Rede zur Eröffnung des Sachsenhausengedenklaufes am 1. Mai 2016 in Schwerin

1. Mai 2016

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Liebe Sportlerinnen und Sportler,
heute eröffnen wir den 51. Sachsenhausengedenklauf. Seit einigen Jahren übernehme ich die Eröffnung, also auch schon eine Tradition.
Aber warum treffen wir uns hier jedes Jahr von Neuem?
Einerseits um an das schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte zu erinnern, an den deutschen Faschismus, den es ja neben dem italienischen ebenso spezifisch gab, wie den spanischen unter Francisko Franco, den kroatischen unter Ante Pevelic oder den rumänischen Ion Antonescu. In vielen europäischen Ländern gab es gleichzeitig faschistische Parteien, sogar in den USA, von wo aus viele die Nazis in Deutschland bewunderten. Spezifisch deutsch war wiederum, dass aus einer Ideologie eine Bewegung und ein Staat wurde, der einen verbrecherischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg begann. Daran sollte man schon erinnern, nicht nur an unsere Stärken als Deutsche, an Schiller und Goethe, an 1848, an die Reichsgründung als Nation 1870 oder das Jahr 1918, das uns die Republik, demokratische Grundrechte für alle und die Regeln der Demokratie gebracht hat. Und zum düstersten Kapitel deutscher Geschichte gehört eben auch der Todesmarsch aus Sachsenhausen, der für 6.000 der ca. 20.000 KZ-Häftlinge auf diesem Wege tödlich endete. Warum soll man daran erinnern, wenn das alles doch mittlerweile über 75 Jahre her ist und die Deutschen gute Demokraten geworden sind? Darauf hat die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch vor einigen Jahren bei der Feier zum Holocaustgedenktag in Rostock den anwesenden Politikern eine überraschende Antwort gegeben. Sie sagte, was sie in Auschwitz erlebt habe, dass sei immer wieder möglich.
Deswegen gehört zur Demokratie nicht nur die freie Meinungsäußerung, sondern mit gleichem wenn nicht höherem Gewicht der Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Diskriminierung. Diskriminierungen von Minderheiten begleiten unseren Alltag, soweit wir zurückdenken können. Viel wird dagegen getan, vieles ist zum Schutz von Minderheitenrechten auch im öffentlichen Bewusstsein erreicht worden. Denken wir an Frauenrechte, an einen zunehmend entspannten Umgang mit Homosexualität, an den weitgehend respektvollen Umgang mit Migranten, an die Verankerung des Sozialstaatsgedenkens der Verfassung bei den Bürgern und bei fast allen Parteien.
Es könnte sein, dass sich dies alles gerade ändert. Dabei geht es nicht nur um die rassistische Mobilisierung, die früher die NPD übernahm und heute PEGIDA und die AFD anführt und der allein 2015 über 1.000 Anschläge auf Asylbewerberheime als geistige Brandstifter zuzuschreiben sind. Wenn man genau hinschaut, und das haben viele Arbeiter und Arbeitslose in Sachsen-Anhalt offensichtlich nicht gemacht, geht es eben nicht um heimatlose Konservative, denen viele aus Frust protestierend hinterherlaufen. Denn die Köpfe der neuen rechtspopulistischen AfD agieren nicht nur rassistisch sondern auch voraufklärerisch. Sie würden das Rad der Geschichte gern um 100 Jahre zurückdrehen. Das sind nicht nur Ruhe suchende Bürgerliche, die gern in eine Zeit zurückkehren wollen, als es kaum Muslime in Deutschland gab, in der sich Schwule zu verstecken hatten, in der sich Frauen überwiegend nur um Kinder und Haushalt zu kümmern hatten und Nachrichten über Kriege in aller Welt kaum jemand kümmerten. Sagen wir es klar, hier sollen Grundrechte scheibchenweise eingeschränkt werden.
Jetzt geht es nicht nur darum, Minderheiten weiter zu schützen und Vorurteile abzubauen. Nun muss auch der alte Bismarcksche Sozialstaat verteidigt werden, den die AfD durch Privatisierung gern abschaffen möchte, etwa durch Streichung des Arbeitgeberbeitrages in den Sozialversicherungssystemen. Jetzt geht es darum, Grundrechte zu sichern, wie das Sozialstaatsgebot, die Religionsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau und auch das Asylrecht, dass schon einmal hunderttausende Deutsche in anderen Ländern in Anspruch genommen haben, als ihnen in Deutschland Verfolgung oder Vernichtung drohte.
Die AfD ist eine kleine Partei, die viele Anhänger hat, eine erheblich bürgerliche Unterstützung genießt und keine Geldprobleme zu haben scheint. Wenn wir nicht höllisch aufpassen, wenn wir nicht als Demokraten erkennbar aktiv werden, könnte Frau Lasker-Wallfisch eines Tages Recht behalten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.