Einladung zur Vortrags- & Diskussionsveranstaltung „Gefährlich verankert – Neofaschismus in Mecklenburg-Vorpommern“ am 08.07.2015 in Rostock

29. Juni 2015

Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, in dem die neofaschistische NPD im Landtag sitzt. MV gilt als Modellregion für die rechte Bewegung in der Bundesrepublik. Die Vorstellungen eines umweltverbundenen Lebens werden hier genauso ausprobiert wie die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Parteistrukturen und sogenannten „Freien Kräften“.

Wie ist die neofaschistische Szene im Nordosten Deutschlands konkret aufgestellt? Welche Strukturen gibt es und wie sind die Nazis organisiert? Welche Strategien verfolgen NPD und „Freie Kräfte“? Mit diesen und anderen Fragen wird sich die Veranstaltung am

8. Jui 2015 im Büro der LINKEN. Rostock (Kröpeliner Straße 24, Eingang Ecke Rungestraße) ab 18.45 Uhr (pünktlich!). Einlass ist 18.30 Uhr.

In nach einem ausführlichen Inputreferat (ca 90 Minuten) wird es die Möglichkeit zur Diskussion geben.

Eine Anmeldung ist erforderlich unter solid-rostock[ätt]systemausfall.org.

Hinweis: Bei Störungen der Veranstaltung wird ggf. Gebrauch vom Hausrecht gemacht.

Flucht aus Deportationszügen der Nazis

geschrieben von Axel Holz

31. Mai 2015

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Mehr als 750 Menschen flohen aus den Deportationszügen der Nazis, die Juden aus Belgien, Niederlande und Frankreich nach Auschwitz brachten.
Warum ließen sich die Juden widerstandslos zur Schlachtbank führen? Hinter dieser Frage steckt selbst ein Stück Antisemitismus, mit dem Juden nicht nur von den Nazis gern als falsch, verschlagen und feige gekennzeichnet werden. Dass das tatsächliche Verhalten der verfolgten Juden in der NS-Zeit lange nicht an die Öffentlichkeit kam, hat auch etwas mit verstecktem Antisemitismus zu tun. Tatsächlich emigrierte die Hälfte der deutschen Juden, als die Nazis ihre Rassegesetze und rassistischen Verordnungen umsetzten. In anderen europäischen Ländern schafften das deutlich weniger Menschen, da ihnen weniger Zeit zur Flucht blieb. Tausende Juden kämpften in den Reihen der Alliierten gegen die Nazis, in Partisanenverbänden und im Widerstand, wie die jüdische Widerstandsgruppe in Berlin um Herbert Baum. Selbst in den Vernichtungslagern Auschwitz und Sobibór fanden Aufstände gegen die völlig überlegenen Wacheinheiten statt.
Ein wenig bekanntes Kapitel des Widerstandes der Juden in Frankreich, Belgien und den Niederlande schreibt die Sozialwissenschaftlerin Tanja von Fransecky am Zentrum für Antisemitismusforschung der technischen Universität Berlin in ihrer veröffentlichen Promotion über „Flucht von Juden aus Deportationszügen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden“. Die Autorin arbeitet an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und erhielt für ihre Arbeit 2013 den Herbert-Steiner-Förderpreis.
Die Sozialwissenschaftlerin lernte Jahre zuvor den jüdischen Überlebenden Simon Gronowski kennen. Zusammen mit seiner Mutter war der Elfjährige 1943 aus dem 20. Deportationszug geflohen, der ihn vom Sammellager Mechelen in Belgien nach Auschwitz bringen sollte. Den Absprung vom Zug hatte er mit anderen Kindern in Mechelen geübt, indem sie im Lager von den dreistöckigen Hochbetten sprangen. Als der 20. Deportationszug die deutsche Grenze erreichte, waren insgesamt 232 Gefangene aus dem Wagen geflohen. Drei junge Männer hielten am 19. April diesen Deportationszug kurzeitig auf und befreiten 17 Menschen. Ausgerüstet mit einer Pistole und einer roten Sturmleuchte stoppten die Widerstandskämpfer Youra Livschitz, Jean Franklemon und Robert Maistriau den Todeszug, bis die überraschten Wachmannschaften das Feuer eröffneten. Andere Häftlinge hatten von dem Vorhaben gehört und Werkzeuge in den Transportwaggons versteckt. So konnten weitere 200 Häftlinge auf der Fahrt fliehen. Die Flüchtigen wurden verfolgt, 26 Häftlinge erschossen und 87 erneut verhaftet. 119 Deportierten gelang es zu entkommen, nicht zuletzt durch die Hilfe der belgischen Bevölkerung. Immerhin 40 Prozent der 65.000 Juden, die sich beim Überfall der Nazis auf Belgien im Lande befanden, wurden in belgischen Familien, auf Bauernhöfen und in Klöstern versteckt. Zahlreiche der verfolgten Juden waren selbst vorher in jüdischen Organisationen aktiv oder fanden den Weg in den Widerstand. Schon nach dem zweiten Deportationszug nach Auschwitz meldeten sich die in Belgien lebenden Juden nicht mehr bei den Sammelstellen und versuchten, unterzutauchen. Insgesamt konnte Tanja von Fransecky 577 Fluchten aus Deportationszügen in Belgien belegen, 155 in Frankreich und 29 in den Niederlanden.
Über die Fluchten, die aus fast allen Todeszügen erfolgten, war bisher wenig bekannt. Dafür gibt es gute Gründe. Für die Häftlinge waren die Transporte mit 50 bis 80 Personen in einem Wagon, mit wenig Wasser und Nahrungsmitteln und ohne sanitäre Anlagen, mit Gestank, Krankheit und Tod so traumatisch, dass die Überlebenden die schreckliche Fahrt in ihren Erinnerungen oft verdrängten. Außerdem standen die Fluchtwilligen vor einem moralischen Dilemma. Die Nazis hatten den Häftlingen angedroht, alle Personen des Waggons zu erschießen, wenn einzelnen Häftlinge fliehen sollte. Die Häftlinge wussten nicht, dass dies nur eine Drohung war. Die Häftlinge standen unter dem Druck, andere Häftlinge oder gar Verwandte in den Todeszügen zurücklassen zu müssen. In den Waggons spielten sich tragische Szenen ab, als einzelne Häftlinge oder Gruppen mit den Fluchtvorbereitungen mit Hilfe von eingeschleusten Werkzeugen begannen. In den Waggons brach nicht selten Panik aus. Die Fluchtgegner und Waggonältesten mussten gelegentlich überwältigt werden. Zahlreiche Häftlinge wagten die Flucht nicht oder waren zu alt oder zu schwach dafür. Außerdem waren mit der Flucht zahlreiche Gefahren verbunden, da die Flüchtenden nicht selten beim Absprung verletzt oder getötet wurden und die Wachmannschaften oder bewaffnete Bahnposten die Flüchtenden verfolgten, erschossen oder zurückführten. Tanja von Fransecky hat die situationsübergreifenden strukturellen Faktoren untersucht, die Fluchten ermöglichten oder behinderten. Sie hat damit ein bisher wenig bekanntes Kapitel der Judenverfolgung durch die Nazis in Europa offen gelegt, das die Flucht zahlreicher verfolgter Juden beschreibt, die die Naziverfolgung nicht hinnahmen und mit ihrer Flucht selbst Widerstand leisteten. Axel Holz

Literaturhinweis:
Tanja von Fransecky, Flucht von Juden aus Deportationszügen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, Metropol-Verlag, Berlin 2014, 398 Seiten

Die Früchte des 8. Mai sind gefährdet

geschrieben von Axel Holz

11. Mai 2015

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Am 8. Mai wurde ganz Europa von der Geißel des Faschismus befreit. In Deutschland erlebten in erster Linie die überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen diesen Tag als Befreiung, aber auch Millionen Zwangsarbeiter_innen aus zahlreichen Ländern Europas. Auch wir heutigen Menschen in Europa verdanken den Siegern des 8. Mai die Grundlagen unseres Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt.
Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen hatte, sind und bleiben auch unsere Befreier. Mit besonderer Dankbarkeit erinnern wir an den Beitrag, den der deutsche antifaschistische Widerstand in Deutschland, in der Emigration, als Teil von Partisanenverbänden und in den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition geleistet hat.
Es bleibt zugleich eine Tatsache, dass die Deutschen nicht dazu fähig waren, sich selbst von der Nazityrannei zu befreien. Die Mehrheit der Deutschen hat das Ende der Nazi-Herrschaft dennoch als eine Befreiung vom Kriegsalltag, als das Ende von Not und Zerstörung erfahren. Auf unterschiedliche Art und Weise setzten sich Deutsche in Ost und West mit der Nazi-Ideologie auseinander. In diesem Prozess ist eine starke Zivilgesellschaft entstanden, die bereit ist, sich Nationalismus und Rassismus aktiv entgegenzustellen, der sich in Deutschland und Europa erneut breit macht.
Erinnert werden muss aber auch an die jahrzehntelange Verdrängung der deutschen Schuld an Eroberungskrieg und Völkermord in der BRD und an die bedenkenlose Übernahme ehemaliger Nazis in führende Positionen der westdeutschen Politik, Wirtschaft und Polizei, in Militär, Geheimdienste und Gerichte. Erst in jüngster Zeit wurde dieses Versagen beim Umgang mit dem Nazi-Erbe in zahlreichen Behörden wissenschaftlich aufgeklärt. Ich halte es für bemerkenswert, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, auf dem Europäischen Gedenktag am 11. April in Weimar auch an dieses jahrzehntelange Versagen erinnert hat.
Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Nazi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und mit ihrem Leben. Einflussreiche politische Kreise, Banker und Industrielle hatten schon ab 1930 keine Bedenken, den Nazis die Macht zu übertragen. Vielmehr ermunterten Sie die Nazis, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und deren Ideen zu bekämpfen.
Das belegt ein Brief von einflussreichen Bankern und Industriellen aus dem Jahre 1932 an Reichskanzler Hindenburg mit der Bitte, Hitler die Macht zu übertragen.
Die deutsche Wirtschaft, allen voran Chemie- und Rüstungsindustrie und Banken waren schließlich die Gewinner von „Arisierung“, Krieg und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter_innen. Diese Gewinne bildeten die Grundlage des „Wirtschaftswunders“ in der Bundesrepublik, während die Opfer um jede Mark Entschädigung kämpfen mussten und bis heute kämpfen müssen.
Ich erinnere daran, wie lange die Deutsche Bahn von einer moralischen Schuld sprach, sich aber vehement gegen eine Entschädigung der Opfer des Völkermordes wehrte, an dem die Bahn mit ihrer Logistik wesentlich beteiligt war. Als endlich nach dem Erinnerungs-Vorbild der französischen Staatsbahn SNCF der „Zug der Erinnerung“ auf deutschen Bahnhöfen hielt und an das System der Vernichtung erinnerte, dauerte es nicht lange, dass die Bahn für eine Fortführung des Projektes als Miete für die Waggons des Erinnerungszuges Geld forderte. Mit Empörung verurteilte die Auschwitzüberlebende Esther Bejerano seinerzeit diesen erneuten Versuch, die Opfer für Ihre Leiden zur Kasse zu bitten.
In nahezu allen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, auch im Osten Deutschlands. Genau 40 Jahre hat es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik an einem 8. Mai von Befreiung gesprochen hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis, der Deutsch-Nationalen, der Profiteure und Mitläufer das offizielle Vokabular geprägt – Zusammenbruch, Kapitulation und Besatzung. Mit Richard von Weizsäckers Rede wurde die Perspektive der Verfolgten des Nazi-Regimes „gesellschaftsfähig“. Damit das so bleibt, fordern wir, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg endlich auch in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag wird. Unterstützen Sie deshalb bitte die Petition der „Initiative der Freunde der Völker Russlands“ auf der Homepage des Deutschen Bundestages für die Erklärung des 8. Mai zu einem deutschen Feiertag!
Wir müssen feststellen, dass in diesen Tagen in vielen regionalen Zeitungen häufig wieder vom Kriegsende die Rede ist, und das der Fokus auf die vom Krieg verursachte Not der Deutschen und die Übergriffe auf Deutsche nicht selten die Verbrechen der Nazis und die Ursachen des Nazi-Regimes verdecken. Das zeigt, dass die weltweit gelobte deutsche Erinnerungskultur im kritischen Umgang mit der Nazi-Geschichte doch noch nicht überall in Deutschland angekommen ist.
Ich erinnere heute auch daran, dass sich im Vorfeld der Nazi-Diktatur auch in den meisten demokratischen Parteien der Weimarer Republik Nationalismus breit gemacht hat. Fast alle Parteien waren antisemitisch beeinflusst und öffneten den Nazis damit die Tür für ihre Rasseideologie. Aus der Geschichte lernen heißt deshalb, nicht nur an die Opfer des Faschismus zu erinnern, sondern neuem Nationalismus und Rassismus in ganz Europa entschieden entgegenzutreten.
Wir wissen, dass die Früchte des 8. Mai stets gefährdet sind. Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Islamfeindlichkeit sind auf dem Vormarsch. Alle möglichen Ideologien zur Begründung sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur. Wir wissen auch, dass die soziale Spaltung der Gesellschaft ein Ausmaß erreicht hat, in dem die Angst vor dem Abstieg Anpassungsdruck und Ausgrenzungsbereitschaft erhöht.
Neben der faschistischen NPD finden in Deutschland Rechtspopulisten der PEGIDA und AfD zunehmend in Teilen der Bevölkerung Gehör, wie wir mit Erschrecken auf den Straßen Deutschlands feststellen müssen. Diese Versuche, die europäische Ordnung durch neuen Nationalismus zu begraben, erfordern unser aller Widerspruch und unseren Widerstand. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in nahezu allen europäischen Ländern verlangt entschiedene Gegenwehr.
Wir sehen mit Sorge, wie unbarmherzig unsere Gesellschaft Flüchtlingen gegenübertritt und gewaltsamen Übergriffen auf Ausländer und Migranten noch immer zu wenig entschlossen begegnet. Eine Lehre aus der Geschichte muss es sein, Asylsuchende in der Not nicht wieder abzuweisen und damit nicht wieder deren Tod in Kauf zu nehmen. Wir brauchen mehr Empathie für Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg und Not. Wir brauchen aber auch eine neue Weltwirtschaftsordnung, damit die Menschen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge eine menschenwürdige Lebensperspektive erhalten.
Es soll nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen. Das war die wichtigste Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte. Jahrzehntelang wurde dieser europäische Konsens auch in Deutschland anerkannt. Die Teilnahme Deutschlands an neuen Kriegen, wie im ehemaligen Jugoslawien oder in Afghanistan stellt einen eklatanten Bruch mit diesem Nachkriegskonsens dar. Es zeigte sich, dass ein angeblich drohender Völkermord im ehemaligen Jugoslawien eine willkommene Lüge war, mit der die NATO-Intervention begründet wurde. Auch im Afghanistan-Konflikt war bald von der “Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ die Rede.
In vielen Ländern der Welt, im Irak, in Syrien, in der Ukraine und in weiten Teilen Afrikas toben neue Kriege. Wieder sind deutsche Waffen – und oft auch deutsches Militär – beteiligt. Die Bereitschaft, „deutsche Interessen“ erneut mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung in Regierung und Bundestag wieder politische Praxis geworden.
Gerade darum wollen wir den Tag der Befreiung zum Feiertag machen – den Tag, mit dem die Überlebenden Opfer des Naziregimes so viel Hoffnung auf eine Welt in Frieden und Freiheit verknüpft hatten, wie es im Schwur der Buchenwaldhäftlinge heißt.
Wir wollen am 8. Mai vor allem an diese Hoffnung der Befreiten auf eine Welt ohne Kriege, Elend und Unterdrückung erinnern. Denn der Schwur der Buchenwaldhäftlinge ist nicht eingelöst, auch wenn SS-Schergen endlich von deutschen Gerichten nicht mehr geschützt, sondern zur Verantwortung gezogen werden.
Eine Welt des Friedens und der Freiheit gilt es noch einzulösen, so lange der erzielte Wohlstand der Menschen im reichen Europa noch durch Krieg und Armut in anderen Teilen der Welt erkauft wird.
In diesem Sinne rufen wir auf: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Rede des FIR-Generalsekrtärs Ulrich Schneider am 8. Mai 2015 in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz

geschrieben von Ulrich Schneider

11. Mai 2015

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Als Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer – Bund der Antifaschisten freue ich mich und bin stolz, dass dieses großartige Projekt der europäischen Jugendbegegnung unter der gemeinsamen Überschrift des historischen Gedenkens erneut stattfinden konnte. Es ist eine bedeutende Aktion zum 70. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg, der in vielen Ländern zurecht als „Tag des Sieges“ begangen wird, um die gemeinsame europäische Geschichte der Anti-Hitler-Kräfte zu begehen. Es waren die Streitkräfte der Alliierten – hier in Auschwitz die Einheiten der sowjetischen Armee –, die die militärische Zerschlagung der Wehrmacht und ihrer Verbündeten erreicht haben. Dafür danken wir ihnen. Es waren aber in allen europäischen Ländern und auch in Italien und Deutschland Frauen und Männer, die Widerstand gegen den Faschismus an der Macht organisierten und damit ihren eigenen Beitrag zur Befreiung leisteten. Auch ihnen gebührt unser Dank. Es ist an uns – die Vertreter der heutigen Generationen –, mit dieser Aktion von den letzten Überlebenden der Zeitzeugengeneration die Verantwortung zu übernehmen für die Bewahrung der Erinnerung. Wir – und insbesondere ihr als Nachgeborenen – sollten dieses Wissen, was ihr heute und in Vorbereitung dieser Fahrt euch angeeignet habt, nicht nur für euch behalten, sondern an Freunde, Bekannte oder in der Schule weitergeben. Auschwitz ist das internationale Symbol der rassistischen Vernichtungspolitik, die sich gegen jüdische Menschen, gegen Sinti und Roma, gegen die slawischen Völker, die als Untermenschen angesehen wurden, richtete. Sie wurden auch hier in Auschwitz vernichtet durch Gas und andere Massenvernichtung, aber auch durch die Ausplünderung ihrer Arbeitskraft für den Profit zum Beispiel des IG Farben-Konzerns. All das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir verhindern wollen, dass sich so etwas jemals wiederholt. Doch wir können nicht nur erinnern, sondern wir müssen auch feststellen, dass heute Neufaschismus, Rassismus, Xenophobie und Rechtspopulismus in verschiedenen europäischen Ländern wieder ihr Haupt erheben. Viele von euch kennen aus den eigenen Ländern solche neofaschistischen Gruppen und Bewegungen. Selbst im Europäischen Parlament sind diese Kräfte vertreten. Die Ursachen für deren Aufschwung sind unterschiedlich. Es sind reale politische und wirtschaftliche Probleme in zahlreichen europäischen Ländern, auf die solche Gruppen rassistische, nationalistische und extrem rechte Antworten geben. Wenn wir dieses sehen, müssen wir gemeinsam Lösungen suchen, die die wirklichen Ursachen dieser Probleme bekämpfen, und dürfen nicht den falschen Antworten und Rattenfängern nachlaufen. Für uns bleibt die Losung aktuell: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Heute gedenken wir hier in Auschwitz. Morgen werdet ihr in euren Alltag zurückkehren – mit dem Wissen und den Erfahrungen, die ihr bei diesem großartigen Treffen habt sammeln können. Nehmt diese Kraft mit und engagiert euch bei euch zuhause, in eurem Umfeld für die Ziele einer gerechten, einer sozialen, einer demokratischen Welt. Die Überlebenden der Konzentrationslager haben vor 70 Jahren geschworen, erst Ruhe zu geben, wenn der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, die Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!“ Sie, die Überlebenden der faschistischen Konzentrationslager und Haftstätten, werden es nicht mehr verwirklichen können. Nun wird es auf euch, liebe Jugendliche, ankommen, das Vermächtnis zu übernehmen und daran zu arbeiten. Wir, und da spreche ich im Namen aller gut 60 Mitgliedsverbände der FIR aus 25 europäischen Ländern, Israel und Lateinamerika, zählen auf euch.

Rede zum Start der Tour de Liberation von Rostock nach Demmin

8. Mai 2015

Liebe Freunde,
ihr macht euch gleich auf den Weg nach Demmin, in die Stadt Mecklenburgs, die für ein besonders grausiges Geschehen in den Maitagen 1945 bekannt ist. Dort brachten sich nicht nur kommunale Nazigrößen, die nicht rechtzeitig nach Westen geflohen waren um, sondern auch viele gering belastete Einwohner, die auch Frauen und Kinder mit in den Tod nahmen.
Es ist das Bestreben der meisten heutigen Meinungsmacher, den sowjetischen Soldaten dafür eine Mitschuld zu geben. Die Vorgeschichte gerät dabei üblicherweise etwas kurz. Ja, die Schuld am 2. Weltkrieg wird oft allein auf Hitler geschoben, einem angeblich Wahnsinnigen. Der 2. Weltkrieg ist aber nicht ohne die deutsche Vorgeschichte zu begreifen.
Deutschland war spätestens seit Preußens Aufstieg militaristisch geprägt. Es ging immer um Macht, Einfluss und materiellen Gewinn, der auch Gebietsgewinn einschloss. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fühlten sich die Herrschenden in Deutschland zu kurz gekommen bei der Aufteilung der Welt unter den Kolonialmächten, allen voran Großbritannien und Frankreich. Der angeblich durch Bündnistreue erzwungene Eintritt des Deutschen Reiches in den 1. Weltkrieg, war nichts anderes als der Wille und die scheinbare Gelegenheit zu Eroberungen im Westen und im Osten. Das ging gründlich schief, doch seltsam, der deutsche Friedensheld Liebknecht wird noch heute verleumdet, während Hindenburg, dem der Krieg wie eine Badekur bekam, noch heute allen Versuchen der Partei DIE LINKE. zum Trotz in Berlin weiter Ehrenbürger bleibt.
Die Versager Hindenburg und Ludendorff blieben nach 10 Millionen Toten dennoch geehrt im Deutschland der Weimarer Republik, die nicht nur den preußischen Militarismus weiterleben ließ, sondern auch die Rechte der Frauen und der Arbeiter weitgehend beschnitt und über Industrie, Großgrundbesitzer und Presse, die Menschen gegen ihre eigenen Interessen tätig werden ließ, und nicht in der Lage war, eine Wirtschaft zu organisieren, die den Menschen Arbeit und Brot gab.
Das Elend der Massen nutzten die Wirtschaftskonzerne, ob IG Farben, Thyssen oder Krupp, ein autoritäres Regime zu installieren. Hitler und seine NSDAP waren ihre Vollstrecker und die Militärs waren wild darauf versessen, die Scharte von 1914-1918 auszuwetzen. Dank der Westmächte konnten die Nazis mit dem deutschen Militär die Tschechoslowakei von der Landkarte tilgen. Auch Polen und Ungarn beteiligten sich an der Aufteilung. Auf die Angebote der Sowjetunion an die Westmächte die Tschechoslowakei zu schützen, ging man nicht ein. So kam es danach zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, den die Westmächte durch ihre feindliche Haltung zur SU verschuldeten.
Die Sowjetunion tat nichts weiter, als die Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen, die bereits zum Zarenreich bis 1917 gehört hatten und im Frieden von Brest-Litowsk aufgegeben werden mussten, weil Lenin den bedingungslosen Frieden suchte.
Die deutsche Wehrmacht führte in der Sowjetunion einen unvorstellbar grausamen Vernichtungskrieg. Was auf dem Vormarsch nicht in Schutt und Asche gelegt worden war, zerstörte man auf dem Rückweg. Neueste Zahlen sprechen von 28 Millionen Toten Sowjetbürgern, in der Mehrzahl Russen. Das ist mehr als die Einwohnerzahl der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs zusammengenommen.
Wenn die Militärs heute den SS-Divisionen die Hauptschuld zuschieben, dann darf man wohl fragen, warum die angeblich so ehrenwerten Wehrmachtsgeneräle die Mörderbanden gegen Juden und Kommunisten, gegen den jüdischen Bolschewismus, so wüten ließen. Ja, unser Held seit den sechziger Jahren, davor galt er als Verbrecher, von Stauffenberg, war auch Antisemit.
Am 1. Mai, vor 70 Jahren, befreite die Sowjetarmee unter Gardekapitän Semjon Dmitrewski unsere Heimatstadt. Für viele Einwohner war dieser Tag ein Tag der Niederlage und der nationalen Schmach. Für die über 2000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus ganz Europa aber, die gezwungen worden waren, in den Heinkelschen Rüstungsbetrieben in Rostock zu arbeiten, und auch für zahlreiche Rostockerinnen und Rostocker, vor allem die am Leben gebliebenen Sozial-demokraten, Kommunisten und echten Christen, war es der Tag der Befreiung.
Es ist darauf zu verweisen, dass ein Drittel der mecklenburgischen Pfarrer der NSDAP angehörten, Ihr Anteil war also weit höher als der in den anderen Bevölkerungsteilen, aber selbst die sogenannte Bekennende Kirche stand politisch dem Naziregime nicht kritisch gegenüber, wie sie nach 1945 selbst betonte, solange dieses die Interessen der Kirche nicht beeinträchtigte. Nur wenige Kirchenvertreter wirkten zu Kriegsende deeskalierend und nahmen Einfluss auf ihre Mitglieder. Auch das dürfte ein entscheidender Grund für die Massensuizide in Demmin gewesen sein, wo sich die Hasspropaganda der Nazis gegen den jüdischen Sowjetbolschewismus so extrem niederschlug. Christen lehnen Selbsttötungen doch gemeinhin ab.
Die Rote Armee kam als Befreier nach Deutschland, nicht als Vernichter und Zerstörer, doch der sinnlose Widerstand der Nazibarbaren noch in den letzten Kriegstagen, die sich nicht scheuten, auch 14-jährige in den Kampf zu schicken und aus dem Hinterhalt sowjetische Soldaten töten ließen, erzeugte, wie jedem normal empfindenden Menschen verständlich sein muss, auch Hass.
Rache ist da verständlich, wenn auch nicht entschuldbar.
Besten Dank für ihre und eure Geduld
Günter Althaus

Buchvorstellung und Diskussion „GEFÄHRLICH VERANKERT“ mit Andrea Röpke

7. Mai 2015

Buchvorstellung und Diskussion „GEFÄHRLICH VERANKERT- Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“ mit Andrea Röpke

Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat die NPD seit ihrem Einzug 2006 parlamentarisch niemals Fuß fassen können. Die Geschlossenheit der demokratischen Fraktionen im Kampf gegen deren rechtsextremistisches Gedankengut hat die NPD sichtlich zermürbt. Deren Abgeordnete fallen vielmehr durch Pöbeleien, Beleidigungen und weitere Provokationen auf.

Allerdings haben sich in Mecklenburg-Vorpommern abseits davon in den letzten Jahren nebulöse Strukturen und Verbindungen entwickelt, die erst beim genaueren Hinsehen ihren rechtsextremistischen Charakter offenbaren.

Diese neuen Netzwerke sind in vielfältiger Hinsicht Teil der Alltagswelt geworden: in der Nachbarschaft, im Verein, in der Schule oder in der Geschäftswelt. Die Journalistin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke ermöglicht mit diesem faktenreichen Buch einen tiefen Blick in den braunen Sumpf.

Andrea Röpke – Jahrgang 1965, Politologin und freie Journalistin, Spezialgebiet: Rechtsextremismus, Veröffentlichung ihrer aufwendigen Inside-Recherchen im Neonazi-Milieu in Fernsehmagazinen, in der taz und bei SüddeutscheZeitung-Online sowie in Fachportalen wie Blick nach rechts.

Wann? 12.05.2015

Wo? Tikozigalpa (Dr.-Leber-Straße 38 in Wismar)

Einlass: 18.30 Uhr (Beginn ist 19 Uhr)

Gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern

Rede zur Eröffnung des 50. Sachsenhausen-Gedenklaufes 2015 in Schwerin

geschrieben von Axel Holz

3. Mai 2015

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In diesem Jahr begehen wir hier in Schwerin zwei Jubiläen – den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und den 50. Sachsenhausen-Gedenklauf. Diese beiden Jubiläen sprechen für eine eigene Geschichte des Gedenkens.
Am 2. Mai 1945 wurden in Rabensteinfeld an der Stöhr tausende Häftlinge der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück auf ihren Todesmarsch in Richtung Ostsee befreit – von amerikanischen Truppen, die Schwerin besetzten und von sowjetischen Verbänden, die aus Osten in Richtung Schwerin vorstießen. Noch in den letzten Tagen ihres Todesmarsches waren hunderte Häftlinge in den umliegenden Wäldern von SS-Einheiten ermordet worden, darunter am Vorabend der Befreiung im anliegenden Wald der KPD-Reichstagsabgeordnete Karl Perlemann. Insgesamt 6.000 Häftlinge des Todesmarsches hatten die Befreiung nicht erleben könne, weil sie unterwegs von ihren Bewachern erschossen oder erschlagen wurden, weil sie vor Hunger an Entkräftung oder an Krankheiten starben.
50 Jahre Sachsenhausen-Gedenklauf – das ist ein Jubiläum, das in Schwerin kontinuierliche Traditionspflege zum Gedenken an die Opfer und an die Ursachen des Nazi-Regimes über Systemgrenzen hinweg zeigt. War das Gedenken in der DDR auch zunehmend erstarrt und waren auch hier einzelne Opfergruppen jahrzehntelang aus dem Gedenken ausgeschlossen gewesen – so hatte der Begriff der Befreiung vom Faschismus doch für jeden eine klare Bedeutung. Ein mörderisches Regime fand 1945 sein Ende, das in einem Eroberungs- und Vernichtungskrieg 65 Millionen Tote, unendliches Leid und Zerstörung über ganz Europa gebracht hatte. 1945 wurden hunderttausende überlebende Häftlinge, Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter befreit.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war kriegsmüde und wurde mit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten vom Kriegsgeschehen und weiterem Leid befreit. Schließlich wurden die Mehrheit der Deutschen über einen längeren und unterschiedlichen Prozess in Ost und West schrittweise von der Nazi-Ideologie befreit. Zu Recht sind wir deshalb mit dem Begriff der Befreiung vom Faschismus aufgewachsen. Es dauerte noch 40 Jahre, bis auch in Westdeutschland Bundespräsident von Weizsäcker 1985 an den 8. Mai als einen Tag der Befreiung von einem mörderischen Regime erinnerte.

Heute ist es wieder üblich vom Kriegsende zu reden. Die Zeitungen sind voll davon. Neben dem Leid der deutschen Zivilbevölkerung und den Vergewaltigungen durch sowjetische und andere alliierte Soldaten ist manchmal kaum noch etwas von den Ursachen des Krieges und den Opfern des Nazi-Regimes zu hören, wenn nicht gerade eine Gedenkstätte in den Fokus gerät.
Wir sollten deshalb heute, 70 Jahre nach der Befreiung vom Nazi-Regime daran erinnern, dass einflussreiche interessierte politische Kreise, Banker und Industrielle schon ab 1930 keine Bedenken hatten, den Nazis die Macht zu übertragen. Für die von den Nazis angekündigte Zerschlagung der Arbeiterbewegung und deren Ideen nahmen sie eine Diktatur widerspruchslos in Kauf. Das belegt ein Brief von einflussreichen Bankern und Industriellen aus dem Jahre 1932 an Reichskanzler Hindenburg mit der Bitte, Hitler die Macht zu übertragen. Aber auch in den meisten demokratischen Parteien der Weimarer Republik hatte sich Nationalismus breit gemacht. Fast alle Parteien waren antisemitisch beeinflusst und öffneten den Nazis damit die Tür für ihre Rasseideologie.
Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes bedeutet deshalb heute – 70 Jahre nach der Befreiung – nicht nur Erinnerung an die Nazi-Zeit und an seine Opfer. Es bedeutet vor allem, dem neuen Nationalismus und Rassismus in ganz Europa entgegenzutreten, der sich zunehmend breit macht. Leider haben schon wieder 40 Prozent der Deutschen rassistische Vorurteile gegenüber Ausländern und Migranten, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung seit über 10 Jahren kontinuierlich zeigt. Daran knüpfen neue Nazis und Rechtspopulisten von AfD und PEGIDA erfolgreich an, wie wir mit Erschrecken auf den Straßen Deutschlands sehen können. Deshalb gilt heute Bertholt Brechts Wort nicht weniger als vor 70 Jahren – wehret den Anfängen, denn der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Buchempfehlung: Der Iwan kam bis Lüdenscheid

geschrieben von Ulrich Sander

30. April 2015

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Der Autor hatte das Glück, rund 7500 Personalien zu erkunden und damit vermutlich 1500 überlebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus dem Raum Lüdenscheid zu einer Entschädigung verhelfen zu können, als Mitarbeiter des „Heimatvereins Lüdenscheid e.V.“ und mit Hilfe des Stadtarchivs. In der Provinz, in einer Industriestadt konnte der Autor pars pro toto – der Teil fürs Ganze – repräsentative Fakten über ein besonders schweres Verbrechen des deutschen Faschismus erarbeiten. Er wirkte in der entscheidenden Phase des Ringens um Zwangsarbeiterentschädigung, als US-Konzerne sich anschickten, mit juristischen Mitteln deutsche Konzerne wegen ihrer Marktvorteile zu Zeiten der NS-Zwangsarbeiterausbeutung vom Markt zu verdrängen. Da wurde es möglich, die 55 Jahre erfolglos aufgestellte Forderung der Opferverbände nach Entschädigung von 13 Millionen Opfern auf die Agenda zu setzen – bis dann 2001 ein entsprechendes Gesetz angenommen wurde. Die Nachweiserbringung wurde auch in Lüdenscheid den Archivaren nicht leicht gemacht. Von Versuchen der Verhinderung des Projekts durch örtliche Wirtschaft und konservative Politik bis zum Einbruch und Datenklau im Rathaus, in den Räumen des Stadtarchiv, falschen Auskünften bis Verweigerungen der Mitarbeit, etwas des größten KFZ-Herstellers (in Spielzeugform), der Fa. Sieper, reichte die Einflussnahme. Der Mord an einer unbekannten Zahl von Montenegrinern auf Befehl des Gauleiters wie an Insassen des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel gehört zu den düstersten Enthüllungsgeschichten des Arbeitsjournals, das hier vorgelegt wird und das bisweilen zu einem sehr persönlichen, ungewöhnlichen Tagebuch gerät. Die darin erzählte Geschichte findet auch heute noch keinen Abschluß. Entschädigungsforderungen für sowjetische Zwangsarbeiter mit Kriegsgefangenenschicksal, Forderungen an die Bahn, die Verbrechen der Reichsbahn betreffend und an die ganze deutsche Republik, den griechischen und italienischen Opfern zu helfen, geraten wieder auf die Tagesordnung. Die Erfahrungen aus diesem Buch aus der Zeit, da Iwan und all die anderen Sklaven bis nach Lüdenscheid kamen, bleiben aktuell.

Interview VVN-Gedenk-Fahrradtour 2015

geschrieben von Elvira Grossert

22. April 2015

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Zur Gedenkfahrradtour der VVN-BdA auf der Todesmarschstrecke ab 23. April 2015 von Schwerin zur KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen führte die Journalistin Elvira Grossert ein Interview mit dem VVN-Vorsitzenden Axel Holz:
Warum, wann und wie wurde die Idee geboren mit dem Rad die Todesmarschstrecke zurückzulegen?
Die Gedenk-Fahrradtour der VVN-BdA auf der Todesmarschstrecke der Häftlinge aus den ehemaligen KZ Sachsenhausen und Ravensbrück wurde vor sechs Jahren geboren, um dem Gedenken an die Opfer des Todesmarsches eine moderne Form zu geben. Dabei wollten die Akteure am Rande der 200 Kilometer langen Tour mit den Menschen in den Städten und Kommunen ins Gespräch kommen. Das ist nicht nur in der Gedenkstätte Belower Wald gelungen, sondern auch im Austausch mit Bürgermeistern, Jugendgruppen und Dorfvertretern. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist dieses Gedenken wichtig, wie die gepflegten Erinnerungssteine in den Dörfern zeigen, durch die die KZ-Häftlinge zum Kriegsende getrieben wurden.
Wie viele Teilnehmer, welcher Altersklassen waren durchschnittlich dabei?
Im Durchschnitt haben 20 Interessierte an der VVN-Gedenk-Fahrradtour teilgenommen, manchmal nur für einige Etappen. Teilnehmer waren überwiegend 50-Jährige und aktive Rentner. Im Tour-Abschnitt zwischen Oranienburg und Neuruppin haben regelmäßig engagierte Jugendliche der „Initiative Mittendrin“ aus Neuruppin teilgenommen, im vergangenen Jahr eine Schulklasse auf dem Weg nach Parchim.
Wer hat sich in diesem Jahr angemeldet?
In diesem Jahr startet die Gedenktour in Schwerin. Bereits 15 Teilnehmer haben sich angemeldet – aus Schwerin, Rostock, Boltenhagen, Waren-Müritz, Perleberg und Oranienburg.
Was ist Euch in diesem Jahr besonders wichtig?
In diesem Jahr jährt sich der Tag der Befreiung vom Nazi-Regime zum 70. Mal. Wir wollen daran erinnern, dass nicht nur die überlebenden KZ-Häftlinge befreit wurden, sondern über einen langen Prozess hinweg auch die deutsche Bevölkerung von der Naziideologie befreit wurde. Im Ergebnis dessen gibt es heute eine starke Zivilgesellschaft, die sich neuen rassistischen Vorurteilen aktiv entgegenstellt. Wir freuen uns in diesem Jahr besonders auf die Begegnung mit der Lübzer Bürgermeisterin Gudrun Stein, auf das Treffen mit Bürgern der Gemeinde Sommerfeld, auf Gespräche mit Jugendlichen in Neuruppin und auf die Wiedereröffnung des restaurierten Denkmals für die Opfer des Todesmarsches in Wulkow.

Heideruh im Umbruch

geschrieben von Raimund Gaebelein

14. April 2015

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Vielen AntifaschistInnen ist Heideruh ein Begriff. Unweit von Hamburg in der Nordheide gelegen, ist es über Jahrzehnte Erholungsort und Treffpunkt. Ehrenamtliche Mitarbeit ist eine Selbstverständlichkeit und ein Muss, denn das Heim lebt von Spenden. Aufgebaut und mit Leben erfüllt war es von Kameradinnen wie Hilde Bentin und Gerda Kranz in der Tradition der Freien Deutschen Jugend. Um in der Adenauer-Ära einer Einziehung von Vermögen zuvorzukommen, wurde es Genossenschaft, Ende der 50er Jahre unter Fritz und Alice Bringmann dann Verein. Baulich wurde es erweitert, das Steinhaus errichtet und die Kantine. Walter und Gertrud Boller, Helmut Fleischhauer und Helga Schneider prägten 27 Jahre das Gesicht Heideruhs. Legendär sind die Sommerfeste, die Aufnahme von Kindern und Menschen auf der Flucht vor faschistischer Herrschaft selbstverständlich. Ganze Familien hat es geprägt, die Geschwister-Scholl-Jugend gegründet. Klaus Huhns Büchlein „Fünf Sterne für Heideruh“ hat es nach 1989 auch Kamerad*innen nahegebracht, die nach dem erzwungenen Fortfall ihrer Ferienheime einen Treffpunkt zur Selbstverständigung suchten. Seit Anfang der 90er Jahre wurde die Nordkonferenz zum alljährlichen Bildungstreffen der VVN-BdA in Norddeutschland. Heideruh im Umbruch: die FDJ’ler wurden älter, das Gesicht Heideruhs kam ihrem Bedürfnis nach Erholung und Austausch nach, schloss sich dem Paritätischen Wohlfahrtsverband an. Die allmähliche Überalterung und die gesundheitsbedingte stetige Verringerung der Zahl der Übernachtungen ließ sich kaum aufhalten. Mit viel Elan und einer Spendenkampagne sollte Heideruh erhalten bleiben. Nach dem Fortfall vieler gewerkschaftlicher Tagungsorte war es für Antifaschist*innen eine Herausforderung. Durch Spenden alleine ließ es sich aber nicht auf Dauer wirtschaftlich betreiben. Der Zufluchtsort sollte sich nach außen öffnen. Mit einer verjüngten Geschäftsführung unter Bea Trampenau, einem schlagkräftigen Team von Ehrenamtlichen und einem jüngeren Vorstand sollten sich neue Zugangswege eröffnen. Nicht zuletzt um den Grundgedanken gegen das Vergessen: „dass nie wieder geschehe, was einst geschah“ zu verbreiten. Internationales Begegnungszentrum ist es seit fünf Jahren, vor allem auch Ende Juli/Anfang August seit Gruppen des Service Civile International und bis zu 60 antifaschistischen Jugendlichen aus der Umgebung zum Jugendlager kommen. Wer heute kommt, sieht zunächst sehr viel mehr jüngere Antifaschist*innen. Sie versammeln sich wöchentlich zu gemeinsamen Diskussionen, Beratungen, Musik- und Filmabenden, und sie engagieren sich vehement für die Lage der Geflüchteten. Erneut ist Heideruh zum Zufluchtsort geworden, für Jüngere aus dem Landkreis und für Menschen, die hier auf den erfolgreichen Abschluss ihres Asylverfahrens warten. Heute stammen sie mehrheitlich aus dem Sudan, morgen vielleicht aus dem Mittleren Osten? Heideruh ist lichter geworden, Dutzende Birken fielen, da sie zu sehr in die Jahre gekommen waren. Dafür entsteht ein lichteres Außengelände, auf dem auch gezeltet werden kann. Geöffnet hat sich Heideruh zur Stadt Buchholz hin. Die Ausstellung einer Berliner Studiengruppe um den Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Oliver Rump hatte in den vergangenen Jahren Erstaunliches und kaum Bekanntes über die 90-jährige Geschichte und Wirkung Heideruhs zutage gefördert. Zum 27. Januar 2013 wurde sie in der Stadtbücherei Buchholz feierlich eröffnet. Gegen verleumderische Angriffe seitens der AfD wurden Heideruhs Jugendliche wie das Heim  von der Stadt offiziell in Schutz genommen. Geöffnet hat sich die „Antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte“ für Seminargruppen sehr unterschiedlicher Herkunft. Nach wie vor finden Kaffeetafeln statt und Ausflüge in die Umgebung. Die Heideblüte ist Hochsaison für Erholungsgäste. Nicht alle Schwierigkeiten sind gelöst. Finanziell ist Heideruh nach langen Mühen wohl übern Berg. Trotzdem fallen verstärkt Reparaturen an, denn es ist in die Jahre gekommen. Eine Sanierung der Kühlanlagen und der Leitungen lässt sich überbrücken, aber nicht dauerhaft hinausschieben. Trotzdem und gerade deshalb hoffen wir auf zahlreichen Besuch. Eine gute Gelegenheit bietet das Sommerfest am Samstag, den 25. Juli ab 14 Uhr. Höhepunkt ist das Mikis-Theodorakis-Programm der Gruppe Quichote aus Chemnitz.

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