Der ewige Faschismus

geschrieben von Axel Holz

3. Mai 2020

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Zum 75. Mal wird in diesen Tagen der Befreiung vom Faschismus gedacht. In Medien und Politik hören wir dieses Wort immer häufiger. Im offiziellen Staatsduktus heißt es aber nach wie vor Nationalsozialismus, ein von den Nazis selbst gewähltes Wort, das falsche Tatsachen unterstellt – denn deren Politik war weder im nationalen Interesse noch sozialistisch. Gern wird die Besonderheit des deutschen Faschismus, sein Eroberungs- und Vernichtungskrieg bemüht und noch öfter der industrielle Massenmord an Millionen von Menschen. Genügt das, um keine Verbindung zu anderen faschistischen Phänomenen dieser Zeit zu finden? Muss dem Gedenken an die Opfer und dem „Nie wieder“ der Politik nicht auch ein Mahnen an die Bedingungen folgen, die Faschismus ermöglicht haben? Wie soll sonst eine Wiederholung der Geschichte verhindert werden? Umberto Eco hat sich mit diesen Rahmenbedingungen für das Entstehen des Faschismus beschäftigt. Er nennt sie über das historische Phänomen hinaus Ur-Faschismus. Vor zwei Jahren erschien hierzu sein Aufsatz „Der ewige Faschismus“, nun auch in deutsche Sprache. Eco versteht darunter die Gesamtheit jener Handlungen, Verhaltensweisen, Haltungen und Instinkte, die zwar die Dynamik des Faschismus im frühen 20. Jahrhundert ausmachten, aber seine historische Ausprägung überlebt haben und heute lebendiger denn je seien. So formuliert es Roberto Saviano im Vorwort zur gleichnamigen Aufsatzsammlung. Eco habe damit recht früh die Warnzeichen erkannt,  die auf das autoritäre Abdriften Europas hindeuteten. Auf das Knappste versuche Eco in seinem Aufsatz auf einen riesigen Fehler zu verweisen, nämlich den Faschismus als ein ausschließlich historisches Phänomen zu betrachten. Der Begriff Faschismus konnte deshalb eine Sammelbezeichnung werden, betont Eco, weil ein faschistisches Regime auch dann erkennbar bleibe, wenn man ein oder mehrere Merkmale abziehe. Es blieben aber einige allgemeine Merkmale bestehen, die für den Faschismus typisch bleiben. Eco zählt nun Faktoren auf, die über den historischen Faschismus hinaus im modernen Faschismus Bestand hätten – in gewisser Weise mit einer Ewigkeitsgarantie. Er sieht darin zunächst den Kult der Überlieferung, also nicht die Tatsache eines Erbes oder einer Quellen-Verbundenheit, sondern eben den Kult darum. Im Nazi-Denken seien dies das traditionalistische, synkretistische und okulte Element gewesen. Heute wird der Kult eher um andere Phänomene betrieben. Der Urfaschismus lehne die Moderne ab und betreibe einen Kult der Aktion um der Aktion willen. Daher auch sein Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt. Dissens ist im Urfaschismus Verrat. Der Faschismus schüre die Angst vor potentiellen Eindringlingen und  sei daher per Definition rassistisch. Der Faschismus entspringe individueller und gesellschaftlicher Frustration. Nichts anderes begegnet uns bei PEGIDA in Dresden seit Jahren. Faschismus ist immer nationalistisch und appelliert an die Fremdenfeindlichkeit, die in der modernen Gesellschaft lauert. Er mystifiziert ein Leben für den Kampf, was eine Kollaboration mit dem Pazifismus per se ausschließe. Er ist also friedensfeindlich. Der Urfaschismus verachte die Schwachen und könne nur ein „völkisches Elitedenken“ predigen. Nicht zufällig sieht die Ebertstiftung seit fast zwanzig Jahren im Sozialdarwinismus einen Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.  Im Faschismus werden die Menschen zum Heldentum erzogen. Der Held, der in der Mythologie die Ausnahme sei, werde im Heroismus des Faschismus zur Norm. Der urfaschistische Held warte regelrecht auf den Heldentod. Der Urfaschist übertrage seinen Willen zur Macht auf das Sexuelle und dies finde im Machismus seinen Ausdruck, der jede andere sexuelle Orientierung diskreditiert. Der Urfaschismus beruhe auf einem selektiven Populismus, worin die Individuen als Individuen keinerlei Rechte hätten, sondern nur das „Volksganze“ als eine Qualität begriffen werden. Im modernen TV- und Internet-Populismus geriere sich eine ausgewählte Gruppe von Bürgern als „Stimme des Volkes“ für dieses „Volksganze“. Die jüngsten rechtsterroristischen Vorfälle sind als praktische Antwort auf den rechten Internet-Populismus zu verstehen. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Immer wenn die Legitimität des Parlamentes in Frage gestellt werden, rieche es förmlich nach Faschismus, kommentiert Eco. Schließlich ist auch die Sprache Faschismus entlarvend. Der Faschismus spreche Newspeach, eine Sprache mit verarmtem Vokabular und versimpelter Syntax, um das Instrumentarium für kritisches und komplexes Denken zu begrenzen. Dieser Urfaschismus könne in den unschuldigsten Gewändern daherkommen, schließt Eco. „Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Formen zu zeigen – jeden Tag und überall in der Welt.“ Diesem Apell kann man sich nur anschließen.