Rede des FIR-Generalsekrtärs Ulrich Schneider am 8. Mai 2015 in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz

geschrieben von Ulrich Schneider

11. Mai 2015

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Als Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer – Bund der Antifaschisten freue ich mich und bin stolz, dass dieses großartige Projekt der europäischen Jugendbegegnung unter der gemeinsamen Überschrift des historischen Gedenkens erneut stattfinden konnte. Es ist eine bedeutende Aktion zum 70. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, der in vielen Ländern zurecht als „Tag des Sieges“ begangen wird, um die gemeinsame europäische Geschichte der Anti-Hitler-Kräfte zu begehen. Es waren die Streitkräfte der Alliierten – hier in Auschwitz die Einheiten der sowjetischen Armee –, die die militärische Zerschlagung der Wehrmacht und ihrer Verbündeten erreicht haben. Dafür danken wir ihnen. Es waren aber in allen europäischen Ländern und auch in Italien und Deutschland Frauen und Männer, die Widerstand gegen den Faschismus an der Macht organisierten und damit ihren eigenen Beitrag zur Befreiung leisteten. Auch ihnen gebührt unser Dank. Es ist an uns – die Vertreter der heutigen Generationen –, mit dieser Aktion von den letzten Überlebenden der Zeitzeugengeneration die Verantwortung zu übernehmen für die Bewahrung der Erinnerung. Wir – und insbesondere ihr als Nachgeborenen – sollten dieses Wissen, was ihr heute und in Vorbereitung dieser Fahrt euch angeeignet habt, nicht nur für euch behalten, sondern an Freunde, Bekannte oder in der Schule weitergeben. Auschwitz ist das internationale Symbol der rassistischen Vernichtungspolitik, die sich gegen jüdische Menschen, gegen Sinti und Roma, gegen die slawischen Völker, die als Untermenschen angesehen wurden, richtete. Sie wurden auch hier in Auschwitz vernichtet durch Gas und andere Massenvernichtung, aber auch durch die Ausplünderung ihrer Arbeitskraft für den Profit zum Beispiel des IG Farben-Konzerns. All das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir verhindern wollen, dass sich so etwas jemals wiederholt. Doch wir können nicht nur erinnern, sondern wir müssen auch feststellen, dass heute Neufaschismus, Rassismus, Xenophobie und Rechtspopulismus in verschiedenen europäischen Ländern wieder ihr Haupt erheben. Viele von euch kennen aus den eigenen Ländern solche neofaschistischen Gruppen und Bewegungen. Selbst im Europäischen Parlament sind diese Kräfte vertreten. Die Ursachen für deren Aufschwung sind unterschiedlich. Es sind reale politische und wirtschaftliche Probleme in zahlreichen europäischen Ländern, auf die solche Gruppen rassistische, nationalistische und extrem rechte Antworten geben. Wenn wir dieses sehen, müssen wir gemeinsam Lösungen suchen, die die wirklichen Ursachen dieser Probleme bekämpfen, und dürfen nicht den falschen Antworten und Rattenfängern nachlaufen. Für uns bleibt die Losung aktuell: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Heute gedenken wir hier in Auschwitz. Morgen werdet ihr in euren Alltag zurückkehren – mit dem Wissen und den Erfahrungen, die ihr bei diesem großartigen Treffen habt sammeln können. Nehmt diese Kraft mit und engagiert euch bei euch zuhause, in eurem Umfeld für die Ziele einer gerechten, einer sozialen, einer demokratischen Welt. Die Überlebenden der Konzentrationslager haben vor 70 Jahren geschworen, erst Ruhe zu geben, wenn der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, die Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!“ Sie, die Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager und Haftstätten, werden es nicht mehr verwirklichen können. Nun wird es auf euch, liebe Jugendliche, ankommen, das Vermächtnis zu übernehmen und daran zu arbeiten. Wir, und da spreche ich im Namen aller gut 60 Mitgliedsverbände der FIR aus 25 europäischen Ländern, Israel und Lateinamerika, zählen auf euch.

Rede zum Start der Tour de Liberation von Rostock nach Demmin

8. Mai 2015

Liebe Freunde,
ihr macht euch gleich auf den Weg nach Demmin, in die Stadt Mecklenburgs, die für ein besonders grausiges Geschehen in den Maitagen 1945 bekannt ist. Dort brachten sich nicht nur kommunale Nazigrößen, die nicht rechtzeitig nach Westen geflohen waren um, sondern auch viele gering belastete Einwohner, die auch Frauen und Kinder mit in den Tod nahmen.
Es ist das Bestreben der meisten heutigen Meinungsmacher, den sowjetischen Soldaten dafür eine Mitschuld zu geben. Die Vorgeschichte gerät dabei üblicherweise etwas kurz. Ja, die Schuld am 2. Weltkrieg wird oft allein auf Hitler geschoben, einem angeblich Wahnsinnigen. Der 2. Weltkrieg ist aber nicht ohne die deutsche Vorgeschichte zu begreifen.
Deutschland war spätestens seit Preußens Aufstieg militaristisch geprägt. Es ging immer um Macht, Einfluss und materiellen Gewinn, der auch Gebietsgewinn einschloss. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fühlten sich die Herrschenden in Deutschland zu kurz gekommen bei der Aufteilung der Welt unter den Kolonialmächten, allen voran Großbritannien und Frankreich. Der angeblich durch Bündnistreue erzwungene Eintritt des Deutschen Reiches in den 1. Weltkrieg, war nichts anderes als der Wille und die scheinbare Gelegenheit zu Eroberungen im Westen und im Osten. Das ging gründlich schief, doch seltsam, der deutsche Friedensheld Liebknecht wird noch heute verleumdet, während Hindenburg, dem der Krieg wie eine Badekur bekam, noch heute allen Versuchen der Partei DIE LINKE. zum Trotz in Berlin weiter Ehrenbürger bleibt.
Die Versager Hindenburg und Ludendorff blieben nach 10 Millionen Toten dennoch geehrt im Deutschland der Weimarer Republik, die nicht nur den preußischen Militarismus weiterleben ließ, sondern auch die Rechte der Frauen und der Arbeiter weitgehend beschnitt und über Industrie, Großgrundbesitzer und Presse, die Menschen gegen ihre eigenen Interessen tätig werden ließ, und nicht in der Lage war, eine Wirtschaft zu organisieren, die den Menschen Arbeit und Brot gab.
Das Elend der Massen nutzten die Wirtschaftskonzerne, ob IG Farben, Thyssen oder Krupp, ein autoritäres Regime zu installieren. Hitler und seine NSDAP waren ihre Vollstrecker und die Militärs waren wild darauf versessen, die Scharte von 1914-1918 auszuwetzen. Dank der Westmächte konnten die Nazis mit dem deutschen Militär die Tschechoslowakei von der Landkarte tilgen. Auch Polen und Ungarn beteiligten sich an der Aufteilung. Auf die Angebote der Sowjetunion an die Westmächte die Tschechoslowakei zu schützen, ging man nicht ein. So kam es danach zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, den die Westmächte durch ihre feindliche Haltung zur SU verschuldeten.
Die Sowjetunion tat nichts weiter, als die Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen, die bereits zum Zarenreich bis 1917 gehört hatten und im Frieden von Brest-Litowsk aufgegeben werden mussten, weil Lenin den bedingungslosen Frieden suchte.
Die deutsche Wehrmacht führte in der Sowjetunion einen unvorstellbar grausamen Vernichtungskrieg. Was auf dem Vormarsch nicht in Schutt und Asche gelegt worden war, zerstörte man auf dem Rückweg. Neueste Zahlen sprechen von 28 Millionen Toten Sowjetbürgern, in der Mehrzahl Russen. Das ist mehr als die Einwohnerzahl der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs zusammengenommen.
Wenn die Militärs heute den SS-Divisionen die Hauptschuld zuschieben, dann darf man wohl fragen, warum die angeblich so ehrenwerten Wehrmachtsgeneräle die Mörderbanden gegen Juden und Kommunisten, gegen den jüdischen Bolschewismus, so wüten ließen. Ja, unser Held seit den sechziger Jahren, davor galt er als Verbrecher, von Stauffenberg, war auch Antisemit.
Am 1. Mai, vor 70 Jahren, befreite die Sowjetarmee unter Gardekapitän Semjon Dmitrewski unsere Heimatstadt. Für viele Einwohner war dieser Tag ein Tag der Niederlage und der nationalen Schmach. Für die über 2000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus ganz Europa aber, die gezwungen worden waren, in den Heinkelschen Rüstungsbetrieben in Rostock zu arbeiten, und auch für zahlreiche Rostockerinnen und Rostocker, vor allem die am Leben gebliebenen Sozial-demokraten, Kommunisten und echten Christen, war es der Tag der Befreiung.
Es ist darauf zu verweisen, dass ein Drittel der mecklenburgischen Pfarrer der NSDAP angehörten, Ihr Anteil war also weit höher als der in den anderen Bevölkerungsteilen, aber selbst die sogenannte Bekennende Kirche stand politisch dem Naziregime nicht kritisch gegenüber, wie sie nach 1945 selbst betonte, solange dieses die Interessen der Kirche nicht beeinträchtigte. Nur wenige Kirchenvertreter wirkten zu Kriegsende deeskalierend und nahmen Einfluss auf ihre Mitglieder. Auch das dürfte ein entscheidender Grund für die Massensuizide in Demmin gewesen sein, wo sich die Hasspropaganda der Nazis gegen den jüdischen Sowjetbolschewismus so extrem niederschlug. Christen lehnen Selbsttötungen doch gemeinhin ab.
Die Rote Armee kam als Befreier nach Deutschland, nicht als Vernichter und Zerstörer, doch der sinnlose Widerstand der Nazibarbaren noch in den letzten Kriegstagen, die sich nicht scheuten, auch 14-jährige in den Kampf zu schicken und aus dem Hinterhalt sowjetische Soldaten töten ließen, erzeugte, wie jedem normal empfindenden Menschen verständlich sein muss, auch Hass.
Rache ist da verständlich, wenn auch nicht entschuldbar.
Besten Dank für ihre und eure Geduld
Günter Althaus

Buchvorstellung und Diskussion „GEFÄHRLICH VERANKERT“ mit Andrea Röpke

7. Mai 2015

Buchvorstellung und Diskussion „GEFÄHRLICH VERANKERT- Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“ mit Andrea Röpke

Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat die NPD seit ihrem Einzug 2006 parlamentarisch niemals Fuß fassen können. Die Geschlossenheit der demokratischen Fraktionen im Kampf gegen deren rechtsextremistisches Gedankengut hat die NPD sichtlich zermürbt. Deren Abgeordnete fallen vielmehr durch Pöbeleien, Beleidigungen und weitere Provokationen auf.

Allerdings haben sich in Mecklenburg-Vorpommern abseits davon in den letzten Jahren nebulöse Strukturen und Verbindungen entwickelt, die erst beim genaueren Hinsehen ihren rechtsextremistischen Charakter offenbaren.

Diese neuen Netzwerke sind in vielfältiger Hinsicht Teil der Alltagswelt geworden: in der Nachbarschaft, im Verein, in der Schule oder in der Geschäftswelt. Die Journalistin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke ermöglicht mit diesem faktenreichen Buch einen tiefen Blick in den braunen Sumpf.

Andrea Röpke – Jahrgang 1965, Politologin und freie Journalistin, Spezialgebiet: Rechtsextremismus, Veröffentlichung ihrer aufwendigen Inside-Recherchen im Neonazi-Milieu in Fernsehmagazinen, in der taz und bei SüddeutscheZeitung-Online sowie in Fachportalen wie Blick nach rechts.

Wann? 12.05.2015

Wo? Tikozigalpa (Dr.-Leber-Straße 38 in Wismar)

Einlass: 18.30 Uhr (Beginn ist 19 Uhr)

Gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern

Rede zur Eröffnung des 50. Sachsenhausen-Gedenklaufes 2015 in Schwerin

geschrieben von Axel Holz

3. Mai 2015

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In diesem Jahr begehen wir hier in Schwerin zwei Jubiläen – den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und den 50. Sachsenhausen-Gedenklauf. Diese beiden Jubiläen sprechen für eine eigene Geschichte des Gedenkens.
Am 2. Mai 1945 wurden in Rabensteinfeld an der Stöhr tausende Häftlinge der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück auf ihren Todesmarsch in Richtung Ostsee befreit – von amerikanischen Truppen, die Schwerin besetzten und von sowjetischen Verbänden, die aus Osten in Richtung Schwerin vorstießen. Noch in den letzten Tagen ihres Todesmarsches waren hunderte Häftlinge in den umliegenden Wäldern von SS-Einheiten ermordet worden, darunter am Vorabend der Befreiung im anliegenden Wald der KPD-Reichstagsabgeordnete Karl Perlemann. Insgesamt 6.000 Häftlinge des Todesmarsches hatten die Befreiung nicht erleben könne, weil sie unterwegs von ihren Bewachern erschossen oder erschlagen wurden, weil sie vor Hunger an Entkräftung oder an Krankheiten starben.
50 Jahre Sachsenhausen-Gedenklauf – das ist ein Jubiläum, das in Schwerin kontinuierliche Traditionspflege zum Gedenken an die Opfer und an die Ursachen des Nazi-Regimes über Systemgrenzen hinweg zeigt. War das Gedenken in der DDR auch zunehmend erstarrt und waren auch hier einzelne Opfergruppen jahrzehntelang aus dem Gedenken ausgeschlossen gewesen – so hatte der Begriff der Befreiung vom Faschismus doch für jeden eine klare Bedeutung. Ein mörderisches Regime fand 1945 sein Ende, das in einem Eroberungs- und Vernichtungskrieg 65 Millionen Tote, unendliches Leid und Zerstörung über ganz Europa gebracht hatte. 1945 wurden hunderttausende überlebende Häftlinge, Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter befreit.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war kriegsmüde und wurde mit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten vom Kriegsgeschehen und weiterem Leid befreit. Schließlich wurden die Mehrheit der Deutschen über einen längeren und unterschiedlichen Prozess in Ost und West schrittweise von der Nazi-Ideologie befreit. Zu Recht sind wir deshalb mit dem Begriff der Befreiung vom Faschismus aufgewachsen. Es dauerte noch 40 Jahre, bis auch in Westdeutschland Bundespräsident von Weizsäcker 1985 an den 8. Mai als einen Tag der Befreiung von einem mörderischen Regime erinnerte.

Heute ist es wieder üblich vom Kriegsende zu reden. Die Zeitungen sind voll davon. Neben dem Leid der deutschen Zivilbevölkerung und den Vergewaltigungen durch sowjetische und andere alliierte Soldaten ist manchmal kaum noch etwas von den Ursachen des Krieges und den Opfern des Nazi-Regimes zu hören, wenn nicht gerade eine Gedenkstätte in den Fokus gerät.
Wir sollten deshalb heute, 70 Jahre nach der Befreiung vom Nazi-Regime daran erinnern, dass einflussreiche interessierte politische Kreise, Banker und Industrielle schon ab 1930 keine Bedenken hatten, den Nazis die Macht zu übertragen. Für die von den Nazis angekündigte Zerschlagung der Arbeiterbewegung und deren Ideen nahmen sie eine Diktatur widerspruchslos in Kauf. Das belegt ein Brief von einflussreichen Bankern und Industriellen aus dem Jahre 1932 an Reichskanzler Hindenburg mit der Bitte, Hitler die Macht zu übertragen. Aber auch in den meisten demokratischen Parteien der Weimarer Republik hatte sich Nationalismus breit gemacht. Fast alle Parteien waren antisemitisch beeinflusst und öffneten den Nazis damit die Tür für ihre Rasseideologie.
Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes bedeutet deshalb heute – 70 Jahre nach der Befreiung – nicht nur Erinnerung an die Nazi-Zeit und an seine Opfer. Es bedeutet vor allem, dem neuen Nationalismus und Rassismus in ganz Europa entgegenzutreten, der sich zunehmend breit macht. Leider haben schon wieder 40 Prozent der Deutschen rassistische Vorurteile gegenüber Ausländern und Migranten, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung seit über 10 Jahren kontinuierlich zeigt. Daran knüpfen neue Nazis und Rechtspopulisten von AfD und PEGIDA erfolgreich an, wie wir mit Erschrecken auf den Straßen Deutschlands sehen können. Deshalb gilt heute Bertholt Brechts Wort nicht weniger als vor 70 Jahren – wehret den Anfängen, denn der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Buchempfehlung: Der Iwan kam bis Lüdenscheid

geschrieben von Ulrich Sander

30. April 2015

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Der Autor hatte das Glück, rund 7500 Personalien zu erkunden und damit vermutlich 1500 überlebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus dem Raum Lüdenscheid zu einer Entschädigung verhelfen zu können, als Mitarbeiter des „Heimatvereins Lüdenscheid e.V.“ und mit Hilfe des Stadtarchivs. In der Provinz, in einer Industriestadt konnte der Autor pars pro toto – der Teil fürs Ganze – repräsentative Fakten über ein besonders schweres Verbrechen des deutschen Faschismus erarbeiten. Er wirkte in der entscheidenden Phase des Ringens um Zwangsarbeiterentschädigung, als US-Konzerne sich anschickten, mit juristischen Mitteln deutsche Konzerne wegen ihrer Marktvorteile zu Zeiten der NS-Zwangsarbeiterausbeutung vom Markt zu verdrängen. Da wurde es möglich, die 55 Jahre erfolglos aufgestellte Forderung der Opferverbände nach Entschädigung von 13 Millionen Opfern auf die Agenda zu setzen – bis dann 2001 ein entsprechendes Gesetz angenommen wurde. Die Nachweiserbringung wurde auch in Lüdenscheid den Archivaren nicht leicht gemacht. Von Versuchen der Verhinderung des Projekts durch örtliche Wirtschaft und konservative Politik bis zum Einbruch und Datenklau im Rathaus, in den Räumen des Stadtarchiv, falschen Auskünften bis Verweigerungen der Mitarbeit, etwas des größten KFZ-Herstellers (in Spielzeugform), der Fa. Sieper, reichte die Einflussnahme. Der Mord an einer unbekannten Zahl von Montenegrinern auf Befehl des Gauleiters wie an Insassen des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel gehört zu den düstersten Enthüllungsgeschichten des Arbeitsjournals, das hier vorgelegt wird und das bisweilen zu einem sehr persönlichen, ungewöhnlichen Tagebuch gerät. Die darin erzählte Geschichte findet auch heute noch keinen Abschluß. Entschädigungsforderungen für sowjetische Zwangsarbeiter mit Kriegsgefangenenschicksal, Forderungen an die Bahn, die Verbrechen der Reichsbahn betreffend und an die ganze deutsche Republik, den griechischen und italienischen Opfern zu helfen, geraten wieder auf die Tagesordnung. Die Erfahrungen aus diesem Buch aus der Zeit, da Iwan und all die anderen Sklaven bis nach Lüdenscheid kamen, bleiben aktuell.

Interview VVN-Gedenk-Fahrradtour 2015

geschrieben von Elvira Grossert

22. April 2015

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Zur Gedenkfahrradtour der VVN-BdA auf der Todesmarschstrecke ab 23. April 2015 von Schwerin zur KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen führte die Journalistin Elvira Grossert ein Interview mit dem VVN-Vorsitzenden Axel Holz:
Warum, wann und wie wurde die Idee geboren mit dem Rad die Todesmarschstrecke zurückzulegen?
Die Gedenk-Fahrradtour der VVN-BdA auf der Todesmarschstrecke der Häftlinge aus den ehemaligen KZ Sachsenhausen und Ravensbrück wurde vor sechs Jahren geboren, um dem Gedenken an die Opfer des Todesmarsches eine moderne Form zu geben. Dabei wollten die Akteure am Rande der 200 Kilometer langen Tour mit den Menschen in den Städten und Kommunen ins Gespräch kommen. Das ist nicht nur in der Gedenkstätte Belower Wald gelungen, sondern auch im Austausch mit Bürgermeistern, Jugendgruppen und Dorfvertretern. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist dieses Gedenken wichtig, wie die gepflegten Erinnerungssteine in den Dörfern zeigen, durch die die KZ-Häftlinge zum Kriegsende getrieben wurden.
Wie viele Teilnehmer, welcher Altersklassen waren durchschnittlich dabei?
Im Durchschnitt haben 20 Interessierte an der VVN-Gedenk-Fahrradtour teilgenommen, manchmal nur für einige Etappen. Teilnehmer waren überwiegend 50-Jährige und aktive Rentner. Im Tour-Abschnitt zwischen Oranienburg und Neuruppin haben regelmäßig engagierte Jugendliche der „Initiative Mittendrin“ aus Neuruppin teilgenommen, im vergangenen Jahr eine Schulklasse auf dem Weg nach Parchim.
Wer hat sich in diesem Jahr angemeldet?
In diesem Jahr startet die Gedenktour in Schwerin. Bereits 15 Teilnehmer haben sich angemeldet – aus Schwerin, Rostock, Boltenhagen, Waren-Müritz, Perleberg und Oranienburg.
Was ist Euch in diesem Jahr besonders wichtig?
In diesem Jahr jährt sich der Tag der Befreiung vom Nazi-Regime zum 70. Mal. Wir wollen daran erinnern, dass nicht nur die überlebenden KZ-Häftlinge befreit wurden, sondern über einen langen Prozess hinweg auch die deutsche Bevölkerung von der Naziideologie befreit wurde. Im Ergebnis dessen gibt es heute eine starke Zivilgesellschaft, die sich neuen rassistischen Vorurteilen aktiv entgegenstellt. Wir freuen uns in diesem Jahr besonders auf die Begegnung mit der Lübzer Bürgermeisterin Gudrun Stein, auf das Treffen mit Bürgern der Gemeinde Sommerfeld, auf Gespräche mit Jugendlichen in Neuruppin und auf die Wiedereröffnung des restaurierten Denkmals für die Opfer des Todesmarsches in Wulkow.

Heideruh im Umbruch

geschrieben von Raimund Gaebelein

14. April 2015

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Vielen AntifaschistInnen ist Heideruh ein Begriff. Unweit von Hamburg in der Nordheide gelegen, ist es über Jahrzehnte Erholungsort und Treffpunkt. Ehrenamtliche Mitarbeit ist eine Selbstverständlichkeit und ein Muss, denn das Heim lebt von Spenden. Aufgebaut und mit Leben erfüllt war es von Kameradinnen wie Hilde Bentin und Gerda Kranz in der Tradition der Freien Deutschen Jugend. Um in der Adenauer-Ära einer Einziehung von Vermögen zuvorzukommen, wurde es Genossenschaft, Ende der 50er Jahre unter Fritz und Alice Bringmann dann Verein. Baulich wurde es erweitert, das Steinhaus errichtet und die Kantine. Walter und Gertrud Boller, Helmut Fleischhauer und Helga Schneider prägten 27 Jahre das Gesicht Heideruhs. Legendär sind die Sommerfeste, die Aufnahme von Kindern und Menschen auf der Flucht vor faschistischer Herrschaft selbstverständlich. Ganze Familien hat es geprägt, die Geschwister-Scholl-Jugend gegründet. Klaus Huhns Büchlein „Fünf Sterne für Heideruh“ hat es nach 1989 auch Kamerad*innen nahegebracht, die nach dem erzwungenen Fortfall ihrer Ferienheime einen Treffpunkt zur Selbstverständigung suchten. Seit Anfang der 90er Jahre wurde die Nordkonferenz zum alljährlichen Bildungstreffen der VVN-BdA in Norddeutschland. Heideruh im Umbruch: die FDJ’ler wurden älter, das Gesicht Heideruhs kam ihrem Bedürfnis nach Erholung und Austausch nach, schloss sich dem Paritätischen Wohlfahrtsverband an. Die allmähliche Überalterung und die gesundheitsbedingte stetige Verringerung der Zahl der Übernachtungen ließ sich kaum aufhalten. Mit viel Elan und einer Spendenkampagne sollte Heideruh erhalten bleiben. Nach dem Fortfall vieler gewerkschaftlicher Tagungsorte war es für Antifaschist*innen eine Herausforderung. Durch Spenden alleine ließ es sich aber nicht auf Dauer wirtschaftlich betreiben. Der Zufluchtsort sollte sich nach außen öffnen. Mit einer verjüngten Geschäftsführung unter Bea Trampenau, einem schlagkräftigen Team von Ehrenamtlichen und einem jüngeren Vorstand sollten sich neue Zugangswege eröffnen. Nicht zuletzt um den Grundgedanken gegen das Vergessen: „dass nie wieder geschehe, was einst geschah“ zu verbreiten. Internationales Begegnungszentrum ist es seit fünf Jahren, vor allem auch Ende Juli/Anfang August seit Gruppen des Service Civile International und bis zu 60 antifaschistischen Jugendlichen aus der Umgebung zum Jugendlager kommen. Wer heute kommt, sieht zunächst sehr viel mehr jüngere Antifaschist*innen. Sie versammeln sich wöchentlich zu gemeinsamen Diskussionen, Beratungen, Musik- und Filmabenden, und sie engagieren sich vehement für die Lage der Geflüchteten. Erneut ist Heideruh zum Zufluchtsort geworden, für Jüngere aus dem Landkreis und für Menschen, die hier auf den erfolgreichen Abschluss ihres Asylverfahrens warten. Heute stammen sie mehrheitlich aus dem Sudan, morgen vielleicht aus dem Mittleren Osten? Heideruh ist lichter geworden, Dutzende Birken fielen, da sie zu sehr in die Jahre gekommen waren. Dafür entsteht ein lichteres Außengelände, auf dem auch gezeltet werden kann. Geöffnet hat sich Heideruh zur Stadt Buchholz hin. Die Ausstellung einer Berliner Studiengruppe um den Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Oliver Rump hatte in den vergangenen Jahren Erstaunliches und kaum Bekanntes über die 90-jährige Geschichte und Wirkung Heideruhs zutage gefördert. Zum 27. Januar 2013 wurde sie in der Stadtbücherei Buchholz feierlich eröffnet. Gegen verleumderische Angriffe seitens der AfD wurden Heideruhs Jugendliche wie das Heim  von der Stadt offiziell in Schutz genommen. Geöffnet hat sich die „Antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte“ für Seminargruppen sehr unterschiedlicher Herkunft. Nach wie vor finden Kaffeetafeln statt und Ausflüge in die Umgebung. Die Heideblüte ist Hochsaison für Erholungsgäste. Nicht alle Schwierigkeiten sind gelöst. Finanziell ist Heideruh nach langen Mühen wohl übern Berg. Trotzdem fallen verstärkt Reparaturen an, denn es ist in die Jahre gekommen. Eine Sanierung der Kühlanlagen und der Leitungen lässt sich überbrücken, aber nicht dauerhaft hinausschieben. Trotzdem und gerade deshalb hoffen wir auf zahlreichen Besuch. Eine gute Gelegenheit bietet das Sommerfest am Samstag, den 25. Juli ab 14 Uhr. Höhepunkt ist das Mikis-Theodorakis-Programm der Gruppe Quichote aus Chemnitz.

Den Opfern verpflichtet

geschrieben von Axel Holz

9. April 2015

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Ulrich Rabe galt während des Nationalsozialismus in der Sprache der Nazis als „Halbjude“. Verschleppt aus seiner Heimat, durchlitt er wie Millionen Andere die Schrecken des Nazi-Terrors. In seiner Autobiografie erzählt er, wie er den Tag der Befreiung erlebte und wie diese Erlebnisse sein weiteres Leben prägten.

Bereits vor einigen Jahren erschien das Buch „Halbjude?“ von Ullrich Rabe, dem langjährigen Vorstandsmitglied der VVN-BdA in Mecklenburg-Vorpommern. Darin hatte der Autor seine lebenslange Beschäftigung mit der rassischen Stigmatisierung thematisiert, die ihm die Nazis aufgestempelt hatten. Nur durch eigene Initiative und Glück war Ullrich Rabe den Nazis zum Kriegsende in ein Kriegsgefangenenlager der Alliierten entkommen, wo er den Tag der Befreiung erlebte, als US-amerikanische und marokkanische Wach-Truppen mit Schüssen in die Luft den Sieg über das Nazi-Regime feierten. Als sogenannter Halb-Jude überlebte er die rassische Verfolgung – anders als sechzehn seiner ermordeten jüdischen Verwandten, wurde in der Organisation Todt dienstverpflichtet und musste im besetzten Frankreich schwere Aufräumarbeiten nach alliierten Luftangriffen durchführen. Anders als in seinem früheren Buch beschreibt er diesmal in seiner Autobiografie nicht nur seinen schwierigen Lebensweg aus einer jüdischen bürgerlichen Arzt-Familie durch die Ausgrenzungen und Bedrohungen der Nazi-Zeit in eine neue Gesellschaft, die ihm Bildung, berufliche Perspektiven und gesellschaftliche Anerkennung zukommen lies. Dieser Weg führte ihn vom Betriebsschlosser über den Ingenieur für Schweißtechnik zum Institutsleiter und Wissenschaftsattaché der DDR in Tokio bis zum Dozenten an der Hochschule für Seefahrt in Rostock. Ullrich Rabe hat sich auch an ein Tabuthema gewagt, das viele Opfer des Nazi-Regimes ihr Leben lang weiter begleitet hat. Wie gingen die Menschen, die unter der Nazi-Herrschaft ihre Mitbürger ausgrenzten oder dies stillschweigend in Kauf nahmen, nun mit ihm und seiner Familie um? Und wie gelang es ihm zusammen mit seiner Familie, mit den Traumatisierungen des Faschismus umzugehen, mit der erlebten Ausgrenzung, mit der politisch gewollten Entmündigung und Entrechtung? In seinem Buch beschreibt der Autor, wie ihm mit neun Jahren als nichtsahnenden Jungen von seinem Klassenkameraden das Stigma Jude aufgeprägt wird. Sein weiteres Leben und das seiner Familie werden nun durch die Rassegesetze und die Rassenhetze der Nazis bestimmt, so dass er sich schließlich das Abitur illegal erschleichen muss. Besonders hart trifft ihn die Isolation durch Klassenkameraden und die Ausgrenzung im Freundeskreis der Familie. Der Druck der Nazi-Ideologie auf die Bevölkerung wird immer spürbarer, aber auch die Erfahrung, wie persönliche Beziehungen Sympathie erhalten können und Schutz ermöglichen. Mit seiner Deportation durch die Organisation Todt erfährt er, wie er als Sklavenarbeiter in Frankreich nur noch als Nummer existiert, wie er Hunger und willkürlichen Erschießungen von Gefangenen in seinem Umfeld ausgesetzt wird. Erst nach einer abenteuerlichen Flucht in die Kriegsgefangenschaft beginnt er, sich wieder als Mensch zu fühlen, muss sich aber Nazi-Offizieren im Kriegsgefangenenlager wiedersetzen, die dort noch immer das Sagen haben. Illegal über die Sektorengrenze zurück bei seiner sächsischen Familie trifft er tatsächlich auf seine Eltern, die den Holocaust überlebt hatten und sich in den Neuaufbau des Landes stürzten. Erst dort erfährt er, wie viele seiner Verwandten dieses Glück nicht hatten, weil sie von den Nazis ermordet wurden. Keiner ahnte damals, dass die Rasseideologie der Nazis die Opfer noch lange nach ihrer Befreiung verfolgen würde und die Spur der zerstreuten Überlebenden seiner Familie bis nach Schweden führen sollte. Erst 2012 erfährt er, dass dort eine überlebende Cousine über mehrere Etappen gestrandet war, ihren verschollen geglaubten Vater wieder traf, aber wie ihr Vater die schrecklichen Erlebnisse der Nazi-Zeit nicht verarbeiten konnte. Bei beendeten ihr Leben vorzeitig. Für Ulrich Rabe war die Ablehnung des Rassebegriffes und jeglicher Diskriminierung eine wichtige Schlussfolgerung für sein Leben. Aber auch der Umgang mit der erlebten Nazi-Ausgrenzung beschäftigt ihn bis heute. Er stößt auf verschiedene Verarbeitungsstrategien. Er erlebt die Fortsetzung der Traumatisierung und die Verzweiflung der Opfer. Er beobachtet bei nicht wenigen Opfern den Beginn eines aktiven, neuen Lebens, das das Erlebte vergessen machen sollte. Er entscheidet sich aber neben vielen anderen für die bewusste Erinnerung und öffentliche Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen, ihren Ursachen und dem persönlichen Erleben des schlimmsten Kapitels der deutschen Geschichte. Zeugnis ablegen – das sollte sein Vermächtnis werden, sein Lebenssinn und das vermag seine Autobiografie auf anrührende Weise. Axel Holz

Buchdaten: Ulrich Rabe, „Der Uli, der ist ein Jude!“ – Autobiografie, Verlag Münstermann, Ibbenbüren 2015, 84 S., ISBN: 978-3-943084-21-4

Jenseits der Aufklärung

geschrieben von Raimund Gaebelein

7. April 2015

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Äußerst informationsreich war die diesjährige Nordkonferenz der VVN/BdA-Küstenländer. Die unerwartet hohen Wahlerfolge der AfD in Mitteldeutschland, der Einstieg in die Hamburger Bürgerschaft, ihr Fischen in den dumpfen Pegida-Aufmärschen, all das ließ sich bei der Themen-Festlegung Anfang vergangenen Jahres nicht so recht absehen. Daher war es für uns sehr erfreulich, mit Andreas Kemper (Münster) einen kompetenten Referenten gewonnen zu haben, der recht einprägsam das komplizierte schwarzbraune Gestrüpp zu lichten vermochte. Weitergehende Informationen zu Entstehung, Ideologie und Charakter dieser rechtspopulistischen Partei lassen sich auf seiner Internetseite http://andreas.kemper.wordpress.com finden.
Thilo Sarrazin forderte bereits mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ die Verhinderung einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ und Öffnung der Tür zur Bewertung von Menschen nach ihrer Nützlichkeit. Nichtdeutsche müssten bei wiederholten Straftaten abgeschoben werden. Die Erfolge der erst April 2013 formierten AfD beruhen wesentlich darauf, dass sich in ihr neoliberale Marktradikale und monarchistisch verankerte Neokonservative zusammenfinden. Hans-Olaf Henkel, einst Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, verlangte die Schaffung eines Nord-Euros und eines Süd-Euros. Einen Schuldenerlass für Griechenland schloss er aus. Dies wurde auch zentrale Aussage der „Wahlalternative 2013“. Finanzkräftige Familienunternehmen bilden das finanzielle Rückgrat der AfD, führende Persönlichkeiten der AfD sind Hochschullehrer oder ultrakonservative Publizisten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie über Jahrzehnte errungene Sozialleistungen zurückfahren und die Vergabe demokratischer Rechte an den Besitzstand koppeln wollen. Konrad Adam forderte bereits 2006 Rentnern, Arbeitslosen, Sozialleistungsempfängern, Behinderten und Studenten das Wahlrecht zu nehmen. Wie bereits die Freien Wähler fordert die Wahlalternative die Direktwahl des Bundespräsidenten, der Ministerpräsidenten und Bürgermeister, mehr Volksentscheide. Parteien sollten durch Einführung des Mehrheitswahlrechts an Einfluss verlieren. Für Alexander von Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg, sind Parlamente verzichtbar. Er eifert Bismarck nach, der bei Bedarf ohne Parlament regierte.
Evangelikale Monarchisten um Bettina von Storch haben ein rechtskonservatives Netzwerk errichtet, das nicht nur die Rückgabe enteigneter Adelsgüter im Osten fordert, sondern verstärkt die Gleichstellung des Islam bekämpft. Die Politik soll unter Druck gesetzt werden, ihr „Abgeordnetencheck“ bedient sich des Mittels persönlicher Bloßstellung und Diffamierung. Das Recht auf eigenständige sexuelle Orientierung wird erbittert bekämpft. Das Kindergeld soll ersetzt werden durch eine Kindspauschale für jedes geboren Kind „in geordneten Verhältnissen“ lebender Mütter. Die Neokonservativen fordern den Schutz des ungeborenen Lebens vor Abtreibung und Stammzellenforschung. Das bringt sie an die Seite von Pegida, von Pro-Deutschland-Anhängern bis hin zu Neofaschisten. Ihre Position gegenüber weltweiten Freihandelsabkommen gerät dabei mehr und mehr zum Streitpunkt. Der neoliberale Flügel um Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke tendiert zur völligen Marktfreiheit. Ein Auseinanderfallen der unterschiedlichen Flügel könnte das Ende der AfD als dauerhafte Rechtspartei einleiten. Sabine Lösing (Mitglied des Europaparlaments f.d. Linke) schilderte nachmittags recht anschaulich des konkrete Antragsverhalten der AfD und ihre intensive Lobbyarbeit. Der Abend stand im Zeichen internationaler Solidarität mit einer eindrucksvollen Darbietung chilenischer Lieder, zu denen der Liedermacher Pablo Ardouin Shand und seine Frau Judith unter großem Beifall kleine Begebenheiten und gelungene Übersetzungen vortrugen.
In der Auswertung wurde der sehr lokale Bezug von AfD zu Heideruh thematisiert, regionale Aktivitäten der norddeutschen VVN-BdA Gruppen deutlich und bevorstehende Aktivitäten zum 70. Jahrestag der Befreiung ausgebreitet. Die nächste Nordkonferenz findet vom 11. bis 13. März 2016 statt.

Kriegsendphasenverbrechen

geschrieben von Ullrich Sander

1. April 2015

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In Dortmund findet alljährlich in der Bittermark/Rombergpark eine Gedenkkundgebung am Mahnmal, Nähe Tatort des Karfreitagsmassakers der Gestapo von 1945, statt. Der Förderverein Steinwache / Internationales Rombergparkkomitee trifft sich jedes Jahr zum Gründonnerstag /   Karfreitag, um Erinnerungsarbeit zu leisten, dies auch gemeinsam mit den Hinterbliebenen aus jenen Ländern, aus denen die 300 Opfer kamen.

Hintergrund dieses und weiterer Verbrechen ist eine Anweisung des RSHA. Das Reichssicherheitshauptamt schreibt am 24. Januar 1945: – An die Leiter der Staatspolizei(leit)stellen – Geheime Reichssache – persönlich. „Die gegenwärtige Gesamtlage wird Elemente unter den ausländischen Arbeitern und auch ehemalige deutsche Kommunisten veranlassen, sich umstürzlerisch zu betätigen. Größte Aufmerksamkeit ist daher geboten. Dass der Feind Vorbereitungen getroffen hat, geht aus einer Meldung des O.B.-West (Oberbefehlshaber der Wehrmacht-West) hervor. Es ist in allen sich zeigenden Fällen sofort und brutal zuzuschlagen. Die Betreffenden sind zu vernichten, ohne im formellen Weg vorher beim RSHA Sonderbehandlung zu beantragen. Die Leiter der  Kriminalpolizeistellen sind persönlich von Ihnen entsprechend zu informieren.“

Mordbefehle wie dieser erreichten die Gestapostellen im gesamten Deutschen Reich im Januar 1945. Solche Befehle führten zum Massenmord an unzähligen Gefangenen, an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und an wiederum inhaftierten politischen Widerständlern. Der Dortmunder Polizeihistoriker Alexander Primavesi schrieb später über diese Befehle und ihre Wirkungen (in den „Ruhrnachrichten“ vom 31. März 1994): „Hochmotiviert durch das Schreiben brachten die Gestapo-Beamten in den Wochen vor Ostern immer mehr Menschen in die Zellen der Steinwache und des Gestapo-Kellers in der Benninghofer Straße. Zwangsarbeiter aus dem gesamten Bereich des Regierungsbezirkes Arnsberg, Holländer, Belgier, Franzosen, Polen,  Jugoslawen und Russen, verschleppten die Gestapo-Beamten in ein Lager im Bereich der Hütten-Union in Dortmund-Hörde.

Von jeder Verantwortung gegenüber einer höheren Stelle entbunden, folterten die Beamten hemmungslos, um weitere ‚umstürzlerische Elemente‘ aufzuspüren.“ Primavesi: „Es war der wahnwitzige Vorsatz, niemanden aus den Reihen der politischen Gegner am Leben zu lassen, damit sie nach dem Zusammenbruch nicht führende Positionen besetzen konnten, der die Gestapo zu dieser letzten Abrechnung bewegte.“ So wie im Ruhrkessel kam es zu unzähligen Verbrechen der Kriegsendphase in ganz Deutschland und Österreich. Oftmals waren es nicht nur von der Gestapo ausgeführte Massaker, sondern auch Mordaktionen, an denen sich einfache NSDAP-Pgs., Hitlerjungen und Volkssturmmänner beteiligten. Eine weitere abschließende Phase der Massenverbrechen begann, die sich bis zur Befreiung am 8. Mai 1945 hinzog.

Die Opferzahlen dieser Massenhinrichtungen, Menschenjagden, Todesmärsche und Erschießungen von Deserteuren gehen in die Hunderttausende; bis zu 700.000 werden geschätzt. Diese letzten vier Monate des Kriegs sind wenig erforscht. Allerdings haben sich in vielen Orten Geschichtsinitiativen gebildet, um die Verbrechen aufzuklären, deren Urheber zumeist nicht bestraft wurden. Es wird daran erinnert, was die Opfer bewegte, die eine Zeit des Friedens und der Freiheit nicht mehr erleben durften. Es ist daran zu erinnern, was sie uns für das Heute zu sagen haben, da rechte Kräfte in Europa wieder aktiv werden und sogar ein Krieg auf europäischem Boden droht.

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