Grußwort zur Eröffnung der Wanderausstellung „Deutschland muss leben, deshalb muss Hitler fallen“ am 13.03.2017 in Wismar

geschrieben von Axel Holz

17. März 2017

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Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich Willkommen zur Eröffnung der Ausstellung Deutschland muss leben, deshalb muss Hitler fallen“, der weltweiten Bewegung „Freies Deutschland 1943-1945“. Die gemeinsame Ausstellung der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der VVN-BdA wird als Wanderausstellung in elf verschiedenen Orten Mecklenburg-Vorpommerns gezeigt. Vielen Dank an die Kirchgemeinde der Nikolaikirche und speziell an Pastor Roger Thomas, dass wir diese Ausstellung über Widerstand in der NS-Zeit hier zeigen können.

Ich möchte mit einem Buch beginnen, dass ich vor Kurzem gelesen habe. Das zweite Buch von Sigfried Lenz aus dem Jahre 1953 heißt „Der Überläufer“. Es berichtet über den Partisanenkampf in der Ukraine, die Sinnlosigkeit des Krieges und die Entscheidung der Hauptfigur gegen den Krieg und für die Desertion. Nicht weniger interessant als der Roman, der in der „Zeit“ als Serien-Abdruck 1953 erschien, ist die Diskussion im Anhang des Buches. Dort wird dokumentiert, wie der Verlag und der Lektor massiv auf den bekannten Jungautor Einfluss nehmen, um ihn zu bewegen, seinen Roman umzuschreiben. Das Publikum wolle mehr über Kameradschaft hören, heißt es in dem Schriftwechsel. Sigfried Lenz wollte dem nicht folgen und sah sich nicht in der Lage, den Kern seines Romans dem Verlagswunsch zu opfern. So erschien der Roman erst 2016 – mehr als 60 Jahre später nach dem Tod von Siegfried Lenz.

Diese Geschichte ist typisch für den Jahrzehntelangen Umgang mit den politischen Gegnern des Nazi-Regimes, mit den Deserteuren der Wehrmacht und den Kriegsgegnern in der Gefangenschaft. Im Westen wurde dieses Verhalten lange Zeit als Verrat betrachtet und nicht als Widerstand anerkannt.  Im Osten war die Bewegung „Freies Deutschland“ lange Zeit auf eine Initiative kommunistischer Emigranten in Abstimmung mit dem Stalinregime eingeengt worden. Nach dem Krieg misstraute man ihnen nicht selten in der sowjetischen Besatzungszone. Tatsächlich war die Bewegung „Freies Deutschland“ eine weltweite Bewegung, die sich aktiv gegen das Nazi-Regime einsetzte und für eine demokratische Erneuerung Deutschlands eintrat. Die Bewegung entstand in den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges. Keine andere Widerstandsgruppe hat den Nazis und ihrem Krieg so viel unmittelbaren Schaden zugefügt und eine solche gesellschaftliche Breite erreicht. Es war natürlich nur ein bescheidener Beitrag gegenüber den Leistungen der nationalen Widerstandsbewegungen gegen Hitler in anderen Ländern und gegenüber den militärischen Leistungen der Alliierten. In der Bewegung „Freies Deutschland“ waren Deutsche in der Sowjetunion, in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Jugoslawien und weiteren Ländern vertreten. Ihr gehörten Kommunisten und Sozialdemokraten an, Liberale und Konservative, christlich orientierte Menschen, Republikaner und Monarchisten unterschiedlichster Coleur. Es war eine Anti-Hitler-Koalition auf breitester Grundlage, die sich leider viel zu spät gebildet hatte. Ihr gehörten Arbeiter, Bauern, Unternehmer an, aber auch Intellektuelle, wie Anna Seghers, Carl Zuckmayer, Erich Weinert, Soldaten und Generäle wie Max Emendörfer, Walter von Seydlitz und Heinrich Graf von Einsiedel, Politiker wie Rudolf Breitscheid und Wilhelm Pieck. Wissenschaftler, Pfarrer, jüdische Emigranten und Wehrmachtsangehörige einigte die Hoffnung auf ein friedliches und demokratisches Deutschland.

Ich bin sehr dankbar dafür, die SVZ nach der Präsentation der Ausstellung in Bützow einen Artikel über Erich Arndt veröffentlicht hat, der Mitbegründer des Nationalkomitees Freies Deutschland war, nachdem er 1943 als Divisionspfarrer bei Stalingrad in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Er war Mitbegründer des Arbeitskreises für kirchliche Fragen beim Nationalkomitee.  Seine Rolle als ein Mensch, der sich für Frieden eingesetzt hatte, als Viele diese Klarheit noch nicht gefunden hatten, hatte der ehemalige Bischof Beste auf der Trauerfeier des Bützower Pfarrers wenige Monate vor dessen 100. Geburtstag 2012 gewürdigt. Pfarrer Arndt steht wie Viele in der weltweiten Bewegung „Freies Deutschland“ für antifaschistischen Widerstand in einer Zeit, als absehbar war, dass Deutschland mit seinem verbrecherischen Krieg in eine nationale Katastrophe steuerte und für die Nazi-Gegner alle bestehenden politischen und ideologischen Differenzen in den Hintergrund treten mussten, auch wenn unklar war, was konkret dem Hitlerregime folgen sollte. Der Sturz des Hitlerregimes und die Beendigung des Krieges war das gemeinsame Ziel der Akteure des Nationalkomitees, nachdem in Stalingrad und bei der Offensive am Kursker Bogen der Krieg sich auch militärisch gewendet hatte. Wichtig ist die gemeinsame geschichtliche Erfahrung der Bewegung „Freies Deutschland“, in einer breiten Palette von unterschiedlichen Menschen und Traditionen gemeinsam die Beendigung des Krieges als Hauptziel verfolgt zu haben. Es war auch eine gefährliche Entscheidung, die die Mehrheit der Kriegsgefangenen nicht mitgetragen hatten.

Die ablehnende Bewertung des NKFD zeigt sich auch darin, das Franz Ludwig von Stauffenberg, der Sohn des Hitlerattentäters, die Aufnahme von Kommunisten und des Bundes der Offiziere in die ständige Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand kritisierte. Aber genau da gehören sie hin, wie alle Widerständler aus den verschiedensten Bereichen der Bevölkerung, von denen Viele lange Zeit nicht anerkannt oder vergessen waren. Vergessen werden soll auch nicht, dass Widerstand gegen das Nazi-Regime trotz hoher Opferzahlen die Leistung einer Minderheit war. Die Mehrheit der Bevölkerung stand hinter Hitler und seinem rassistischen Regime. Das erklärt auch die Schwierigkeiten, mit denen die politischen Akteure in Ost und West nach dem Krieg bei der Gestaltung einer neuen Gesellschaft umgehen mussten und dies unterschiedlich getan haben.