Rede zum Start der Tour de Liberation von Rostock nach Demmin
8. Mai 2015
Liebe Freunde,
ihr macht euch gleich auf den Weg nach Demmin, in die Stadt Mecklenburgs, die für ein besonders grausiges Geschehen in den Maitagen 1945 bekannt ist. Dort brachten sich nicht nur kommunale Nazigrößen, die nicht rechtzeitig nach Westen geflohen waren um, sondern auch viele gering belastete Einwohner, die auch Frauen und Kinder mit in den Tod nahmen.
Es ist das Bestreben der meisten heutigen Meinungsmacher, den sowjetischen Soldaten dafür eine Mitschuld zu geben. Die Vorgeschichte gerät dabei üblicherweise etwas kurz. Ja, die Schuld am 2. Weltkrieg wird oft allein auf Hitler geschoben, einem angeblich Wahnsinnigen. Der 2. Weltkrieg ist aber nicht ohne die deutsche Vorgeschichte zu begreifen.
Deutschland war spätestens seit Preußens Aufstieg militaristisch geprägt. Es ging immer um Macht, Einfluss und materiellen Gewinn, der auch Gebietsgewinn einschloss. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fühlten sich die Herrschenden in Deutschland zu kurz gekommen bei der Aufteilung der Welt unter den Kolonialmächten, allen voran Großbritannien und Frankreich. Der angeblich durch Bündnistreue erzwungene Eintritt des Deutschen Reiches in den 1. Weltkrieg, war nichts anderes als der Wille und die scheinbare Gelegenheit zu Eroberungen im Westen und im Osten. Das ging gründlich schief, doch seltsam, der deutsche Friedensheld Liebknecht wird noch heute verleumdet, während Hindenburg, dem der Krieg wie eine Badekur bekam, noch heute allen Versuchen der Partei DIE LINKE. zum Trotz in Berlin weiter Ehrenbürger bleibt.
Die Versager Hindenburg und Ludendorff blieben nach 10 Millionen Toten dennoch geehrt im Deutschland der Weimarer Republik, die nicht nur den preußischen Militarismus weiterleben ließ, sondern auch die Rechte der Frauen und der Arbeiter weitgehend beschnitt und über Industrie, Großgrundbesitzer und Presse, die Menschen gegen ihre eigenen Interessen tätig werden ließ, und nicht in der Lage war, eine Wirtschaft zu organisieren, die den Menschen Arbeit und Brot gab.
Das Elend der Massen nutzten die Wirtschaftskonzerne, ob IG Farben, Thyssen oder Krupp, ein autoritäres Regime zu installieren. Hitler und seine NSDAP waren ihre Vollstrecker und die Militärs waren wild darauf versessen, die Scharte von 1914-1918 auszuwetzen. Dank der Westmächte konnten die Nazis mit dem deutschen Militär die Tschechoslowakei von der Landkarte tilgen. Auch Polen und Ungarn beteiligten sich an der Aufteilung. Auf die Angebote der Sowjetunion an die Westmächte die Tschechoslowakei zu schützen, ging man nicht ein. So kam es danach zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, den die Westmächte durch ihre feindliche Haltung zur SU verschuldeten.
Die Sowjetunion tat nichts weiter, als die Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen, die bereits zum Zarenreich bis 1917 gehört hatten und im Frieden von Brest-Litowsk aufgegeben werden mussten, weil Lenin den bedingungslosen Frieden suchte.
Die deutsche Wehrmacht führte in der Sowjetunion einen unvorstellbar grausamen Vernichtungskrieg. Was auf dem Vormarsch nicht in Schutt und Asche gelegt worden war, zerstörte man auf dem Rückweg. Neueste Zahlen sprechen von 28 Millionen Toten Sowjetbürgern, in der Mehrzahl Russen. Das ist mehr als die Einwohnerzahl der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs zusammengenommen.
Wenn die Militärs heute den SS-Divisionen die Hauptschuld zuschieben, dann darf man wohl fragen, warum die angeblich so ehrenwerten Wehrmachtsgeneräle die Mörderbanden gegen Juden und Kommunisten, gegen den jüdischen Bolschewismus, so wüten ließen. Ja, unser Held seit den sechziger Jahren, davor galt er als Verbrecher, von Stauffenberg, war auch Antisemit.
Am 1. Mai, vor 70 Jahren, befreite die Sowjetarmee unter Gardekapitän Semjon Dmitrewski unsere Heimatstadt. Für viele Einwohner war dieser Tag ein Tag der Niederlage und der nationalen Schmach. Für die über 2000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus ganz Europa aber, die gezwungen worden waren, in den Heinkelschen Rüstungsbetrieben in Rostock zu arbeiten, und auch für zahlreiche Rostockerinnen und Rostocker, vor allem die am Leben gebliebenen Sozial-demokraten, Kommunisten und echten Christen, war es der Tag der Befreiung.
Es ist darauf zu verweisen, dass ein Drittel der mecklenburgischen Pfarrer der NSDAP angehörten, Ihr Anteil war also weit höher als der in den anderen Bevölkerungsteilen, aber selbst die sogenannte Bekennende Kirche stand politisch dem Naziregime nicht kritisch gegenüber, wie sie nach 1945 selbst betonte, solange dieses die Interessen der Kirche nicht beeinträchtigte. Nur wenige Kirchenvertreter wirkten zu Kriegsende deeskalierend und nahmen Einfluss auf ihre Mitglieder. Auch das dürfte ein entscheidender Grund für die Massensuizide in Demmin gewesen sein, wo sich die Hasspropaganda der Nazis gegen den jüdischen Sowjetbolschewismus so extrem niederschlug. Christen lehnen Selbsttötungen doch gemeinhin ab.
Die Rote Armee kam als Befreier nach Deutschland, nicht als Vernichter und Zerstörer, doch der sinnlose Widerstand der Nazibarbaren noch in den letzten Kriegstagen, die sich nicht scheuten, auch 14-jährige in den Kampf zu schicken und aus dem Hinterhalt sowjetische Soldaten töten ließen, erzeugte, wie jedem normal empfindenden Menschen verständlich sein muss, auch Hass.
Rache ist da verständlich, wenn auch nicht entschuldbar.
Besten Dank für ihre und eure Geduld
Günter Althaus