Verdrängung ganz nah

geschrieben von Axel Holz

21. März 2024

Der Film „The Zone of interest“ beschreibt das Familienleben des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß am Rande des Konzentrationslagers

Filme über deutsche Konzentrationslager gehören mittlerweile zu unserem kulturellen und politischen Erbe, um an das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte zu erinnern, den Holocaust. Frank Beyers Defa-Film „Nackt unter Wölfen“ hat im Osten Schülergenerationen begleitet, die Verfilmung von Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ die einzige Oskar-Nominierung eines DEFA-Films ermöglicht und auch Artur Brauners Verfilmung von Eugen Yorks Drama „Morituri“ in Westdeutschland hatte für Aufsehen gesorgt. Alle drei Filme spielen im Konzentrationslager und sprechen zu uns aus der Sicht der Häftlinge.

Ein Film aus Täterperspektive

Jonathan Glazers neuer Film wechselt die Perspektive in Richtung Täter und statt Grauen zu zeigen, macht er es hörbar. Er nimmt einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Deutschen ein und betrachtet die ungeliebte Schwester des Vergessens, die Verdrängung – und dies zugespitzt bis ins Unerträgliche. Die Verfilmung von Martin Amis Roman „Interessengebiete“ betrachtet das Familienleben des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß hinter der Mauer des Konzentrationslagers Auschwitz, zusammen mit dessen Frau Hedwig, fünf Kindern, drei Angestellten und einem Hund. Die Villa ist von einem Garten umgeben, den Hedwig das „Paradies“ nennt und sich selbst „Die Königin von Auschwitz“. Während Hedwig Höß ihre Kinder gelegentlich streng zur Ordnung ruft, Rudolf Höss sie zugleich liebevoll umhegt und abends mit seiner Frau vor dem Schlafen lacht und Belanglosigkeiten austauscht, hört man aus dem KZ ständig Zuggeräusche, Schreie der Wachsoldaten und der Häftlinge, Schüsse und das Bellen von Hunden. Das Ganze wirkt wie eine Blaupause der Banalität des Bösen. Tag und Nacht lodern und donnern die Schornsteine der Krematorien während sich Asche über die Gegend legt, die die Nase regelmäßig verstopft. Der Film deutet die Traumata der Höß-Kinder an, um die sich niemand kümmert. Wenn der Vater seiner Tochter das Märchen von Hänsel und Gretel vorliest und darin die Hexe im Ofen verbrannt wird, stockt dem Zuschauer der Atem. Im Hause Höß wird über Auschwitz und Politik nicht geredet.

Überzeugende Charakterstudien

Hedwig Höß gibt sich als strenge Mutter und fleißige Gärtnerin, deren einzige Interessen der nächste Urlaub, Make up, Treffen mit Freundinnen, Geburtstage und Klamotten sind, die als geraubte Pelzmäntel oder Damenwäsche regelmäßig aus dem Lager ankommen wie Amazon-Pakete heute. Sie weiß über Auschwitz Bescheid und droht einer Zwangs-Angestellten bei Ungehorsam ihrem Mann zu befehlen, deren Asche über die Felder von Babice zu verstreuen. Sie wird von ihrer Mutter bei einem Besuch wegen des großzügigen Hauses bewundert, die aber nach kurzer Zeit überraschend wieder abfährt und wortlos einen Brief hinterlässt, den Hedwig wütend verbrennt. Sie will nicht daran erinnert werden, wie unerträglich das Leben in Auschwitz ist, das sie führt und genießt. Zugleich ist es Hedwig, die ihren Ehemann zur Karriere antreibt und darauf besteht in Auschwitz zu bleiben, während er nach Oranienburg versetzt wird. Rudolf Höß kehrt mit dem Auftrag nach Auschwitz zurück, die Vernichtung von 600.000 ungarischen Juden in die Wege zu leiten. Der Auftrag wird schnell nach ihm Höß-Aktion benannt. Rudolf Höß wird morgens zur Arbeit verabschiedet, auf die er sich auf einem Pferd begibt. Er selbst erscheint eher ruhig und unscheinbar. Der pervers-akribische Technokrat des Staatsterrors wird vom Auschwitzüberlebenden und Friseur des Lagerkommandanten Jozéf Paczynski als „ganz normaler, ehrlicher, ruhiger und schweigsamer Mensch“ beschrieben, „der niemanden schlug“. Höß verfasst in seinem Büro eine Anweisung zum Schutz von Fliederbüschen auf dem KZ-Gelände „im Interesse der Gemeinschaft und zur Ausschmückung des Lagers“. Ab und zu muss er selbst kotzen oder lässt sich Sexsklavinnen im Keller zuführen.

Rudolf Höß wird von Christian Friedel als weicher Charakter gespielt und ähnelt tatsächlich äußerlich seiner gespielten Figur ein wenig. Zusammen mit Sandra Hüller als Ehefrau Hedwig meistern sie ihre schwierigen Rollen in einem nachgebauten Höß-Haus mit versteckten Kameras und lassen ihre Figuren Menschen ähneln, die sie aber nicht erklären.

Ausgezeichneter Film

Der Film des amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Jonathan Glaser, der aus einer jüdischen Familie stammt, hat einen Oskar als bester internationaler Film erhalten und einen zweiten für den dissonanten Sound, der die vorgelogene Harmonie der Höß-Familie im Film konterkariert. Die Scheinwelt der Familie Höß wird nur durch zwei weitere Ebenen durchbrochen, die uns wohl darauf hinweisen sollen, was im Film nicht zu sehen ist und nur als Geisterfilm im Kopf der Zuschauer mitläuft, nämlich an einem Ort der Vernichtung und des Grauens zu sein. In verfremdeten Bildern sehen wir, wie eine Höß-Angestellte unter Lebensgefahr nachts Lebensmittel für KZ-Häftlinge an deren Arbeitsort außerhalb des Lagers versteckt und zum Schluss reale Angestellte der Gedenkstätte Auschwitz beim Saubermachen des Museums. Es ist kein Traum, den der Zuschauer gerade erlebt hat, sondern die Wirklichkeit.  Der Film lässt die Zuschauer nachdenklich und betroffen zurück. Vielleicht mit dem Gedanken, wie sehr Verdrängung angesichts des tausendfachen Mordens vor der Haustür möglich sein kann und vielleicht auch darüber, was wir heute alles verdrängen.