Vor 60 Jahren begann der Auschwitz-Prozess
15. Dezember 2023
Als am 20. Dezember 1963 im Plenarsaal des Frankfurter Römer der „Auschwitz-Prozess“ „Gegen Mulka und andere“ mit dem Aktenzeichen 4 Ks 2/63 gegen 22 Angeklagte eröffnet wurde, waren mehr als 18 Jahre vergangen, dass eines der schlimmsten Massenverbrechen der NS-Herrschaft vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde, das Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz.
Viele Jahre wurde gegen die Täter von Auschwitz nicht ermittelt. Erst der Eichmann-Prozess in Jerusalem vom April 1961, bei dem die Verbrechen von Auschwitz noch einmal vor der ganzen Welt präsentiert wurden, führte zu einem politischen Umdenken.
Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der als politischer Gegner des NS-Regimes und aus einer jüdischen Familie stammend 1936 ins Exil gegangen war, hatte sich bereits zuvor für eine Untersuchung eingesetzt. Als er von Auschwitz-Überlebenden belastende Dokumente aus dem Kommandantur-Bereich erhielt, beantragte er für das Landgericht Frankfurt/Main die Zuständigkeit für alle Verfahren im Zusammenhang mit den Massenverbrechen in Auschwitz.
Bei dieser Arbeit wurde er unterstützt von der FIR und ihren Mitgliedverbänden z.B. der VVN, direkt und indirekt. Eine wichtige Rolle spielte das Internationale Auschwitz-Komitee mit seinem damaligen Repräsentanten Hermann Langbein. Er lieferte Dokumente und Kontakte zu Zeugen für die Anklage. Über die FIR liefen Kontakte nach Warschau zur damaligen Veteranenorganisation ZBOWID und zur „Hauptkommission für die Erforschung deutscher (ab 1949: nationalsozialistischer) Verbrechen in Polen“, die ebenfalls Material für Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher bereitstellten. Dieser Kontakt musste in Zeiten des Kalten Krieges diskret abgewickelt werden, wären doch sonst die Angeklagten zu „Opfern kommunistischer Propaganda“ stilisiert worden.
Das Ergebnis war eine siebenhundertseitige Anklageschrift, die sich u.a. auf die Vernehmung von 1.300 Zeugen stützte. Zum Prozess selbst wurden mehrere hundert Zeugen aus 15 Ländern Europas und aus Übersee geladen. Über den Prozess hieß es in einem Zeitungsartikel:
„Die Aussagen der Überlebenden ließen die unvorstellbaren Schrecken und Grausamkeiten von Auschwitz noch einmal auferstehen. Im Gerichtssaal spielten sich erschütternde Szenen ab, als die ehemaligen Häftlinge ihren Peinigern von einst gegenübertraten. Dokumentiert wurden nicht nur die Untaten der Angeklagten – der Prozess förderte beeindruckendes Beweismaterial über die Verbrechen des deutschen Faschismus und der ihn tragenden Kräfte zutage, über die Hintermänner und Auftraggeber der Angeklagten in Staat und Industrie, die allerdings auf der Anklagebank fehlten. Zeugen und Sachverständige charakterisierten die Verantwortung des IG-Farben-Konzerns bei den in Auschwitz verübten Massenmorden, nicht zuletzt bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.“
Nach Schätzungen verfolgten etwa 20.000 Besucher die 183 Verhandlungstage. Nur wenige Journalisten und die Vertreter des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK) waren am allen Prozesstagen anwesend. Die Zeitschrift der FIR „Der Widerstandskämpfer“ berichtete regelmäßig und ausführlich über den Prozess.
Eine juristische Sensation war der Ortstermin in Auschwitz trotz eines fehlenden Rechtshilfeabkommens zwischen der BRD und Polen. Versuche der Verteidigung, die Aussagen der überlebenden Häftlinge zu denunzieren, wurden zurückgewiesen. Die Verbrechen wurden in ihrer Scheußlichkeit und Brutalität dargelegt. 17 Angeklagte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil wurde – eine Seltenheit in der deutschen Justiz – auf 930 Seiten begründet. Akribisch wurden die Verbrechen und der Nachweis der unmittelbaren Tatbeteiligung geführt.
Trotz dieses eindeutigen Ergebnisses glaubte die politische Rechte, die Fakten weiterhin infrage stellen zu können. In der BRD erklärte der damalige CSU-Vorsitzenden Franz-Joseph Strauß noch 1969 „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“
Alte und neue Nazis leugneten international die Existenz von Gaskammern und die Verbrechen von Auschwitz. Heute ist „Auschwitz-Leugnung“ – nicht nur in der BRD – ausdrücklich eine Straftat.
Die FIR und ihre Mitgliedsverbände erinnern immer wieder an die faschistischen Verbrechen in den Vernichtungslagern und deren Opfer, aber auch an diejenigen Frauen und Männer, die sich der NS-Barbarei entgegen gestellt haben.