NPD und Gewalt
9. Januar 2012
Die Terrorzelle von Zwickau mordete zielgerichtet und systematisch mit Hilfe eines Netzwerkes. Neu sind Gewalt und Mord in der Nazi-Szene nicht. Neu ist aber die Erkenntnis, dass staatlich finanzierte Spitzel Terror nicht verhindert sondern offensichtlich den Aufbau der Naziszene befördert haben.
Seit 1990 sind in Deutschland nach unterschiedlichen Angaben von antifaschistischen Initiativen und bürgerlichen Zeitungen zwischen 140 und 180 Menschen aus rassistischen Gründen ermordet worden. Die Amadeo-Antonio-Stiftung hat die Morde erst kürzlich einzeln aufgelistet. Dass bei den Morden rassistische Gründe eine wichtige Rolle spielten, fällt selbst dem wenig informierten Leser auf. Interessant ist hingegen der Abstand dieser Auflistung zur behördlich anerkannten Zahl von 47 Mordopfern in Folge von Nazi-Angriffen. Hinter der Differenz von über einhundert Opfern steckt eine über Jahrzehnte aufgebaute Mentalität der Verharmlosung und des Wegschauens öffentlicher Stellen gegenüber rechter Gewalt, die seit den rechten Fememorden der zwanziger Jahre eine kontinuierliche Qualität hat. Auch unterscheiden sich die neuen Rechtsterroristen in ihrer Einstellung zur Gewalt kaum von ihren Geistesgenossen in der Naziszene. Die Verherrlichung von Gewalt und Krieg gehört zum Grundrepertoire der Naziideologie auch unserer Zeit. Ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jesus konnte angeblich übers Wasser gehen, ich geh über Leichen“ ist nicht nur Gewaltverherrlichung, sondern zugleich Aufruf zur Gewalt. Zu sehen ist der Träger eines solchen T-Shirts in der der gemeinsamen Ausstellung von VVN-BdA und ver.di Nord „Neofaschismus in Deutschland“. 20.000 Nazi-Straftaten in einem Jahr waren bisher die Spitze in der Jahresstatistik rechter Vergehen, von denen 800 Gewalttaten waren. Auch die auf Nachfrage der Linksfraktion durch das Bundesinnenministerium veröffentlichte Zahl von über 800 Waffenfunden in der rechten Szene innerhalb von zwei Jahren lässt erschrecken. Waren die Waffenbesitzer wirklich nur Waffennarren oder hatten sie mehr damit vor? Terror gegen Andersdenkende oder gegen Menschen, die nicht in das kranke Weltbild der Nazis passen, ist ebenfalls nicht neu. Die VVN-Ausstellung dokumentiert unter anderem den Waffenfund von Löhrach im Jahre 2008. Fahnder fanden nach dem Hinweis von Antifaschisten bei Jungnazi Thomas Baumann Chemikalien und Zeitzünder zum Bau einer Splitterbombe. Der Prozess gegen Baumann verlief im Sande. Angefangen hatte die Zwickauer NSU-Gruppe ihre Terrorkarriere vor ihrem Abtauchen in den Untergrund auch mit dem Bau von Bomben, die damals noch versagten. Bei späteren zwei Bombenanschlägen und zehn Morden des Terrortrios hatte sich bereits Routine eingestellt. Wer von der Gewalt der Nazis jetzt überrascht ist, hat offensichtlich jahrelang weg geschaut oder nichts sehen wollen. Neben dem Versagen oder gar der Verstrickung der Ermittlungsbehörden bei der Terrorfahndung und der Geheimdienste im rechten Milieu stellt auch die Tatsache der Finanzierung von Nazistrukturen aus öffentlichen Mitteln eine wichtigen Kritikpunkt im Umgang mit der NPD dar, die offensichtlich mit ihrem ehemaligen Thüringer Parteivize Ralf Wohlleben direkt mit der rechten Terrorszene verstrickt ist. So erfahren wir, dass in Thüringen mit dem Agentenlohn für einen V-Mann in der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ allein an einen aktiven Nazi Ende der neunziger Jahre 200.000 DM in die Finanzierung der rechten Szene flossen, womöglich in die Terrorszene der involvierten Personen. Statt den Terror aufzuklären, haben die Schlapphüte im Dienste des Staates erst den Aufbau der Strukturen in Thüringen ermöglicht, die den Terror hervorbrachte. Die Finanzierung der Naziszene mit staatlichen Mitteln ist wiederum auch keine Neuheit. Innerhalb von fünf Jahren flossen in Mecklenburg-Vorpommern 6 Millionen Euro und in Sachsen 12 Millionen Euro in die parlamentarische Arbeit der NPD und von da weiter in die Naziszene. Ohne das Geld des Staates wären der Ausbau der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und die Wahlerfolge der NPD nicht möglich gewesen, bestätigt NPD-Vize Udo Pastörs im November 2011 in einem Interview mit der Nazi-Plattform www.mupinfo.de, die übrigens schon in ihrem Namen – Nachrichten für Mecklenburg und Pommern – ihr revanchistisches Programm offenbart. Für die Feststellung, dass mit staatlichen Mitteln die Arbeit der NPD faktisch gestützt wurde, war auf der Basis eines Gutachtens der Landeszentrale für Politische Bildung durch das CDU-geführte Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern für die Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ faktisch ein Bildungsverbot an Schulen ausgesprochen worden. Die durch das Ministerium eingeräumte freie Meinungsäußerung der Ausstellungsmacher erscheint nun in einem neuen Licht und die Zensur der Ausstellung gehört dringend aufgehoben. Sie behindert die Aufklärung über Nazistrukturen in der wichtigsten Zielgruppe, der gemeinsamen Anstrengungen aller Demokraten im nördlichen Bundesland und darüber hinaus. Die Aufklärung über die Nazi-Gewalt und die Aufhebung des Parteienstatus der darin involvierten NPD durch ein Verbot sind nun auch bei den Kritikern eines NPD-Verbots in aller Munde. Nun muss das NPD-Verbot konsequent und juristisch sicher angegangen werden. Zur Aufklärung der Nazimorde und seiner Helfer hat das BKA 400 Ermittler eingesetzt und auch die Bevölkerung zur Mithilfe aufgerufen. Den zuvor der kriminellen Verstrickung bezichtigten Terroropfern soll nun öffentlich gedacht werden und Opferentschädigungen wurden in Aussicht gestellt. Das ist das Mindeste, was der Staat den Opfern schuldig ist. Er ist ihnen aber auch schuldig, die Nazigefahr endlich ernst zu nehmen, die den Menschen und der Gesellschaft droht. Denn Nazis ziehen den politischen Profit aus weit verbreiteten diskriminierenden Einstellungen in Teilen der Bevölkerung, denen ebenso konsequent begegnet werden muss. Die politischen Akteure haben Aufklärung über den Naziterror versprochen und über das Versagen von Polizei, Geheimdiensten und Justiz. Angesichts der erschreckenden Einzelheiten, die täglich der Presse tröpfchenweise zu entnehmen sind, bleibt Skepsis angesagt, ob eine umfassende Aufklärung des Versagens staatlicher Stellen offengelegt und die richtigen politischen Konsequenzen gezogen werden. Die erneute Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung, mehr Geld und V-Leute für die Geheimdienste lassen befürchten, dass wiedermal die falschen Konsequenzen gezogen werden.