Für eine öffentliche Aufklärung und Auseinandersetzung mit den NSU-Morden in Mecklenburg-Vorpommern! Gegen Rassismus und Neonazismus!

12. Januar 2013

Vor über einem Jahr wurden die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) der Öffentlichkeit bekannt. Seither hüllen sich die zuständigen Ermittlungsbehörden in Schweigen. Dennoch wird immer offenkundiger, dass die neonazistischen Mörder vielfältige Verbindungen in das Bundesland hatten. Bislang ist bekannt, dass in Stralsund zwei Banküberfälle begangen wurden und in Rostock Mehmet Turgut durch den NSU ermordet wurde. Weitere Ermittlungsergebnisse sind bis zum jetzigen Zeitpunkt nur auf Druck der Presse und Initiativen gegen Rechts durch die Behörden eingestanden worden. Aus Mecklenburg-Vorpommern dringen kaum Anzeichen für aktuelle Ermittlungsarbeiten in die Öffentlichkeit.

Die Bevölkerung und insbesondere die Betroffenen haben jedoch ein berechtigtes Interesse an der vollständigen Aufklärung dieser Taten. Deshalb fordern wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um das Versagen der Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zu prüfen und um die Taten des NSU und seines Unterstützungsnetzwerkes in Mecklenburg-Vorpommern lückenlos aufzuklären. Die Ermittlungsbehörden schienen auf eine bestimmte Ermittlungsperspektive geprägt, da zunächst die Morde in die Nähe des organisierten Verbrechens gerückt wurden. Die Opfer wurden so kriminalisiert und deren Angehörige stigmatisiert. Ein Untersuchungsausschuss soll aufklären, ob die Ermittlungsarbeit bzw. deren Unterlassen durch alltagsrassistische Denkmuster und Motive beeinflusst wurde oder warum die Ermittlungsbehörden nicht in der Lage waren, die Gefährlichkeit neonazistischer Gruppierungen zu begreifen. Ein Untersuchungsausschuss soll die Ermittlungsbehörden dazu bewegen, ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse und -praktiken offen zu legen.

Der NSU ist der Beleg für das Vorhandensein rechtsterroristischer Strukturen, die bis zum November letzten Jahres für nicht existent gehalten wurden. Aus anderen Bundesländern, in denen der NSU agierte, ist bekannt, dass die zehn Morde an Migranten und einer Polizistin nur mit Hilfe eines regionalen Unterstützungsnetzwerkes realisiert wurden. Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten auch nach Mecklenburg-Vorpommern Kontakte: Hier mordeten und raubten sie, machten Urlaub und unterstützten regionale Neonazistrukturen mit Geldspenden. Ein Untersuchungsausschuss soll diese Strukturen, Netzwerke und Kontakte von Mitgliedern des NSU und dessen UnterstützerInnen aufklären. Die Angehörigen der Ermordeten warten z. T. seit über zehn Jahren vergeblich auf eine lückenlose Aufklärung der Morde und eine Verantwortungsübernahme für Versäumnisse in der Ermittlungstätigkeit. Während migrantische Verbände, BürgerInnen-Initiativen sowie antifaschistische und antirassistische Gruppen bereits lange der Opfer gedenken, die Umbenennungen einer Straße und die Errichtung eines Mahnmals fordern, geben sich Rostock und Schwerin bislang teilnahmslos. Eine demokratische Gesellschaft muss für die Perspektive von Betroffenen rechter Gewalt und ihren Angehörigen sensibler werden und das mörderische Potential rassistischer Einstellungen ernst nehmen. Das bedeutet auch, den rassistischen Einstellungen in staatlichen Institutionen entgegenzutreten. Die würdevolle Erinnerung an die Opfer der Morde, der respektvolle Umgang mit ihren Angehörigen und der Wunsch der Gesellschaft nach einem angemessenen Gedenken erfordern Offenheit und Transparenz. Daher fordern wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in MV!

ErstunterzeichnerInnen

Dr. Hikmat Al-Sabty, Mitglied des Migrantenrats; Anna Arthur; Aike Immig; Michael Steiger; Dirk Stegemann; Monty Schädel, stellv. Landesvorsitzender der VVN­BdA e.V.; Helga Köppen; Dr. Peter Köppen; Dr. Herrmann Langer, Historiker; Dr. Jens Langer, Pastor em.; Dr. Maher Fakhouri, Vorsitzender des Islamischen Bundes in Rostock e.V.; Imam Jonas Dogesch, Mitglied des Migrantenrats; Aktionsbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!; Antirassistische Initiative Rostock; Europäisches BürgerInnenforum; Feine Sahne Fischfilet; Initiative für mehr Toleranz und Weltoffenheit ­ Güstrow; Flüchtlingsrat MV; Greifswald Nazifrei; Grüne Hochschulgruppe/Grüne Jugend Greifswald; Grüne Jugend Rostock; Infocafé Wismar; Interkultureller Garten Rostock; Kein Bock auf Nazis; Korni e.V.; Migrantenrat Rostock; Ökohaus Rostock e.V.; Rostocker Friedensbündnis; Stop it! Rassismus bekämpfen – alle Lager abschaffen; ver.di Jugend; Wismar Nazifrei; ZSK; Zusammen handeln! Gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung

ZweitunterzeichnerInnen

Christine Buchholz, Mitglied des Bundestages, Geschäftsführender Parteivorstand DIE LINKE; Sevim Dagdelen, Mitglied des Bundestages, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE; Ulla Jelpke, Mitglied des Bundestages, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE; Sebastian Lucke, Bundessprecher Linksjugend; Walter Schlecht, Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung; Harald Weinberg, Mitglied des Bundestages Fraktion DIE LINKE; Dorothea Zirkel, Flüchtlingsrat Hamburg; AG Lebendiger Widerstand; Bundesvorstand der Grünen Jugend; BundessprecherInnenrat der Linksjugend [’solid]; Flüchtlingsrat Hamburg; IACD (International Committee against Disappearances), Sektion Deutschland