Verleihung des Erich-Kahry-Preises am 7. Mai 2022: Festrede von Axel Holz

geschrieben von Axel Holz

9. Mai 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Einladung zur Verleihung des Erich-Kahry-Preises. Der Preis wird heute in Neustadt-Glewe wegen der Corona-Pandemie mit einem Jahr Verspätung verliehen. Der Anlass für diese Verleihung kann aber gar nicht zu spät kommen. Denn mit diesem Preis soll ehrenamtliches Engagement zur Stärkung der Demokratie gewürdigt und das Andenken an den Antifaschisten Erich Kahry hochgehalten werden. Zwischen beidem gibt es einen wesentlichen Zusammenhang. Denn die Stärkung von Demokratie ist die wirksamste Kraft gegen wiedererstarkenden Nationalismus, gegen Rassismus und die Ausgrenzung von Menschen.

Erich Kahry war ein Holocaustüberlebender und Zeitzeuge, der zusammen mit seiner Mutter aus rassistischen Gründen als Jude mit dem 37.“Osttransport“ in das KZ Auschwitz deportiert wurde. Dort wurde seine Mutter sofort nach deren Ankunft ermordet und Erich Kahry durchlitt nach dem KZ Auschwitz III in Monnowitz zahlreiche Transporte und weitere Konzentrationslager in Mauthausen, Mittelbau-Dora, Ravensbrück und schließlich Wöbbelin. Diese Orte sind heute aktive Gedenkstätten, die an die Opfer der NS-Diktatur und an das NS-Regime erinnern.

Erich Kahry hat sich nach seiner Befreiung aus dem KZ Wöbbelin für die Erinnerung an den Faschismus eingesetzt und er hat selbst erinnert. Ihm ist es gelungen, die Erinnerung auch für nachwachsende Generationen wach zu halten, die Menschen in seiner Nähe und in der Nähe der Gedenkstätte Wöbbelin in die Erinnerung einzubeziehen und aktiv an der Erinnerungsarbeit zu beteiligen –  etwa in den zahlreichen Veranstaltungen des Erinnerungs-Cafés, bei den Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen und im Kontakt mit Überlebenden aus ganz Europa, mit Angehörigen der Opfer und mit deren Befreiern.

Für mich ist das zeitgemäße antifaschistische Arbeit, die dem Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald Ausdruck verleiht, den Faschismus mit seinen Wurzeln auszurotten und eine Welt des Friedens und der Freiheit als Ziel anzustreben und aufzubauen.

Diesem Ziel ist auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes seit ihrer Gründung im Jahre 1947 in Frankfurt am Main verpflichtet, dem Ort, an dem der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer den Auschwitz-Prozess begleitete. Er war einer der Wenigen, die die  Verfolgung der Täter vorantrieb und durchführte, während die Mehrheit der Bevölkerung und im Westen auch der Politiker lieber nicht an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnert werden wollte. Zum Glück hat sich das nach 1990 geändert. Mittlerweile wird angemessen an die verschiedenen, teilweise vergessenen oder  – wie im Falle der Sinti und Roma – durch staatliches Agieren lange Zeit weiter verhöhnten, Opfergruppen erinnert.

Gedenken an die NS-Opfer heißt aber nicht nur, an diese Opfer angemessen zu erinnern. Es bedeutet auch, neuen Nazis, neuem Nationalismus, neuem Rassismus und Antisemitismus –  wo auch immer – entschieden entgegenzutreten. Als die spätere Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Esther Bejarano, nach Jahren in Israel in die BRD zurückkehrte, wurde sie vor ihrem Textil-Geschäft mit neuen Nazis konfrontiert. Es war der Punkt, an dem sie sich entschied, als Antifaschistin in der VVN aktiv zu werden.

Für die VVN bedeutet dies,

  • an Opfer und Täter vor Ort zu erinnern,
  • Zeitzeugen und  Autoren öffentliche Foren zu bieten
  • generationsübergreifend Geschichte zu erforschen
  • Neofaschisten und Rassisten entgegenzutreten
  • sich an antifaschistischen Bündnissen zu beteiligen
  • die Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ örtlich und bundesweit zu tragen
  • aktive Solidarität mit Migrantinnen und Migranten zu leisten, unabhängig von deren Herkunft
  • für antifaschistische Ziele zu kämpfen, wie „Nazis raus aus den Parlamenten“
  • zu diskutieren und zu feiern, wir vor wenigen Wochen zum 75. Jahrestag der VVN-BdA mit einer Festveranstaltung in Frankfurt.

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg – das ist nicht nur die Losung der Überlebenden Opfer des Naziregimes, sondern heute wichtiger denn je angesichts eines Rechtsrucks in ganz Europa und eines neuen verheerenden Krieges.

Das bedeutet eben, an alle Nazi-Opfer zu erinnern, an die ukrainischen wie an die russischen, denn Russland führt diesen Krieg und nicht die ehemalige Sowjetunion und die in ihr vereinigten Nationen, die alle im 2. Weltkrieg hohe Opfer erleiden mussten. Die Losung  bedeutet heute nicht nur, dem überfallenen ukrainischen Volk mit Waffen zu helfen, sondern weltweit  jede, wenn noch so kleine Chance zu nutzen, diesen Krieg mit Verhandlungen zu beenden – mit einem Kompromiss, bei dem keine Seite siegt oder Recht bekommt. Der renommierte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze sprach von einem schmutzigen Deal, mit dem dieser Krieg beendet werden könnte –  aber eben ein Deal, der das Töten, die Flucht von Hunderttausenden und die zahlreichen Kriegsverbrechen beenden könnte.

Aktiver Antifaschismus bedeutet auch Stärkung der Demokratie. Das ist vor allem ein Prozess der Beteiligung von Menschen in der Zivilgesellschaft, das bedeutet Schutz der Grundrechte und die konsequente Abwehr von Angriffen auf diese Grundrechte. Es bedeutet auch Erhaltung der demokratischen Errungenschaften  – im Sozialen, bei der Gleichstellung der Frauen und ihrem Schutz vor Gewalt, beim Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, bei der Durchsetzung von Kinderechten und dem Schutz der Kinder. Alle diese Errungenschaften sind durch rechtspopulistische Entwicklungen gefährdet. Wir sehen dies gerade in den USA beim Versuch, das Recht auf Abtreibung wieder abzuschaffen. All dies, was heute vielen Menschen als gesellschaftliche Errungenschaften selbstverständlich erscheint, kann wieder verloren gehen, wenn es nicht verteidigt wird.

Stärkung der Demokratie ist Antifaschismus. Erinnern wir uns: Die schleichende Zerschlagung der Demokratie, die Zersetzung demokratischer Werte durch konservative Angriffe, ein Staat, der selbst nicht konsequent der Demokratie verpflichtet war und die tatenlose Hinnahme von Nationalismus und Rassismus – all das waren wesentliche Gründe, die den Prozess zum deutschen Faschismus ermöglicht haben. Die genannten Gründe haben aber auch in Italien, Kroatien, Ungarn oder Rumänien zur Etablierung  faschistischer Regimes geführt. Diesen Prozess zu erkennen und ihm zu begegnen ist nicht weniger wichtig, wie die Interessengebundenheit der Politik und die des Krieges zu beachten.

In diesem Sinne ist die Stärkung der Demokratie heute eine unserer wichtigsten antifaschistischen Aufgaben. Und diese Aufgabe ist eben auch ein immanenter Teil des Gedenkens – wenn das Gedenken einen Sinn haben soll, wenn Gedenken einen emanzipativen Impuls geben soll, wenn es unser Handeln heute produktiv begleiten soll.

Die Auszeichnung von Demokratieprojekten heute an diesem Ort ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie. 

Ihnen allen mein Dank,  die tiefe Anerkennung zu dieser Initiative und meinen Glückwunsch an die heutigen Preisträger.

Vielen Dank!