Antisemitismus in der Sprache
6. Oktober 2021
Das Buch „Antisemitismus in der Sprache“ ist nur 64 Seiten lang, aber der Text hat es in sich. Dass Antisemitismus in Deutschland und weltweit ein Problem ist, ist bekannt. Antisemitische Übergriffe hatten in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Sie werden im rechten, linken und im islamistischen Milieu verortet. Der Antisemitismus in der Sprache betrifft aber alle politischen, sozialen und Altersgruppen mehr oder weniger bewusst. Das hat damit zu tun, dass die Tradition der jiddischen Sprache von ehemals fast 10 Millionen jiddisch Sprechenden in Europa die deutsche Sprache über Jahrhunderte mitgeprägt hat. Mitunter vergessen wir, dass es mit 1.700 Jahren in unserem Raum länger jüdische Kultur gibt als christliches Leben. Da ist es auch nicht ungewöhnlich, dass einige jiddische Worte fast unbewusst im Deutschen gebraucht werden. Häufig empfinden wir sie als angenehm und charmant. Dazu gehört beispielsweise das Lehnwort Tacheles, also Klartext reden. Oder das Schmusen, das nur im Deutschen die Bedeutung von Liebkosen hat, in New York aber mehr im Sinne von schwätzen gebraucht wird und dem eigentlichen Sinn im Jiddischen als unterhalten oder plaudern näher kommt. Ähnlich geht es uns mit dem jiddischen Wort Chuzpe, das Dreistigkeit bedeutet, oder mit dem Schlamassel, der das Unglück, den das jiddische Wort meint, nicht ganz so schlimm erscheinen lässt. In diesem Sinne können und sollten wir jiddische Traditionen in unserer Sprache bewusst fortführen, weil sie unsere Sprache spürbar bereichern, meint der Buchautor, Journalist und Jurist Ronen Steinke.
Antisemitische Bedeutungsänderung
Anders sieht es mit jiddischen Worten in unserer Sprache aus, die während ihres langjährigen Gebrauchs eine antisemitische Umdeutung erfahren haben, die dem ursprünglichen Gebrauch wiederspricht und eine abwertende Bedeutung erhalten hat. So hatte die selbst von einem migrationsfeindlichen Attentat betroffene Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen als „verschwörungstheoretische und rechtsextreme Mischpoke“ bezeichnet. Das Wort Mischpoke bedeutet im Jiddischen einfach Familie, bekommt aber eingedeutscht den düsteren, anrüchigen Klang einer verschworenen Gemeinschaft. Dieser Bedeutungswechsel ist nur dadurch zu erklären, dass ein gewisses Bild von Jüdinnen und Juden auf das Wort im deutschen Gebrauch abgefärbt hat mit einer antisemitischen, diskriminierenden Bedeutung. Ähnlich ist es mit zahlreichen Lehnwörtern aus dem Jiddischen. So ist das „Geschachere um Ministerposten“ ein solches eindeutig antisemitisch eingefärbtes jiddisches Wort. Es bedeutet im Jiddischen einfach Handel. Die deutsche Sprache macht daraus „Handeln wie ein Jude“ und meint die Stigmatisierung von Juden als angeblich unlautere, unsaubere, profitsüchtige Händler mit oder in einer Sache. Auch dieses Wort sollte man nicht verwenden, um nicht das damit verbundene antisemitische Bild zu nähern. Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe ist das Wort mauscheln. Wir kennen es als Mauschelei im Gemeinderat oder bei der Bankenfusion. Hier geht es irgendwie um korrupte Dinge, die hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Das Wort stammt vom jüdischen Vornamen Moses, hebräisch Mosche und in der jiddischen Form als Mauschel ab. Abgeleitet von einem Spottnamen für jüdische Händler wird es als Synonym für alle Juden eingesetzt, ähnlich wie Ali in rassistischer Absicht für Türken gebraucht wird. Ebenso ist es mit der Ische, dem jiddischen Wort für Mädchen oder Braut. Niemand möchte eine Ische sein. Auch wenn Berliner gern mal in der Kneipe von ihrer Ische im Sinne von Braut sprechen. Es bleibt ein Ausdruck, den man dem Betroffenen möglichst nicht ins Gesicht sagt. Er transportiert ein Bild, dass Nichtjuden ursprünglich von einer jiddisch sprechenden Frau vor sich hatten: nichts Gutes.
Spezifische Ausrichtung der Diskriminierung
Die Abwertung von jüdischen Menschen ist Teil des kulturellen Vokabulars, erklärt der Autor Ronen Steinke. Sie unterscheidet sich vom Rassismus eben dadurch, dass hierbei nicht auf Schwächere nach unten getreten wird, sondern auf die da oben, eine angeblich machthungrige Elite, geschimpft wird. Auch hier wirkt Corona nur wie ein Verstärker auf bereits vorhandene antisemitische Anfeindungen mit dem „Weltjudentum“ als angeblichem Ursprung allen Übels. Minderheiten für Katastrophen verantwortlich zu machen ist nichts Neues in der Geschichte. Gerade weil der Großteil der Juden eher arm war, musste ein nicht sichtbarer Vorwurf herhalten. Deshalb nützt es auch wenig, auf den eigentlichen Ursprung bestimmter jiddischer Worte nur zu verweisen, sondern erscheint es sinnvoller, den Gebrauch antisemitisch aufgeladener jiddischer Worte bewusst zu vermeiden.