Das Ermächtigungsgesetz, sein Ende und Hitlers Hochverrat
28. Juli 2009
Liest man in Lexika oder der geschichtlichen Fachliteratur über das „Ermächtigungsgesetz“, die juristische Grundlage der Hitlerdiktatur, steht dort, dieses Gesetz wäre 1943 verlängert worden. Das ist nicht richtig! Hitlers offener Verfassungsbruch per „Führer-Erlaß“ (im „Reichsgesetzblatt“ am 15.05.1943 veröffentlicht) und der damit einher gehende Hochverrat sowie die daraus resultierenden Konsequenzen hätten nicht nur den Juristen damals bereits bewusst sein müssen. Auch wenn es für diejenigen, die ihre Verweigerung der Teilnahme am Widerstand mit ihrem Diensteid begründen, unbequem sein wird – das ist die Wahrheit:
Am 23.März 1933 wurde im Reichstag das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz) angenommen. (Vgl.: „Reichsgesetzblatt“*, Teil I, 1933, Nr. 25, S.141, vom 24.03.1933!). Es räumte, für die Dauer von vier Jahren, der Reichsregierung das Recht ein, ohne Zustimmung des Reichstages Gesetze, einschließlich des Haushaltsgesetzes, zu erlassen, Verträge mit fremden Staaten abzuschließen, die Verfassung zu ändern (soweit das nicht die Institutionen von Reichstag und Reichsrat betraf). Nur die Rechte des Reichspräsidenten blieben unangetastet. Der Artikel 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit dem §§ 53, 55 bis 58 der Reichsverfassung bedeuteten eine überragende Stellung des Reichskanzlers nach diesem Verfahren. (Die Reichsminister gerieten danach immer mehr in die Stellung fachlicher Zuarbeitender und die Einhaltung der vom Reichskanzler erlassenen gesetzlichen Regeln Überwachender. Folgerichtig fand die letzte Sitzung der Reichsregierung am 05.02. 1938 statt, irgendwelche Ausschüsse des Reichstages gab es da schon lange nicht mehr). * RGBL
Für dieses verfassungsändernde Gesetz war – bei Anwesenheit von 2/3 der „gesetzlichen Mitglieder“ des Reichstags – eine 2/3 – Mehrheit von diesen Anwesenden Reichstagsabgeordneten notwendig. (So bestimmt durch den Artikel 76 der Weimarer Verfassung). Mit Versprechungen (die er in Folge nicht einhielt) erreichte Hitler die Zustimmung der im Reichstag vertretenen bürgerlichen Parteien zu diesem Gesetz. Lediglich die anwesenden 94 SPD-Abgeordneten stimmten dagegen. (Die anderen 26 sozialdemokratischen Abgeordneten des Reichstages waren bereits verhaftet oder auf der Flucht – ein Schicksal, das sie mit den 81 Reichstagsabgeordneten der KPD teilten, deren Mandate am 09.03. 1933 von der Hitlerregierung als „ungültig“ erklärt worden waren). Reichspräsident Paul von Hindenburg unterschrieb am folgenden Tag das Gesetz, das damit wirksam wurde. Der Reichstag und die dem Gesetz zustimmenden nichtfaschistischen Parteien in Deutschland hatten sich selbst entmachtet – Die faschistische Diktatur hatte begonnen! In den Monaten bis zur Jahresmitte 1933 wurden die anderen Parteien verboten, zur Auflösung gezwungen oder lösten sich selbst auf. Gleichzeitig wurden die rechtlichen Voraussetzungen zur Enteignung dieser Parteien geschaffen und angewendet. Mit einem am 14.07.1933 von der Hitlerregierung verkündeten „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ gab es in Deutschland nur noch eine zugelassene Partei, die NSDAP. Das Ermächtigungsgesetz wurde zwei Mal, am 30.01.1937 (RGBL, Teil I, Nr. 14, S. 105, vom 30.01.1937) und am 30.01.1939 (RGBL, Teil I, 1939, Nr. 15, S. 95 vom 30.1.1939) vom Deutschen Reichstag verlängert und lief am 10.5.1943 aus. Die im Ermächtigungsgesetz der Reichsregierung übertragenen Rechte sollten nach einen auf den 10.05.1943 datierten „Führererlass“, der am 15.05.1943 im Reichsgesetzblatt (RGBL I, 1943, Nr. 49, S. 295) veröffentlicht wurde, weiterhin von der Reichsregierung wahrgenommen werden: „Mit Rücksicht darauf, dass das Gesetz vom 24.März 1933 (Reichsgesetzblatt I, S. 141) formell am 10.Mai 1943 abläuft bestimme ich: Die Reichsregierung hat die ihr durch das Gesetz vom 24.März 1933 übertragenen Befugnissen auch weiterhin auszuüben. Dieser Erlass Hitlers ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: 1. Obwohl als Termin des Erlasses der 10.05.1943 vermerkt ist, wurde der Erlass im Reichsgesetzblatt erst am 15.05.1943 verkündet. Das Reichsgesetzblatt vom 14.05.1943 nennt Verordnungen vom 11. und 12.05. 1943, kennt aber diesen „Führererlass“ nicht. 2. Im Gegensatz zu den Reichstagsbeschlüssen aus 1937 und 1939 zur Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes fehlt hier der Verweis darauf, dass das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.Januar 1934 (Reichsgesetzblatt I, S. 75)“ von diesem Erlass „unberührt“ bleibt, wie auch die Gegenzeichnung des Reichsinnenministers Frick. 3. Da es sich hier, angesichts der weiterhin gültigen Weimarer Verfassung und entsprechend dem Inhalt des Ermächtigungsgesetzes, um ein vom Reichstag zu beschließendes verfassungsänderndes Gesetz handeln musste, verlangte dies die Genehmigung des Reichstags, die aber nicht eingeholt wurde. Die im Artikel 2 des am 10.05.1943 noch gültigen Gesetzes vom 24.03.1933 eingeräumte Möglichkeit der Verabschiedung nicht der Verfassung entsprechender Gesetze schloss ausdrücklich sowohl die Einrichtungen des Reichstags als auch des Reichsrats (Reichsverfassung Art. 20 – 40 a, 60 – 67) aus. Jedoch ist zu vermerken, dass die Legislaturperiode des im Jahre 1938 gewählten und am 30.1.1939 konstituierten „Großdeutschen Reichstags“ am 29.01.1943 auslief und von der Hitlerregierung mit Gesetz vom Januar 1943 verfassungswidrig (gegen Art. 23 der Reichsverfassung) verlängert worden war. Insofern ist auch Hitlers Verweis in seinem Erlass vom 10.5.1943 möglicherweise „eine Bestätigung dieser Befugnisse der Reichsregierung durch den Großdeutschen Reichstag herbeizuführen“, verfassungsrechtlich bedeutungslos. Allerdings dürfte generell ein Verweis auf das Ermächtigungsgesetz zur Legitimierung dieses Hitler-Erlasses nicht tragen, da es sich hier ausdrücklich eben nicht um ein Gesetz der Reichsregierung handelte. (Auch Art. 48 Reichsverfassung scheidet als Begründung aus, um so mehr auf dem Erlass Fricks Gegenzeichnung fehlt).
Augenscheinlich kam es dem „Führer“ auf einen Verfassungsbruch mehr oder weniger nicht an. Aber: Da Hitler die weitere Geltung der Rechte des Ermächtigungsgesetzes verfassungswidrig durchsetzte, beging er damit Hochverrat. Das hat Auswirkungen in der rechtlichen Bewertung hinsichtlich der Legitimität der Hitlerschen Gesetze, Erlasse, Bestimmungen und Weisungen, insbesondere aber auch auf die Gültigkeit der ihm als Staatschef geleisteten Eide. In der Wirklichkeit der Hitlerdiktatur scherte dies aber weder den Hochverräter noch dessen Gefolgsleute.
Als Anlage sind im Folgenden die für die Argumentation verwendeten Artikel aus der „Verfassung des Deutschen Reiches“ (Weimarer Verfassung) vom 11. 08.1919 aufgeführt:
47. Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reichs.
48. Wenn ein land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident er dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten. Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen
50. Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder durch den zuständigen Reichsminister
53. Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden durch den Reichspräsidenten ernannt und entlassen.
55. Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Regierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.
56. Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbstständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.
57. Die Reichsminister haben der Reichsregierung alle Gesetzesentwürfe, ferner Angelegenheiten, für welche Verfassung oder Gesetz diese Vorschreiben, sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Reichsminister berühren, zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten.
58. Die Reichsregierung fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
114. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig. Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist, unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen ihre Freiheitsentziehung vorzubringen.
115. Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.
117. Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden.
118. Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht. Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.
123. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetze anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.
124. Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen. Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt werden, dass er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt.
153. Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Enteignungen des Reichs gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.
159. Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe zu gewährleisten. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder behindern suchen, sind rechtswidrig.
176. Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind auf diese Verfassung zu vereidigen. Das Nähere wird durch Verordnung des Reichspräsidenten bestimmt.