Auf der Flucht

geschrieben von Axel Holz

4. Juni 2018

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Auf der Berlinale 2018 wurden verschiedene Filme über das Flüchtlingsthema gezeigt. Neben „Styx“ von Wolfgang Fischer und „Eldorado“ von Markus Imhof auch die deutsch-französische Verfilmung von Anna Seghers Roman „Transit“, in dem die Schriftstellerin ihre Fluchterfahrung vor den Nazis im Jahre 1941 künstlerisch verarbeitet. Leider wurde dieser bemerkenswerte Film von Christian Petzold von der Jury unter der Leitung von Tom Tykwer nicht bedacht, als er im Februar in Berlin seine Weltpremiere feierte. Es hätte dafür allen Grund gegeben. Die jüdische Autorin Anna Seghers floh aus dem Schweizer Exil über Paris gemeinsam mit ihren Kindern nach Marseille, bemühte sich um die Freilassung ihres internierten Mannes und wanderte mit mexikanischen Ausreisepapieren schließlich aus. Nicht zufällig erzählt ihr Roman von Georg, der durch die Nazis verfolgt wurde und Briefe und ein Manuskript des Autors Weidel nach Marseille bringen soll, dessen Frau sich von ihm getrennt hat, ihm aber nach Marseille nachfolgt. Weidel begeht in Marseille Selbstmord und seine Frau sucht ihn hoffnungsvoll in derselben Stadt. Sie, die sich in einem flüchtenden Dirigenten verliebt hat, schwankt zwischen der Vision eines neuen Lebens mit ihrem Mann im Exil und dem Neuanfang mit dem Dirigenten in Mexiko. In Marseille erfährt Georg im Hotel vom Selbstmord des Autors und findet dessen Visaunterlagen, die Weidel und dessen Frau unter den vielen wartenden  Flüchtlingen eine Einwanderung nach Mexiko ermöglichen. Georg gibt die Unterlagen von Weidel im mexikanischen Konsulat ab und wird mit dem toten Autor verwechselt, dessen Identität er nun annimmt. Er verliebt sich in Marie, die Frau des toten Autors, ohne sich in seiner neuen Rolle zu offenbaren. Am Ende verzichtet er auf die wertvollen Transit-Unterlagen und gibt sie Marie. Ihr gelingt die Flucht vor den Nazis, aber ihr Fluchtschiff „Montreal“ wird beschossen und geht zusammen mit allen Passagieren an Bord unter. Anders als im Buch, wird dieses schicksalhafte Detail erst zum Ende des Films offenbart. Eine tragische und sehr individuelle Fluchtgeschichte, eine von vielen der Emigranten mit ihren je eigenen Geschichten, die in Marseille auf die rettenden Visa und Schiffspassagen warten und denen Georg im Film überall begegnet. „Transit“ offenbart die universelle Flüchtlingserfahrung, dass die Heimat zum Feindesland wird und die eigene Existenz ungewiss im Wartestand der Duldung verharren muss. Im Film weist die Flucht nur in eine andere Richtung, weg aus Europa. In „Transit“  muss der Ich-Erzähler selbst lernen zu lieben, zugewandt zu bleiben und auch, verzichten zu können. Diese Geschichte ist ein Plädoyer für Empathie, ohne die wir im entscheidenden Moment nicht Menschen sein können. Wie spezifisch es den Flüchtenden dabei geht, beschreibt sehr anschaulich die Szene, als Paula im Film fragt, wer schneller vergisst, jene, die verlassen werden oder jene, die verlassen worden sind.  Sie antwortet, dass die, die verlassen worden sind, Lieder und Kultur haben. Und weiter: die verlassen, haben nichts.

Christian Petzold gelingt mit der Umsetzung seines Films etwas Neues, das zugleich ein großes Wagnis ist. Erfahren im Umgang mit historischen Stoffen, verzichtet er diesmal in Marseille auf die historischen Kulissen. So begegnen dem Zuschauer neben dem alten Koffer des flüchtenden Dirigenten, den Texten des Schriftstellers Weidel in der Sütterlinschrift und den zeitlosen Kaffes in Marseille zugleich heutige Hafenanlagen und Containerschiffe, moderne französische Polizeiautos und Polizeispezialkräfte in neuartiger Montur auf der Jagd nach Migranten in den verwinkelten Gassen der Hafenstadt. Wenn Georg in Marseille Kontakt zu einem marokkanischen Flüchtlingsjungen beim gemeinsamen Kicken aufnimmt, der Borussia-Dortmund-Fan ist, ist die Gegenwart so nah wie nur möglich. Vergangenheit und Gegenwart werden so geschickt miteinander verwoben und aus dem Fluchtthema wird neben der konkreten Geschichte, die erzählt wird, zugleich ein zeitloses Thema, das uns offensichtlich immer wieder einholt. Im Spiegel-online-Interview spricht Petzold davon, einen Schwebezustand geschaffen zu haben, in dem sich die Zeiten überlagern. Ähnlich wie in Stanley Kubricks „Barry Lindon“, der in seinem vergangen Sein so selbstbewusst sei, dass er zu uns zurückschaue. Eine schöne Metapher, die diese hohe Kunst treffend beschreibt.

Christian Petzolds „Transit“ ist ein Aufruf, Flüchtenden zu helfen und die gesetzlichen Grundlagen des Asylrechts nicht auszuhöhlen zu lassen, wie dies seit geraumer Zeit in Deutschland geschieht. Dabei war dieser Satz im Grundgesetz genau die notwendige Antwort auf die Fluchterfahrung Hunderttausender während der Nazi-Zeit. Petzold zeigt, wie wir uns menschlich verhalten können und er zeigt zugleich das Gegenteil davon in Form von Egoismus und Denunziation. Dieser Film ist in seiner Aktualität und Zeitlosigkeit großartig.