Das war der Bundeskongress
9. Juni 2016
Bundeskongress, Gedenken, Geschichtspolitik
Geschichtspolitik Referat 2016160529_BUKO_Projekte_Erinnerungspolitik
Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik – das war das Thema des außerordentlichen Bundeskongresses der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten vom 27.5. bis 29.5.2016 in Bochum.
Der außerordentliche Bundeskongress war qualitativ ein Quantensprung. Statt eines Reden-Marathons gab es diesmal ein Worldcafe, die Präsentation von Erinnerungsprojekten und regionale Diskussionen über deren Implementierung. Der einzige Wehrmutstropfen der Veranstaltung war die Beteiligung. Nur zwei Drittel der ordentlichen Kongressdelegierten waren der Einladung gefolgt. Offensichtlich fällt es einigen VVN-Aktivisten schwer, einen Kongress mit ihrer Anwesenheit zu würdigen, der thematisch eingegrenzt ist und kein Beschlüsse in Aussicht stellt. Dafür war die Stimmung bei den Teilnehmern im Bochumer Jahrhunderthaus ausgesprochen gut, auch weil der Kongressablauf durch zahlreiche Projektvorstellungen im Foyer und zwei Rundgänge zu Stolpersteinen und zum „Bochumer Verein“ zur regionalen Wirtschaftsgeschichte ergänzt wurde. Im Einstiegsreferat hat Dr. Ulrich Schneider sechs wichtige Orientierungspunkte zur zukünftigen antifaschistischen Geschichts- und Erinnerungsarbeit herausgearbeitet. Im Unterschied zu vielen herkömmlichen Geschichtsdarstellungen leistet die VVN mit dem Projekt „Zeugen der Zeitzeugen“ eine unverwechselbare authentische Geschichtsbegleitung, die zunehmend durch Videos und Interviews als „Ersatz“ für die reale Begegnung mit Zeitzeugen ergänzt werden. Wichtig für die Zukunft sei die Verortung von Geschichte in Form von geführten Rundgängen, Videowalks mit Auszügen aus Interviews von Zeitzeugen, Gedenkhinweisen oder den bereits etablierten Stolpersteinen. Neue Möglichkeiten der Zugänge zu historischen Themen ergeben sich durch aktuelle Bezüge zur Gegenwart. Aufgabe der VVN sei es, die politische Bandbreite des Gedenkens mit antifaschistischer Tradition zu verknüpfen. Der Zugang zu neuen Medien, etwa zu Facebook, sei auch in der Gedenkarbeit unerlässlich. Gleichzeitig dürften aber auch die klassischen Medien, wie Flyer, Broschüren und Geschichtsblätter nicht vernachlässigt werden. Regional gäbe es eine Vielzahl von Spezialisten in der antifaschistischen Geschichtsaufarbeitung. Nun müsse aber der Nachwuchs aktiv an die Geschichtsarbeit herangeführt werden. Ein gutes Beispiel dafür gaben Thomas Willms und Lizza Mikosch, die im Internet die Fallstricke von Begriffsrecherchen aufzeigten, die zahlreiche Jugendliche unwillkürlich zu geschichtsrevisionistischen Aussagen, Verbrechensverharmlosung oder militaristischen Deutungen führten. Mit dieser Internet-Provokation wollten beide auf die Jugend-Gefahren der neuen Medien und die notwendige Ausprägung einer kritischen Medienkompetenz aufmerksam machen. In einem Worldcafe konnten alle Delegierten Erfahrungen, Problemen und Aufgaben antifaschistischer Geschichts- und Gedenkarbeit in Schwerpunktfeldern herausarbeiten. Dazu hatte eine Arbeitsgruppe zusammen mit dem Bundesausschuss fünf Komplexe vorbereitet, die im Zentrum der Arbeit stehen sollten, wie eigene Bildungsarbeit, Zeugen der Zeugen, offizielle und alternative Geschichtspolitik, Gedenkarbeit in der Migrationsgesellschaft und jugendgerechte Formen der Erinnerungsarbeit. Im Anschluss wurden 16 Einzelprojekte der Erinnerungsarbeit vorgestellt, von einer comicartigen Ausstellung zur Verfolgung der Roma, über eine Spurensuche zu den Verbrechen der Wirtschaft, einen Audio-Rundgang zu jüdischem Leben im Berliner Prenzlauer Berg, die VVN-Homepages „Das Jahr 1933“ und „Das Jahr 1945“ bis zur FIR-Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922-1945“. Jochen Vogler fasste nach Abschluss der Beratungen zusammen: 71 Jahre nach der Befreiung von Krieg und Faschismus, 26 Jahre nach dem Ende der Blockkonfrontation und 17 Jahre nach Beginn der neuen deutschen Kriegseinsätze ist und bleibt es notwendig, den Blick und die Deutung der Geschichte aus der Perspektive des Widerstands gegen Krieg und Faschismus zu bewahren und weiter zu entwickeln. Die in der VVN-BdA vereinigte Generation der Zeitzeugen des Widerstands lebt zumeist nicht mehr und kann uns ihre Erfahrungen nicht mehr berichten. Die Verantwortung dafür, dass das historische Wissen nicht verloren geht, liegt jetzt bei den Zeugen der Zeitzeugen. Dabei sind auch methodische Fragen der Vermittlung zu klären. Diese Konferenz widmete sich diesen Fragen auch mit methodisch neuen Ansätzen. Und sie gab praktische Anregungen zu einem vielfältigen und modernen antifaschistischen Gedenken vor Ort.