Italien wählte 2022 Giorgia Meloni zur Ministerpräsidentin. Die Postfaschistin hatte sich in der Corona-Krise als Unterstützerin von Corona-Protesten gegen die ebenfalls rechtsextreme Lega unter Matteo Salvini durchgesetzt. Aber anders als bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, wo sich ein Cordon sanitaire der Parteienlandschaft gegen den Durchmarsch von Marine Le Pens Rassemblement National gestellt hatte, gab es in Italien keinen Widerstand gegen die Inthronisierung der Postfaschisten. Meloni, die politisch der konservativen Alleanza Nazionale unter Gianfranco Fini entstammte und zuvor in der neofaschistischen Movimento Sociale Italiano aktiv war, war 2006 mit nur 29 Jahren in das italienische Abgeordnetenhaus eingezogen, wurde dessen Vizepräsidentin und nach dem rechten Wahlsieg unter Berlusconi 2008 als Jugendministerin die jüngste Ministerin in der Geschichte Italiens.
Wie konnte es zu diesem widerstandlosen Durchmarsch der Rechtsextremen kommen? Der Italienkorrespondent und Programmdirektor der Friedrich-Ebertstiftung in Italien, Michael Braun, legt dafür keine Analyse vor. Er dokumentiert aber die Entwicklung des italienischen Parteiensystems und seiner Akteure über dreißig Jahre hinweg und lässt wesentliche gesellschaftliche Begleitumstände für den Vormarsch der extremen Rechten erkennen. Eine zersplitterte Linke hatte nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems Anfang der 90er Jahre begünstigt, dass Berlusconi mit seiner rechtspopulistischen Forca Italia in diese Lücke springen konnte. Er hatte allen alles versprochen – nur noch zwei Einkommensteuerstufen, die Bekämpfung der Kriminalität, Mindestrenten von 517 Euro, die Schaffung von Millionen Arbeitsplätzen und öffentliche Strukturmaßnahmen in Straßen, Eisenbahnen, U-Bahnen und die Brücke von Messina von Sizilien zum italienischen Festland. Nach der Wahl standen im Mittelpunkt seines Interesses aber die Stärkung seines Medienkonzerns mit drei der sechs landesweiten Medienanstalten und seine Auseinandersetzungen mit der Justiz wegen Vorwürfen der Korruption, Bilanzfälschungen und mit Sexskandalen. Begünstigt wurde der Durchmarsch der Rechten auch durch die gespaltene und schwache Gewerkschaftsbewegung sowie eine kriminelle Steuervermeidungskultur, die durch Steueramnestien und staatliches Freikaufen von Schwarzbauten unter Berlusconi eher befördert wurde. Nicht unschuldig ist auch die sozialdemokratische Partito Democratico, die unter dessen Vorsitzenden Matteo Renzi als Regierungschef durch milliardenschwere Einsparungen an Investitionen von 2007 bis 2014 ein Sinken des BIP um zehn Prozent bewirkte und die Verschuldungsrate damit stärkte. Ausbleibendes Lohnwachstum und fast eine Verdopplung der Arbeitslosenzahlen auf 3,1 Millionen waren das Resultat der neoliberalen Arbeitsmarktreformen, die die Verarmung von Millionen Italienern vorantrieb. Schließlich hatte nicht nur die Privatisierung der Medienkonzerne Berlusconi bei den Wahlen Sendezeiten von 70 Stunden je Woche ermöglicht. Auch die regierungstreue Ausrichtung des Staatssenders RAI konnte nun rechtspopulistische Regierungsbeteiligungen stärken.
Rechte Strategie
Grundlegende soziale Veränderungen konnte die Fünfsternebewegung bewirken, die sich nach der Ablösung der gescheiterten neoliberalen Regierung Renzi 2018 unter Ministerpräsident Giuseppe Conte durchgesetzt hatte. Die benötigte aber nun aus den drei stabilen politischen Blöcken einen Koalitionspartner, den sie in der gewendeten Lega Matteo Salvinis fand. Die ehemalige Lega Nord unter Parteichef Umberto Bossi hatte sich vom Separatismus zum Ultranationalismus gewandelt. Plötzlich waren das Abtreibungsrecht, die Staatsbürgerschaft für Kinder von Ausländern und die Homo-Ehe für die Lega keine Tabus mehr. In seiner neuen Funktion als Innenminister behinderte der neue Lega-Chef Matteo Salvini aber Einwanderung und Seenotrettung massiv und erschwerte Ausländern den Zugang zu Sozialwohnungen. Gleichzeitig gelang es Wirtschaftsminister Luigi di Maio von der Fünfsternebewegung eine Grundsicherung für 1,4 Millionen Menschen durchzusetzen, die mit 500 Euro und Familienzuschlägen an geringe Rücklagen sowie ein begrenztes Immobilienvermögen gebunden waren und dem Staat neun Milliarden Euro kosteten. Hundertausende Menschen waren damit weniger der Armut ausgeliefert. In der Wählergunst dominierte aber die von Salvini angestachelte Ausländerfeindlichkeit. Vom politischen Experiment profitierten schließlich die Rechten.
Der Umbau des Staates
Unter der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wurde zunächst die gerade errungene Grundsicherung wieder um die Hälfte auf etwa vier Milliarden Euro gekürzt. Die von der Opposition geforderte Einführung eines Mindestlohnes lehnte Meloni ab, obwohl in Landwirtschaft und Dienstleitungswesen Löhne von nur fünf Euro üblich sind. Gespräche mit Drittstaaten über Zuwanderung und ein juristisch angreifbare Ausreisezentrum in Albanien brachten Meloni europäische Aufmerksamkeit, aber nicht die gewünschte Begrenzung der Zuwanderung. Wichtigstes Ziel aber ist für Meloni der Umbau des Staates hin zu einem Präsidialregime und die Schwächung der Justiz. Die bisher unabhängige Kammer der Richter und Staatsanwalte soll geteilt und die Staatsanwälte sollen dann dem Justizministerium unterstellt werden. Ein direkt gewähltes Präsidialsystem mit kontrollierten Gerichten ist das Ziel dieses antidemokratischen Staatsumbaus, der nicht mehr in weiter Ferne steht. Melonis Weg zum Postfaschismus könnte als Blaupause für die staatliche Verankerung der Rechtspopulisten in Europa dienen.