Die enthemmte Mitte

geschrieben von Axel Holz

16. August 2016

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Elmar Brähler und Oliver Decker legen eine neue Studie zu rechtsextremen Einstellungen und zu PEGIDA-Anhängern vor.
Über 1.000 Angriffe auf Flüchtlingsheime gab es 2015 in Deutschland. Die Täter sind nicht selten Neonazis, aber immer öfter kommen sie aus der Mitte der Gesellschaft. Die neue Studie der Universität Leipzig zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung geht den dahinter stehenden Einstellungen seit 14 Jahren nach. Der Fokus liegt vor allem auf der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen, die seit der letzten Studie vor zwei Jahren leicht angestiegen, insgesamt aber in der Entwicklung etwa konstant geblieben ist. In der Tendenz zeigt sich eine zunehmende Affinität der Bevölkerung für Vorurteile, die sich in den veränderten Titeln der Studie zeigt – von der „Mitte in der Kriese“ in 2012 über deren „Umbruch“ in 2014 zur „Enthemmten Mitte“ in 2016.
In gewisser Weise hatte die Leipziger Studie bereits von zwei Jahren die rechtspopulistische Anfälligkeit großer Bevölkerungsteile vorausgesagt. Die neue Studie zeigt nun keine wesentliche Zunahme rechtsextremer Einstellungen, die an sechs Kriterien gemessen werden und die zusammen ausgeprägte rechtsextreme Haltungen abbilden. Dazu gehören die Unterstützung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus und die Verharmlosung des NS-Regimes. Die meisten Einstellungskriterien haben im einstelligen Bereich eine geringe Verbreitung, die Ausländerfeindlichkeit ist aber mit 22 Prozent ähnlich hoch wie der Chauvinismus mit 17 Prozent. Bezüglich des Vorurteils, das Ausländer nur hier her kämen, um den Sozialstaat auszunützen, stimmen sogar 40 Prozent der Bevölkerung im Osten und 30 Prozent im Westen zu. Zunehmend mehr Menschen stehen dem Islam feindlich gegenüber. „Wie ein Fremder im eigenen Land“ fühlen sich 20 Prozent der Bevölkerung, 40 Prozent wollen Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland verwehren. Gegen Großzügigkeit bei der Prüfung von Asylanträgen sprechen sich 80 Prozent der Befragten aus, 2011 waren es nur 26 Prozent. Diese problematischen Einstellungen finden sich, obwohl fast 52 Prozent der Bevölkerung mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden sind. Rechtsextreme Einstellungen sind nach wie vor in allen Bevölkerungsgruppen verbreitet, besonders aber bei ostdeutschen Männern im Alter zwischen 14 und 30 Jahren.
In den vergangenen Jahren wählten Menschen mit rechtsextremen Einstellungen überwiegend die großen Volksparteien CDU und SPD, selten die faschistische NPD. 2014 hatten Forscher die AfD als neuen politischen Anker für rechtsextremes Potential gesehen. Tatsächlich ist diese Prognose eingetreten. Besonders bei Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus findet sich eine große Anfälligkeit in der Wählerschaft der AfD und bei Nichtwählern gegenüber den übrigen Wählern. Das zeigt sich besonders bei der Betrachtung der Islamfeindschaft, die sich in großen Teilen der Bevölkerung findet, bei AfD-Wählern aber bei 86 Prozent liegt.
Die Studie der Leipziger Wissenschaftler untersucht seit Jahren neben klassischen rechtsextremen Einstellungspotentialen auch Vorurteile gegenüber Minderheiten. So lag die Abwertung von Sinti und Roma 2014 bei 58 Prozent. 60 Prozent der repräsentativ Befragten glauben, dass die Mehrzahl der Asylbewerber nicht wirklich verfolgt werde. 36 Prozent lehnten 2014 Ehen zwischen Homosexuellen ab. Zugenommen hat die Vorstellung, dass Homosexualität unmoralisch sei – von 16 Prozent in 2009 auf 25 Prozent in der jüngsten Umfrage. Allein die Demokratie als Idee gewinnt an Zustimmung bei mittlerweile 94 Prozent der Bevölkerung, vor Allem durch einen Zuwachs der Demokratiebefürworter im Osten, deren Anteil etwa 10 Prozent unter dem westdeutschen Niveau liegt. Im Konkreten sieht das aber anders aus: die Demokratie in der Bundesrepublik funktioniert nur in der Augen von 54 Prozent der Westdeutschen und 44 Prozent der Ostdeutschen. Vielleicht ist das das deutlichste Alarmsignal für mehr spürbare Beteiligung der Bevölkerung an demokratischen Prozessen und eine konsequentere Durchsetzung der ausgehandelten Schlussfolgerungen.
Zu den besonderen Untersuchungsgegenständen der Mitte-Studie gehören diesmal die Einstellungen der PEGIDA-Anhänger. PEGIDA-Anhänger vertreten demnach deutlich überdurchschnittlich rechtsextreme und islamfeindliche Haltungen. Dass es sich um eine Protestbewegung handelt, kann die Studie ausdrücklich nicht bestätigen. Das Motiv des politischen Verlusts und Entzugs (Deprivation) im Beziehungsgeflecht der PEGIDA-Anhänger findet die Studie nur sehr schwach ausgeprägt.