Ein Kommentar von Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, zu den antisemitischen Bildern, die das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi auf der documenta 15 zeigte.
29. Juni 2022
Kassel ist direkt vor der Tür der Arolsen Archives, dem weltweit größten Archiv über die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Hier sind die Schicksale von Menschen dokumentiert, deren Mörder Antisemitismus zum Kern ihrer Weltanschauung machten – und den millionenfachen Mord damit „rechtfertigten“.
Kassel ist die Stadt der documenta. „Antisemita 15“ nennt der Autor Sascha Lobo sie im Spiegel. Die documenta, die dafür bekannt war, internationale Maßstäbe zu setzen, zeigt im Jahr 2022 in Deutschland Kunstwerke, die ganz ausdrücklich antisemitische Stereotype bedienen.
Wegschauen ist eines der zentralen Themen, wenn es um den Nationalsozialismus geht. Wenn man sich fragt, wie diese Verbrechen an Jüdinnen und Juden möglich werden konnten und so viele Menschen mitgemacht und weggeschaut haben. Mich erschüttert bei der aktuellen documenta, dass viele Menschen diese antisemitischen Kunstwerke gesehen haben – vor der Eröffnung. Und es gab im Vorfeld bereits Treffen, bei denen über Kunstfreiheit und Kulturrelativismus debattiert werden sollte.
Und die Entschuldigungsversuche der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann und des Künstlerkollektivs Taring Padi machen alles nur noch schlimmer. Denn es geht überhaupt nicht darum, dass „Gefühle verletzt wurden“.
Antisemitismus hat keinen Platz im öffentlichen Raum in Deutschland – und nirgendwo – und noch weniger darf er aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Dass die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth jetzt Konsequenzen fordert, ist gut – reicht aber meiner Meinung nach nicht aus.
Vielleicht müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Als Zivilgesellschaft und wir als Arolsen Archives, deren Sammlung als Wissensquelle für die heutige Gesellschaft dient. Es kann nicht sein, dass Antisemitismus immer noch nicht als Antisemitismus erkannt wird.
Ich lade alle Verantwortlichen und Künstler*innen in unser Archiv ein. Denn die Dokumente zeigen, wohin Antisemitismus führt.