Wider den Rechtspopulismus – zur Debatte um die Thesen des Thilo Sarrazin
10. Dezember 2010
Eine Stellungnahme von ver.di-Nord
„Es würde mich freuen, wenn er als Berater dem NPD-Parteivorstand zur Verfügung stünde oder gar als Ausländerrückführungsbeauftragter der NPD fungiert.“, so der NPD-Vorsitzende Udo Pastörs gegenüber „Report Mainz“. Begeistert zeigt er sich über die von Sarrazin aufgestellten Thesen: „Unsere Aussagen werden damit salonfähiger und es ist dann auch immer schwerer, Volksverhetzungsverurteilungen gegen NPD-Funktionäre anzustreben, wenn wir uns zur Ausländerpolitik äußern, wenn sich etablierte Politiker auch trauen, das zu äußern.“ Gegen ein NPD-Plakat mit der Aufschrift „Alle wissen, Sarrazin hat Recht“ erstattet der Anzeige und weist den Vorwurf rassistischer Äußerungen zurück. Falsch verstanden – Zufall – oder Verunglimpfung? Selten hat ein Buch einen solchen Medienhype ausgelöst, wie die aktuelle Debatte über das Buch von Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“. Wie die Mischung aus Halbwahrheiten und Populismus geht, – das weiß “Bild“. Heute wird der Rechtspopulismus im Namen der Freiheit verkauft und so schaffen es der Vorabdruck des Buches und die folgenden Diskussionen in „Bild“ und auch im „Spiegel“ im Namen der „Meinungsfreiheitsdebatte“ auf die Bestsellerlisten mit einer Auflage von bis jetzt 650.000 Exemplaren. Und so gelangen Sarrazins Thesen über Veranstaltungen und die Medien in alle Wohnzimmer. Dumpfe Vorurteile und „Volkesstimme“ wird geweckt und publiziert. „Ja genau! – das wird man doch noch mal sagen dürfen – der Mann hat recht“. Und weil die Zustimmung schon mal so hoch ist, wird gleich noch eine Umfrage dazu nachgeschoben: 20 Prozent können sich danach vorstellen, eine Partei rechts von der CDU zu wählen. „Bild“ fordert endlich von den Rechtskonservativen, klare Kante gegenüber den „Muslimen“ zu zeigen. Das Medienkarussell dreht sich nun immer schneller und leider auch beliebiger. Auch Henrik M. Broder schreibt in „Bild“ genüsslich über die Titulierung Michel Friedmanns als „Arschloch“ durch Sarrazin: „Er ist nicht nur ein Arschloch, sondern ein Riesenarschloch“. Na bitte – endlich sagt das mal einer. Dieser glattgegelte arrogante Jude! Das muss gar nicht ergänzt werden, es funktioniert auch so – nonverbal. Deutschland deine Intellektuellen, Kontinuitäten und Brüche!
Dabei geht es gar nicht um das Thema Meinungsfreiheit, worum es Thilo Sarrazin wirklich geht, darauf hat in einem Artikel in der „Zeit“ Sigmar Gabriel aufmerksam gemacht. Kontinuitäten: Er schreibt: Sarrazin hält das Entstehen von oben und unten in unserer Gesellschaft für das Ergebnis natürlicher Auslese durch Vererbung: „Intelligenz ist aber zu 50 – 80 % erblich, deshalb bedeutet ein schichtabhängig unterschiedliches generatives Verhalten leider auch, dass sich das vererbte intellektuelle Potential der Bevölkerung kontinuierlich verdünnt.“ (S. 91, 92) Das ist die Ausgangsthese und sie beinhaltet, dass die Angehörigkeit zu einer Schicht ganz primär mit der vererbten Intelligenz zu tun hat. Thilo Sarrazin behauptet dann auch, dass es „belegt ist (…), dass zwischen Schichtzugehörigkeit und Intelligenzleistung ein recht enger Zusammenhang besteht.“ (S. 93) Für Sarrazin beruht die Schichtung einer Gesellschaft ganz überwiegend auf natürliche biologische Auslese. Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse, Bildung, Sozialstatus, kulturelle Prägung, Integration oder Desintegration in den Arbeitsmarkt sind für ihn zu vernachlässigende Restgrößen. Der Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft ist für Sarrazin deshalb vor allem davon abhängig, dass die richtigen Menschen viele Kinder bekommen, um ihre Intelligenz zu vererben und die anderen weniger. Thilo Sarrazin scheut sich in seinem Buch auch nicht, Vorschläge zu machen, wie man diese gezielte Auswahl von scheinbar werthaltigeren Eltern voran bringen könnte. „Es könnte bspw. bei abgeschlossenem Studium für jedes Kind, das vor Vollendung des 30. Lebensjahres der Mutter geboren wird, eine staatliche Prämie von 50.000,- ausgesetzt werden. Die Prämie – und das wird die politische Klippe sein – dürfte allerdings nur selektiv eingesetzt werden, nämlich für jene Gruppen, bei denen eine höhere Fruchtbarkeit zur Verbesserung der Sozio-ökonomischen Qualität der Geburtenstruktur besonders erwünscht ist.“ (S. 389/390) Und die Definition der zur fördernden Gruppe oder Schicht ist nach Sarrazins Auffassung die Aufgabe der Polítik. Welch ein Wahnsinn. Spätestens jetzt ist klar: Thilo Sarrazin führt keine Integrations-, sondern eine Selektionsdebatte. Er greift darauf ganz offen auf Francis Galten zurück (S. 92 und 352), allerdings ohne die Leser aufzuklären. Galten ist ein britischer Naturforscher, der im 19. Jahrhundert als Vater der modernen Eugenik von dem Gedanken beseelt war, „die Qualität der Menschen durch gezielte Auswahl der Eltern zu verbessern“.
Kontinuitäten? – Wenn schon ein solcher Rückgriff auf die Eugenik in unserem Land kaum auffällt und ein solcher Tabu-Bruch nicht von Seiten der Politik geschlossen zurück gewiesen wird, dann braucht es dringend eine Debatte über das Verständnis von Rassismus im 21. Jahrhundert. Und so schreibt in einer Stellungnahme zu den Aussagen Sarrazins das Deutsche Institut für Menschenrechte: „Rassistische Argumentationsmuster der Gegenwart verlaufen – wenn man so will – versteckter. Typischerweise basieren sie auf Zuschreibungen aufgrund unterschiedlicher „Kulturen“, „Nationen“, „Ethnien“ oder Religionszugehörigkeit. Kennzeichnend für Rassismus ist die Konstruktion von Gruppen, nach der in „Wir“ und die „Anderen“ unterteilt wird. Solche Kategorisierungen von Menschen erreichen jedenfalls dann rassistische Dimensionen, wenn sie mit Hierarchisierungen oder Abwertungen einzelner Gruppen einhergehen.“ Mit diesen biologistischen Thesen nimmt Sarrazin bewusst einen Rückgriff auf ein Gedankengut vor, das zur geistigen Grundlage des Nationalsozialismus gehörte. Die Kategorisierung von Menschengruppen („Rassen“) nach pseudowissenschaftlichen Kriterien. Er stellt sich damit bewusst gegen den Grundsatz des Grundgesetzes und der universell geltenden gültigen Menschenrechte, nach denen alle Menschen in ihren Rechten und in ihrer Würde gleich geboren sind.
Aber die aktuelle Diskussion um die Thesen des Politikers Sarrazin mit dem Vorabdruck von Auszügen seines Buches in der Bild-Zeitung, mit dem Hinweis auf ein bestimmtes „jüdisches Gen“ entspricht tief verwurzelten Einstellungsmustern vieler Menschen und kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Sie befördert objektiv Antisemitismus und Rassismus. Damit erweist Herr Sarrazin den Rechten einen Bärendienst. Dabei geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern auch um eine Politikrichtung, auch um aktuelle Migrationspolitik. Vor allem geht es aber aus unserer Sicht um die notwendige Grenze, die die demokratischen Kräfte für den Erhalt von Demokratie und Toleranz in diesem Land gegenüber dem Neofaschismus ziehen müssen, um glaubwürdig und erfolgreich gegen ihn ankämpfen zu können. Daher wendet sich ver.di Nord entschieden gegen jede Form von Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus. Diese Auseinandersetzung werden wir im Rahmen unserer Kampagne „NPD kehrt marsch!“, insbesondere im Vorfeld der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern in 2011 verstärken.
Schwerin, 25. Oktober 2010