Staatsversagen

geschrieben von Axel Holz

4. Dezember 2024

Staatsversagen – so heißt der letzte Teil der sechsteiligen ARD-Dokumentation „Warum verbrannte Ouri Jallow“. Kaum jemand hat die Story über den Asylbewerber Oury Yalloh geglaubt , der sich gefesselt auf einer feuerfesten Matratze in einer Dessauer Polizeistation am 7. Januar 2005 angeblich selbst mit einem Feuerzeug entzündet und verbrannt hatte. Der Zweifel daran wurde auch durch Filme wie „Tod in der Zelle“ von Pagonis Pagonakis 2006, die Dokumentation „Oury Jalloh“ von Simon Jaikiriuma Paetau 2008 und 2015 mit dem Tatort „Verbrannt“ in der Regie von Thomas Stuber genährt. Die ARD-Dokumentation präsentiert nun neue, unglaubliche Erkenntnisse und wirft grundsätzliche Fragen auf – in Dessau und darüber hinaus.

Der Bürgerkriegsflüchtling Oury Yalloh floh aus seiner Heimat in Burkina Faso zunächst ins Nachbarland Guinea zu seinen Eltern und dann weiter nach Deutschland. Nach einem abgelehnten Asylantrag lebte er als geduldeter Ausländer in Deutschland und hatte mit seiner deutschen Lebensgefährtin ein Kind, das die Mutter nach der Geburt zur Adoption frei gab. Oury Yalloh war wegen gewerbsmäßigen Drogenhandels verurteilt wordn, aber das Urteil war noch nicht  rechtskräftig. Auch wegen des Verlustes seines Kindes hatte er sich betrunken und nachts Frauen eines Reinigungstrupps um ein Telefon gebeten, weil sein Guthaben verbraucht war. Die riefen die Polizei, die aus der Belästigung sofort eine schwere Belästigung machten und Oury Yalloh brutal gegen bestehende Polizeirichtlinien in die Dessauer Polizeidienststelle brachten, durchsuchten, ärztlich untersuchen ließen, in eine feuersichere Isolierzelle sperrten und fixierten – angeblich um Selbstverletzungen zu verhindern. Bei der Durchsuchung wurde, amtlich dokumentiert, auch kein Feuerzeug gefunden. Stunden später wurde Oury Yalloh fixiert und verbrannt in seiner Zelle gefunden.

Was nun in 19 Jahren folgte ist wohl einer der größten deutschen Justizskandale der Nachkriegsgeschichte, denn bis heute ist kein Täter belangt worden. In einem ersten Prozess in Dessau wurden die angeklagten Polizisten 2008 freigesprochen. Der Richter hatte erhebliche Zweifel an der polizeilichen Darstellung, die die Aufklärung unmöglich gemacht hätten. Die Beamten, die das Gericht belogen hätten, hätten auf einer Polizeistation nichts zu suchen, so der Richter. Eine Bewertung ohne Folgen. Nach einer Klage vor dem Bundeverfassungsgericht wurde das Urteil revidiert, der Fall der Staatsanwaltschaft Dessau-Roslau entzogen und 2011 vor dem Landgericht Magdeburg neu verhandelt. Am Ende wurde der stellvertretende Dienstgruppenleiter der Polizeistation Dessau wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Er hatte den Feueralarm aus der Zelle zweimal ausgestellt und damit frühzeitige Rettungsmaßnahmen verhindert. Eine erneute Klage der Angehörigen vor dem Bundesverfassungsgericht wurde abgewiesen. Die Familie legte Ende 2022 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

Afrikanische Community klärt auf

Was Aufgabe des Staates bei einem Todesfall in Polizeigewahrsam sein sollte, leistete die afrikanische Community in Dessau. Sie organisierte neben Öffentlichkeit auch eine zweite Autopsie, die vielfache Gewalteinwirkungen beim Opfer und einen Adrenalingehalt feststellte, der den Tod des Opfers zeitlich vor dessen Verbrennung einstufte. Erst dann wurde das angeblich gefundene Feuerzeug mit Brandschutt aus einer polizeilichen Brandtüte untersucht, das nicht zum Tatort passte und offensichtlich später als Aservat beigefügt wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte die zweite Obduktion ebenso abgelehnt wie ein Brandgutachten, das die Angehörigen in Irland beauftragten. Es stellte fest, dass die Entzündung des Opfers in der Zelle nur mit Brandbeschleuniger durch Dritte möglich war.

Staatsinstitutionen versagen

Richter und Staatsanwälte haben sich von aussageunwilligen Polizisten täuschen lassen, hatten wichtige Untersuchungen verhindert und damit die Aufklärung eines wahrscheinlichen Mordes behindert. An der Verschleierung der Tat durch ein gefälschtes Aservat waren offensichtlich weitere Personen beteiligt, im Landtag informierte die Justizministerin das Parlament fehlerhaft. Zudem stellte sich heraus, dass es bereits zwei weitere Todesfälle in der Dessauer Polizeidienstelle gegeben hatte. Der mehrfache Familienvater Hans Jürgen Rose war nach einer Alkoholfahrt am 7. Dezember 1997 nachts nur wenige Stunden in derselben Dessauer Polizeizelle gelandet. Er wurde zwei Stunden nach seiner Entlassung mit schwersten Verletzungen, an denen er am Folgetag starb, in der Nähe der Wache gefunden. Am  29. Oktober 2002 wurde der alkoholisierte Obdachlose Mario Bichtemann in die Dessauer Polizeistation verbracht und starb dort an einem Schädelbasisbruch. Die Ermittlungsverfahren in beiden Fällen wurden eingestellt. Im Falle Oury Yalloh sollten offensichtlich frühere gewaltsame Todesfälle in derselben Dienststelle verdeckt werden, wie in der Filmdokumentation vermutet wird. Offensichtlich haben Polizei, Justiz, Staatsanwaltschaft und Politik in Dessau komplett bei der Aufklärung mehrerer Todesfälle in Polizeigewahrsam versagt. Was ist los mit einem Staat, auf dessen Institutionen sich Bürger und Bürgerinnen nicht mehr verlassen können, weil Fragen wie Cop Culture sowie Rassismus in der Gesellschaft und in Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung ausgespart werden? Der Staat ist bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen in der Pflicht und er bleibt es auch in Dessau. Und er benötigt beim Verdacht von Polizeigewalt dringend unabhängige Kontrollorgane und Beschwerdestellen.