Kritik an Geschichtsklitterung in der Sächsischen Gedenkstättenstiftung

6. Juli 2020

Die AG der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik fordert, dass die untragbaren Äußerungen des amtierenden Geschäftsführers der sächsischen Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, Konsequenzen haben müssen. Er hatte Krawalle in Stuttgart mit der Reichsprogromnacht der Nazis gleichgesetzt, bei der bekanntlich 800 Jüdinnen und Juden starben, 30.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt wurden und 1.400 Synagogen zerstört wurden. Gleichzeitig verbreite Siegfried Reiprich rassistische Versatzstücke von einer angeblichen zukünftigen „weißen Minderheit“ und stärke damit rechte Diskurse. Dies sei ein Affront gegenüber allen, die sich tagtäglich mit ihrer Arbeit in Gedenkstätten und in der historisch-politischen Bildung gegen Rassismus, Antisemitismus und für demokratische Werte einsetzten, erklärte Josephine Ulbricht, Sprecherin der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft und Mitarbeiterin der Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig. Eine Stellungnahme der politischen Entscheidungsträger und personelle Konsequenzen forderten auch die Sprecherinnen des Forums der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland und der Sprecher der AG der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Jens-Christian Wagner.

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Vergessen wir niemals die Erfahrungen des gemeinsamen Kampfes gegen die faschistische Barbarei!

geschrieben von Ulrich Schneider

3. Juli 2020

Nachdem unter den Bedingungen der Corona-Einschränkungen in allen europäischen Staaten die Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung und des Sieges über den Faschismus abgesagt werden mussten, fand Ende Juni in Moskau – am historischen Jahrestag der Siegesparade 1945 auf dem Roten Platz – die Gedenkparade zum Tag des Sieges mit Zahlreichen Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges statt. Es war eine eindrucksvolle Würdigung der Leistung der sowjetischen Armee bei der Niederschlagung der faschistischen Barbarei. Es war aber auch ein sichtbares Signal, dass diese historische Leistung nicht vergessen werden darf.

In einem ausführlichen Beitrag der US Zeitschrift „National Interest“ hatte der russische Präsident Wladimir Putin anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges über den deutschen Faschismus einen ausführlichen Beitrag veröffentlichen können, in dem er betonte:
„Das Vergessen der Lehren aus der Geschichte wird unweigerlich hart bestraft. Wir werden die Wahrheit auf der Grundlage dokumentierter historischer Fakten entschlossen verteidigen und auch weiterhin ehrlich und unparteiisch über die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges sprechen.“
Er kündigte an, dass Russland eine öffentliche Sammlung von Archivdokumenten, Film- und Fotomaterialien über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der Vorkriegszeit erstelle und rief die anderen Alliierten auf, dies auf der Grundlage ihrer Archive ebenfalls zu tun.
Nur so könne die Wahrheit über den Weg in den Zweiten Weltkrieg auch für kommende Generationen sichtbar werden. In diesem Rahmen verwies er auf die verhängnisvolle Appeasement-Politik der Westalliierten beim Münchener Diktat gegen die CSR, aber auch auf die Ablehnung der Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit zum Schutz der polnischen Souveränität.
Wenn – wie in der skandalösen Resolution des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 – die Sowjetunion für den Beginn des zweiten Weltkrieges verantwortlich gemacht wird, dann zeigt das nur, dass man nicht bereit ist, die historischen Dokumente zur Kenntnis zu nehmen.

Und mit Hinweis auf die Nazi-Komplizen und Kollaborateure der verschiedenen Schattierungen, die selbst die Hinrichtung in Babyn Jar, das Massaker von Wolhynien, das verbrannte Chatyn und die Vernichtung von Juden in Litauen und Lettland auf dem Gewissen hätten, beklagte er:
Es sei „verblüffend, wenn in einer Reihe von Ländern diejenigen, die sich durch die Kollaboration mit den Nazis befleckt haben, plötzlich mit den Veteranen des Zweiten Weltkrieges gleichgesetzt werden. Ich halte es für unzulässig, Befreier und Besatzer gleichzusetzen. Und die Heroisierung der Nazi-Komplizen kann nur als Verrat am Gedenken an unsere Väter und Großväter angesehen werden. Der Verrat an jenen Idealen, die die Völker im Kampf gegen den Nationalsozialismus vereinten.“ Er warnte vor solchen Entwicklungen nicht allein mit Blick auf die Geschichte: „Der historische Revisionismus, dessen Manifestationen wir jetzt im Westen beobachten, insbesondere in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und dessen Ausgang, ist gefährlich, weil er das Verständnis der Prinzipien der friedlichen Entwicklung, die 1945 auf den Konferenzen von Jalta und San Francisco festgelegt wurden, grob und zynisch verzerrt.“

Im Sinne des antifaschistischen Anliegens der FIR und ihrer Mitgliedsverbände forderte er von den ehemals alliierten Staaten „ein gemeinsames Engagement für den Geist des Bündnisses und die hohen humanistischen Ideale und Werte, für die unsere Väter und Großväter Schulter an Schulter gekämpft haben.“

Ehrenvorsitzender der VVN-BdA Heinrich Fink im Alter von 85 Jahren verstorben

2. Juli 2020

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Mit tiefer Trauer nehmen wir, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Abschied von unserem Ehrenvorsitzenden Heinrich Fink. Er wirkte von November 2003 bis Mai 2014 als Vorsitzender der aus West und Ost zusammengeschlossenen antifaschistischen Verbände – und war auf beiden Seiten hoch geschätzt. Seine Ernennung als Ehrenvorsitzender 2014 war einstimmig.

Heinrich Fink vereinigt in seiner persönlichen und beruflichen Biographie zentrale Zäsuren der deutschen Geschichte. Geboren 1935 in einer deutschen Siedlung in der Sowjetunion wurde seine Familie von den Nazis „heim ins Reich“ geholt, zuerst im okkupierten Polen angesiedelt, das Kriegsende erlebte er in Brandenburg. Als Kind einer Bauernfamilie nutzte er die Möglichkeiten, die die DDR bot, und studierte von 1954 bis 1960 Theologie an der Humboldt-Universität (HUB). Im Blick auf die „Frontstadt Berlin“ entschied er sich bewusst für die DDR. Er promovierte 1966 und habilitierte sich 1978 an der HUB mit dem ausgewiesen, antifaschistischen Thema „Karl Barth und die Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz“, was nicht bei allen professoralen Kollegen gut ankam. Er war jedoch in der Lage, in beharrlichen Gesprächen und überzeugender Offenheit seine Kritiker zu gewinnen. So wurde er 1980 zum Dekan der Theologischen Fakultät gewählt. Gleichzeitig mit seiner Ernennung zum Professor für Praktische Theologie war er auch Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. In beiden Funktionen hatte er vielfältige Kontakte ins Ausland, wobei er die DDR stets als seinen Staat ansah ohne Mitglied der SED oder einer anderen Blockpartei zu sein.

Das politische Ende der DDR im Herbst 1989 begleitete er als Engagierter, der für eine bessere DDR stritt. Bei einem Einsatz der Volkspolizei gegen Demonstranten vor der Berliner Gethsemane-Kirche wurde er im Oktober 1989 verletzt. Sein hohes persönliches Ansehen führte dazu, dass Heinrich Fink im Dezember 1989 den „Runden Tisch“ an der Humboldt-Universität leitete. Im April 1990 wurde er in freier Wahl mit 341 zu 79 Stimmen zum Rektor der HU gewählt.

Eine solche Richtungsentscheidung widersprach den Vorstellungen der „Abwickler der DDR“. Mit dem Vorwurf, inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit gewesen zu sein, wurde Fink 1991 fristlos entlassen. Obwohl weder die Gauck-Behörde, noch die im Prozess angerufenen Instanzen gerichtsfeste Beweise vorlegen konnten, kämpfte Heinrich Fink sieben Jahre lang vergebens gegen diese Verleumdungen. Noch 2013 wurde sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht wiederholt, wogegen Hinrich Fink ebenfalls klagte.

Allen Anfeindungen und Hasskampagnen zum Trotz blieb er gesellschaftlich engagiert. Von 1998 bis 2001 wurde er als parteiloser Direktkandidat für die PDS in den Bundestag gewählt, wo er vor allem die Interessen der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger, die antifaschistische Kultur, die Gedenkarbeit und die Freiheit der Wissenschaft thematisierte.

Ab 2003 lag sein gesellschaftlicher Arbeitsschwerpunkt – wie beschrieben – in den Reihen der VVN-BdA. In seinen Beiträgen forderte er immer wieder, die unterschiedlichen biographischen Perspektiven und politischen Zugänge zur antifaschistischen Arbeit in der Tätigkeit der VVN-BdA angemessen zu berücksichtigen. Gleichzeitig eröffnete er uns durch seine vielfältigen gesellschaftlichen Kontakte neue Wirkungsmöglichkeiten.

Die VVN-BdA war aber auch in dieser Zeit nicht sein alleiniges Tätigkeitsfeld. Er setzte sich für weitere humanistische und antirassistische Themen ein. Für dieses Engagement erhielt er im Dezember 2013 den „Menschenrechtspreis“ der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V.“ Mit dem Tod von Prof. Dr. Heinrich Fink verliert die VVN-BdA eine der Persönlichkeiten, die die antifaschistische Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten mit prägten.

Neue Stolpersteine in Neubrandenburg

geschrieben von Axel Holz

15. Juni 2020

Statt sechs sollten am 15. Juni sieben Stolpersteine in Neubrandenburg verlegt werden. So lautete jedenfalls der Beschluss der Stadtvertreter, erklärte Amina Kanew. Sie ist Vorstand der VVN-BdA Mecklenburg-Vorpommern und Ratsfrau der Linken in Neubrandenburg. Allerdings war für Ursula Kallmann keine Freigabe vom Bundesarchiv gekommen, weil die recherchierten Ergebnisse zu ihrem Leben noch zu unpräzise waren, sagte die junge Ratsfrau und Mitinitiatorin der Steineverlegung. Der Stolperstein für sie wird später verlegt. 46 Opfer des NS-Regime sind in Neubrandenburg  bekannt und sollen weiter erforscht werden. Die Stolpersteine erinnern an die der Schicksale von NS-Opfern an deren letzten freiwilligen Wohnort – an Menschen, die verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Neubrandenburg hat mittlerweile hat elf Stolperstein. Die ersten fünf waren vor gut zehn Jahren verlegt worden. Bei sechs Menschen konnten die Mitstreiter der Initiative jetzt alle notwendigen Daten beschaffen. Für Mathilde Rosenstein, Franziska Born, Max Herrmann Heine, Henny Hirschfeldt, Hildegard Fanni Salomon und Alfred Ludwig Salomon sind nun Stolpersteine gesetzt worden, einmal am Rande des Markplatz-Centers Darrenstraße/Ecke Krämerstraße und einmal ind der Treptower Straße am Marien-Carrée. Auf einer Stadtkarte von 1907 war zu erkennen, dass an diesen Stellen einst Geschäfte und Wohnungen waren.  Für einen Stolperstein sind 120 Euro notwendig. Die VVN-BdA hatte sich am Spendenaufruf aktiv beteiligt und zahlreiche Spenden einwerben können.

Die tödliche Politik der Festung Europa: mehr als 40 000 dokumentierte Flüchtlingstodesfälle seit 1993

geschrieben von Florian Gutsche

15. Juni 2020

In diesem Jahr jährt sich der Weltflüchtlingstag am 20. Juni zum 19 mal. Dennoch sterben so viele Menschen wie nie zuvor an den europäischen Außengrenzen oder leben unter menschenunwürdigen Bedingen in Lagern. Das UNITED Netzwerk, in dem die VVN-BdA Mitglied ist, dokumentiert seit 1993 alle bekannten Tode von Menschen die in Verbindung mit der europäischen Abschottungspolitik stehen.

Die Todesursachen sind zahlreich, und jede ist erschreckender als die andere. Die meisten ertrinken im Mittelmeer. Andere werden an den Grenzen erschossen, von Menschenhändlern getötet, begehen in den Haftanstalten aus Verzweiflung, Depression und Angst Selbstmord oder werden nach ihrer Deportation in die Herkunftsländer getötet. Unter ihnen: Babys, Kinder, Teenager, Schwangere, Frauen und Männer.

Seit 1993 starben mehr als 40.000 Menschen bei dem Versuch, in Europa einen sicheren Zufluchtsort zu finden, auf der Flucht vor Krieg, grundlosen Verfolgungen, Lebensbedrohungen für ihre: Überzeugungen, politischen Ansichten oder aus Liebe.

Derzeit leben Hunderttausende von Menschen unter katastrophalen Bedingungen in elenden Flüchtlingslagern an den Außengrenzen Europas und Nordafrikas und des Nahen Ostens. Obwohl Jordanien pro Kopf der Bevölkerung die meisten Geflüchteten beherbergt und die Türkei eines der größten Aufnahmeländer ist, ist die Situation auf den griechischen Inseln, wo die Lager für menschenunwürdig erklärt wurden, besonders dramatisch. Die Coronapandemie hat die Situation verschärft und erfordert eine sofortige Reaktion. Wir fordern:

  • Die gefährlichen Lager an der EU-Außengrenze und in Griechenland müssen aufgelöst und die Geflüchteten evakuiert, dezentral untergebracht und versorgt werden.
  • Deutschland muss endlich die Kinder und Jugendlichen, zu deren Aufnahme sich „Solidarische Städte“ bereiterklärt haben, aufnehmen.

Kollektive Unschuld

geschrieben von Axel Holz

13. Juni 2020

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In einem übersichtlichen Essay thematisiert der 1977 in Hannover geborene Politikwissenschaftler Samuel Salzborn die kollektive Unschuld der Deutschen, die sich in der Abwehr der Shoah im Erinnern zeige. Er zeigt mit seinem Buch, dass im bundesdeutschen Selbstbild die Schuld- und Erinnerungsabwehr, die Selbststilisierung als Opfer und die antisemitische Projektion schon immer und bis heute hartnäckig praktiziert wird. Salzmann verleiht dem Thema dabei eine Schärfe, die es in der deutschen Diskussion so noch nicht gab. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, der Abschied vom eigenen Opfermythos und die Auseinandersetzung mit der antisemitischen Täterschaft finde in den Familiengeschichten der Bundesrepublik faktisch nicht statt. Auch die Tatsache, dass zahlreiche Tätergeschichten mittlerweile durch kritische Familienangehörige in den letzten Jahrzehnten auf den Buchmarkt aufgetaucht sind, ändert nichts an dieser Tendenz. Salzmann spricht sogar von einer linksliberalen Elite, die die NS-Aufarbeitung irrtümlich in der Masse der Bevölkerung angekommen glaubt, die es so aber nicht gebe. Die bundesdeutsche Erfolgsgeschichte von der Aufarbeitung des Holocaust sei kritisch zu hinterfragen. Tatsächlich sei in allen drei Nachfolgestaaten des NS-Regime eine Selbstinfantilisierung und Verantwortungsabwehr erfolgt.  Geschichtsvergessenheit habe uns durchgehend begleitet – von der Inszenierung der Deutschen als Opfer, der anhaltenden Sehnsucht nach Unschuld bis zur Geschichtsrelativierung. In den frühen Debatten und Straffreiheitsregelungen,  bei der Thematisierung von Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg, durch Ausstellungsprojekte der Staufer- und Preußenausstellung, in der Diskussion um das „Zentrum für Flucht und Vertreibung“ oder durch die massive Ungleichgewichtung zu Gunsten von Erinnerungsorten der DDR-Geschichte gegenüber dem NS-Gedenken komme dies systematisch zum Ausdruck.  Die klassische Täter-Opfer-Verdrehung sei bis heute ein fester Bestandteil der familiären NS-Aufarbeitung. Denn tatsächlich soll es nach wissenschaftlichen Schätzungen nur 200.000 Menschen gegeben haben, die Naziopfern geholfen haben. Nach der Memo-Studie des Instituts für interdisziplinäre Konfliktforschung der Universität Bielefeld dichten aber 28,7 Prozent der Deutschen ihren Vorfahren eine Helfer-Vita an und 68,9 Prozent der Befragten glauben, dass ihre Angehörigen nicht unter den Tätern zu finden sind. 35,9 Prozent der Befragten glauben sogar, ihre Angehörigen seien selbst zu den Opfern zu zählen. Die mangelhafte Schuldauseinandersetzung wird auch durch eine kulturelle NS-Aufarbeitung gestützt, die trotz Sternstunden wie „Der Stellvertreter“, „Shoah“, “Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“ durch kontraproduktive Aufarbeitungsszenarien geprägt war. Salzborn erinnert an die Heimatfilme der 50er Jahre, in denen das NS-Regime entdämonisiert und entpolitisiert werde. Bis heute werden die Nazi-Täter häufig zu menschlich-liebenswerten Gestalten entstellt, um sich mit ihnen identifizieren zu können und die familiäre Schuldabwehr bestätigt zu finden. Trotz zahlreicher Fortschritte bei der massenhaften Konfrontation der Bevölkerung mit der Shoah in den siebziger Jahren und der Aufarbeitung der Opfergruppen und einer neuen Gedenkkultur ab den 90er Jahren erfolgt künstlerisch eher ein Rückfall in alte Muster der Selbstverherrlichung, Schuldumkehr, Entkontextualisierung und Geschichtsrelativierung. Typische  Beispiele dafür seinen Mainstream-Produktionen wie „Die Flucht“ „Der Untergang“, „Die Gustloff“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ – ein Rückfall in alte Selbstentschuldungsmechanismen. Jeder Deutsche wisse um die Vielzahl der Täterinnen und Täter. Diese blieben aber abstrakt. Es werde nicht erkannt,  dass vielfach die eigenen Eltern und Großeltern die Täter waren. Bereits 2002 hatte Harald Welzer zusammen mit weiteren Autoren in der familienbiografischen Studie „Opa war kein Nazi“ gezeigt, wie zahlreiche Deutsche ihre Täterschaft in Opfer oder Widerstandskämpfer umdefinieren. Bis heute sehen die Mehrheit der deutschen Vertriebenenfamilien und die künstlerischen und medialen Darstellungen dazu vor allem die Opferrolle der Betroffenen, weniger deren Mitwirkung an der völkischen Germanisierungspolitik als Ursache der späteren völkerrechtskonformen Vertreibung. Bis heute ist auch die Tätervorstellung der Deutschen sehr stark auf Abwehr und Eingrenzung ausgerichtet. Die massenhafte Abschiebung der eigenen Verantwortung auf Hitler, die NS-Elite, die Kriegsverbrecher, SS, Gestapo oder NSDAP-Mitglieder hat die eigene Rolle der Vorfahren im NS-Staat systematisch aus dem Fokus genommen. Salzmann stellt Fragen nach der individuellen Schuld der Menschen in der NS-Diktatur, die so noch nicht öffentlich gestellt wurden. Es  geht dabei um Erinnerungsverweigerung einer Schuld in vielfältigem Sinne der betroffenen Erlebnisgeneration: die Schuld, den offensichtlichen Lügen der Nazis geglaubt zu haben, die Schuld bei Juden nicht eingekauft zu haben oder die Straßenseite gewechselt zu haben, um den Nachbarn nicht zu begegnen, die Schuld Freundschaften beendet zu haben, Ehepartner verlassen und Menschen denunziert zu haben. Die Aufzählung ließe sich fortführen. Salzmann hat eine Debatte entfacht, die analytisch tief geht und niemanden schont. Er verweist die Mehrheit der Deutschen auf ihre individuelle Schuld während des NS-Regimes und zugleich uns auf unserer Verantwortung für heutige Entscheidungen.

Samuel Salzborn: „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“
Berlin/Leipzig, Hentrich & Hentrich Verlag, 2020
136 Seiten, 15 Euro

Rassismus – nicht nur ein amerikanisches Problem

geschrieben von Ullrich Schneider

13. Juni 2020

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Die Proteste gegen die Tötung des Afroamerikaners George Floyd in den USA gehen auch in diesen Tagen weltweit weiter. In verschiedenen Ländern gab es – trotz Corona-Einschränkungen – eindrucksvolle Großdemonstrationen. Allein in Deutschland gingen bei gut 30 Kundgebungen am vergangenen Wochenende weit über 150.000 vor allem junge Menschen gemeinsam mit Farbigen auf die Straße unter dem Motto „Black Lives Matter“ – in Berlin mindestens 15.000, in München etwa 25.000, in Frankfurt etwa 10.000. Massenaktionen gab es auch in London, Paris, Amsterdam, Athen, Lissabon, Budapest und vielen anderen europäischen Städten.
Diese Proteste waren als stilles Gedenken organisiert. An vielen Orten knieten die Teilnehmenden für knapp neun Minuten schweigend aus dem Boden – in Erinnerung an die Dauer des Polizeieinsatzes gegen George Floyd. Viele Mitglieder antifaschistischer Verbände waren an diesen Aktionen beteiligt, wenn auch auf Fahnen und Organisationssymbole weitestgehend verzichtet worden war.

Die Proteste richteten sich nicht allein gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA, sondern sie prangerten gleichzeitig den Rassismus in ihren eigenen Ländern an. So wurde in Deutschland in dieser Woche eine Untersuchung vorgestellt, dass es allein im Jahre 2019 über 1200 polizeilich registrierte Fälle rassistischer Übergriffe gegeben habe. Noch nicht dazugezählt sind alle Formen von Racial Profiling, bei denen Personen anlasslos kontrolliert werden wegen ihrer Hautfarbe. Dazu gehören gewalttätige Angriffe, selbst der Tod von Gefangenen in Polizeigewahrsam.
Es sind keine Einzelfälle, die auf den bundesweiten Protesten lautstark kritisiert wurden. Dass innerhalb der Polizei rechtsextreme und rassistische Ideologien vertreten sind, ist insbesondere in Hessen bekannt. Doch bislang wird das Problem geleugnet.

In Frankreich erinnerten die Teilnehmenden auch an Adama Traoré, einem jungen Schwarzen, der 2016 im Norden von Paris in Polizeigewahrsam zu Tode kam. Zum vierten Jahrestag jetzt hat dessen Familie eine fundierte Untersuchung veröffentlicht, in der Ärzte zum Schluss kommen, dass Traoré damals an den brutalen Methoden der Polizei erstickt sei. Eine Gedenkveranstaltung für den Pariser war vor wenigen Tagen verboten worden. Und kürzlich hatte ein anderer Bericht die Beamten freigesprochen. Traoré sei gestorben, weil er krank gewesen sei. Das menschenunwürdige Gezerre um den zumindest tragischen Tod von Traoré, illustriert „nur“ einen der regelmäßig bekanntwerdenden Fälle von fast immer rassistisch motivierter Polizeigewalt in Frankreich. Viel zu viele Fälle mit Todes- oder Verletzungsfolge, werden jedoch in Frankreich von staatlicher Seite nie aufgeklärt.

In Amsterdam und Zwolle erinnerten die Menschen an den 40jährigen Tomy Holtens aus Haiti, der Mitte März kurz nach seiner Festnahme durch die Polizei verstarb. Auch er wurde mit körperlicher Gewalt im Polizeifahrzeug so lange fixiert, bis er bewegungslos war, wie Zeugen berichteten.

In Budapest spitzte sich die Auseinandersetzung um Rassismus nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei Jugendgruppen auf dem zentralen Deak Ter zu, bei der eines der Opfer durch einen Messerstich zu Tode kam. Etwa 2000 extrem rechte Hooligans marschierten daraufhin – trotz Verbot durch die Budapester Stadtregierung – vor der Zentrale der ungarischen Roma-Organisation auf und skandierten „Ja, es gibt Zigeunerkriminalität“. Wie bei ähnlichen Fällen versuchen extreme Rechte solche Vorfälle als Ausgangspunkt für rassistische Hetze zu nehmen. Gegen solchen Rassismus setzten vor wenigen Tagen ungarische Demokraten gemeinsam mit Repräsentanten der Roma-Verbände bei einer öffentlichen Kundgebung, auf der auch der Präsident der MEASZ und Präsident der FIR Vilmos Hanti anwesend war, ein deutliches Zeichen für antirassistische Toleranz und gegen Antiziganismus.

Ausstellung über Kriegsverbrecher Albert Speer in Peenemünde

geschrieben von Axel Holz

10. Juni 2020

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Im Historisch-Technischen Museum Peenemünde auf der Insel Usedom ist seit dem 09. Juni 2020 die Sonderausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ zu sehen. Die Ausstellung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände Nürnberg ist bis zum 30. August geplant. Der Architekt Speer (1905-1981) war  ein Haupttäter des NS-Regimes und wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er war bestimmend für die faschistische Architektur  sowie Organisator des NS-Rüstungssystems und damit auch des Raketenprogramms in Peenemünde. Er war mehrmals bei Teststarts in Peenemünde dabei. Als Rüstungsminister trug er zudem die Verantwortung für das in der Kriegswirtschaft übliche Zwangsarbeitersystem. 20 Millionen Menschen aus fast allen europäischen Ländern wurden von den Nazis zur Zwangsarbeit gezwungen. Tausende starben oder wurden von den Nazis ermordet.

Rechte nutzen häufig gleiches Schema, um Einfluss auf Zivilgesellschaft zu

geschrieben von Otto-Brenner-Stiftung

9. Juni 2020

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Rechtsextremisten und Rechtspopulisten versuchen zunehmend, in Vereinen, Verbänden oder Gewerkschaften Einfluss zu nehmen – und nutzen dabei offenbar fast immer das gleiche Schema. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall erstellt wurde und über die die „Süddeutsche Zeitung“ vorab berichtet. Der übliche Weg sei es dabei, bestehende Probleme oder Missstände aufzugreifen und diese dann zu verallgemeinern, heißt es in der Untersuchung.

Angebote und Vorwürfe

Einer der Autoren, der Politologe Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel, berichtet, Verantwortliche eines Sportvereins seien von „besorgten Mitgliedern“ angerufen worden. Diese hätten den Verein aufgefordert, „sich doch mal um unsere Kinder zu kümmern und nicht nur um solche von Flüchtlingen“. In Mecklenburg-Vorpommern habe die Frau eines NPD-Mannes einer Kita angeboten, den Kindern „alte Hauspraktiken“ beizubringen. Zudem würden Caritas-Vertreter oder Gewerkschaftsfunktionäre als „Arbeiterverräter“ oder als „Verräter christlicher Werte“ bezeichnet oder wegen des „Verrats am nationalen Sport und der deutschen Kultur“ kritisiert. Für die Studie wurden 40 Interviews mit Vertreten von Vereinen und Verbänden sowie mit der AfD geführt. Untersucht wird darin auch, wie die Vereine mit den Versuchen der Einflussnahme umgehen.

„Kein Patentrezept für Umgang mit Rechten“

Die Organisationen schwanken demnach zwischen Ignoranz, Abgrenzung, Ausschluss der betreffenden Mitglieder oder der Auseinandersetzung mit ihnen. Als Beispiel genannt wird der Arbeiter-Samariter-Bund in Sachsen, der es ablehnte, einen Erste-Hilfe-Kurs bei der AfD abzuhalten. Als Begründung hieß es, man wolle keinerlei Geschäftsbeziehung mit der AfD Studienautor Schroeder sagte der „Süddeutschen Zeitung“, für den Umgang mit Rechten gebe es kein Patentrezept. Die Organisationen müssten im Einzelfall über eine angemessene Reaktion entscheiden.

Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus

geschrieben von Axel Holz

7. Juni 2020

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Einen neuen Maßnahmekatalog für das kommende Frühjahr gegen Rechtsextremismus hat Bundesinnenminister Seehofer nach der erstmaligen Bildung eines Kabinettausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus angekündigt. Im neuen Ausschuss, der nach dem Terroranschlag von Hanau aus mehreren Bundesministern und der Integrationsbeauftragten gebildet wurde, soll der Gewalt von  rechts nun endlich wirksam begegnet werden. Dazu wurde der Bundesregierung ein Bericht vorgelegt, die sich mit rassistischer Diskriminierung, Gewalt und anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit auseinandersetzt. Insbesondere sollen Hasskriminalität bekämpft, gefährdete Personen besser geschützt, Waffengesetze verschärft und Sicherheitsbehörden aufgestockt werden. Ein neues Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt soll auch wissenschaftliche Erkenntnisse über Rechtextremismus liefern. Die politische Bildungsarbeit soll finanziell auf knapp 50 Millionen Euro und die Bundeszentrale für politische Bildung personell um 20 Prozent aufgestockt werden. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass rechtsextreme Gewalttaten inzwischen ernster genommen werden. Das Verbot der Nazi-Gruppierung „Combat 18“, das Verbot einer Reichsbürgervereinigung und die bundesweite Durchsuchung von Reichsbürgerwohnungen deuten darauf hin. Auch die Änderung des Soldatengesetzes, um rechtsextreme Zeit-Soldaten schneller fristlos entlassen zu können, kann man positiv werten. Aber reicht das aus und wird das Bestand haben? Bundesfamilienministerin Giffey fordert schon lange Planungssicherheit für Demokratieprojekte und der Geschäftsführer der Amadeo-Antonio-Stiftung vermisst klare Ziele der Bundesregierung im Kampf gegen rechte Gewalt. Die Halbierung der politisch motivierten Kriminalität in den nächsten fünf Jahren wäre etwa solch ein konkretes Ziel. Stattdessen sehen wir bisher einen weiteren Anstieg der rechtextremen Szene in Deutschland im vergangenen Jahr um fast ein Viertel auf 30.000, darunter 15.000 Gewaltbereite. Allein antisemitische Straftaten sind  im Vorjahr um 13 Prozent gewachsen.  Da scheint die Meldung von einem Anstieg der  beobachteten rechtsextremen Gefährder auf nur 65 in diesem Jahr nicht gerade beruhigend, denn wie viele weitere terroraphine Nazis sind bisher nicht entdeckt? Warum  ist die Gefährdungsprognosesoftware „Radar rechts“ im Bundeskriminalamt noch nicht umfassend eingeführt worden? Ob es die Bundesregierung mit dem angekündigten Kampf gegen Rechtsextremismus wirklich ernst meint, muss man an ihren Taten messen und daran, ob sie dies auch dauerhaft wirksam betreibt. Der Umgang mit rechtem Terror im NSU-Prozess, der eine vernetzte Naziszene ausblendet und die skandalöse Rolle der Sicherheitsorgane ignoriert, lässt uns eher skeptisch bleiben.

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