Vor 80 Jahren – das Verbrechen von Babyn Jar

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider

24. September 2021


Die FIR erinnert in diesen Tagen an eines der schlimmsten Verbrechen im faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, das Massaker Ende September 1941 in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew (Ukraine). Mit Beginn des Überfalls fanden durch die vormarschierende Wehrmacht und im Rücken der Front durch SS-Einsatzgruppen sowie nationalistische Kollaborateure Mordaktionen an jüdischen Menschen, politischen Gegnern, Partisanen und Anhängern der Sowjetmacht statt. 
Die Details des Verbrechens sind seit Jahren bekannt. Vorgeblich wegen Bränden und Explosionen im Kiewer Stadtzentrum kamen der Befehlshaber der 6. Armee, Generalfeldmarschall von Reichenau, der Stadtkommandant von Kiew, Generalmajor Eberhard, der Befehlshaber der Einsatzgruppe C, SS-Brigadeführer Otto Rasch, sowie der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a, SS-Standartenführer Paul Blobel überein, die in der Stadt verbliebenen Juden zu töten und dieses Vorhaben als „Evakuierungsaktion“ zu tarnen.
In deutscher Bürokratensprache wurde in der „Ereignismeldung Nr. 106“ nach Berlin gemeldet:
„Am 28. September 1941 wurden Bekanntmachungen über eine Evakuierung an die Kiewer Juden herausgegeben. Diese sollten sich am folgenden Tag in der Nähe des Bahnhofes einfinden und warme Kleidung, Geld sowie persönliche Dokumente und Wertgegenstände mitbringen. Diesem Aufruf folgten mehr Juden als erwartet. In Gruppen wurden diese aus der Stadt und zur Schlucht geführt, mussten sich dort ihrer Kleidung entledigen und wurden dann entsprechend dem „Einsatzbefehl der Einsatzgruppe Nr. 101“ systematisch durch Maschinengewehr- und Maschinenpistolenfeuer erschossen. Bei den Erschießungen am 29. und 30. September 1941 wurden laut Ereignismeldung der SS-Einsatzgruppe C vom 2. Oktober 1941 innerhalb von 36 Stunden 33.771 Juden getötet.“
Die Habseligkeiten der Ermordeten wurden an Volksdeutsche und Kollaborateure verteilt, die Kleider wurden mit über 100 Lkw ins Deutsche Reich gebracht und der NS-Volkswohlfahrt übergeben. Nachdem deutsche Pioniere 1941 durch Sprengungen dieses Massengrabes tarnten, mussten im Sommer 1943 – beim Rückzug der Wehrmacht – KZ Häftlinge diese Leichen und weitere im Umfeld der Schlucht ermordeten Sowjetbürger wieder ausgraben und verbrennen, um so die Beweise für die Verbrechen zu beseitigen. 
Das Verbrechen von Babyn Jar wurde juristisch sowohl in der Sowjetunion, aber insbesondere beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, im Prozess Nr.9 (Einsatzgruppenprozess) verhandelt. Der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a Paul Blobel wurde 1948 zum Tode verurteilt und 1951 tatsächlich hingerichtet. Kein an dem Verbrechen beteiligter Offizier der Wehrmacht musste sich jemals vor Gericht verantworten.
Trotz dieser Dimension des Verbrechens dauerte es Jahrzehnte, bis es eine erste Gedenkstätte für die „ermordeten Sowjetbürger und Kriegsgefangenen“ gab. Erst 1991 wurde mit der Errichtung einer Menora als Gedenkzeichen gezeigt, dass es überwiegend jüdische Opfer in Babyn Jar gab.
Bis heute gibt es geschichtspolitischen Streit um diesen Gedenkort. Ein mit staatlicher Unterstützung geplantes Babyn Yar Holocaust Memorial Center (BYHMC) steht national und international in der Kritik. Fachleute warfen dem Konzept vor, eher ein ›Holocaust-Disney‹ als einem Ort der Erinnerung und Reflexion zu schaffen. Nationalistische Kräfte, die sich für die Bandera-Verherrlichung einsetzen, kritisieren, hier werde der ukrainischen Opfer zu wenig gedacht – als seien die Kiewer Juden keine Einwohner der Ukraine gewesen. Der ukrainische Präsident Zelensky setzt sich zwar für die Gedenkstätte ein, doch wohl eher aus außenpolitischem Interesse.
Antifaschistische Kräfte in der Ukraine erklären in diesem Zusammenhang:
Sie treten ein für eine Gedenkstätte am historischen Ort Babyn Jar, die dem besonderen Charakter des Verbrechens Rechnung trägt und gleichzeitig den Kampf der Partisanen und der Roten Armee um die Befreiung des Landes würdigt.
Glaubwürdig für eine solche Gedenkstätte könne nur der eintreten, der gegen die zunehmenden Exzesse des Antisemitismus und des Geschichtsrevisionismus im Land kämpft. Hier hat die ukrainische Regierung noch erhebliche Defizite.
Die FIR begrüßt alle ernsthaften Bestrebungen zur Neugestaltung der Gedenkstätte in Babyn Jar und unterstützt die Forderungen der ukrainischen Antifaschisten.