Jenseits der Aufklärung

geschrieben von Raimund Gaebelein

7. April 2015

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Äußerst informationsreich war die diesjährige Nordkonferenz der VVN/BdA-Küstenländer. Die unerwartet hohen Wahlerfolge der AfD in Mitteldeutschland, der Einstieg in die Hamburger Bürgerschaft, ihr Fischen in den dumpfen Pegida-Aufmärschen, all das ließ sich bei der Themen-Festlegung Anfang vergangenen Jahres nicht so recht absehen. Daher war es für uns sehr erfreulich, mit Andreas Kemper (Münster) einen kompetenten Referenten gewonnen zu haben, der recht einprägsam das komplizierte schwarzbraune Gestrüpp zu lichten vermochte. Weitergehende Informationen zu Entstehung, Ideologie und Charakter dieser rechtspopulistischen Partei lassen sich auf seiner Internetseite http://andreas.kemper.wordpress.com finden.
Thilo Sarrazin forderte bereits mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ die Verhinderung einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ und Öffnung der Tür zur Bewertung von Menschen nach ihrer Nützlichkeit. Nichtdeutsche müssten bei wiederholten Straftaten abgeschoben werden. Die Erfolge der erst April 2013 formierten AfD beruhen wesentlich darauf, dass sich in ihr neoliberale Marktradikale und monarchistisch verankerte Neokonservative zusammenfinden. Hans-Olaf Henkel, einst Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, verlangte die Schaffung eines Nord-Euros und eines Süd-Euros. Einen Schuldenerlass für Griechenland schloss er aus. Dies wurde auch zentrale Aussage der „Wahlalternative 2013“. Finanzkräftige Familienunternehmen bilden das finanzielle Rückgrat der AfD, führende Persönlichkeiten der AfD sind Hochschullehrer oder ultrakonservative Publizisten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie über Jahrzehnte errungene Sozialleistungen zurückfahren und die Vergabe demokratischer Rechte an den Besitzstand koppeln wollen. Konrad Adam forderte bereits 2006 Rentnern, Arbeitslosen, Sozialleistungsempfängern, Behinderten und Studenten das Wahlrecht zu nehmen. Wie bereits die Freien Wähler fordert die Wahlalternative die Direktwahl des Bundespräsidenten, der Ministerpräsidenten und Bürgermeister, mehr Volksentscheide. Parteien sollten durch Einführung des Mehrheitswahlrechts an Einfluss verlieren. Für Alexander von Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg, sind Parlamente verzichtbar. Er eifert Bismarck nach, der bei Bedarf ohne Parlament regierte.
Evangelikale Monarchisten um Bettina von Storch haben ein rechtskonservatives Netzwerk errichtet, das nicht nur die Rückgabe enteigneter Adelsgüter im Osten fordert, sondern verstärkt die Gleichstellung des Islam bekämpft. Die Politik soll unter Druck gesetzt werden, ihr „Abgeordnetencheck“ bedient sich des Mittels persönlicher Bloßstellung und Diffamierung. Das Recht auf eigenständige sexuelle Orientierung wird erbittert bekämpft. Das Kindergeld soll ersetzt werden durch eine Kindspauschale für jedes geboren Kind „in geordneten Verhältnissen“ lebender Mütter. Die Neokonservativen fordern den Schutz des ungeborenen Lebens vor Abtreibung und Stammzellenforschung. Das bringt sie an die Seite von Pegida, von Pro-Deutschland-Anhängern bis hin zu Neofaschisten. Ihre Position gegenüber weltweiten Freihandelsabkommen gerät dabei mehr und mehr zum Streitpunkt. Der neoliberale Flügel um Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke tendiert zur völligen Marktfreiheit. Ein Auseinanderfallen der unterschiedlichen Flügel könnte das Ende der AfD als dauerhafte Rechtspartei einleiten. Sabine Lösing (Mitglied des Europaparlaments f.d. Linke) schilderte nachmittags recht anschaulich des konkrete Antragsverhalten der AfD und ihre intensive Lobbyarbeit. Der Abend stand im Zeichen internationaler Solidarität mit einer eindrucksvollen Darbietung chilenischer Lieder, zu denen der Liedermacher Pablo Ardouin Shand und seine Frau Judith unter großem Beifall kleine Begebenheiten und gelungene Übersetzungen vortrugen.
In der Auswertung wurde der sehr lokale Bezug von AfD zu Heideruh thematisiert, regionale Aktivitäten der norddeutschen VVN-BdA Gruppen deutlich und bevorstehende Aktivitäten zum 70. Jahrestag der Befreiung ausgebreitet. Die nächste Nordkonferenz findet vom 11. bis 13. März 2016 statt.