Axel Holz zum Tag der Erinnerung und Mahnung am 12. September 2020 in Rostock

geschrieben von Axel Holz

13. September 2020

In diesem Jahr begehen wir den 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Viele der geplanten Feierlichkeiten haben wegen der CORONA-Krise nicht wie geplant stattgefunden oder sind komplett ausgefallen. Immerhin gab es zahlreiche Gedenkveranstaltungen in KZ-Gedenkstätten und das vielfache Gedenken einzelner Akteure an den Gedenk- und Erinnerungsorten an die Verbrechen des Naziregimes und seine Opfer in unserem Land, an Befreiung, Widerstand, selbstlose Hilfe und Verweigerung. Denken wir nur an den Widerstand der jüdischen Häftlinge in vielen Konzentrationslager. Am 2. August 1943 war beispielsweise bis zu 800 Häftlingen bei einem Aufstand im Vernichtungslager Treblinka die Flucht gelungen. Dieser gelungene Aufstand zeugt neben andere KZ-Aufständen vom Widerstandswillen der jüdischen Häftlinge.

75. Jahre nach der Befreiung vom Faschismus stellt sich erneut die Frage nach dem Sinn dieses Gedenkens. In der Erinnerungskultur unseres Landes ist sehr viele Positives passiert seit Bundespräsident Weizsäcker 1985 in Westdeutschland erstmals von Befreiung gesprochen hat. In der DDR hatten der Begriff der Befreiung und der Tag der Befreiung da bereits eine Jahrzehnte lange Tradition, auch wenn die Darstellung von Opfern und Widerstand gegen den Faschismus einige Lücken und Einseitigkeiten aufwies.

Wir meinen, dass der Sinn des Gedenkens an die Befreiung vom Faschismus nicht nur heute noch gegeben ist, sondern dringender denn je ist. Faschistische und rechtspopulistische Gruppierungen sind nicht nur in Deutschland, sondern europaweit auf dem Vormarsch. Diskriminierende Einstellungen gegen Ausländer, Migranten und Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und ethnischer Herkunft haben zugenommen.

Die Diskussion um die jeweils zeitlich und örtlich richtigen CORONA-Maßnahmen haben die Hemmschwelle für viele besorgte und verängstigte Bürgerinnen und Bürger weiter herabgesetzt, gemeinsam mit Nazis, Antisemiten und Verschwörungstheoretikern im Schulterschluss zu demonstrieren und deren Inhalte und Aktivitäten damit aufzuwerten. Gleichzeitig haben rechte Gewalttaten bis zum Mord nicht ab-, sondern zugenommen – mit dutzenden Opfern des NSU und rassistischen Morden in Halle und Hanau. Heute ist die antifaschistische Einheit der Demokraten dringender denn je zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Zugleich möchten wir mit dem 75. Jahrestag der Befreiung im Jahr der Befreiung an die Ziele der alliierten Aufarbeitung des Faschismus vor 75 Jahren erinnern, wie sie sich in den Ergebnissen der Potsdamer Konferenz wiederfinden. Diese Ziele kann man auch in einer Ausstellung im Cecilienhof in Potsdam verfolgen, die ich sehr empfehlen kann. Die Ziele der Alliierten in Potsdam waren die Dezentralisierung Deutschlands zusammen mit einer Demonopolisierung der Wirtschaft. Ziele waren außerdem die Demilitarisierung, die Denazifizierung und die Demokratisierung Deutschlands.

Diese Ziele wurden teilweise unterlaufen – durch die Abkehr von der Zielstellung der Zerschlagung der Rüstungs- und Kriegsmonopole und durch die Rehabilitierung der Nazis im Staatsapparat sowie durch die Nichtverfolgung vieler Kriegsverbrecher. Die Vision der Buchenwaldhäftlinge in ihrem Schwur nach der Befreiung, eine Welt des Friedens und der Freiheit zu errichten, ist bis heute nicht erfüllt. Kriege gehören auch im 21. Jahrhundert zum weltweiten Alltag und Freiheit gibt es vielerorts gar nicht –  und nicht selten nur, wenn man sie sich leisten kann.

75 Jahre Befreiung vom Faschismus sollen uns aber auch daran erinnern, dass mit den von den Alliierten beschlossenen Kriegsverbrecherprozessen erstmals Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet wurden und diese Ahndung zum Maßstab der Rechtsprechung in vielen Ländern gemacht wurde –  speziell auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der ist auch für Verbrechen verantwortlich, die außerhalb Europas begangen wurden. Wir müssen feststellen, dass dieser Forstschritt und die Glaubwürdigkeit bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen insbesondere durch das Verhalten der USA derzeit eher untergaben als befördert wird.

75 Jahre Befreiung vom Faschismus bedeutet auch der Beginn eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa, das bis heute Bestand hat. Mit der UNO hat ein System der Friedenssicherung in der Welt Einzug gehalten hat, nachdem der Völkerbund als folgenloser Debattierklub sträflich versagt hatte.

Es gilt heute mehr denn je, dieses System der kollektiven Sicherheit zu erhalten und zu verteidigen. Das System der Friedenssicherung kann ein Garant sein, um wirksam neuem Nationalismus und damit auch neuen Kriegsgefahren entgegenzuwirken.

75 Jahre Befreiung vom Faschismus bedeuten, das Frieden und Freiheit heute aktiv, partei- und konfessionsübergreifend verteidigt werden müssen – gegen Rassismus, gegen neuen Nationalismus, gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit.

In diesem Sinne wünsche ich uns ein aktives Jahr im Gedenken an die Befreiung vom Faschismus. Es geht darum, eine der zentralen Grundlagen unserer Demokratie zu bewahren und umzusetzen – wie der ehemalige Bundeskanzler Schröder den Schwur der Häftlinge von Buchenwald in einer Gedenkrede nannte.