Nordkonferenz 2024

geschrieben von Axel Holz

26. März 2024

Anika Taschke von der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die Nordkonferenz 2024 der VVN-BdA war durch zwei Schwerpunkte geprägt – die bevorstehende Europawahl und den Austausch zu Erfahrungen im Umgang mit antifaschistischen Bündnissen. Etwa 25 Gäste aus vier Bundesländern diskutierten am Vormittag über ihre Erwartungen an die Bundestagswahl. Hier standen vor allem Forderungen zur Weiterentwicklung der EU als Erwartungen an die Europawahlkandidaten gestellt. Dazu wurden mehr Demokratie, gleiche soziale Standards, Bürokratie und Abrüstung angeführt. Es wurde aber auch deutlich, dass die Hauptaufgabe in der Erhaltung der EU besteht, die rechte Parteien wie die AfD gern abschaffen wollen. Dann bräuchten wir über deren Weiterentwicklung nicht mehr diskutieren. Der Schutz der EU sei v.a. deswegen so bedeutsam, weil mit dem Vordringen rechter Parteien neben der Untergrabung der EU auch die Wahrscheinlichkeit sinkt, mit Maßnahmen der EU Verletzungen von Menschenrechten in EU-Ländern wirksam zu sanktionieren, wie dies in Ungarn und Polen geschehen war. Als konkrete VVN-Maßnahmen zu  EU-Wahl wurde auf den aktuellen VVN-Flyer verwiesen, auf Ausstellungstermine der Neofaschismusausstellung  im Vorfeld der EU-Wahl in Kiel und Parchim, auf eine antifaschistische Kulturwoche und auf unsere Geschichtskompetenzen als Verband, die helfen können, Geschichtsrevisionismus wirksam entgegenzutreten.

Am Nachmittag führt Anika Taschke von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in den Umgang mit Bündnissen ein. Sie charakterisierte Bündnisse als lose Zusammenhängen mit zeitlicher Befristung und definierten Zielen, die ausgelotet und klar definiert werden müssten. Es gehe darum für klare Ziele oder gegen etwas gemeinsam zu handeln bzw. sich zu solidarisieren. Die dürften nicht zu eng gesteckt sein, aber auch nicht beliebig werden. Manchmal sei es auch wichtig ein Bündnis zum richtigen Zeitpunkt wieder aufzulösen, wie Thomas Willms in der Diskussion mit Blick auf das unkooperative Bündnis „Dresden nazifrei“ später in der Diskussion erläuterte. In der anschließenden Podiumsdiskussion tauschten Vertreter verschiedener Bündnisse ihre Erfahrungen aus und diskutierten, was sich bewährt hat und aus was man in Zukunft in der Bündnisarbeit besser machen könnte. Darunter waren Jean-Paul Köpsell vom Lübecker Bündnis „Wir können sie stoppen“, Fritz Beise vom Bündnis „Rostock nazifrei“, Bettina Jürgensen vom Kieler „Bündnis gegen Rassismus und Faschismus“ und Thomas Wilms von der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“. Insbesondere zu letzterem wurde viele neue Materialien vorgestellt, mit denen örtliche Initiativen schnell mit aktuellen Materialien gegen rechts aktiv werden können. So waren zum Jahresbeginn unter den Millionen Demonstrierenden gegen rechts neben phantasievollen persönlichen  Botschaften auch bundesweit die Plakate und Flyer von „Aufstehen gegen Rassismus“ zu sehen. Die Stammtischkämpferausbildung der Initiative soll 2024 auf 500 Seminare ausgeweitet werden.

Verdrängung ganz nah

geschrieben von Axel Holz

21. März 2024

Der Film „The Zone of interest“ beschreibt das Familienleben des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß am Rande des Konzentrationslagers

Filme über deutsche Konzentrationslager gehören mittlerweile zu unserem kulturellen und politischen Erbe, um an das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte zu erinnern, den Holocaust. Frank Beyers Defa-Film „Nackt unter Wölfen“ hat im Osten Schülergenerationen begleitet, die Verfilmung von Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ die einzige Oskar-Nominierung eines DEFA-Films ermöglicht und auch Artur Brauners Verfilmung von Eugen Yorks Drama „Morituri“ in Westdeutschland hatte für Aufsehen gesorgt. Alle drei Filme spielen im Konzentrationslager und sprechen zu uns aus der Sicht der Häftlinge.

Ein Film aus Täterperspektive

Jonathan Glazers neuer Film wechselt die Perspektive in Richtung Täter und statt Grauen zu zeigen, macht er es hörbar. Er nimmt einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Deutschen ein und betrachtet die ungeliebte Schwester des Vergessens, die Verdrängung – und dies zugespitzt bis ins Unerträgliche. Die Verfilmung von Martin Amis Roman „Interessengebiete“ betrachtet das Familienleben des Auschwitzkommandanten Rudolf Höß hinter der Mauer des Konzentrationslagers Auschwitz, zusammen mit dessen Frau Hedwig, fünf Kindern, drei Angestellten und einem Hund. Die Villa ist von einem Garten umgeben, den Hedwig das „Paradies“ nennt und sich selbst „Die Königin von Auschwitz“. Während Hedwig Höß ihre Kinder gelegentlich streng zur Ordnung ruft, Rudolf Höss sie zugleich liebevoll umhegt und abends mit seiner Frau vor dem Schlafen lacht und Belanglosigkeiten austauscht, hört man aus dem KZ ständig Zuggeräusche, Schreie der Wachsoldaten und der Häftlinge, Schüsse und das Bellen von Hunden. Das Ganze wirkt wie eine Blaupause der Banalität des Bösen. Tag und Nacht lodern und donnern die Schornsteine der Krematorien während sich Asche über die Gegend legt, die die Nase regelmäßig verstopft. Der Film deutet die Traumata der Höß-Kinder an, um die sich niemand kümmert. Wenn der Vater seiner Tochter das Märchen von Hänsel und Gretel vorliest und darin die Hexe im Ofen verbrannt wird, stockt dem Zuschauer der Atem. Im Hause Höß wird über Auschwitz und Politik nicht geredet.

Überzeugende Charakterstudien

Hedwig Höß gibt sich als strenge Mutter und fleißige Gärtnerin, deren einzige Interessen der nächste Urlaub, Make up, Treffen mit Freundinnen, Geburtstage und Klamotten sind, die als geraubte Pelzmäntel oder Damenwäsche regelmäßig aus dem Lager ankommen wie Amazon-Pakete heute. Sie weiß über Auschwitz Bescheid und droht einer Zwangs-Angestellten bei Ungehorsam ihrem Mann zu befehlen, deren Asche über die Felder von Babice zu verstreuen. Sie wird von ihrer Mutter bei einem Besuch wegen des großzügigen Hauses bewundert, die aber nach kurzer Zeit überraschend wieder abfährt und wortlos einen Brief hinterlässt, den Hedwig wütend verbrennt. Sie will nicht daran erinnert werden, wie unerträglich das Leben in Auschwitz ist, das sie führt und genießt. Zugleich ist es Hedwig, die ihren Ehemann zur Karriere antreibt und darauf besteht in Auschwitz zu bleiben, während er nach Oranienburg versetzt wird. Rudolf Höß kehrt mit dem Auftrag nach Auschwitz zurück, die Vernichtung von 600.000 ungarischen Juden in die Wege zu leiten. Der Auftrag wird schnell nach ihm Höß-Aktion benannt. Rudolf Höß wird morgens zur Arbeit verabschiedet, auf die er sich auf einem Pferd begibt. Er selbst erscheint eher ruhig und unscheinbar. Der pervers-akribische Technokrat des Staatsterrors wird vom Auschwitzüberlebenden und Friseur des Lagerkommandanten Jozéf Paczynski als „ganz normaler, ehrlicher, ruhiger und schweigsamer Mensch“ beschrieben, „der niemanden schlug“. Höß verfasst in seinem Büro eine Anweisung zum Schutz von Fliederbüschen auf dem KZ-Gelände „im Interesse der Gemeinschaft und zur Ausschmückung des Lagers“. Ab und zu muss er selbst kotzen oder lässt sich Sexsklavinnen im Keller zuführen.

Rudolf Höß wird von Christian Friedel als weicher Charakter gespielt und ähnelt tatsächlich äußerlich seiner gespielten Figur ein wenig. Zusammen mit Sandra Hüller als Ehefrau Hedwig meistern sie ihre schwierigen Rollen in einem nachgebauten Höß-Haus mit versteckten Kameras und lassen ihre Figuren Menschen ähneln, die sie aber nicht erklären.

Ausgezeichneter Film

Der Film des amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Jonathan Glaser, der aus einer jüdischen Familie stammt, hat einen Oskar als bester internationaler Film erhalten und einen zweiten für den dissonanten Sound, der die vorgelogene Harmonie der Höß-Familie im Film konterkariert. Die Scheinwelt der Familie Höß wird nur durch zwei weitere Ebenen durchbrochen, die uns wohl darauf hinweisen sollen, was im Film nicht zu sehen ist und nur als Geisterfilm im Kopf der Zuschauer mitläuft, nämlich an einem Ort der Vernichtung und des Grauens zu sein. In verfremdeten Bildern sehen wir, wie eine Höß-Angestellte unter Lebensgefahr nachts Lebensmittel für KZ-Häftlinge an deren Arbeitsort außerhalb des Lagers versteckt und zum Schluss reale Angestellte der Gedenkstätte Auschwitz beim Saubermachen des Museums. Es ist kein Traum, den der Zuschauer gerade erlebt hat, sondern die Wirklichkeit.  Der Film lässt die Zuschauer nachdenklich und betroffen zurück. Vielleicht mit dem Gedanken, wie sehr Verdrängung angesichts des tausendfachen Mordens vor der Haustür möglich sein kann und vielleicht auch darüber, was wir heute alles verdrängen.

Ein Teil von uns

geschrieben von Axel Holz

15. Februar 2024

Uwe von Seltmanns Buch „Wir sind da! 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ist 2021 erschienen. Es wurde von einem Autor geschrieben, der sich selbstmit seiner Familiengeschichte und der Rolle seines Großvaters als SS-Mann im Warschauer Ghetto im Buch „Schweigen die Täter, reden die Enkel“ auseinandergesetzt hat – und mit dessen Vorstellung von der angeblichen Wertlosigkeit und Gefährlichkeit des Judentums, die bis heute nachhallt. Der Autor legt ein gut lesbares Werk vor, das den Reichtum des Judentums in Deutschland in Religion, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft über Jahrhunderte aufzeigt. Der Vorsitzende des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erklärt in seinem Vorwort zum Buch, dass Jüdinnen und Juden im Verlaufe der Jahrhunderte dazu beigetragen haben, das Land aufzubauen und zum Blühen zu bringen. Dabei wird im Buch gelegentlich bei der Behandlung von Deutschland in den politischen Grenzen von 1914 übersehen, dass die Prägung der Deutschen durch das Judentum im deutschsprachigen Raum eben auch in Prag durch Franz Kafka, in Tschernowitz durch Rose Ausländer und Wien durch Sigmund Freud mit erfolgte.

Vielfalt jüdischen Lebens

Zweifellos ist über jüdisches Leben in Deutschland in der Gesellschaft nicht viel an aktivem Wissen bekannt. Von Salzmanns Buch kann mit seinem lexikonartigen Aufbau dazu beitragen, dass Leser schon mit einem Teil des Wissens aus diesem Buch zu Experten für jüdisches Leben in Deutschland werden können. Wichtig ist dabei, dass die Vielfalt jüdischer Einflüsse ebenso anschaulich dokumentiert wird wie die Abwendung von einer klischeehaften Vorstellung vom Judentum. Eine Ausgabe von Spiegel-Geschichte über „Jüdisches Leben in Deutschland“ erscheint zweifelhaft, wenn auf dem Deckblatt die Darstellung orthodoxer Ostjuden den Blick auf das Thema prägt, die bereits seit den zwanziger Jahren bis heute nur einen Bruchteil jüdischer Vielfalt repräsentieren. Vor allem befördert einer solcher Zugang zum Thema antisemitische Vorurteile, wie der Zentralrat der Juden kritisierte, um zu erfahren, dass eine solche Wirkung von den Machern nicht beabsichtigt worden sei.

Status einer Minderheit

Juden waren in Deutschland immer eine Minderheit. Vor der Machtübertragung an die Nazis lebten eine halbe Millionen Juden in Deutschland. Allein in New York lebten Mitte der zwanziger Jahre 1,6 Millionen und damit 40 Prozent der Einwohner. Vor der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten gab es in Westdeutschland noch 28.000, in der DDR ganze 500 in Gemeinden organisierte Jüdinnen und Juden. Erst durch den Zuzug von etwa 200.000 jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion ist das jüdische Leben in Deutschland neu belebt aber auch deutlich anders geprägt worden als vorher. Etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden ist in den jüdischen Gemeinden registriert. Als der jüdische Emigrant, Journalist beim britischen Daily Mirror und spätere Rabbiner Willam Wolff in den neunziger Jahren den Posten des Landesrabbiners in Mecklenburg-Vorpommern übernahm, lernte er erstmal russisch, um sich mit seinen Gemeindemitgliedern unterhalten zu können.

„Juden wurden verfolgt, weil sie anders waren; und sie waren anders, weil sie verfolgt wurden“, zitiert von Seltmann den Journalisten Reich-Ranicki. Das Buch beschreibt die jahrhundertlange Verfolgung der Juden einschließlich des heutigen Antisemitismus mit 2.000 erfassten antisemitischen Straftaten pro Jahr. Es stellt dies aber nicht in den Mittepunkt, sondern das vielfältige jüdische Leben über Jahrhunderte hinweg. Nach einer Standortbestimmung zur jüdischen Geschichte mit Blick auf Simon Dubnows 1929 vollendetes Standardwerk im ersten Kapitel folgt ein Kapitel zur „Gegenwartsbewältigung“ über verbreitete Unwissenheit, die Unvergangenheit der Vergangenheit und über jiddische Sprache und Kultur.

Was ist jüdisch?

In einem weiteren Kapitel porträtiert der Autor sieben prominente jüdische Persönlichkeiten der Neuzeit, darunter die Kantorin Svetlana Kundish, den Liedermacher Wolf Biermann und den Sänger der Band „Pankow“, André Herzberg. Herzberg stammt aus einer jüdisch kommunistischen Familie in der DDR. Er hat sich auf sein jüdisch sein zurückbesonnen und blickt in seinem autobiografischen Roman „Alle Nähe fern“ auf einen Staat zurück, der mit einer jüdischen Minderheit mehr als widersprüchlich umging, der Schweigen, Angst und Verdrängung selbst bei denen hervorrief, die sich bereits von der jüdischen Tradition verabschiedet hatten.

In weiteren zwei Kapiteln wird jüdisches Leben über Jahrhunderte in verschiedenen Teilen Europas nachgezeichnet und weiter von der Aufklärung bis heute beschrieben.  Darunter sind Lichtgestalten der Aufklärung, wie Moses Mendelssohn und Heinrich Heine. Viele dieser prominenten jüdischen Zeitgenossen kämpften um Gleichberechtigung, die Erlangung bürgerlicher Rechte, darunter auch die Jüdinnen Rahel Varnhagen von Ense, Henriette Merz, und Amalie Beer. Das Buch informiert über die Taufe von Juden, die damit den Weg sozialer Anerkennung und beruflicher Gleichstellung anstrebten, ebenso wie über Stadt- und Landjuden, über Juden deutscher Nation, über Jüdischsein in der Weimarer Republik und den Holocaust. Und nicht zuletzt berichtet das Buch über jüdisch sein heute, über den Schriftsteller Wladimir Kaminer, den Publizisten Richard Schneider, den Politiker Daniel Cohn-Bendit und über Tal Alon, die Gründerin einer hebräischsprachigen Zeitung in Berlin. Dieses Kapitel hätte im Buch noch ausführlicher sein können, denn Letzteres macht jüdisches Leben heute aus und ist vielen kaum bekannt.

Massendemonstrationen gegen die AfD in Deutschland

geschrieben von Ulrich Schneider

2. Februar 2024

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt die FIR die aktuelle politische Entwicklung in der BRD, wo in den vergangenen Wochen eine breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen die extreme Rechte zu erleben ist. Eine Presseveröffentlichung über ein Treffen von Funktionären der „Alternative für Deutschland“ (AfD), dem Frontmann der Identitären Bewegung in Österreich und anderen Vertretern rechtskonservativer Gruppen in einer Villa in Potsdam, auf dem über die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland fantasiert wurde, löste diesen Massenprotest aus.
Bis heute sind über zwei Millionen Menschen in allen Teilen der Bundesrepublik gegen die extreme Rechte, gegen die AfD und für eine weltoffene Gesellschaft auf die Straße gegangen. Die größten Kundgebungen fanden bislang in Berlin mit 350 000 Teilnehmenden, in München (laut den Veranstaltern) bis zu 250 000, in Düsseldorf mit 200.000, in Hamburg mit über 100 000 und in Bremen mit 70 000 Menschen statt. In Köln waren es mitten in der Woche 35 000, später noch einmal 70 000. Solche Massenaktionen fanden nicht nur in den Großstädten statt. Auch in den östlichen Bundesländern, in denen die AfD bei zum Teil 30% Zustimmung (laut Demoskopen) steht, kamen in Dresden, Erfurt, Freiberg, Halle, Leipzig, Magdeburg und selbst Pirna, wo ein AfD Oberbürgermeister gewählt worden war, viele Tausend zusammen. An diesem Wochenende sind weitere Großdemonstrationen geplant.
Schon einmal waren in der BRD viele tausend Menschen auf den Straßen gegen Rechts, als im Jahre 2000 der damalige Bundeskanzler Schröder zum „Aufstand der Anständigen“ rief, als es einen Brandanschlag gegen eine Synagoge in NRW gab. Doch diesmal folgen sie keinem Regierungsappell, auch wenn sich auf manchen Kundgebungen Regierungsvertreter zeigen. Es ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die die Menschen auf die Straße treibt. Organisationen, wie Gewerkschaften oder Parteien, die in der Vergangenheit zu solchen Massenaktionen mobilisierten, wurden von der Bewegung überrollt. Neue Akteure melden die Aktionen an, Medien berichten über die geplanten Aktionen und viele bislang nicht politisch engagierte Menschen sind auf der Straße. Auf den Kundgebungen sieht man selbst gebastelte Schilder mit Losungen, nur wenige Partei- und Organisationsfahnen. In Metropolen, wo es eine entwickelte politische Szene gibt, werden die bekannten Antifa-Transparente gezeigt. In vielen anderen Städten aber sieht man mehr Pappschilder oder kleinere Symbole gegen Rechts.
Erfreulich ist, dass es der herrschenden Politik bislang nicht gelingt, diesen Protesten ihren Stempel aufzudrücken, selbst wenn Bürgermeister und andere in der Landespolitik wichtige Persönlichkeiten als Rednerin oder Redner eingeladen wurden. So begrüßte Bundespräsident Steinmeier diese Massenbewegungen als bürgerschaftliches Engagement, warnte aber gleichzeitig vor „Radikalisierung“.
Tatsächlich wurde auf diesen Kundgebungen in manchen Redebeiträgen vollkommen zurecht auch die gegenwärtige Bundesregierung kritisiert, die mit ihrer Politik Mitverantwortung für den Aufstieg der extremen Rechten trägt. Es ist nicht nur die extreme Rechte, die von „Remigration“, also Vertreibung, spricht, sondern eine ganz große Koalition sorgt für eine Verschlechterung der Aufnahmebedingungen für Migranten und schafft auf europäischer Ebene gesetzliche Grundlagen, diese schnell wieder abschieben zu können. Kritisiert wurde die populistische Propaganda z.B. des CDU-Chefs Merz, der behauptete, Arztpraxen seien überfüllt, weil Geflüchtete sich dort mit Zahnersatz versorgen. Auch heißt es, man müsse die „Flut der Migranten“ stoppen, lehne die „Verunstaltung“ der Sprache durch das Gendern ab und wolle Arbeitslosen gerne das bisschen Bürgergeld kürzen – nicht anders als die AfD.
Interessant ist die Reaktion der Medien. Zum einen hilft die Berichterstattung über die Massendemonstrationen bei der Mobilisierung auch in abgelegenen Orten. Die Medien vermitteln Bilder, die die zivilgesellschaftliche Welle über das ganze Land trägt. Gleichzeitig erlebt man Versuche, die Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft zu delegitimieren. Und es ist nicht nur die Springer-Presse, von der man es in Deutschland gewohnt ist, dass sie demokratische Bewegungen, Gewerkschaften und Antifaschismus als Feindbilder behandelt. Selbst etablierte Medien behaupten, dass der zivilgesellschaftliche Protest von „Klima-Chaoten“ und „Israel-Hassern“ unterwandert sei. Die Tatsache, dass in den Ansprachen nicht nur die AfD, sondern auch das Handeln der Regierenden kritisiert wurde, ist Anlass für solche Vorwürfe.
Die FIR begrüßt den gesellschaftlichen Protest gegen die extreme Rechte in Deutschland. Er ist eine gute Voraussetzung, die politische Stimmung der Akzeptanz der AfD zu ändern und damit die Gefahr des Vormarsches zu stoppen. Solche Proteste, die jüngst auch in Wien stattfanden, sind im Sinne des FIR-Appells zur Europawahl, gegen die extreme Rechte „auf internationaler Ebene bestehende Initiativen, soziale Organisationen, Gewerkschaften und Bewegungen zu vernetzen, um eine gemeinsame politische Stimme für Europa zu werden“.

VVN-BdA zum 27. Januar als Holocaustgedenktag und Gedenken an das Ende der Leningrad-Blockade

geschrieben von VVN-BdA

29. Januar 2024

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) erinnert
anlässlich des Holocaustgedenktages auch an die Blockade
von Leningrad:
Die VVN-BdA erinnert an diesem 27. Januar nicht nur an die
Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Jahre 1945,
sondern auch an den 80. Jahrestag der Befreiung der Stadt
Leningrad mit der Durchbrechung der Blockade durch die
sowjetische Armee am 27. Januar 1944. In den
Welteroberungsplänen des deutschen Faschismus nahm der Überfall
auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 einen besonderen Platz ein.
Es ging um die Rohstoffreserven der UdSSR und die industriellen
Kapazitäten im Westen der Sowjetunion. Im »Fall Barbarossa«
waren diese Ressourcen fest eingeplant, um einen Krieg gegen die
UdSSR überhaupt führen zu können. Das nach Osten vorrückende
Millionenheer sollte sich aus den Vorräten der örtlichen Bevölkerung
versorgen und damit den dort lebenden Menschen, die als
»slawische Untermenschen« betrachtet wurden, die
Lebensgrundlage nehmen. Zudem war es ein ideologisch
motivierter Vernichtungskrieg gegen den »jüdischbolschewistischen« Feind.
Ende August erreichten die faschistischen Heere Leningrad. Erobern
konnten sie die Stadt nicht. Am 8. September 1941 wurde der
Blockadering geschlossen. Damit war die Großstadt, in der damals
rund drei Millionen Menschen lebten, im Süden durch deutsche
Truppen und ihre Verbündeten, im Norden von finnischen Einheiten
blockiert. Nur über den im Osten gelegenen Ladogasee konnten
zeitweise und unter großen Gefahren Lebensmittel und andere
Versorgungsgüter in die Stadt gebracht werden. Die Blockade von
Leningrad und das Aushungern der Bewohnerinnen war Teil der verbrecherischen Kriegführung der Nazis in Osteuropa, die mit dem Begriff »Vernichtungskrieg« treffend charakterisiert wird. Vor über zwanzig Jahren sprach der Jenaer Historiker Jörg Ganzenmüller von einem »Genozid durch bloßes Nichtstun«. Tatsächlich starben mehr als eine Million Menschen während der Belagerung an Hunger und Mangelernährung. Dennoch haben die Menschen in Leningrad knapp drei Jahre der faschistischen Bestie widerstanden und ein sichtbares Zeichen gesetzt, dass die »unbesiegbare« Wehrmacht an ihre Grenzen stößt. Der Überlebenskampf der Einwohnerinnen und
der sowjetischen Armee, die im Winter die Versorgung der
Menschen über die zugefrorene Ostsee organisierte und die im
Januar 1944 den Blockadering sprengen konnte, sind unvergessen.
Ein eigenes skandalöses Kapitel ist der Umgang mit den Opfern des
faschistischen Vernichtungskrieges und ihren Angehörigen durch die
Bundesrepublik Deutschland. Seit Jahrzehnten lehnt die
Bundesregierung jegliche Zahlung individueller Entschädigungen an
nichtjüdische Bürger*innen der damaligen Sowjetunion bzw. des
heutigen Russlands grundsätzlich ab.
In einem offenen Brief an die Bundesregierung vom Herbst letzten
Jahres beklagen die letzten Überlebenden der Blockade:
»Mittlerweile sind wir weniger als sechzigtausend, alles Menschen
verschiedener Nationalitäten, die die Greuel der belagerten Stadt
überlebten.« Sie verurteilen die Weigerung Berlins, eine für
jüdische Überlebende zugesagte Entschädigung »auf alle heute
noch lebenden Blockadeopfer ohne Ansehen ihrer ethnischen
Zugehörigkeit auszuweiten«.

Argumente für ein AfD-Verbot

geschrieben von Axel Holz

26. Januar 2024

Die AfD verletzt systematisch Grundrechte, insbesondere gegenüber Minderheiten, zielt auf die Abschaffung demokratischer Rechte, vertritt neonazistische Auffassungen und besitzt das Potential, ihre Auffassungen auf parlamentarischem Weg durchzusetzen. Es droht die Unterwanderung demokratischer Institutionen und perspektivisch die Abschaffung der Demokratie. Diese Gründe sollten ausreichen, das schärfte Schwert der Verfassung, ein Parteienverbot, gegenüber der AfD anzuwenden.

Tatsächlich sind erst zwei Parteien in der Geschichte der BRD verboten worden – die neonazistische Sozialistische Reichspartei und die Kommunistische Partei Deutschlands. Vier weitere Verbotsverfahren sind gescheitert. In zwei Fällen wurde der Parteienstatus nicht anerkannt und ein Verbot durch das Innenministerium gegenüber Vereinen ausgesprochen. Das betrifft die „Freiheitliche Arbeiterpartei“ (FAP)  und die Hamburger „Nationale Liste“. Das erste Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil V-Leute teils Jahrzehnte in der NPD wirkten, einige während des laufenden Verbotsverfahrens tätig waren, im Verbotsantrag sogar zitiert wurden und diese Verbindung zum Staat auch nicht im Antrag offengelegt wurde. Die Karlsruher Richter sahen darin ein dauerhaftes Verfahrenshindernis. In einem zweiten Verfahren wurde die NPD ebenfalls nicht verboten. Zwar wurde ihr völkisch-rassistischer Charakter offengelegt und richterlich bestätigt, der „auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlostelllung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und anderen gesellschaftlichen Gruppen gerichtet“ sei. V-Leute auf der Führungsebene waren rechtzeitig vor dem Verfahren abgeschaltet worden und die dem Verbotsverfahren zu Grunde liegenden Materialien stammten auch nicht von ihnen. Dennoch wurde die Partei nicht verboten, weil sie als zu unbedeutend eingeschätzt wurde. Gerade dieses Urteil erhöht aber die Erfolgschancen eines AfD-Verbots, denn alle angeführten Gründe betreffen auch die AfD. Nur unbedeutend ist sie eben nicht. Sie ist im Bundestag, in fast allen Länderparlamenten,  in hunderten kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden vertreten. Das Argument, dass rechtes Gedankengut mit einem Verbot nicht verschwände ist nicht tragfähig, weil dies nicht das Ziel des Parteienverbots ist. Es soll der betreffenden Partei die Aktionsfähigkeit zur Unterminierung und schließlich Abschaffung der parlamentarischen Demokratie nehmen oder diese erheblich einschränken.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom Frühsommer 2023 belegt, dass ein AfD-Verbot möglich ist. Es legt dar, dass die nationalvölkische Programmatik der AfD der NPD in keiner Weise nachsteht. In der jüngsten Listenaufstellung zur EU-Wahl finden sich überwiegend Kandidaten mit Positionen des neonazistischen Flügels, der sich trotz formaler Auflösung zumindest in den ostdeutschen Bundesländern durchgesetzt hat. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich bestätigt diese Denk- und Sprechweise im Bundestag mit seiner Ankündigung einer „millionenfachen Remigration“. Die AfD besitzt zudem die Möglichkeit des Erfolges (Potentialität) und eine starke Wirkkraft in der Gesellschaft. Aus ihrer Präsenz im Bundestag, den Landtagen und Kommunen ergeben sich für die AfD systematisch Möglichkeiten der Selbstverharmlosung und Gewöhnung in der Gesellschaft. Es besteht die akute Gefahr der Unterminierung demokratischer Institutionen, etwa durch die Wahl des Mitarbeiters eines AfD-Angeordneten in Baden-Württemberg zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts. Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes zielt darauf ab, frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Kräfte zu eröffnen, bevor die betreffende Partei bereits eine zu starke Stellung erlangt hat.

Die Gefahr, dass das AfD-Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof nicht bestehen sollte, ist eher niedrig. Denn die Kriterien für ein Parteienverbot sind in der EU bei weitem nicht so streng wie in Deutschland. Der Menschenrechtsgerichtshof fordert für ein Parteienverbot die Angabe eines zuverlässigen Zwecks, wie den Schutz der Menschenrechte für bestimmte Personengruppen. Zudem muss ein dringend soziales Bedürfnis bestehen, etwa wenn die Ziele der Partei mit den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes konträr gehen. Auch der Maßstab der Potentialität dürfte beim Gerichthof ebensolchen Rang genießen wie beim Bundesverfassungsgericht. Der Staat brauche demnach nicht zu warten, bis eine Machtübernahme durch die AfD bevorstehe und diese konkrete Maßnahmen unternimmt, die grundlegende Menschenrechte verletzen.

Eine ähnliche aber nicht so starke Wirkung wie ein Parteienverbot hätte der Entzug der Parteienfinanzierung oder die Anwendung des Paragraphen 18 Grundgesetzes. Der erlaubt es, einzelnen Personen das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen, wenn bestimmte Freiheitsgrundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht werden. Das trifft nicht nur für Bernd Höcke zu, der von „angestammten Lebensraum“ spricht und seine politischen Gegner als „Volksverderber“ in der völkischen Sprache der Nazis diffamiert. Dieser Weg kann versperrt werden durch die gezielte und begründete Anwendung der vorhandenen Instrumentarien der Verfassung. Auch der Ausschluss der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), die der AfD nahe steht, von der öffentlichen Förderung und die konsequente Verfolgung von Verletzungen der verfassungsmäßigen Treuepflicht durch Beamte, Richter und Soldaten können den völkischen Einfluss der AfD eindämmen.

Parallel zu einem AfD-Verbot und anderen legalistischen Mitteln müssten sich auch Medien, Institutionen, Bildungseinrichtungen und Zivilgesellschaft stärker mit völkischem und nazistischem Gedankengut auseinandersetzen und dafür praktikable Instrumente an die Hand bekommen. Nur so kann demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Tendenzen wirksam der Boden entzogen werden. Die geplante Kürzung der Haushaltsmittel für die Bundeszentrale für politische Bildung ist dafür sicher der falsche Weg.

Vor 60 Jahren begann der Auschwitz-Prozess

geschrieben von Ulrich Schneider

15. Dezember 2023

Als am 20. Dezember 1963 im Plenarsaal des Frankfurter Römer der „Auschwitz-Prozess“ „Gegen Mulka und andere“ mit dem Aktenzeichen 4 Ks 2/63 gegen 22 Angeklagte eröffnet wurde, waren mehr als 18 Jahre vergangen, dass eines der schlimmsten Massenverbrechen der NS-Herrschaft vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde, das Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz.
Viele Jahre wurde gegen die Täter von Auschwitz nicht ermittelt. Erst der Eichmann-Prozess in Jerusalem vom April 1961, bei dem die Verbrechen von Auschwitz noch einmal vor der ganzen Welt präsentiert wurden, führte zu einem politischen Umdenken.
Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der als politischer Gegner des NS-Regimes und aus einer jüdischen Familie stammend 1936 ins Exil gegangen war, hatte sich bereits zuvor für eine Untersuchung eingesetzt. Als er von Auschwitz-Überlebenden belastende Dokumente aus dem Kommandantur-Bereich erhielt, beantragte er für das Landgericht Frankfurt/Main die Zuständigkeit für alle Verfahren im Zusammenhang mit den Massenverbrechen in Auschwitz.  
Bei dieser Arbeit wurde er unterstützt von der FIR und ihren Mitgliedverbänden z.B. der VVN, direkt und indirekt. Eine wichtige Rolle spielte das Internationale Auschwitz-Komitee mit seinem damaligen Repräsentanten Hermann Langbein. Er lieferte Dokumente und Kontakte zu Zeugen für die Anklage. Über die FIR liefen Kontakte nach Warschau zur damaligen Veteranenorganisation ZBOWID und zur „Hauptkommission für die Erforschung deutscher (ab 1949: nationalsozialistischer) Verbrechen in Polen“, die ebenfalls Material für Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher bereitstellten. Dieser Kontakt musste in Zeiten des Kalten Krieges diskret abgewickelt werden, wären doch sonst die Angeklagten zu „Opfern kommunistischer Propaganda“ stilisiert worden.
Das Ergebnis war eine siebenhundertseitige Anklageschrift, die sich u.a. auf die Vernehmung von 1.300 Zeugen stützte. Zum Prozess selbst wurden mehrere hundert Zeugen aus 15 Ländern Europas und aus Übersee geladen. Über den Prozess hieß es in einem Zeitungsartikel:
„Die Aussagen der Überlebenden ließen die unvorstellbaren Schrecken und Grausamkeiten von Auschwitz noch einmal auferstehen. Im Gerichtssaal spielten sich erschütternde Szenen ab, als die ehemaligen Häftlinge ihren Peinigern von einst gegenübertraten. Dokumentiert wurden nicht nur die Untaten der Angeklagten – der Prozess förderte beeindruckendes Beweismaterial über die Verbrechen des deutschen Faschismus und der ihn tragenden Kräfte zutage, über die Hintermänner und Auftraggeber der Angeklagten in Staat und Industrie, die allerdings auf der Anklagebank fehlten. Zeugen und Sachverständige charakterisierten die Verantwortung des IG-Farben-Konzerns bei den in Auschwitz verübten Massenmorden, nicht zuletzt bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.“
Nach Schätzungen verfolgten etwa 20.000 Besucher die 183 Verhandlungstage. Nur wenige Journalisten und die Vertreter des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK) waren am allen Prozesstagen anwesend. Die Zeitschrift der FIR „Der Widerstandskämpfer“ berichtete regelmäßig und ausführlich über den Prozess.
Eine juristische Sensation war der Ortstermin in Auschwitz trotz eines fehlenden Rechtshilfeabkommens zwischen der BRD und Polen. Versuche der Verteidigung, die Aussagen der überlebenden Häftlinge zu denunzieren, wurden zurückgewiesen. Die Verbrechen wurden in ihrer Scheußlichkeit und Brutalität dargelegt. 17 Angeklagte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil wurde – eine Seltenheit in der deutschen Justiz – auf 930 Seiten begründet. Akribisch wurden die Verbrechen und der Nachweis der unmittelbaren Tatbeteiligung geführt.

Trotz dieses eindeutigen Ergebnisses glaubte die politische Rechte, die Fakten weiterhin infrage stellen zu können. In der BRD erklärte der damalige CSU-Vorsitzenden Franz-Joseph Strauß noch 1969 „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“
Alte und neue Nazis leugneten international die Existenz von Gaskammern und die Verbrechen von Auschwitz. Heute ist „Auschwitz-Leugnung“ – nicht nur in der BRD – ausdrücklich eine Straftat.
Die FIR und ihre Mitgliedsverbände erinnern immer wieder an die faschistischen Verbrechen in den Vernichtungslagern und deren Opfer, aber auch an diejenigen Frauen und Männer, die sich der NS-Barbarei entgegen gestellt haben.

Der Völkermord an den Sinti und Roma

geschrieben von Axel Holz

8. Dezember 2023

Charlie Chaplin und Marianne Rosenberg – sie waren Stars beim Film und in der Schlagerwelt. Über ihre Herkunft haben sie aber während ihrer Karriere nicht öffentlich gesprochen. Aus gutem Grund, denn die Vorurteile gegen über Sinti und Roma sind nach dem zweiten Weltkrieg auch in Deutschland nicht geringer geworden, sondern über Jahrzehnte erhalten geblieben. Sie reichen bis in die Neuzeit.

Dennoch hat sich etwas geändert. Das betrifft auch ein lange verschwiegenes Verbrechen – den Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nazis mit dem rassistisch motiviertem Ziel ihrer Auslöschung als ethnische Gruppe. Das Buch von Sebastian Lotto-Kusche zeichnet den langen Weg zur Anerkennung als Nazi-Opfer von 1949 bis 1990 nach. Das Buch schließt eine wichtige Lücke in der Opferforschung im Umgang mit einer lange vernachlässigten Opfergruppe der Nazis. Es erklärt den Paradigmenwechsel bei der Betrachtung der „NS-Zigeunerverfolgung“, wie sie lange hieß, von einem kriminalpräventiven hin zu einem genozidkritischen Denkstil.

Im Alltag nahm die Mehrheitsgesellschaft in der Bundesrepublik die überlebenden Sinti und Roma nur dann wahr, wenn sie mit ihnen im Konflikt war, insbesondere aufgrund der angespannten Wohn- und Versorgungssituation nach dem Krieg. Die Alliierten sorgten durch Anordnungen nach dem Krieg dafür, dass des überlebenden Sinti und Roma in den Kommunen Anspruch auf Versorgung hatten. Die Kommunen folgten dieser Order oft nur wiederwillig. Fast nahtlos nutzten die Polizeibehörden die sogenannten „Zigeunerakten“ aus der Nazizeit weiter und zementierten deren Diskriminierung. In Köln formulierte die Polizeidienstelle 1949, dass es sich beim überwiegenden Teil dieser Personen um „asoziale Elemente“ handele – eine Einschätzung, die mit der der Nazis konform ging. Am 25. Oktober 1949 nahm die Bundeszentrale zur Bekämpfung des Landfahrerunwesens in München seine Arbeit auf und setzte die politische Sondererfassung der Minderheit bis in die 70er Jahre fort. Der kriminologische „Zigeuner“- und „Landfahrerdiskurs“ blieb in seinen rassistischen Annahmen unverändert und wurde nur begrifflich zur Ebene der „Landfahrer“ umgewidmet.

Beim Ringen um Anerkennung ihrer Entschädigungsansprüche, wofür Haftnachweise und der Nachweis der deutschen Staatsbürgerschaft erforderlich waren, wandten sich Sinti und Roma zunächst an das Internationale Rote Kreuz. Aber diese Ansprüche wurden von den deutschen Behörden oft abgewiesen, die von den Nazis aberkannte Staatsbürgerschaft nicht wieder hegestellt. In den 50er Jahren wurde der sogenannte „Zigeunerdiskurs“ weiter durch dieselben Akteure geprägt wie in der Nazizeit. Auch im Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche vom 23.07.1945 und im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kriech vom Oktober 1945 tauchte die Opfergruppe nicht auf. Selbst in der DDR hatten es Sinti und Roma nicht leicht. Von 30.000 anerkannten Opfern des Faschismus (OdF) waren nur 117 „Zigeuner“ und mussten besondere Anforderungen an ihre Lebensweise bezüglich Wohnung und Arbeitsplatz nachweisen, um diesen Status nicht zu verlieren.

Noch in den 60er Jahren griffen westdeutsche Forscher wie Hans-Joachim Döhring verbreitete Vorurteile auf und behauptete, „Zigeuner“ würden bei Entschädigungsanfragen  die Unwahrheit sagen und aggressiv auftreten. Auf die massiven sozialen Probleme der Sinti und Roma reagierten die Börden ignorant. Mit der verdienstvollen Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker änderte sich der Blick auf die Minderheit. Erst 1981 gelang auf Initiative von Herbert Wehner, Hans-Joachim Vogel und Gerhard Jahn die Errichtung eines Fonds im Umfang von 80 Millionen Euro für nichtjüdische Härtefälle unter den Naziopfern. Am 18.07.1981 folgte das lange geforderte Gespräch des Bundespräsidenten Carstens mit Romani Rose, gefolgt von einem Gespräch der Verbände der Sinti und Roma mit dem Bundeskanzler am 17.03.1982. Für dieses Gespräch war der Kanzler gebrieft worden, eine Veränderung des Pressetextes nicht zuzulassen, der die Verfolgung der Minderheit auf den Beginn des Machantritts der Nazis verlegen sollte. Eine Anerkennung als Minderheit sollte als unerfüllbar abgelehnt werden.

Ihrer fortlaufenden Diskriminierung begegneten Sinti und Roma 1983 mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, um Einsicht in die im Hamburger Staatsarchiv lagernden Landfahrerakten zu erhalten. Den langen Kampf um Anerkennung mussten Sinti- und Roma-Verbände mühsam selbst führen. Erst in den 80er Jahren setzte sich mit Detlef Peukert ein genozidorientierter Forschungsstil durch, der auch empirische Belege der Verfolgung und Vernichtung erbrachte. Viele halfen mit, diesem Bild Konturen zu verleihen, wie Götz Aly, Wolfgang Wippermann, Ulrich Herbert und der DDR-Forscher Reimar Gilsenbach. Im Historikerstreit der 80er Jahre um die Relativierung der Naziverbrechen geriet die Opfergruppe hinter den jüdischen Opfern erneut in den Schatten und wurde erst in den neunziger Jahren mit der Debatte um Denkmäler für einzelne Opfergruppen  gleichberechtigt anerkannt.

Gedenken in Schwerin zur Pogromnacht vom 9. November 1938

geschrieben von Axel Holz

1. November 2023

Am Donnerstag, den 9. November findet auf dem Schweriner Schlachtermarkt das traditionelle Gedenken an die Pogromnacht von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung in ganz Deutschland statt. Veranstalter ist der Arbeitskreis „9. November 1938“. Das Gedenken erhält angesichts massiver antisemitischer Angriffe in diesem Jahr eine besondere Bedeutung.

Gedenken an das Novemberpogrom in Rostock

geschrieben von Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock

1. November 2023

Andacht mit anschließendem gemeinsamem Spaziergang zur Stele in der Augustenstraße 101
Freitag, 10. November 2023 von 9.30 bis 11.00 Uhr
Treffpunkt um 9.30 Uhr am ehemaligen jüdischen Friedhof im Lindenpark
10.00 Uhr Gedenken an der Stele in der Augustenstr. 101

Rostocks Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück und Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger rufen die Rostockerinnen und Rostocker auf, an den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 85. Jahrestages der Pogromnacht am 10. November teilzunehmen. Die Veranstaltung im Lindenpark, zu der das Max-Samuel-Haus/Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock und die Jüdische Gemeinde Rostock aufrufen, beginnt am 10. November um 9.30 Uhr mit einer Andacht auf dem Jüdischen Friedhof. Totengebete und Psalmen werden gesprochen. Danach folgt ein gemeinsamer Gang zur Gedenkstele am früheren Standort der Synagoge in der Augustenstraße. Dort findet um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Dabei soll auch an die in den Morgenstunden des 10. November 1938 in Brand gesetzte Synagoge erinnert werden. Schülerinnen und Schüler des Innerstädtischen Gymnasiums werden die Namen der Rostocker Opfer des Holocausts verlesen. „Zeigen Sie mit Ihrer Teilnahme, dass die Lehren aus dieser Zeit nichts von ihrer Aktualität für die heutige Demokratie verloren haben und sich dieses finstere Kapitel deutscher Geschichte niemals wiederholen darf“, appellieren die Bürgerschaftspräsidentin und die Oberbürgermeisterin an alle Rostockerinnen und Rostocker.

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