Demokratieferne Räume
geschrieben von Axel Holz
29. November 2017
AfD, Bundestagswahl, Demokratie, Deprivation, NPD
Zur Bundestagswahl 2017 hat die die Amedeu Antonio Stiftung eine Wahlkreisanalyse zum Abschneiden der AfD in Auftrag gegeben. Dazu ist nun die Studie „Demokratieferne Räume?“ erschienen.
Eine Kernaussage der Studie ist die These, dass die NPD der AfD den Weg geebnet habe. Die AfD profitiere in Ost und West besonders in wirtschaftlich abdriftenden Regionen von einer lokalen politischen Kultur, in der sich Demokratieverdrossenheit und Rechtsextremismus normalisieren konnten. Das bestätigt die statistische Mehrebenen-Analyse des Bundestagsergebnisses unter Einbeziehung von lokalen Kontextdaten auf Wahlkreisebene. Die Studie sieht in dieser politischen Kultur die maßgeblichen Gründe für den Mobilisierungserfolg der AfD, weniger im immer wieder unterstellten diffusen Protest gegen negative Entwicklungen vor Ort. Der hohe Ost-West-Unterschied im Wahlverhalten gegenüber der AfD wird in relevanten Teilen durch sozioökonomische und kulturelle Unterschiede erklärt. Demnach stehen Strukturschwäche, Demokratieentfremdung und eine höhere Bereitschaft zur Wahl rechtsextremer Parteien in engem Zusammenhang. Darüber hinaus zeigen sich aber auch AfD-Mobilisierungserfolge in Regionen mit mittleren und höheren Einkommen.
Nötig seien daher eine Stärkung der lokalen demokratischen Kultur, neue demokratische Beteiligungsformate und eine langfristige Absicherung der Demokratieförderung. Die AfD-Wahlergebnisse stehen aber auch im Zusammenhang von politischer Kultur und wirtschaftlicher Lage. Deshalb sei die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nach wie vor ein wirksamer Faktor gegen die Anfälligkeit für rechtspopulistische Avancen. Insbesondere der völkische Höcke-Flügel begäbe sich zunehmend auf einen sozialpopulistischen Kurs. Hierbei versuche sich die AfD in der Rolle der Kümmerer und Antwortgeber für sozial Unzufriedene und politisch Suchende.
Bei der soziodemografischen und sozioökonomischen Analyse hat sich die Studie auf Merkmale wie Bruttoinlandprodukt, Arbeitslosigkeit, Einkommenshöhe, Bevölkerungsverteilung, Alter, Bildung und Konfession gestützt. Der Aspekt der sozioökonomischen Deprivation wird in den Wahlkreisen mit hohen NPD-Wähleranteilen und hohen Nichtwähleranteilen manifest. Gleichzeitig zeigt sich eine erfolgreiche AfD-Mobilisierung in ökonomisch besser gestellten Wahlkreisen und damit eine insgesamt heterogene sozioökonomische Wählerstruktur der AfD. Die Studie geht nicht von einem Aufstand der „Abgehängten“ aus, sondern sieht eine tief gehende politisch-kulturelle Konfliktlinie zwischen nationalistischen, autoritären und chauvinistischen Einstellungen einerseits und einer offenen, liberalen und multikulturellen Gesellschaft andererseits. Die AfD-Wahlergebnisse bestätigten die Studien der Ebert-Stiftung der vergangenen Jahrzehnte zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in einem langfristig stabilen Teil der Bevölkerung.
In der Studie werden verschiedene Erklärungs-Thesen zur rechten Anfälligkeit besprochen, wie eine Abwehrreaktion gegenüber dem liberalen Zeitgeist in Form kultureller Gegenbewegung, die Modernisierungsverliererthese und die Kontakthypothese, die fehlende interkulturelle Erfahrung mit erhöhter Ausländerfeindlichkeit in Verbindung bringt.
Fest steht, dass die AfD eine überdurchschnittliches rechtsextremes Wählerpotential und zahlreiche Nichtwähler mobilisieren konnte. Auch weisen Regionen mit langjährigen hohen NPD-Wahlergebnissen auch hohe AfD-Wahlergebnisses aus. Auch wenn die NPD in keinem Landtag mehr vertreten ist, beeinflusst sie das kulturell-politisch Klima mit Hilfe von 360 lokalen NPD-Mandatsträgern mit. Die Studie bestätigt teilweise die Modernisierungsthese, wonach mit steigender Arbeitslosigkeit, niedriger wirtschaftlicher Leistungsbilanz und geringen Einkommen das durchschnittliche Wahlergebnis der AfD ansteigt. Diese Aussage wird aber durch erhöhte Zustimmungsraten zur AfD im ökonomisch gut entwickelten südlichen und westdeutschen Raum eingeschränkt. Auch soziodemografische Faktoren, wie geringe Bevölkerungsdichte, höherer Altersdurchschnitt und eine geringer Anteil an Personen mit Migrationshintergrund werden durch erhöhte AfD-Ergebnisse begleitet. Schließlich unterstützen hohe Nichtwähleranteile und erhöhte NPD-Wähleranteile auch die AfD-Affinität der lokalen Wähler.
In der Bewertung der Ergebnisse kommen die Wissenschaftler zur Überzeugung, dass die sichtbare Zunahme rechter Mobilisierung ein Problem langfristiger und kontinuierlicher Entwicklung in der europäischen Nachkriegsgeschichte sei, das sich nicht allein und nicht primär aus der Flüchtlingsdiskussion erklären lasse. Dahinter stehe ein insgesamt stabiles und hohes Potential menschenfeindlicher Einstellungen.