Vor 90 Jahren traf Hitler die künftigen Wehrwirtschaftsführer im Düsseldorfer Industrieclub

geschrieben von Ulrich Sander

27. Januar 2022

(aus Neues Deutschland vom 26. 01. 22)

Die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, aber auch die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitlerdeutschland am 1. September 1939, mit dem die Nazis den systematischen Mord an den europäischen Juden eröffneten, sind heute hierzulande Jahrestage des Gedenkens an die Opfer. Der 20. Januar wiederum dient der Benennung der Täter, die vor nunmehr 80 Jahren in einer Villa am Berliner Wannsee die Details der »Endlösung der Judenfrage« berieten, wie es im zynischen NS-Jargon hieß. Wie aber steht es um den 26. Januar 1932? Wer weiß, was an jenem Tag in einem Düsseldorfer Hotel geschah? Gerade dieses Datum eignet sich dazu, Ursachen aufzuzeigen, vor Ungeist zu warnen, den es noch heute in der Bundesrepublik gibt.
Auch in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens gibt es Stolpersteine, die an die Ermordeten erinnern. Weit weniger Tafeln befinden sich an Orten der Täter. Zeitweilig gab es eine solche auch am Gebäude des 1912 gegründeten und noch heute existierenden Industrie-Clubs, wo sich am genannten Januartag, ein Jahr vor der Übertragung der Macht in Deutschland an Adolf Hitler, Hunderte spätere Wehrwirtschaftsführer mit dem Führer der Nazipartei trafen. Sie wird immer wieder abmontiert. Düsseldorfs Antifaschisten geben jedoch nicht auf, befestigen dort immer wieder eine neue. Ein stetiger Kampf, der viel aussagt über gewollte Erinnerungslücken von Wirtschaft und Behörden.
Der seinerzeitige Präsident des Industrie-Clubs, einer exklusiven Vereinigung von Großindustriellen, war damals Jost Henkel, Boss von Persil. Er hat Hitler eingeladen. Die Unternehmensführer wollten Hitlers Programm kennenlernen. Hitler kam gerne und brachte Hermann Göring und den seinerzeitigen Chef der Terrortruppe SA, Ernst Röhm, mit. Dass sich die Wirtschaftsmagnaten mit Hitler treffen wollten, war zuvor bekannt geworden. Arbeiter, Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialdemokraten zogen protestierend vor das Düsseldorfer Parkhotel, wo der Club anssäsig war (und ist). Unter ihnen war der vor einigen Jahren verstorbene Fritz Hollstein. Er erinnerte sich: »Als wir Jung-Gewerkschaftler davon erfuhren, waren wir entsetzt. Uns war bekannt, was Hitler in seinem Buch ›Mein Kampf‹ proklamiert hatte: Antisemitismus und Gewalt. Wir zogen also zum Industrie-Club, um die Unternehmer zu warnen. Auf dem Wege dorthin begegnete uns eine marschierende SA-Kolonne mit Hakenkreuz-Fahne, die sang: ›Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut!‹« Hollstein berichtete von beeindruckend vielen Demonstranten. »Vom benachbarten Arbeitsamt kamen eine Anzahl Arbeitslose hinzu. Die Polizei, teils zu Pferd, wurde gegen uns eingesetzt, weil wir warnend riefen: ›Hitler – das ist der Krieg!‹ Wir wurden verprügelt, manche in den Keller des benachbarten Opernhauses eingesperrt.«
Annähernd 650 Industrielle und Bankiers waren im Industrie-Club versammelt, um Hitler anzuhören. Der Oberbürgermeister von Düsseldorf, Dr. Robert Lehr, begrüßte ihn devot. Selbiger wurde nach dem Krieg in der Regierung von Konrad Adenauer Innenminister und war aktiv am Verbotsverfahren gegen die KPD und FDJ beteiligt. Hitler legte in einer Rede seine Konzeption vor. Er versprach, den Marxismus auszurotten, die Gewerkschaften zu zerschlagen, die Demokratie abzuschaffen: »Ich sehe zwei Prinzipien, die sich schroff gegenüberstehen: Das Prinzip der Demokratie, das überall, wo es sich praktisch auswirkt, das Prinzip der Zerstörung ist. Und das Prinzip der Autorität der Persönlichkeit, das ich als das Leistungsprinzip bezeichnen möchte.« Bedroht werde dieses Leistungsprinzip vor allem durch die Arbeiterbewegung. »Wenn wir nicht wären, gäbe es schon heute in Deutschland kein Bürgertum mehr«, biederte sich Hitler bei den Industriellen an. Er erklärte, die Reichswehr auszubauen, aufzurüsten und »Lebensraum im Osten« zu erobern. Die Armee gelte es zum Vorbild im »Machtstaat« zu machen, die Wirtschaft allein könne Deutschland nicht zum führenden europäischen Exporteur machen. Dazu bedürfe es des Militärs, um »unbedingte Autorität« durchzusetzen. Das »Führungsprinzip der Wirtschaft« sei in keiner politischen Organisation außer der NSDAP verwirklicht.
Gern hörten die Industriellen auch Hitlers Thesen vom deutschen »Herrenmenschen« an: »Die weiße Rasse kann (…) ihre Stellung nur dann praktisch aufrechterhalten, wenn die Verschiedenartigkeit der Lebensstandards in der Welt aufrecht erhalten bleibt.« Es sollte die Möglichkeit, billigste Rohstoffe zu erlangen, und sich an der Ausplünderung abhängig gehaltener Länder zu bereichern, gewährt werden – was in Zeiten der Globalisierung recht aktuell klingt. Industrielle und Bankiers dankten Hitler denn auch mit Beifall. Über die »sozialistischen« Phrasen der NSDAP sahen sie hinweg, die waren für die Massen, nicht für Eliten bestimmt. Die »Herrenmenschentheorie« Hitlers sagte den Konzernchefs zu. Heute werden deren Ambitionen vornehm mit »Werte des Westens« umschrieben. Es flossen nicht erst jetzt, aber nun noch reichlicher Spenden der Banker und Industriellen an die Nazipartei.
Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern, die vor dem Industrie-Club protestierten, war auch die spätere Widerstandskämpferin und VVN-Aktivistin Maria Wachter. In ihren Vorträgen als Zeitzeugin vor der Jugend hatte sie immer wieder, bis zu ihrem Tode, gefordert ,dass am Sitz des Industrie-Clubs in Düsseldorf, im Parkhotel in der Elberfelder Straße, eine Tafel angebracht wird mit dem Text: »Hier bekam Hitler von Großindustriellen und Bankiers Beifall und Geld, hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt!« Die Widerstandskämpferin Maria Wachter war in der Nazizeit fünf Jahre in einem Zuchthaus eingesperrt, Persil-Boss Henkel aber, der Persil-Boss, der Hitler zum Industrie-Club eingeladen hatte, wurde Wehrwirtschaftsführer.
Dem Vortrag Hitlers vor dem Industrie-Club folgten weitere Treffen mit den Wirtschaftsgewaltigen. Bereits am nächsten Tag, am 27. Januar, traf sich Hitler auf Schloss Landsberg, das dem Großindustriellen Fritz Thyssen gehörte, mit eben diesem und dem Großindustriellen Ernst Poensgen, Chef der Vereinigten Stahlwerke. Hier wurde konkret über die Finanzierung der Nazipartei gesprochen. Thyssen, schon lange Großspender für Hitlers Bewegung, hat die Finanzierung später in seinem Buch »I paid Hitler« (Ich bezahlte Hitler) geschildert.
Nach dem Januar 1932 überstürzten sich die Ereignisse, die Hitler den Weg an die Macht ebneten. Im Juli wurde die SPD-Regierung unter Otto Braun in Preußen gestürzt – unter Mitwirkung des gerade erste mit sozialdemokratischen Stimmen wiedergewählten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der mit einer Notverordnung die gesamte Polizeigewalt im Staate, also auch in Preußen, an Reichskanzler Franz von Papen übertrug. Dieser Putsch am 20. Juli 1932 vereitelte eine einheitliche demokratische und antifaschistischen Gegenwehr. Im November kam es dann zur sogenannten Industriellen-Eingabe an Hindenburg mit dem Ziel, dass dieser Hitler die Kanzlerschaft übertrage, was am 30. Januar 1933 erfolgte. Die weitere unheilvolle Entwicklung, der Mord an Hunderttausenden politischen Gegnern der Nazis, der Mord an sechs Millionen Juden und über 50 Millionen Weltkriegstote, dürfte bekannt sein.


Der Autor Ulrich Sander, Sprecher der Initiative der VVN-BdA »Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945«, diskutiert heute ab 19 Uhr auf einer Onlineveranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist:innen über die Folgen des Düsseldorfer Treffens mit Maxi Schneider, Referentin für Geschichts- und Erinnerungspolitik der VVN-BdA; live auf Zoom, vvn-bda.de/wie-die-deutsche-wirtschaft-dem-faschismus-zur-macht-verhalf