Gewöhnung ans Autoritäre

geschrieben von Axel Holz

5. Februar 2020

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Quelle: DVD-Cover 2017 der Studio Enterprises Hamburg GmbH

Seit dem Erscheinen von Siegfried Lenzs „Deutschstunde“ im Jahre 1968 haben Millionen den Roman gelesen. Lenz scheint einen Punkt getroffen zu haben, der die neue Generation faszinierte und die ältere nachdenklich machen konnte. Bereits 1971 wurde das Buch in einer zweiteiligen Fernsehsendung in der Regie von Peter Beauvais verfilmt. Fünfzig Jahre später läuft eine Neuverfilmung derzeit in den Kinos. In der Regie von Christian Schwochow nach einem Drehbuch seiner Mutter Heide glänzen Ulrich Nöthen in der Rolle des Dorfpolizisten Jens Ole Jespen und Tobias Moretti als Maler Max Jansen vor dem Hintergrund des Malers Emil Nolde. Beide waren lange befreundet, doch nun soll der Dorfpolizist ein in Berlin beschlossenes Malverbot der Nazis übermitteln und durchsetzen. Daran zerbrechen nicht nur beider Freundschaft, sondern beide Familien, in denen der Polizistensohn Siggi zugleich als Patenkind des Malers eine besondere Rolle spielt. Siggi bewundert den Maler, beginnt selbst zu mahlen und versteckt gefährdete Bilder des bekannten Künstlers. Gleichzeitig ist er der Gewalt des Vaters ausgesetzt, der seine Hand auf der Herdplatte verbrennt und ihn zum Spitzel instrumentalisieren will, um das Malverbot durchzusetzen. In vielen eindringlichen Dialogen werden die Welten deutlich, die die ehemaligen Freunde trennen. Dorfpolizist und Maler werden zu erbitterten Kontrahenten. Der eine beruft sich auf Pflicht und Ordnung, der andere auf die Freiheit der Kunst. Flankiert wird der Konflikt durch die jeweils sympathisierenden Frauen, Sonja Richter in der Rolle der Polizistenfrau Gudrun und Johanna Wokalek als Malergattin Ditte, die selbst eine begabte Pianistin ist. In diesem Konflikt wird Siggi hin und her gerissen. In seiner Zuneigung zu Max und dessen Bildern versteckt er die gefährdeten Bilder in einem verlassenen Haus, in dem er auch tote Vögel sammelt, die irgendwie die echten Leichenberge derselben Zeit in Erinnerung bringen. Auch der Angriff der Vögel am Strand auf Siggi und seine Schwester stimmen das Publikum fast gleitend auf die Tieffliegerangriffe der Alliierten am selben Strand ein, bei der Siggis älterer fahnenflüchtiger Bruder verletzt wird. Siggi hatte den Bruder versteckt, Maler Max ihn aufgenommen, während der pflichtversessene Vater den eigenen Sohn an die Nazis ausliefert. In der Neuverfilmung werden die als „entfremdet“ eingestuften Bilder des Malers konfisziert und mit einem LKW abgeholt. Eine Szene, die den Zuschauer an eine Deportation erinnert.

Die Pflicht, der sich der Dorfpolizist unter den Nazis und auch gleich wieder in der neuen Zeit hingibt, erinnert sehr an die heutige Sehnsucht Vieler nach neuen Autoritäten, denen sie vertrauen wollen und denen sie sich zugleich naiv ausliefern. Der Konflikt, in dem sich das Kind Siggi zwischen Autoritätsdruck und verantwortlichem Handeln befindet,kann kaum aktueller sein. In Buch und Film zerbricht Siggi an diesem Konflikt. Nach dem Krieg stiehlt er ein Bild des Malers und muss dafür in einer Jugendhaftanstalt auf einer einsamen Insel büßen, die in Schwochows Neuverfilmung eher einer Psychiatrie gleicht.  Siggi soll dort in einem Aufsatz die „Freuden der Pflicht schildern“. Nach dem er sich zunächst verweigert, findet sein Aufsatz auch nach Wochen des Schreibens kaum eine Ende. Die posttraumatische Nachwirkung seiner Kindheitserlebnisse würde man heute sagen. Die Darstellung des Konflikts von Maler und Dorfpolizist zeigt in Schwochos Verfilmung durchaus die ambivalente Seite beider Figuren und verzichtet auf eine Gut-Böse-Zuspitzung, so sehr auch der autoritäre Vater und pflichtversessene Polizist den Zuschauer nervt. Versucht der Vater doch zugleich seine Familie zu schützen, während der sympathieträchtige Maler den kleinen Siggi auch für seine Zwecke instrumentalisiert. Diese differenzierende Interpretation mit fünfzig Jahren Abstand zum Erscheinen des Buches ist tatsächlich eine Stärke des Films. Aber der Film kann zugleich nicht mithalten mit der Intensität der Dialoge in der Verfilmung von Peter Beauvais, auch wenn der, künstlerisch seiner Zeit verpflichtet, spürbare Längen aufweist. Der verdichtete Stoff unter Schwochos Regie lässt leider die Rolle der Dorfbewohner verblassen. Die sind in Beauvais Verfilmung beileibe keine Opportunisten, sondern piesacken den Dorfpolizisten regelmäßig mit norddeutscher Ruhe. Die Darstellung der aktiven und kritischen Rolle der Dorfbewohner, die selbst nie wiederständig wird, gefällt mir in Beauvais Film besser. Die Polizistenfrau Gudrun erscheint in der älteren Verfilmung fanatischer als ihr pflichtversessener Mann. Der Regisseur räumt hier mit der Mär von den angeblich untätigen Mitläufern gründlich auf. Das Gerede von der fehlenden Kritik des Films an Emil Noldes ambivalenter Rolle als Nazianhänger einerseits und seiner Situation als verfolgter „entarteter“ Künstler andererseits, entfaltet eine Debatte, die im Stoff von Lenz „Deutschstunde“ einfach nicht vorkommt und auch nicht hineingedeutet werden sollten.