1948 kam ich als Schüler in die Schule am Bullenhuser Damm im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort. Das Gebäude war bis Kriegsende eine Außenstelle des KZ Neuengamme gewesen. Einige Mitschüler erzählten sich, dass im Keller dieser Schule kurz vor Kriegsende viele Kinder ermordet worden seien. Die Lehrerschaft stritt das als Gerücht ab, vielleicht um die Kinder seelisch zu schützen. Mein Vater sagte jedoch, dass das stimme. Es stand ja in der Zeitung (Curio-Haus-Prozess). Viel später erfuhr ich Näheres über diesen Massenmord und die vorangegangenen grausamen Menschenversuche eines Dr. Heißmeyer.
20 jüdische Kinder und 28 erwachsene Häftlinge (Betreuer der Kinder und sowjetische Kriegsgefangene) des KZ Neuengamme waren am 20. April 1945 grausam umgebracht worden. Sie wurden im Heizungskeller des Gebäudes erhängt. Und wenn das bei den Kindern nicht funktionierte, zogen die SS-Schergen die armen, ausgemergelten kleinen Leiber an den Beinen.
Als ich später in Schwerin lebte, las ich das im Stern-Verlag erschienene Buch „Der SS-Arzt und die Kinder” von Günther Schwarberg. Erschüttert über das, was nur wenige Tage vor dem Ende des Hitler-Faschismus geschah, im selben Hause, in dem ich nur drei Jahre später zur Schule ging, erzählte ich im Kollegenkreis, was ich daraus über die Verbrechen des SS-Arztes Dr. Kurt Heißmeyer erfahren hatte.
Eine Kollegin, die aus Magdeburg stammte, sagte plötzlich, das sei doch der Lungenarzt, bei dem ihre Mutter in Behandlung gewesen sei und der bei seinen Patienten sehr beliebt war. Dies deckt sich auch mit den Zeugenaussagen früherer DDR-Patienten, die im Prozess gegen Heißmeyer aussagten und die nur Gutes über Heißmeyer berichteten.
Am 13. Dezember 1964 verhafteten Mitarbeiter des Generalstaatsanwalts der DDR in Magdeburg den Arzt Heißmeyer. Warum das so spät erfolgte, obwohl die Justizorgane der DDR nach 1945 in zwei Fällen von Antifaschisten aus der BRD über Heißmeyers verbrecherisches Vorleben und seinen derzeitigen Aufenthalt in der DDR informiert worden waren, liegt meines Erachtens wohl daran, dass es unter Geheimdiensten üblich war, Desinformationen zu verbreiten. Aus Günther Schwarbergs Bericht über den Mord am Bullenhuser Damm geht hervor, dass Heißmeyer gegenüber der DDR-Justiz zunächst alles abstritt.
Zitat Günther Schwarberg: „Verbrecherische Menschenversuche? Er habe zwar Versuche durchgefhrt, aber streng nach der ärztlichen Ethik. Dafür könne er heute noch Beweise liefern. Denn sein Versuchsmaterial habe er im April 1945 in einer Kiste im Garten seines Hauses in Hohenlychen vergraben. … Die Kiste sei mit Zink ausgeschlagen. … Die Staatsanwälte Nienkirchen und Friedrich fuhren mit einem Pioniertrupp der Nationalen Volksarmee nach Hohenlychen. Heißmeyer zeigte ihnen die Stelle, an der die Kiste vergraben war. Das Minensuchgerät der Pioniere zeigte vergrabenes Metall. Die Kiste wurde ausgegraben. Silberbestecke waren darin. Ein Fotoalbum … Röntgenaufnahmen. Fieberkurven. … Die Röntgenaufnahmen wurden in der Berliner Charité von Oberarzt Dr. Schubert begutachtet. (später auch von Professor Prokop. H.S.) … Das war kein Entlastungsmaterial. Heißmeyer hatte durch den Hinweis auf die Kiste sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Denn solche Experimente waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und die werden auch heute noch in der DDR mit der Todesstrafe bedroht.” Soweit Günther Schwarberg.
Heißmeyers Fotos und Röntgenaufnahmen zeigten, dass er den Kindern, die er sich aus dem KZ Auschwitz ins KZ Neuengamme hatte kommen lassen, zu qualvollen Versuchen ihnen die Armdrüsen entfernt und Tuberkelbazillen in die Lungen gespritzt hatte. Der Mord im Hause Bullenhuser Damm sollte diese furchtbaren Verbrechen verschleiern.
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde Dr. Heißmeyer am 21. Juni 1966 vor dem Bezirksgericht Magdeburg der Prozess gemacht. Das Urteil: lebenslang Gefängnis. Am 29. August 1967 erlag Kurt Heißmeyer im Gefängnis Bautzen einem Herzinfarkt.
Die Verbrechen des Dr. Heißmeyer
19. April 2020
Bullenhuser Damm, Curio-Haus-Prozess, Dr. Heißmeyer, Günther Schwarberg
FIR ruft auf zum symbolischen und „virtuellen Gedenken“
17. April 2020
Angesichts der Entwicklung der Corona-Pandemie in ganz Europa hat sich nun bestätigt, was die Veteranenverbände und Antifaschisten heutiger Generationen befürchtet haben – sämtliche öffentlichen Gedenk- und Erinnerungsfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager und der okkupierten Länder vom Faschismus sind abgesagt worden. Diese Woche wurde sogar mitgeteilt, dass der russische Präsident Putin – in Absprache mit den Veteranenverbänden – die Parade auf dem Roten Platz zum Tag des Sieges am 9. Mai 2020 verschoben hat und sämtliche Veranstaltungen aus Anlass dieses Ereignisses in Russland ebenso.
Schon Mitte März hatte die FIR erklärt: Die Tage der Befreiung und der Tag des Sieges am 9. Mai 1945 bleiben im kollektiven Gedächtnis der Völker und werden auch zukünftig begangen – unabhängig von Corona-Virus und anderen Einschränkungen. Es liegt nun in der Verantwortung der FIR und aller ihrer Mitgliedsverbände, ob und wie in diesem Jahr trotz aller notwendigen Einschränkungen das Gedenken möglich und sichtbar wird.
Und es gibt bereits verschiedene interessante Ideen und Umsetzungen für die Erinnerungsarbeit: Die KZ-Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück und Dachau haben bereits mit online-Angeboten auf die abgesagten Gedenkveranstaltungen reagiert. So findet man auf der Homepage der Gedenkstätte Buchenwald die ursprünglich geplanten Ansprachen der Überlebenden und politischer Repräsentanten, die beim staatlichen Festakt und auf dem Ettersberg gehalten werden sollten.
Doch das politische Gedenken ist nicht nur eine staatliche Angelegenheit. Die antifaschistische Erinnerungsarbeit lebt von der Mitwirkung der Zivilgesellschaft, der Veteranen und antifaschistischen Verbände heutiger Generationen. Auch sie haben neue Formen der Erinnerung gesucht und gefunden. So wurden auf Anregung der Lagergemeinschaft und Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora an verschiedenen Gedenkorten in Deutschland Fotos mit dem „Schwur von Buchenwald“ gemacht und unter dem Hashtag #buchenwaldgedenken2020 im Internet veröffentlicht.
Bundesverfassungsgericht: Beschwerde gegen Versammlungsverbot rechtens
16. April 2020
Derzeit wird viel über vorübergehende Einschränkungen von Grundrechten in Folge der Corona-Krise diskutiert. Auch die VVN-BdA hatte sich dazu grundsätzlich auf dieser Homepage geäußert. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit besteht weiter. Eine Beschwerde beim Verfassungsgericht gegen das Verbot einer angemeldeten Demonstration hatte Erfolg.
Im speziellen Fall handelt ses sich um folgende Konstellation einer Demonstrationsanmeldung:
Der Beschwerdeführer meldete mit Schreiben vom 4. April 2020 bei der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens mehrere Versammlungen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ an. Als vorgesehene Versammlungstermine wurden der 14., 15., 16. und 17. April 2020, jeweils von 14 bis 18 Uhr, genannt. Er gab eine ungefähre erwartete Teilnehmerzahl von 30 Personen an. Geplant waren jeweils eine ca. zweistündige Auftaktkundgebung in Gießen am Berliner Platz sowie ein anschließender Aufzug durch mehrere Straßen mit drei jeweils 15-minütigen stationären Zwischenkundgebungen. Zugleich informierte der Beschwerdeführer die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens über beabsichtigte „Infektionsschutzmaßnahmen auf Grund der CoViD19-Pandemie (‚Corona-Kompatibilität‘)“. Die Versammlungsteilnehmer würden durch Hinweisschilder zur Einhaltung von Sicherheitsabständen angehalten und von Ordnern auf entsprechend markierte Startpositionen gelotst. Die Markierungen der Startpositionen befänden sich in einem Abstand von 10 Metern nach vorn und nach hinten und 6 Metern zur Seite. Sie würden jeweils von Einzelpersonen bzw. Wohngemeinschaften oder Familien eingenommen. Redebeiträge würden über das eigene Mobiltelefon des jeweiligen Redners zu einer Beschallungsanlage übertragen. Während des Aufzugs würden die vorgesehenen Abstände beibehalten und es werde darauf geachtet, dass neu hinzukommende Versammlungsteilnehmer sich hinten einreihten. Für Vorschläge zu weitergehenden Infektionsschutzmaßnahmen sei man dankbar; entsprechende Auflagen werde man befolgen. Die Versammlungen wurden mit Flyern und Aufrufen im Internet beworben.
Hier der Link zum Urteil:
Digitaler Ostermarsch von Lebenslaute – Gemeinsam für den Frieden
16. April 2020
In 20 Orten spielt und singt Lebenslaute das Aserbeidschanische Friedenslied Lazemder, in dem es heisst: Asien, Afrika, auf der ganzen Welt, Europa, Amerika, auf der ganzen Welt, kommt mit ihr Väter, Töchter, Söhne und stimmt mit uns zusammen das Lied des Friedens an. Und ruft zum aktiven Engagement für Frieden und Menschenrechte auf, z.B. gegen die Rüstungsproduktion in Unterlüß.
mehr Infos: https://www.lebenslaute.net/ oder über http://demminnazifrei.blogsport.de
Presseerklärung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Bergen-Belsen
16. April 2020
Befreiung, Konzentrationslager Bergen-Belsen
Heute vor 75 Jahren, am 15. April 1945, betraten die ersten britischen Soldaten das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Mehr als 50.000 Menschen waren endlich frei.
Für viele der noch lebenden Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers aber kam die Befreiung zu spät. Sie waren komplett ausgehungert und von Krankheiten gezeichnet. Trotz des immensen Einsatzes der britischen Truppen und des britischen Roten Kreuzes starben etwa 14.000 Menschen auch nach dem 15. April noch an den Folgen der KZ-Haft und an den grassierenden Seuchen.
Mehr als 50.000 Menschen sind insgesamt im KZ Bergen-Belsen gestorben, viele weitere sind von hier aus in Vernichtungslager gebracht worden. Noch in den letzten Tagen vor der Befreiung starben in Bergen-Belsen täglich fast 1.000 Menschen. Auf dem Gelände des Lagers fanden die Briten im April 1945 etwa 10.000 unbestattete Leichen.
Zum 75. Jahrestag hier ein Zitat von Ministerpräsident Stephan Weil:
„Trotz all unserer aktuellen Sorgen im Zusammenhang mit dem Corona Virus bitte ich die Menschen in Niedersachsen heute kurz innezuhalten und an den 15. April 1945 zu denken, einen Tag der Trauer und der Befreiung.
Wir trauern um die vielen Frauen, Männer und Kinder, die in den Jahren 1940 bis 1945 hier mitten in Niedersachsen ums Leben gekommen sind. Unzählige weitere sind im KZ Bergen-Belsen inhaftiert, gedemütigt, misshandelt, ausgehungert und ausgebeutet worden. Es waren Menschen aus allen Teilen Europas – Menschen jüdischen Glaubens, Kriegsgefangene, politische Gegner des Nationalsozialismus und viele andere Gruppen mehr.
Bergen-Belsen ist für uns in Niedersachsen derjenige Ort, der uns die Grausamkeiten und die Unbarmherzigkeit des dunkelsten Teils unserer Geschichte vor Augen führt. Ich empfinde bei jedem Besuch dort immer wieder eine tiefe Beklommenheit in Anbetracht der unbeschreiblichen Verbrechen, die von Deutschen dort begangen worden sind.
Der 75. Jahrestag der Befreiung von Bergen-Belsen unterstreicht, wie wichtig Frieden und die Wahrung der Menschenrechte sind und dass insbesondere wir Deutschen alles dafür tun müssen, damit nie wieder Menschen anderen Menschen so unermessliches Leid zufügen.“
Gedenkstättenstiftung lädt zu einem Online-Programm anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager ein
14. April 2020
Mit einem „virtuellen 75. Jahrestag“, der in den Social-Media-Netzwerken und auf der Homepage der Gedenkstättenstiftung stattfinden wird, erinnern die Gedenkstätten Sachsenhausen, Ravensbrück, Below und Brandenburg-Görden an die Befreiung der Häftlinge der Konzentrationslager und anderer Haftorte vor 75 Jahren. Dazu werden am 19. April zahlreiche Videobotschaften von Überlebenden und Politikern veröffentlicht, aber auch Clips über künstlerische und pädagogische Projekte, die Bestandteile der ursprünglich geplanten Veranstaltungsprogramme waren, die in der Zeit vom 17. bis 21. April in den Gedenkstätten Below, Sachsenhausen und Ravensbrück sowie am 26. April in der Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg-Görden stattfinden sollten.
Bereits ab Ostermontag wird mit täglichen Posts auf Facebook, Twitter und Instagram auf dieses Ereignis aufmerksam gemacht. Dabei werden eindrucksvolle Biografien und historische Begebenheiten, Interviews, Kunstprojekte, Hörspiele und Kurzfilme zu sehen sein. Beteiligt sind u.a. die Überlebenden Richard Fagot (Israel), Bernt Lund (Norwegen) und Barbara Piotrowska (Polen), Ministerpräsident Dietmar Woidke, Außenminister Heiko Maas, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der Präsident des EU-Parlaments David-Maria Sassoli, der polnische Außenminister Jacek Krzysztof Czaputowicz, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle, die Schriftstellerin Adriana Altaras, die Filmuniversität Babelsberg, Schülerinnen und Schüler der Berlin-Brandenburg International School und viele andere.
Stiftungsdirektor Axel Drecoll: „Wir bedauern es außerordentlich, dass ausgerechnet 75 Jahre nach der Befreiung die Jahrestage nicht an den historischen Orten und in Anwesenheit zahlreicher Überlebender stattfinden können. Umso dankbarer sind wir, dass sich Überlebende, Kulturschaffende, Politikerinnen und Politiker aus dem In- und Ausland sowie viele Engagierte und Interessierte am Online-Jahrestag beteiligen. Mit einem facettenreichen Programm werden die historischen Schauplätze zu zukunftsweisenden Orten des Erinnerns. Es entstehen virtuelle Räume der Begegnung und des Austauschs, die zu einer ebenso kritischen wie kreativen Beschäftigung mit der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen einladen. Wir freuen uns auf eine rege Teilnahme“, so Drecoll.
Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Gedenkstättenstiftung die geplanten Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung, zu denen rund 50 Überlebende aus aller Welt anreisen sollten, am 11. März absagen. Die Stiftung hofft, dass die geplanten Veranstaltungen im nächsten Jahr stattfinden und die Einladungen an die Überlebenden erneut ausgesprochen werden können.
Im KZ Sachsenhausen befreiten sowjetische und polnische Soldaten am 22./23. April 1945 rund 3.000 von der SS zurück gelassene kranke Häftlinge, während sich mehr als 30.000 Häftlinge auf einem Todesmarsch befanden, bei dem mehr als 1.000 von ihnen umkamen. Während des Todesmarsches mussten mehr als 16.000 Häftlinge im Belower Wald bei Wittstock mehrere Tage lang ohne jede Versorgung unter freiem Himmel lagern. Im KZ Ravensbrück wurden am 30. April 1945 rund 2.000 Häftlinge von der Roten Armee befreit. Zuvor hatte die SS mehr als 20.000 Häftlinge auf einen Todesmarsch geschickt. Im Zuchthaus Brandenburg-Görden befreite die Rote Armee am 27. April 1945 mehr als 3.000 Gefangene.
Folgen Sie uns auf:
Thüringer Erklärung aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora am 11. April 1945
14. April 2020
Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, Thüringer Erklärung
Auch 75 Jahre nach der Befreiung sind uns Unmenschlichkeit und Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands bewusst. Wir ehren all jene, die sich widersetzten. Wir nehmen wachen Anteil an der Geschichte und dem Leid der Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten zunächst in Deutschland und dann in den vom „Dritten Reich“ besetzten Ländern entrechtet, entwürdigt, ausgegrenzt, ausgeplündert und ermordet worden sind: allen voran die deutschen und europäischen Juden, aber auch Sinti und Roma, Kranke und Behinderte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, sozial Diskriminierte und alle, die im besetzten Europa oder als Deportierte im Reichsgebiet Zwangsarbeit leisten mussten oder Opfer von Besatzungs- und Kriegsverbrechen wurden.
Wir sind uns bewusst, dass die Verachtung von Demokratie und Menschenrechten, dass Antisemitismus, Rassismus, soziale und kulturelle Vorurteile, ethnischer und nationalistischer Größenwahn, dass Habgier und Ausbeutungsbereitschaft Ursachen für die Verbrechen waren und dass diese Motive von vielen Deutschen der Zeit geteilt worden sind. Wir wissen und nehmen ernst, dass Deutschland sich nicht aus eigener Kraft vom Nationalsozialismus befreit hat, dass eine Vielzahl von Verbrechen ungesühnt blieb und zu viele Täter und Tatgehilfen nach 1945 ihr Leben fortführen konnten, als sei nichts geschehen. Wir sind uns bewusst, dass die Etablierung und Festigung der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt auf der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Untaten beruht, die ihr vorausgingen. Einen Schlussstrich darf es deshalb nicht geben.
Zu den Lehren aus der Geschichte gehört für uns die Gewissheit, dass eine demokratische, die Menschenwürde schützende Verfassung und funktionierende Gewaltenteilung das Rückgrat eines liberalen Rechtsstaates bilden. Ohne sie fallen Staat und Demokratie auseinander. Heute aber sind Rechtsradikalismus und autoritäre Gesinnung ebenso auf dem Vormarsch wie völkisches Überlegenheitsdenken, Nationalismus und die Unterminierung der Einheit Europas. Weltweit verwischen die Grenzen der Gewaltenteilung, Grundrechte werden bedroht oder sind bereits außer Kraft gesetzt. Rassismus und Antisemitismus werden offen propagiert und führen auch in Deutschland zu Gewalttaten, die vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären. Im Licht der historischen Erinnerung wird deutlich erkennbar, dass die zerstörerischen Gifte von Gestern erneut als Allheilmittel angepriesen werden.
Menschenrechte, Demokratie und Freiheit sind trotz der Erfahrung des Nationalsozialismus leider keineswegs selbstverständlich. Sie müssen immer wieder neu verteidigt werden. Dafür treten wir ein.
Wir laden Sie ein, gemeinsam ein Zeichen zu setzen und sich dieser Erklärung mit Ihrer Unterschrift anzuschließen:
https://www.thueringer-erklaerung.de/erklaerung#top
Vor 75 Jahren: Ein symbolisches Ereignis – die Selbstbefreiung des KZ Buchenwalds
9. April 2020
Die FIR erinnert in diesen Tagen an die Selbstbefreiung des KZ Buchenwalds durch den Häftlingswiderstand am 11. April 1945. Dieses Ereignis ist symbolisch für den Erfolg des gemeinsamen antifaschistischen Handelns.
Bereits im Jahre 1943 beauftragte das illegale Internationale Lagerkomitee (ILK) der Häftlinge im KZ Buchenwald, in dem belgische, deutsche, französische, italienische, polnische, sowjetische und tschechische Antifaschisten zusammenarbeiteten, politisch zuverlässige Häftlinge zum Selbstschutz eine Militärorganisation aufzubauen. Unter Leitung des deutschen Kommunisten Otto Roth wurden insbesondere deutsche, französische und sowjetische Häftlinge hierfür ausgebildet.
Über Monate hinweg wurden Waffen und Munition aus den Beständen der SS organisiert und an sicheren Plätzen deponiert. Aus der Karabiner-Produktion in den Gustloff-Werken wurden Waffenteile ins Lager geschmuggelt und dort zusammengesetzt. Die sowjetischen Häftlinge erstellten Brandflaschen sowie Hieb- und Stichwaffen aus ganz einfachen Materialien. Anfang 1945 gelang es sogar, bei der Räumung eines Evakuierungstransportes ein Maschinengewehr in das Lager zu schmuggeln. Aufgabe der Militärorganisation war der Schutz der Häftlinge vor einer Vernichtung des Lagers beim Vormarsch der Alliierten.
Der militärische Vormarsch der Roten Armee im Osten und der amerikanischen Truppen durch Hessen in Richtung Westthüringen Anfang April 1945 ließ die militärischen Planungen konkret werden. Am 2. April lehnte das ILK einen bewaffneten Aufstand noch ab, forderte aber, die Evakuierung durch Todesmärsche zu verzögern. Als am 6. April 1945 46 Häftlinge, die die SS zur illegalen Lagerleitung zählte, ans Tor gerufen wurden, zeigte sich der Widerstand: Das Lager versteckte die Gesuchten vor dem Zugriff der SS.
Als in der Nähe des Lagers Einheiten amerikanischer Panzerkräfte eintrafen, erteilte das ILK am 11. April 1945 um 14.30 Uhr den Befehl zum Aufstand. Die bewaffneten Kampfgruppen der Häftlinge erstürmten das Haupttor, schalteten den Strom im Stacheldrahtzaun ab, besetzten die Bewachungstürme und eroberten Waffen. Um 15.15 Uhr verkündete der Lagerälteste Hans Eiden: „Kameraden, wir sind frei!“
Mit dieser Aktion retteten sie über 20.000 Häftlinge vor der geplanten Vernichtung in den letzten Stunden des Lagers, darunter über 900 Kinder und Jugendliche, die schon zuvor unter dem besonderen Schutz des Lagerwiderstandes standen. Die bewaffneten Häftlinge nahmen etwa 220 SS-Angehörige und andere Nazis gefangen. Am 13. April 1945 übernahm ein Befehlshaber der III. US-Armee das befreite Lager.
Im Ergebnis dieser Selbstbefreiung traten die Häftlinge am 19. April 1945 selbstbewusst zu ihrem Freiheitappell an und formulierten in ihren jeweiligen Sprachen den „Schwur von Buchenwald“. Darin schworen sie: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“
Dieser Schwur ist das politische Vermächtnis von Antifaschisten in aller Welt bis heute.
Demokratisch durch die Pandemie!
9. April 2020
Die Corona-Pandemie stellt die Welt plötzlich vor tödliche Gefahren. Das Virus interessiert sich dabei nicht für Politik. Politisch sind allerdings die Reaktionen der Regierungen und Parteien. Zahlreiche Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten wurden innerhalb kurzer Zeit weltweit eingeführt. Diese Maßnahmen sind objektiv notwendig, um ein Massensterben zu verhindern. Gleichzeitig wird erkennbar, dass in dieser Krise in vielen Ländern bereits zuvor erkennbare autoritäre und restriktive Entwicklungstendenzen verstärkt und beschleunigt werden. Innerhalb der EU gilt dies insbesondere für die Regierung Ungarns, die die parlamentarische Arbeit auf unbestimmte Zeit hat aussetzen lassen. Auch in Deutschland gibt es von Seiten der Bundes- und Landesregierungen problematische Äußerungen, Erwägungen, Gesetzesvorhaben und teilweise auch Maßnahmen. Begleitet werden diese Tendenzen ebenfalls in vielen Ländern durch extrem rechte, xenophobe, rassistische und insbesondere antisemitische Verschwörungstheorien, die sich auf Ursprung, Verbreitung und Folgen der Corona-Pandemie beziehen.
Zu dieser Situation fordert die VVN-BdA folgendes:
- Begriffe wie „Ausgangssperre“, „Ausnahmezustand“ und „Krieg“ haben in der Krisenbewältigung nichts zu suchen. Sie machen unnötig Angst und suggerieren militärische Lösungen für medizinische und gesellschaftliche Probleme.
- Alle Verordnungen und Maßnahmen müssen konkret begründet, zeitlich befristet, auch durch unabhängige Experten bewertet und ausgewertet werden und auf das notwendige Maß beschränkt sein. Dies gilt jeweils auch für zeitliche Verlängerungen.
- Verordnungen und Maßnahmen müssen Gegenstand parlamentarischer Kontrolle sein.
- Gesetzgeberische Prozesse, insbesondere die sich auf Krisenbewältigung beziehen, sind auf die Zeit nach der Pandemie zu verschieben. Gute Gesetze brauchen Zeit zur Reflexion.
- Notwendige Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sind mit Augenmaß durchzusetzen. Spaziergänger sind keine Verbrecher.
- Politische Aktivitäten im öffentlichen Raum, die die notwendigen Einschränkungen beachtet, müssen selbstverständlich möglich sein.
- Besonders gefährdet sind Obdachlose und Geflüchtete. Sie bedürfen einer besonders guten Fürsorge, nicht martialischer Abschottung. Es müssen Maßnahmen für eine angemessene Unterbringung ergriffen werden, z. B. in Hotels.
- Die gefährlichen Lagern an der EU-Außengrenze und in Griechenland müssen aufgelöst und die Geflüchteten evakuiert und dezentral untergebracht und versorgt werden.
- Deutschland muss endlich den Kindern und Jugendlichen, zu deren Aufnahme sich „Solidarische Städte“ bereiterklärt haben, aufnehmen.
- Das Militär kann Transport- und Hilfsdienste leisten, aber nicht Ordnungsmacht im Inneren sein. Die Trennung von Polizei und Militär ist unabdingbar. Bundeswehrsanitätskräfte sind der zivilen Leitung zu unterstellen.
- Die EU muss den Missbrauch der Pandemie zur Festschreibung strukturell antidemokratischer Ziele in ihren Mitgliedsstaaten unterbinden.
- Verschwörungstheoretische Erklärungsmuster, auch wenn sie vorgeben „für das Volk“ zu sprechen, sind zurückzuweisen. Die Krise nutzen wollende faschistische Gruppen sind aufzulösen.
- Nach Abschluss der Pandemie bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Auswertung: Welche Maßnahmen haben sich im Nachhinein als richtig erwiesen, auf welche könnte in einem ähnlichen Fall verzichtet werden?
Unterschriftensammlung „Den 8. Mai zum Feiertag machen!“ gestartet
8. April 2020
Esther Bejarano und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) starteten heute eine Unterschriftensammlung und eine Social Media Kampagne mit dem Ziel den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag zu machen. 75 Jahre nach dem wichtigsten Tag des 20. Jahrhunderts ist es an der Zeit und auch bitter notwendig endlich konsequent Lehren aus den Verbrechen des NS-Regimes zu ziehen. Ein gesetzlicher Feiertag würde dies symbolisieren und könnte Ausgangspunkt für entsprechendes politisches Handeln sein.
Die Petition ist erreichbar unter: change.org/8Mai
Die Petition im Wortlaut:
„Den 8. Mai zum Feiertag machen! Was 75 Jahre nach Befreiung vom Faschismus getan werden muss!
Ich überlebte als Mitglied des „Mädchenorchesters“ das deutsche Vernichtungslager Auschwitz und konnte vor 75 Jahren auf dem Todesmarsch der Häftlinge des KZ-Ravensbrück der SS entkommen. Ich bin Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e.V und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes. Dies schrieb ich in einem offenen Brief am 26. Januar 2020 „an die Regierenden und alle Menschen, die aus der Geschichte lernen wollen“.Die militärische Zerschlagung des Faschismus durch die Alliierten, Partisan*innen und Widerstandskämpfer*innen als Befreiung zu begreifen, bedeutet die richtigen Schlüsse zu ziehen und auch so zu handeln. Es ist nicht hinnehmbar, dass 75 Jahre danach extreme Rechte in allen deutschen Parlamenten sitzen und in immer rascherer Folge Mord auf Mord folgt. Die Lehren des 8. Mai umzusetzen, bedeutet für uns:
• AfD, NPD und ihre Verbündeten aufzuhalten,
• das Treiben gewalttätiger und mordender Neonazis zu unterbinden, ihre Netzwerke in Polizei, Bundeswehr aufzudecken und aufzulösen,
• einzugreifen, wenn Jüdinnen und Juden, Muslime, Roma und Sinti und andere, die nicht in das Weltbild von Nazis passen, beleidigt und angegriffen werden,
• Geflüchtete in Deutschland aufzunehmen,
• die Logik des Militärischen zu durchbrechen und Waffenexporte zu verhindern und
• die Diffamierung und Behinderung demokratischer und antifaschistischer Gruppen und Organisationen durch Geheimdienste und Finanzämter zu beenden.
Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen nicht. Es muss gestritten werden für die neue Welt des Friedens und der Freiheit, die die befreiten Häftlinge im Schwur von Buchenwald als Auftrag
hinterlassen haben. Ein offizieller bundesweiter Feiertag wäre dafür die regelmäßige Verpflichtung. – Nicht nur, aber eben auch an jedem 8. Mai.
Deshalb: Achter Mai – arbeitsfrei! Zeit für Antifaschismus!Esther Bejarano und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)“
#TagderBefreiung #8Mai #achterMai #Feiertag #vvnbda



