Argumente für ein AfD-Verbot

geschrieben von Axel Holz

26. Januar 2024

Die AfD verletzt systematisch Grundrechte, insbesondere gegenüber Minderheiten, zielt auf die Abschaffung demokratischer Rechte, vertritt neonazistische Auffassungen und besitzt das Potential, ihre Auffassungen auf parlamentarischem Weg durchzusetzen. Es droht die Unterwanderung demokratischer Institutionen und perspektivisch die Abschaffung der Demokratie. Diese Gründe sollten ausreichen, das schärfte Schwert der Verfassung, ein Parteienverbot, gegenüber der AfD anzuwenden.

Tatsächlich sind erst zwei Parteien in der Geschichte der BRD verboten worden – die neonazistische Sozialistische Reichspartei und die Kommunistische Partei Deutschlands. Vier weitere Verbotsverfahren sind gescheitert. In zwei Fällen wurde der Parteienstatus nicht anerkannt und ein Verbot durch das Innenministerium gegenüber Vereinen ausgesprochen. Das betrifft die „Freiheitliche Arbeiterpartei“ (FAP)  und die Hamburger „Nationale Liste“. Das erste Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil V-Leute teils Jahrzehnte in der NPD wirkten, einige während des laufenden Verbotsverfahrens tätig waren, im Verbotsantrag sogar zitiert wurden und diese Verbindung zum Staat auch nicht im Antrag offengelegt wurde. Die Karlsruher Richter sahen darin ein dauerhaftes Verfahrenshindernis. In einem zweiten Verfahren wurde die NPD ebenfalls nicht verboten. Zwar wurde ihr völkisch-rassistischer Charakter offengelegt und richterlich bestätigt, der „auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlostelllung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und anderen gesellschaftlichen Gruppen gerichtet“ sei. V-Leute auf der Führungsebene waren rechtzeitig vor dem Verfahren abgeschaltet worden und die dem Verbotsverfahren zu Grunde liegenden Materialien stammten auch nicht von ihnen. Dennoch wurde die Partei nicht verboten, weil sie als zu unbedeutend eingeschätzt wurde. Gerade dieses Urteil erhöht aber die Erfolgschancen eines AfD-Verbots, denn alle angeführten Gründe betreffen auch die AfD. Nur unbedeutend ist sie eben nicht. Sie ist im Bundestag, in fast allen Länderparlamenten,  in hunderten kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden vertreten. Das Argument, dass rechtes Gedankengut mit einem Verbot nicht verschwände ist nicht tragfähig, weil dies nicht das Ziel des Parteienverbots ist. Es soll der betreffenden Partei die Aktionsfähigkeit zur Unterminierung und schließlich Abschaffung der parlamentarischen Demokratie nehmen oder diese erheblich einschränken.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom Frühsommer 2023 belegt, dass ein AfD-Verbot möglich ist. Es legt dar, dass die nationalvölkische Programmatik der AfD der NPD in keiner Weise nachsteht. In der jüngsten Listenaufstellung zur EU-Wahl finden sich überwiegend Kandidaten mit Positionen des neonazistischen Flügels, der sich trotz formaler Auflösung zumindest in den ostdeutschen Bundesländern durchgesetzt hat. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich bestätigt diese Denk- und Sprechweise im Bundestag mit seiner Ankündigung einer „millionenfachen Remigration“. Die AfD besitzt zudem die Möglichkeit des Erfolges (Potentialität) und eine starke Wirkkraft in der Gesellschaft. Aus ihrer Präsenz im Bundestag, den Landtagen und Kommunen ergeben sich für die AfD systematisch Möglichkeiten der Selbstverharmlosung und Gewöhnung in der Gesellschaft. Es besteht die akute Gefahr der Unterminierung demokratischer Institutionen, etwa durch die Wahl des Mitarbeiters eines AfD-Angeordneten in Baden-Württemberg zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts. Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes zielt darauf ab, frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Kräfte zu eröffnen, bevor die betreffende Partei bereits eine zu starke Stellung erlangt hat.

Die Gefahr, dass das AfD-Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof nicht bestehen sollte, ist eher niedrig. Denn die Kriterien für ein Parteienverbot sind in der EU bei weitem nicht so streng wie in Deutschland. Der Menschenrechtsgerichtshof fordert für ein Parteienverbot die Angabe eines zuverlässigen Zwecks, wie den Schutz der Menschenrechte für bestimmte Personengruppen. Zudem muss ein dringend soziales Bedürfnis bestehen, etwa wenn die Ziele der Partei mit den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes konträr gehen. Auch der Maßstab der Potentialität dürfte beim Gerichthof ebensolchen Rang genießen wie beim Bundesverfassungsgericht. Der Staat brauche demnach nicht zu warten, bis eine Machtübernahme durch die AfD bevorstehe und diese konkrete Maßnahmen unternimmt, die grundlegende Menschenrechte verletzen.

Eine ähnliche aber nicht so starke Wirkung wie ein Parteienverbot hätte der Entzug der Parteienfinanzierung oder die Anwendung des Paragraphen 18 Grundgesetzes. Der erlaubt es, einzelnen Personen das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen, wenn bestimmte Freiheitsgrundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht werden. Das trifft nicht nur für Bernd Höcke zu, der von „angestammten Lebensraum“ spricht und seine politischen Gegner als „Volksverderber“ in der völkischen Sprache der Nazis diffamiert. Dieser Weg kann versperrt werden durch die gezielte und begründete Anwendung der vorhandenen Instrumentarien der Verfassung. Auch der Ausschluss der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), die der AfD nahe steht, von der öffentlichen Förderung und die konsequente Verfolgung von Verletzungen der verfassungsmäßigen Treuepflicht durch Beamte, Richter und Soldaten können den völkischen Einfluss der AfD eindämmen.

Parallel zu einem AfD-Verbot und anderen legalistischen Mitteln müssten sich auch Medien, Institutionen, Bildungseinrichtungen und Zivilgesellschaft stärker mit völkischem und nazistischem Gedankengut auseinandersetzen und dafür praktikable Instrumente an die Hand bekommen. Nur so kann demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Tendenzen wirksam der Boden entzogen werden. Die geplante Kürzung der Haushaltsmittel für die Bundeszentrale für politische Bildung ist dafür sicher der falsche Weg.

Vor 60 Jahren begann der Auschwitz-Prozess

geschrieben von Ulrich Schneider

15. Dezember 2023

Als am 20. Dezember 1963 im Plenarsaal des Frankfurter Römer der „Auschwitz-Prozess“ „Gegen Mulka und andere“ mit dem Aktenzeichen 4 Ks 2/63 gegen 22 Angeklagte eröffnet wurde, waren mehr als 18 Jahre vergangen, dass eines der schlimmsten Massenverbrechen der NS-Herrschaft vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde, das Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz.
Viele Jahre wurde gegen die Täter von Auschwitz nicht ermittelt. Erst der Eichmann-Prozess in Jerusalem vom April 1961, bei dem die Verbrechen von Auschwitz noch einmal vor der ganzen Welt präsentiert wurden, führte zu einem politischen Umdenken.
Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der als politischer Gegner des NS-Regimes und aus einer jüdischen Familie stammend 1936 ins Exil gegangen war, hatte sich bereits zuvor für eine Untersuchung eingesetzt. Als er von Auschwitz-Überlebenden belastende Dokumente aus dem Kommandantur-Bereich erhielt, beantragte er für das Landgericht Frankfurt/Main die Zuständigkeit für alle Verfahren im Zusammenhang mit den Massenverbrechen in Auschwitz.  
Bei dieser Arbeit wurde er unterstützt von der FIR und ihren Mitgliedverbänden z.B. der VVN, direkt und indirekt. Eine wichtige Rolle spielte das Internationale Auschwitz-Komitee mit seinem damaligen Repräsentanten Hermann Langbein. Er lieferte Dokumente und Kontakte zu Zeugen für die Anklage. Über die FIR liefen Kontakte nach Warschau zur damaligen Veteranenorganisation ZBOWID und zur „Hauptkommission für die Erforschung deutscher (ab 1949: nationalsozialistischer) Verbrechen in Polen“, die ebenfalls Material für Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher bereitstellten. Dieser Kontakt musste in Zeiten des Kalten Krieges diskret abgewickelt werden, wären doch sonst die Angeklagten zu „Opfern kommunistischer Propaganda“ stilisiert worden.
Das Ergebnis war eine siebenhundertseitige Anklageschrift, die sich u.a. auf die Vernehmung von 1.300 Zeugen stützte. Zum Prozess selbst wurden mehrere hundert Zeugen aus 15 Ländern Europas und aus Übersee geladen. Über den Prozess hieß es in einem Zeitungsartikel:
„Die Aussagen der Überlebenden ließen die unvorstellbaren Schrecken und Grausamkeiten von Auschwitz noch einmal auferstehen. Im Gerichtssaal spielten sich erschütternde Szenen ab, als die ehemaligen Häftlinge ihren Peinigern von einst gegenübertraten. Dokumentiert wurden nicht nur die Untaten der Angeklagten – der Prozess förderte beeindruckendes Beweismaterial über die Verbrechen des deutschen Faschismus und der ihn tragenden Kräfte zutage, über die Hintermänner und Auftraggeber der Angeklagten in Staat und Industrie, die allerdings auf der Anklagebank fehlten. Zeugen und Sachverständige charakterisierten die Verantwortung des IG-Farben-Konzerns bei den in Auschwitz verübten Massenmorden, nicht zuletzt bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.“
Nach Schätzungen verfolgten etwa 20.000 Besucher die 183 Verhandlungstage. Nur wenige Journalisten und die Vertreter des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK) waren am allen Prozesstagen anwesend. Die Zeitschrift der FIR „Der Widerstandskämpfer“ berichtete regelmäßig und ausführlich über den Prozess.
Eine juristische Sensation war der Ortstermin in Auschwitz trotz eines fehlenden Rechtshilfeabkommens zwischen der BRD und Polen. Versuche der Verteidigung, die Aussagen der überlebenden Häftlinge zu denunzieren, wurden zurückgewiesen. Die Verbrechen wurden in ihrer Scheußlichkeit und Brutalität dargelegt. 17 Angeklagte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil wurde – eine Seltenheit in der deutschen Justiz – auf 930 Seiten begründet. Akribisch wurden die Verbrechen und der Nachweis der unmittelbaren Tatbeteiligung geführt.

Trotz dieses eindeutigen Ergebnisses glaubte die politische Rechte, die Fakten weiterhin infrage stellen zu können. In der BRD erklärte der damalige CSU-Vorsitzenden Franz-Joseph Strauß noch 1969 „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“
Alte und neue Nazis leugneten international die Existenz von Gaskammern und die Verbrechen von Auschwitz. Heute ist „Auschwitz-Leugnung“ – nicht nur in der BRD – ausdrücklich eine Straftat.
Die FIR und ihre Mitgliedsverbände erinnern immer wieder an die faschistischen Verbrechen in den Vernichtungslagern und deren Opfer, aber auch an diejenigen Frauen und Männer, die sich der NS-Barbarei entgegen gestellt haben.

Der Völkermord an den Sinti und Roma

geschrieben von Axel Holz

8. Dezember 2023

Charlie Chaplin und Marianne Rosenberg – sie waren Stars beim Film und in der Schlagerwelt. Über ihre Herkunft haben sie aber während ihrer Karriere nicht öffentlich gesprochen. Aus gutem Grund, denn die Vorurteile gegen über Sinti und Roma sind nach dem zweiten Weltkrieg auch in Deutschland nicht geringer geworden, sondern über Jahrzehnte erhalten geblieben. Sie reichen bis in die Neuzeit.

Dennoch hat sich etwas geändert. Das betrifft auch ein lange verschwiegenes Verbrechen – den Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nazis mit dem rassistisch motiviertem Ziel ihrer Auslöschung als ethnische Gruppe. Das Buch von Sebastian Lotto-Kusche zeichnet den langen Weg zur Anerkennung als Nazi-Opfer von 1949 bis 1990 nach. Das Buch schließt eine wichtige Lücke in der Opferforschung im Umgang mit einer lange vernachlässigten Opfergruppe der Nazis. Es erklärt den Paradigmenwechsel bei der Betrachtung der „NS-Zigeunerverfolgung“, wie sie lange hieß, von einem kriminalpräventiven hin zu einem genozidkritischen Denkstil.

Im Alltag nahm die Mehrheitsgesellschaft in der Bundesrepublik die überlebenden Sinti und Roma nur dann wahr, wenn sie mit ihnen im Konflikt war, insbesondere aufgrund der angespannten Wohn- und Versorgungssituation nach dem Krieg. Die Alliierten sorgten durch Anordnungen nach dem Krieg dafür, dass des überlebenden Sinti und Roma in den Kommunen Anspruch auf Versorgung hatten. Die Kommunen folgten dieser Order oft nur wiederwillig. Fast nahtlos nutzten die Polizeibehörden die sogenannten „Zigeunerakten“ aus der Nazizeit weiter und zementierten deren Diskriminierung. In Köln formulierte die Polizeidienstelle 1949, dass es sich beim überwiegenden Teil dieser Personen um „asoziale Elemente“ handele – eine Einschätzung, die mit der der Nazis konform ging. Am 25. Oktober 1949 nahm die Bundeszentrale zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens in München seine Arbeit auf und setzte die politische Sondererfassung der Minderheit bis in die 70er Jahre fort. Der kriminologische „Zigeuner“- und „Landfahrerdiskurs“ blieb in seinen rassistischen Annahmen unverändert und wurde nur begrifflich zur Ebene der „Landfahrer“ umgewidmet.

Beim Ringen um Anerkennung ihrer Entschädigungsansprüche, wofür Haftnachweise und der Nachweis der deutschen Staatsbürgerschaft erforderlich waren, wandten sich Sinti und Roma zunächst an das Internationale Rote Kreuz. Aber diese Ansprüche wurden von den deutschen Behörden oft abgewiesen, die von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nicht wieder hegestellt. In den 50er Jahren wurde der sogenannte „Zigeunerdiskurs“ weiter durch dieselben Akteure geprägt wie in der Nazizeit. Auch im Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche vom 23.07.1945 und im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kriech vom Oktober 1945 tauchte die Opfergruppe nicht auf. Selbst in der DDR hatten es Sinti und Roma nicht leicht. Von 30.000 anerkannten Opfern des Faschismus (OdF) waren nur 117 „Zigeuner“ und mussten besondere Anforderungen an ihre Lebensweise bezüglich Wohnung und Arbeitsplatz nachweisen, um diesen Status nicht zu verlieren.

Noch in den 60er Jahren griffen westdeutsche Forscher wie Hans-Joachim Döhring verbreitete Vorurteile auf und behauptete, „Zigeuner“ würden bei Entschädigungsanfragen  die Unwahrheit sagen und aggressiv auftreten. Auf die massiven sozialen Probleme der Sinti und Roma reagierten die Börden ignorant. Mit der verdienstvollen Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker änderte sich der Blick auf die Minderheit. Erst 1981 gelang auf Initiative von Herbert Wehner, Hans-Joachim Vogel und Gerhard Jahn die Errichtung eines Fonds im Umfang von 80 Millionen Euro für nichtjüdische Härtefälle unter den Naziopfern. Am 18.07.1981 folgte das lange geforderte Gespräch des Bundespräsidenten Carstens mit Romani Rose, gefolgt von einem Gespräch der Verbände der Sinti und Roma mit dem Bundeskanzler am 17.03.1982. Für dieses Gespräch war der Kanzler gebrieft worden, eine Veränderung des Pressetextes nicht zuzulassen, der die Verfolgung der Minderheit auf den Beginn des Machantritts der Nazis verlegen sollte. Eine Anerkennung als Minderheit sollte als unerfüllbar abgelehnt werden.

Ihrer fortlaufenden Diskriminierung begegneten Sinti und Roma 1983 mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, um Einsicht in die im Hamburger Staatsarchiv lagernden Landfahrerakten zu erhalten. Den langen Kampf um Anerkennung mussten Sinti- und Roma-Verbände mühsam selbst führen. Erst in den 80er Jahren setzte sich mit Detlef Peukert ein genozidorientierter Forschungsstil durch, der auch empirische Belege der Verfolgung und Vernichtung erbrachte. Viele halfen mit, diesem Bild Konturen zu verleihen, wie Götz Aly, Wolfgang Wippermann, Ulrich Herbert und der DDR-Forscher Reimar Gilsenbach. Im Historikerstreit der 80er Jahre um die Relativierung der Naziverbrechen geriet die Opfergruppe hinter den jüdischen Opfern erneut in den Schatten und wurde erst in den neunziger Jahren mit der Debatte um Denkmäler für einzelne Opfergruppen  gleichberechtigt anerkannt.

Gedenken in Schwerin zur Pogromnacht vom 9. November 1938

geschrieben von Axel Holz

1. November 2023

Am Donnerstag, den 9. November findet auf dem Schweriner Schlachtermarkt das traditionelle Gedenken an die Pogromnacht von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland statt. Veranstalter ist der Arbeitskreis „9. November 1938“. Das Gedenken erhält angesichts massiver antisemitischer Angriffe in diesem Jahr eine besondere Bedeutung.

Gedenken an das Novemberpogrom in Rostock

geschrieben von Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock

1. November 2023

Andacht mit anschließendem gemeinsamem Spaziergang zur Stele in der Augustenstraße 101
Freitag, 10. November 2023 von 9.30 bis 11.00 Uhr
Treffpunkt um 9.30 Uhr am ehemaligen jüdischen Friedhof im Lindenpark
10.00 Uhr Gedenken an der Stele in der Augustenstr. 101

Rostocks Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück und Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger rufen die Rostockerinnen und Rostocker auf, an den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 85. Jahrestages der Pogromnacht am 10. November teilzunehmen. Die Veranstaltung im Lindenpark, zu der das Max-Samuel-Haus/Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock und die Jüdische Gemeinde Rostock aufrufen, beginnt am 10. November um 9.30 Uhr mit einer Andacht auf dem Jüdischen Friedhof. Totengebete und Psalmen werden gesprochen. Danach folgt ein gemeinsamer Gang zur Gedenkstele am früheren Standort der Synagoge in der Augustenstraße. Dort findet um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Dabei soll auch an die in den Morgenstunden des 10. November 1938 in Brand gesetzte Synagoge erinnert werden. Schülerinnen und Schüler des Innerstädtischen Gymnasiums werden die Namen der Rostocker Opfer des Holocausts verlesen. „Zeigen Sie mit Ihrer Teilnahme, dass die Lehren aus dieser Zeit nichts von ihrer Aktualität für die heutige Demokratie verloren haben und sich dieses finstere Kapitel deutscher Geschichte niemals wiederholen darf“, appellieren die Bürgerschaftspräsidentin und die Oberbürgermeisterin an alle Rostockerinnen und Rostocker.

Die Geschichte des Holocaust

geschrieben von Axel Holz

21. Oktober 2023

Vor 50 Jahren erschien Raul Hilbergs Buch „Die Vernichtung der europäischen Juden“.  Der Fischer Verlag hat das Standardwerk 2023 erneut veröffentlicht.

Raul Hilberg entstammt einer jüdischen Wiener Familie, die vor den Nazis in die USA emigrieren musste. Als US-Soldat war er an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt. Seitdem hat ihn das Thema der Judenvernichtung durch die Nazis nicht mehr losgelassen. Er entdeckte in München die Kisten mit der Privatbibliothek Hitlers und befragte deutsche Soldaten im Auftrag der Alliierten. Im Politikstudium recherchierte er weiter an den Originalquellen zum Holocaust, der damals noch nicht so hieß und für den sich kaum jemand interessierte, nicht in den USA, nicht in Deutschland und häufig auch nicht unter den überlebenden Opfern.

Dokumentar des Grauens

Das Buch ist heute mehr als ein Standardwerk, sondern die „Gesamtgeschichte des Holocaust“, wie es in der ersten deutschen Ausgabe heißt. Das Buch, an dem Raul Hilberg ein halbes Leben gearbeitet hat, ist geblieben und auf 1.472 Seiten gewachsen. Es analysiert und ordnet mit Präzision ein, emotionslos und ohne moralische Bewertung. Es greift  auf Originalquellen zurück, von denen Hilberg viele neue Unterlagen entdeckte und bearbeitete. Es beschreibt den Mord an den europäischen Juden im Detail, das Vorgehen gegen die Juden durch die Nazis in den verschiedenen europäischen Ländern, aber auch den Widerstand von Helfern, Juden und Widerständlern. Es wird deutlich, wie perfide die Vernichtung der europäischen Juden organisiert wurde. Insbesondere in der Ukraine wurden die Juden durch eine Vereinbarung zwischen Wehrmacht und SS überrascht, die es ermöglichte, dass die Polizeitruppen unmittelbar nach der Einnahme der Städte und Dörfer durch die Wehrmacht zu tausenden vor Ort ermordet wurden. Manche Orte wurden bis zu fünfzehnmal durchsucht, um versteckte oder aus den Wäldern zurückgekehrte Juden aufzugreifen und zu ermorden. Raul Hilberg berichtet vom Antisemitismus in weiten Teilen von Europa, aber auch von der Hilfe durch Einheimische in Dänemark, Holland und Belgien bis nach Bialystok in Polen.

Werk der ganzen deutschen Gesellschaft

Der Massenmord an den Juden sei weder zentral geplant noch mittels eines eigenen Budgets finanziert worden, erläutert Hilberg-Biograf René Schlott. Dennoch sei die Vernichtungsmaschine nicht das Verbrechen weniger Täter, sondern das Werk der ganzen deutschen Gesellschaft. Hilsberg weist auf die Verwicklung der Führungseliten in Staat, Industrie und Wehrmacht hin. Er legt aber auch die Hingabe durchschnittlicher Bürokraten, Reichsbahner und Soldaten beim Vernichtungswerk offen. Viele teilten den Antisemitismus der Nazis, denunzierten Juden oder deren Helfer. Viele überhörten die Berichte über Morde und Massaker aus den KZs und von der Front. Die meisten wollten nach dem Krieg nichts davon gewusst haben. Hilberg beschreibt das System der Judenvernichtung detailliert von der Definition der als Juden Diskriminierten, über deren Erfassung, Konzentration durch Vertreibung, Gettoisierung und Zwangsarbeit bis zur Vernichtung in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, in Gräben durch Genickschüsse, durch medizinische Experimente und Verhungern.

Veröffentlichung lange verhindert

Für seine umfangreiche Promotion über den Judenmord fand Hilberg 1961 einen kaum bekannten Verlag in Chicago. Auch in Deutschland interessierten sich nun Verlage für das Buch. Doch ein Gutachter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte empfahl 1964, das Buch nicht in Deutschland zu veröffentlichen. Das Buch sei nicht umfassend genug und es gäbe anstehende Veröffentlichungen des eigenen Hauses. Zahlreiche Wissenschaftler glaubten, dass Deutsche einen nüchternen Blick auf das Thema hätten und Juden zu emotional urteilten. Als 1980 der Beck-Verlag erneut beim Institut für Zeitgeschichte wegen einer Veröffentlichung anfragte, hielt das Institut das Buch für veraltet. Es erschien erst 1982 im Kleinverlag Olle & Wolter, 1990 dann in großer Auflage bei  Fischer. Das Buch ist so wenig veraltet wie der Antisemitismus verschwunden ist. Es erscheint neu im richtigen Augenblick.

Zur Situation in Israel

geschrieben von VVN-BdA

10. Oktober 2023

Wir sind in tiefer Trauer über die vielen Toten der letzten Tage und die grauenhafte Gewalt, die diese Woche überschattet. 700 Frauen, Kinder und Männer wurden in ihren Wohnungen hingerichtet, entführt, vergewaltigt und durch die Straßen gezerrt. Wir verurteilen den Terror der islamistischen Hamas und den Antisemitismus, der sich in diesen Tagen – nicht nur im Nahen Osten – bahnbricht. Wer die Gewalttaten der letzten Tage „feiert“, sich über den Tod hunderter Menschen freut und ihn als „Befreiung“ tituliert, stellt dadurch seine Menschenverachtung zur Schau. Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in Israel und bei den palästinensischen Menschen im Gazastreifen, die bei Bombenangriffen getötet und verletzt wurden. Unsere Anteilnahme gilt auch jenen, deren Angehörige und Freund*innen sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.

Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vermeldete, mussten einige der Überlebenden von Buchenwald und Mittelbau-Dora mit ihren Familien Schutzräume aufsuchen und dort in Angst ausharren. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen.

Der vergangene Samstag waren ein schwarzer Tag war für alle, die sich im Nahen Osten für menschenwürdige und humanistische Lösungen und gegen religiösen Fanatismus einsetzen. Die demokratische Zivilbewegung in Israel und ihr Protest gegen den Demokratieabbau im eigenen Land dürfte vorerst an ihr Ende gekommen sein.

Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.

Eindrücke von der VVN-Fahrradgedenktour 2023

19. September 2023

Die Gedenktour vom 07.-10.09.20223 von Schwerin nach Oranienburg wurde durch die Ehrenamtsstiftung MV gefördert.

MdL Henning Förster eröffnet die Gedenktour am Platz der OdF in Schwerin

Andreas Sturm informiert über Gräber der Todesmarschteilnehmer auf dem Friedhof in Crivitz

Gedenkstele im Belower Wald beim Besuch der Gedenkstätte Belower Wald

Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen

Vor der Europawahl: Die extreme Rechte auf dem Vormarsch

geschrieben von Ulrich Schneider

11. August 2023

Mit Blick auf die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 müssen wir mit großer Sorge registrieren, dass sich extrem nationalistische, rassistische und offen faschistische Parteien in vielen europäischen Staaten auf dem Vormarsch befinden.
Schon bei der finnischen Parlamentswahl im April 2023 waren die extremen Rechten „Wahren Finnen“ mit 20 Prozent zweitstärkste Partei hinter der Nationalen Sammlungspartei des Ministerpräsidenten Petteri Orpo geworden. Seit dem 20. Juni sind sie Teil einer Vierer-Koalition und besetzen wichtige Ministerposten und Parlamentsfunktionen. Finnland erlebt gegenwärtig einen starken Rechtsruck. Zwar trat Ende Juni 2023 nach einem knapp überstandenen Misstrauensvotum im Parlament der Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila von den „Wahren Finnen“ nach nur zehn Tagen im Amt zurück, als rassistische Äußerungen Junnilas aus dem Jahr 2019 öffentlich wurden. Damals hatte er Abtreibungen in Afrika zur Bekämpfung der Klimakrise gefordert und an offen rassistischen Veranstaltungen teilgenommen. Da die Rechtsregierung jedoch die NATO-Aufnahme des Landes forciert und gleichzeitig die Militarisierung der EU unterstützt, war aus Brüssel – wie schon bei Meloni in Italien – keinerlei Kritik an dieser neuen Rechtsregierung zu hören.
Anders verhält es sich bei der polnischen PiS-Partei. Dort hat sich die Europäische Kommission deutlich gegen den reaktionären Staatsumbau positioniert. Während man in Brüssel hoffte, diese Kritik könnte den genehmen Kandidaten Tusk unterstützen, muss man aktuell feststellen, dass die PiS nur von einer Seite Konkurrenz erhält, nämlich durch die extrem rechte Partei Konfederacja. Diese liegt in Umfragen bei bis zu 14 Prozent. Bei den Parlamentswahlen im Herbst könnte die Partei zum Königsmacher werden. Ihr Spitzenkandidat Slawomir Mentzen (36 Jahre) präsentiert sich als junger Antipolitiker, seine Partei als Gegenentwurf zum Establishment. Während die PiS-Partei ihre reaktionäre Politik mit Sozialleistungen für die Schwächsten der Gesellschaft garniert, propagiert die Partei Konfederacja ein radikal marktliberales Programm, nach dem jeder Mensch für das eigene Schicksal verantwortlich ist, ohne Rücksichtnahme auf Arme und Schwache. Einfache, pauschale Steuersätze, das Ende teurer Sozialprogramme. Folgerichtig lehnt Konfederacia als einzige Partei in Polen die Aufnahme geflüchteter Ukrainer ab.
2019 erklärte Mentzen, die Konfederacja sei gegen „Juden, Homosexuelle, Abtreibungen, Steuern und die Europäische Union“. Ein anderer Parteivertreter erklärte: „Weder Deutsche noch Juden werden uns Geschichte beibringen. … Keine Perversen werden unsere Kinder erziehen und ihnen Toleranz beibringen. Und keine Eurokolchose der Volkskommissare wird uns erklären, wie wir unser eigenes Land führen sollen.“
Deutlichen Einfluss in Europa erwartet sich auch die Alternative für Deutschland (AfD), die auf ihrem jüngsten Parteitag die Kandidatenliste und das Wahlprogramm beschlossen hat. Da Demoskopen ihnen im Moment etwa 20% der Wählerstimmen vorhersagen, waren die Begehrlichkeiten groß. Als Spitzenkandidat gewählt wurde ein Vertreter, der bei den französischen Präsidentschaftswahlen nicht LePen, sondern Zemmour unterstützt hatte. Im Wahlprogramm wird der Umbau der Europäischen Union gefordert, wobei der rechte Frontmann Höcke davon sprach, dass die Europäische Union sterben müsse, damit ein Europa der Vaterländer leben könne.
Ein deutlicher Rechtsruck war auch bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien im Juli 2023 zu verzeichnen. Dass die postfranquistische Partido Popular (PP) stärkste Partei geworden ist, war schon vor dem Wahltermin angenommen worden. Für eine absolute Mehrheit reicht es jedoch nicht, die PP ist auf Unterstützer angewiesen, insbesondere die extrem rechte Vox, mit der die PP bereits in mehreren Regionalparlamenten Spaniens, wie Valencia, regiert. Zwar konnte auch VOX Stimmen gewinnen, jedoch weniger als erhofft. Das politische Programm von VOX ist eine Sammlung von extrem rechten Versatzstücken. Natürlich wendet man sich gegen jegliche Migration, außerdem leugnen die extremen Rechten den Klimawandel, verfolgen eine antifeministische Agenda und streben eine strikte Zentralisierung an. Dafür wollen sie den autonomen Gebieten in Spanien ihre Rechte entziehen.
Zwar dürfte die sozialdemokratische PSOE weiterhin die Regierung stellen, aber der Einfluss der offenen Rechten ist auch in Spanien gewachsen.
Die FIR verfolgt diese politische Entwicklung in den verschiedenen europäischen Ländern mit großer Sorge. Nur wenn es gelingt, eine breite gesellschaftliche Gegenbewegung mit Gewerkschaften und Sozialverbänden zu schaffen, können wir der drohenden Rechtsentwicklung in Europa Einhalt gebieten.

Ankündigung der VVN-Gedenkfahrradtour 2023

geschrieben von Axel Holz

28. Juli 2023

Die VVN-Gruppe Schwerin führt vom 7. bis 10. September 2023 ihre 13. Aktionsfahrradtour von Schwerin nach Oranienburg zu Gedenkstätte Sachsenhausen durch. Zwischenstationen sind Crivitz und Parchim, wo ein Dokumentarfilm über den Todesmarsch gezeigt und übernachtet wird. Es geht mit Übernachtung in Wittstock weiter zur Gedenkstätte Belower Wald und schließlich mit Station in Neuruppin zu einer Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Die Fahrradtour wird durch ein Begleitfahrzeug unterstützt. Die Rückfahrt erfolgt individuell. Die Selbstbeteiligung der Teilnehmenden beträgt 40 Euro je Übernachtung mit Frühstück.

Die Gedenkfahrradtour wird von der Ehrenamtsstiftung MV gefördert. Interessierte melden sich bitte bei Axel Holz: axelholz@msn.com

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