Die Verbrechen des Dr. Heißmeyer
19. April 2020
Bullenhuser Damm, Curio-Haus-Prozess, Dr. Heißmeyer, Günther Schwarberg
1948 kam ich als Schüler in die Schule am Bullenhuser Damm im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort. Das Gebäude war bis Kriegsende eine Außenstelle des KZ Neuengamme gewesen. Einige Mitschüler erzählten sich, dass im Keller dieser Schule kurz vor Kriegsende viele Kinder ermordet worden seien. Die Lehrerschaft stritt das als Gerücht ab, vielleicht um die Kinder seelisch zu schützen. Mein Vater sagte jedoch, dass das stimme. Es stand ja in der Zeitung (Curio-Haus-Prozess). Viel später erfuhr ich Näheres über diesen Massenmord und die vorangegangenen grausamen Menschenversuche eines Dr. Heißmeyer.
20 jüdische Kinder und 28 erwachsene Häftlinge (Betreuer der Kinder und sowjetische Kriegsgefangene) des KZ Neuengamme waren am 20. April 1945 grausam umgebracht worden. Sie wurden im Heizungskeller des Gebäudes erhängt. Und wenn das bei den Kindern nicht funktionierte, zogen die SS-Schergen die armen, ausgemergelten kleinen Leiber an den Beinen.
Als ich später in Schwerin lebte, las ich das im Stern-Verlag erschienene Buch „Der SS-Arzt und die Kinder” von Günther Schwarberg. Erschüttert über das, was nur wenige Tage vor dem Ende des Hitler-Faschismus geschah, im selben Hause, in dem ich nur drei Jahre später zur Schule ging, erzählte ich im Kollegenkreis, was ich daraus über die Verbrechen des SS-Arztes Dr. Kurt Heißmeyer erfahren hatte.
Eine Kollegin, die aus Magdeburg stammte, sagte plötzlich, das sei doch der Lungenarzt, bei dem ihre Mutter in Behandlung gewesen sei und der bei seinen Patienten sehr beliebt war. Dies deckt sich auch mit den Zeugenaussagen früherer DDR-Patienten, die im Prozess gegen Heißmeyer aussagten und die nur Gutes über Heißmeyer berichteten.
Am 13. Dezember 1964 verhafteten Mitarbeiter des Generalstaatsanwalts der DDR in Magdeburg den Arzt Heißmeyer. Warum das so spät erfolgte, obwohl die Justizorgane der DDR nach 1945 in zwei Fällen von Antifaschisten aus der BRD über Heißmeyers verbrecherisches Vorleben und seinen derzeitigen Aufenthalt in der DDR informiert worden waren, liegt meines Erachtens wohl daran, dass es unter Geheimdiensten üblich war, Desinformationen zu verbreiten. Aus Günther Schwarbergs Bericht über den Mord am Bullenhuser Damm geht hervor, dass Heißmeyer gegenüber der DDR-Justiz zunächst alles abstritt.
Zitat Günther Schwarberg: „Verbrecherische Menschenversuche? Er habe zwar Versuche durchgefhrt, aber streng nach der ärztlichen Ethik. Dafür könne er heute noch Beweise liefern. Denn sein Versuchsmaterial habe er im April 1945 in einer Kiste im Garten seines Hauses in Hohenlychen vergraben. … Die Kiste sei mit Zink ausgeschlagen. … Die Staatsanwälte Nienkirchen und Friedrich fuhren mit einem Pioniertrupp der Nationalen Volksarmee nach Hohenlychen. Heißmeyer zeigte ihnen die Stelle, an der die Kiste vergraben war. Das Minensuchgerät der Pioniere zeigte vergrabenes Metall. Die Kiste wurde ausgegraben. Silberbestecke waren darin. Ein Fotoalbum … Röntgenaufnahmen. Fieberkurven. … Die Röntgenaufnahmen wurden in der Berliner Charité von Oberarzt Dr. Schubert begutachtet. (später auch von Professor Prokop. H.S.) … Das war kein Entlastungsmaterial. Heißmeyer hatte durch den Hinweis auf die Kiste sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Denn solche Experimente waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und die werden auch heute noch in der DDR mit der Todesstrafe bedroht.” Soweit Günther Schwarberg.
Heißmeyers Fotos und Röntgenaufnahmen zeigten, dass er den Kindern, die er sich aus dem KZ Auschwitz ins KZ Neuengamme hatte kommen lassen, zu qualvollen Versuchen ihnen die Armdrüsen entfernt und Tuberkelbazillen in die Lungen gespritzt hatte. Der Mord im Hause Bullenhuser Damm sollte diese furchtbaren Verbrechen verschleiern.
Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde Dr. Heißmeyer am 21. Juni 1966 vor dem Bezirksgericht Magdeburg der Prozess gemacht. Das Urteil: lebenslang Gefängnis. Am 29. August 1967 erlag Kurt Heißmeyer im Gefängnis Bautzen einem Herzinfarkt.