Kein Schlussstrich

geschrieben von Axel Holz

4. Dezember 2017

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Eine Audio-Veröffentlichung der Gespräche, Interviews und Reden aus Fernseharchiven von 1961 bis 1968 erinnert an den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer.

Der Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse von 1963 bis 1965 war Sozialdemokrat, Antifaschist, zurückgekehrter Emigrant und kluger Jurist, der sich für ein demokratisches Deutschland ebenso leidenschaftlich einsetzte wie für die gründliche Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen gegen die Schlussstrichmentalität seiner Zeit. Diese Kehrtwende im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit musste sich in Deutschland erst mühselig durchsetzen und gehört heute zu den Grundpfeilern der Gedenkpolitik. Kein Schlussstrich in der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit – diese Formulierung erhält eine neue Bedeutung angesichts der rechten Angriffe gegen das aufklärerische Geschichtsbild, in denen das Gedenken an den Holocaust wieder als Schande bezeichnet wird und ein verbrecherischer Weltkrieg gewürdigt werden soll. Als längst nicht klar war, wie tragfähig sich die deutsche Demokratie erweisen würde, nannte die „Zeit“ Fritz Bauer eine Persönlichkeit, der das demokratische Deutschland erst möglich gemacht habe. Er habe sich mit einer solchen Energie und Leidenschaft darum bemüht, dass sich das Unheil in Deutschland nicht wiederholt und dass dem Faschismus in all seinen drohenden Erscheinungsweisen entgegengearbeitet werde, würdigt Theodor W. Adorno Bauers Leistung. Bekannt ist Bauer als Initiator des Auschwitzprozesses von 1963 bis 1965, in dem 22 ehemalige SS-Angehörige des KZ Auschwitz überwiegend zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. 1952 machte er dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Ernst Remer den Prozess, der den Hitlerattentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg als „Landesverräter“ bezeichnete. Remer war Gallionsfigur der 1949 gegründeten NSdAP-Nachfolgeorganisation Sozialistische Reichspartei, die mit ihrem Programm zur „Lösung der Judenfrage“ in Niedersachsen 1951 immerhin elf Prozent der Stimmen erhielt. Fritz Bauer setzte sich für die Eröffnung des letztlich gescheiterten Verfahrens gegen den Kommentator der Nazi-Rassegesetze und Kanzleramtschef Hans Globke ein und plante ein Verfahren gegen Nazi-Juristen, das nach seinem Tod 1968 eingestellt wurde. Erstmals wurde die BRD-Bevölkerung durch sein Wirken mit den Verbrechen der Nazis in einer breiten öffentlichen Diskussion vertraut gemacht, die zuvor lange Zeit noch als alliierte Propaganda abgetan wurden. Weniger bekannt ist aber, dass Bauer sich nicht nur zu den Nazi-Prozessen in zahlreichen Reden, Aufsätzen und Interviews in Radio und Fernsehen äußerte, sondern sich auch mit Geschichtsleugnung und Rechtsradikalismus auseinandersetzte. Als hessischer Generalstaatsanwalt hatte er zudem die Aufsicht über neun regionale Staatsanwaltschaften und den hessischen Strafvollzug. Er stellte das bestehende System der Rache und Vergeltung gegenüber Straftätern  in Frage und forderte eine Reform des Strafrechts und des Strafvollzuges, in der die Resozialisierung der Täter im Mittelpunkt stehen sollte. Mit gleicher Vehemenz widmete er sich Fragen der Wirtschaftskriminalität, dem verkrusteten deutschen Sexualstrafrecht und der Humanisierung des Strafvollzugs.

Fritz Bauer entsprach selbst mehrfach dem Feindbild der faschistischen Machthaber, als Sozialdemokrat, Jude und Homosexueller. Er war mit 26 Jahren jüngster Amtsrichter der Weimarer Republik, nachdem er sich als erfolgreicher Wirtschaftswissenschaftler überraschend für den Richterberuf entschied. Dier Nazis steckten ihn wegen der Beteiligung an der Planung eines Generalstreiks mehrere Monate ins KZ Stuttgart-Heuberg, das er in Folge einer propagandistisch angelegten Amnestie verlassen konnte. Nur mit Mühe gelang ihm mit seiner Familie die Emigration nach Dänemark und nach der Besetzung durch Nazis ein Überleben im Untergrund. Nach der Flucht ins vermeintlich neutrale Schweden wurde er erneut verhaftet und konnte sich in engem Kontakt mit weiteren Emigranten wie Willy Brandt nur schwer durchschlagen. Erst einige Jahre nach seiner Rückkehr aus der Emigration erhielt er die Stelle eines Staatsanwalts am Landgericht Braunschweig und wurde später mit sozialdemokratischer Unterstützung zum hessischen Generalstaatsanwalt ernannt. In dieser Funktion setzte er sich vehement für die Verfolgung der Kriegsverbrecher sowie die Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs ein. Mit Hans Magnus Enzensberger und Günter Grass, dem Autor von „Der SS-Staat“ Eugen Kogon, mit Helmut Schmidt, Hildegard Hamm-Brücher und zahlreichen jungen Menschen diskutierte er im TV-Diskussionsforum auf Augenhöhe. Gleichzeitig erreichten ihn täglich hasserfüllte Briefe, die ihn wegen des Auschwitzprozesses als Nestbeschmutzer beschimpften. Junge Gesprächspartner warfen ihm vor, dass sein Fokus auf die Verantwortung des Einzelnen zu „unpolitisch“ sei, weil das Private zu sehr in den Vordergrund gerückt werde. Letztlich ist dieser Fokus aber Fritz Bauers Verdienst. Er war überzeugt davon, dass die Gesellschaft ohne die Wahrnehmung von Verantwortung durch den Einzelnen in die Barbarei zurückfallen werde. Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen sei Bürgerpflicht, auch und gerade wenn der Staat sie stütze.