekundschaftet und Minister*innenposten für die Zeit nach dem Systemwechsel vergeben. Eine zentrale Figur dieses Terrornetzes ist die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Für die Bundesanwaltschaft ist es der größte Anti-Terroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

Rechte Massenbewegungen, ihr parlamentarischer Arm und rechtsterroristische Netzwerke unter Beteiligung von Bundeswehr- und Polizeiangehörigen sind personell eng miteinander verwoben.   Das ist ein hochgefährliches Konglomerat aus Neonazis mit Zugang zu Waffen und dem Ziel eines „Systemwechsels“. Was das bedeutet, können wir uns unschwer ausmalen: Linke, politisch Andersdenkende, als „fremd“ Stigmatisierte und alle, die für eine friedliche, freie und gerechte Gesellschaft einstehen, finden sich auf Feindeslisten der rechten Umstürzler und sind in Gefahr. Das  ist keine Theorie: das rechte Terrornetzwerk „Nordkreuz“ hatte Leichensäcke und Löschkalk schon bestellt.

Naumann-Kreis und Wehrsportgruppe Hoffmann

Wer jetzt erschrocken behauptet, dass man so etwas nicht habe absehen können, der sei an die zahlreichen rechten Netzwerke bei Bundeswehr und Polizei erinnert, die in den letzten Jahren ans Licht kamen und in denen sich Soldat*innen, Polizist*innen, Angehörige von Spezialeinsatzkommandos (SEK) und des Kommando Spezialkräfte (KSK) unter anderem auf den „Tag X“ vorbereiteten. Ebenso sei an hunderte Mordopfer rechter Gewalt in den letzten Jahrzehnten erinnert, zuletzt in Halle, Hanau und am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke. Wir vergessen auch nicht, dass es in der Geschichte der BRD schon mehrfach rechte Umsturzversuche gab. Schon in den 1950er Jahren planten alte Nazis im so genannten Naumann-Kreis einen faschistischen Umsturz. Und in den 1970er Jahren gab es in der BRD die Wehrsportgruppe Hoffmann, die in ihrer Hochphase mehrere hundert Mitglieder hatte, mit militärischem Gerät für einen Umsturz in der BRD übte, verschiedene politische Gegner ermordete und dessen Mitglied Gundolf Köhler das grausame Oktoberfestattentat verübte, bei dem 13 Personen getötet und 221 verletzt wurden.

Die AfD – der parlamentarische Arm der Neofaschist*innen

Die Umsturzpläne wurden aufgedeckt nur etwas mehr als einen Monat bevor sich der 30. Januar 1933 und die Machtübertragung an Hitler und die deutschen Faschisten zum 100. Mal jährt. Wir können nicht anders, als historische Parallelen zu ziehen. Alle, die die AfD als „demokratisch gewählte“ Partei verharmlosen, verstehen nicht, dass das demokratische System für die in großen Teilen faschistische Partei nur genutzt wird, um sich damit an die Macht zu hebeln. Sobald sie das geschafft haben, werden demokratische Rechte abgeschafft und ihre Gegner*innen verfolgt.

Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, deren Gründungsmitglieder den Terror des NS noch am eigenen Leibe erlebt hatten, haben wir immer wieder vor der real existierenden Gefahr des rechten Terrorismus gewarnt. Die gestrige Aktion bestätigt unsere Warnungen. Sie darf nicht dazu führen, in unserer Wachsamkeit nachzulassen.

KSK auflösen! Keinen Raum der extremen Rechten! Stoppt die AfD!  

Ältere Nachrichten · Neuere Nachrichten