Beginn des rechten Terrors

geschrieben von Axel Holz

29. März 2022

Vor 100 Jahren wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau ermordet. Die Motivation der Mörder und die Verharmlosung ihrer Ideologie reichen bis in die Gegenwart.

Walther Rathenau kannte die Gefahr und  trug eine Pistole bei sich. Aber er hatte keine Chance. Auf dem Weg von seiner Villa in Berlin Grunewald zu seinem  Dienstsitz wurde sein Auto am 24. Juni 1922 aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug mit einer Maschinenpistole beschossen. Ihn trafen acht Kugeln, an deren Verletzungen er kurze Zeit später verstarb.

Die Mörder handelten aus politischen Gründen. Sie gehörten als Mitglieder der Organisation Consul zum militärischen Arm einer Koalition der Feinde der jungen Republik. Sie waren Feinde der Demokratie und ihrer Vertreter in Politik, Staat und öffentlichem Leben. Zwar wurde der deutsche Außenminister von der Polizei gewarnt, aber nicht effektiv geschützt. Auch war er nicht das erste Opfer der organisierten rechten Gewalt, die neben Vertretern der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften auch die Symbolfiguren des Staates im Fokus hatten. Bereits am 26. August 1921 hatten Mitglieder der Organisation Consul den ehemaligen Finanzminister und deutschen Beauftragten zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens am Ende des ersten Weltkrieges, den Zentrumspolitiker Mathias Erzberger ermordet. Auf den sozialdemokratischen Politiker und Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann war am 24. Juni ein Mordversuch nur knapp gescheitert. Auch der Fraktionsvorsitzender der USPD im bayerischen Landtag und am 9. Juni 1921 vermutlich einem von hunderten Fememorden während der Weimarer Republik zum Opfer.

Der ehemalige Spiegel-Journalist Thomas Hüetlin hat über diesen Stoff ein spannendes Buch im Stil eines True-Crime-Romans geschrieben. Er rekonstruiert das Innenleben der Organisation Consul, einer rechten Terrortruppe, die zu Beginn der zwanziger Jahre mit etwa 5.000 Mitgliedern in fünf Oberbezirken regional tätig war und mit dreißig festangestellten Mitgliedern in der Tarnorganisation Bayerische Holzverarbeitungsgesellschaft in München ihren Sitz hatte. Die Organisation ging aus der Marine-Brigade Ehrhardt hervor, einem Freikorps, das 1920 offiziell aufgelöst worden war. Deren Kommandeur, Kapitän Hermann Ehrhardt, formierte die Organisation nach dem Scheitern des Kapp-Putsches aus den Reihen der Marine-Einheit. Die Brigade Erhardt hatte bereits maßgeblichen Anteil an der blutigen Niederschlagung der Novemberrevolution und der Bayerischen Räterepublik gehabt. Die Organisation Consul wurde von Reichsregierung und Reichswehrführung lange geduldet, die mit ihr und ähnlichen Bünden hofften, die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrags unterlaufen zu können. Erst nach dem Rathenau-Mord wurde die Organisation Konsul auf der Grundlage des am 21. Juli 1922 erlassenen Republikschutzgesetzes verboten, lebte aber im neu gegründeten Bund Wiking wieder auf. Bereits nach dem Mord an Mathias Erzberger wurden schnell 34 Mitglieder der nationalistischen und antisemitischen Organisation Consul verhaftet, aber bald wieder freigelassen. Sie konnten ihre Planungen weiterführen und ermordeten mit Rathenau eine Symbolfigur der Republik, die für Frieden, Versöhnung und internationale Kooperation stand, für all das, wogegen die republikfeindlichen Nationalisten und später Hitler und dessen NSdAP-Bewegung standen. Hüetlin beschreibt die elitäre und antisemitische Einstellung der Täter und die vergiftete Atmosphäre ihrer Männerbündnisse, die in Justiz, Militär und Politik erhebliche Unterstützung fanden. Deren Taten waren mehr als ein Vorspiel auf die spätere Machtergreifung der Nazis. Ohne deren antiliberalen, nationalistischen und antisemitischen Hass wäre der Aufstieg der Nazis kaum möglich gewesen. Der preußische Militarismus mit seinen Kadettenanstalten wirkte hierbei wie ein Katalysator. Hüetlin beschreibt auch die auffällige Trägheit bei der strafrechtlichen Verfolgung der rechten Gewalt, der Neigung, das Thema kleinzureden. Von Einzelfällen, Alkohol-Einfluss und verwirrten jungen Leuten ist das die Rede. All das kommt uns sehr bekannt vor, wenn wir uns die Entwicklung der radikalen Rechten in den letzten Jahrzehnten anschauen und uns den nachsichtigen Umgang des Staates mit den tatsächlichen Feinden der Demokratie vor Augen führen. Für die Demokratie und ihre Zivilgesellschaft ist die Lehre aus dem rechten Terror von damals längst klar: In einem Klima des öffentlichen Hasses kommt es zu rechter Gewalt, insbesondere dann, wenn der parlamentarische Weg zur Macht aussichtslos ist. Der Lübcke-Mord als ein weiteres Beispiel prominenter Opfer in der Tradition des rechten Terrors ist dabei eine weitere brutale Wegmarke. Die alltägliche rechte Gewalt an MigrantInnen, Linken, sozial Schwachen und aller Art von Minderheiten ist der Boden, der die Demokratie systematisch untergräbt. Ob es dem Staat gelingt, aus der Verklärung nationalistischer Aushöhlung der Demokratie angesichts eines jahrzehntelang gepflegten linken Feindbildes tatsächlich herauszukommen, wird die Zukunft zeigen.