Rede von Dr. Axel Holz zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 26. Januar 2019 in Waren an der Müritz

geschrieben von Axel Holz

26. Januar 2019

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Wir gedenken heute in Waren traditionell der Opfer des NS-Regimes. Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er ist derTag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs.  Im Jahr 2005 wurde der 27. Januar von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt.

Das Gedenken an die NS-Opfer findet in diesen Tagen in vielen Orten in Mecklenburg-Vorpommern statt, z.B. in Schwerin, in Neustrelitz, in Stralsund, in Waren, in Gadebusch, in Stavenhagen, in  Alt Rehse, dem Ort der Euthanasie-Vorbereitung der Ärzte,  in den KZ-Gedenkstätten Wöbbelin und in der Todemarsch-Gedenkstätte Belower Wald.

Wir gedenken Millionen Nazi-Opfer des NS-Regimes. Darunter sind 6 Millionen Juden aus ganz Europa, weitere Häftlinge unterschiedlicher europäischer Länder, Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, politische Gegner unterschiedlicher politischer Ausrichtung von Kommunisten über Sozialdemokraten und Gewerkschaftern bis zu Liberalen und Christen, Anhänger der Bekennenden Kirche,  sozial Unangepasste und nicht zuletzt etwa 12 Millionen Zwangsarbeiter, von denen Millionen umkamen.

Die Erinnerung an die Naziopfer und die Nazigreuel in den Vernichtungslagern in Auschwitz, Sobibor, Belcek und Treblinka, an die deutschen Massenerschießungen von Millionen Zivilisten in der Sowjetunion und im Baltikum und an den Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Nazis ist heute umso wichtiger, weil einige konservative und undemokratische, rassistische und nationalistische Kräfte diese Verbrechen gern relativieren. Weil sie erneut antisemitische Vorurteile schüren, den Holocaust leugnen oder solche Positionen unterstützen. Stellvertretend dafür steht der Ausspruch des AfD-Politikers Gauland, der die Nazi-Zeit als Vogelschiss in der Geschichte relativierte oder die Position des AfD-Politikers Höcke, der im Holocaustdenkmal ein Denkmal der Schande sieht und eine gedenkpolitische Wende im 180 Grad fordert.

Die Qualität und Ausrichtung der gedenkpolitischen Arbeit sollte erhalten werden. In den letzten Jahrzehnten ist es gelungen, Defizite in der gedenkpolitischen Arbeit in Ost und West aufzuarbeiten und aller Opfergruppen des NS-Regimes angemessen zu gedenken. Insbesondere die Zeitzeugenarbeit wurde intensiviert und die Bildungsarbeit zu Holocaust, Nazi-Opfern und Naziregime in der Schule und in den Gedenkstätten verbessert. Jahrelang waren zuvor einige Opfergruppen wie Sinti und Roma, Homosexuelle und sozial Unangepasste vernachlässigt oder übersehen worden. Über Jahrzehnte wurde Homosexuelle weiter kriminalisiert und werden erst in jüngster Zeit für erlittenes Unrecht entschädigt.

Deutschland wird international für seine offene Gedenkarbeit bewundert, während in Finnland scheinbar niemand Probleme zu haben scheint, dass derzeit auf der grünen Woche ein finnischer Bierbrauer zugleich Vorsitzender eines SS-Veteranenvereins ist und im Baltikum SS-Veteranen öffentlich unter staatlichem Schutz demonstrieren können. Ein Rechtsruck findet auch in Deutschland und ganz Europa statt. Demgegenüber wird in Schule, Radio, Fernsehen, Büchern und Zeitschriften das Gedenken an die Nazizeit in Deutschland aufrechterhalten. Darauf können wir stolz sein.

Auch die KZ-Gedenkstätten leisten eine wichtige Arbeit, um sich mit ihrer jugendgerechten Arbeit immer wieder neu zu erfinden und nicht in erstarrte Gedenkrituale zu verfallen.

Erinnerung an die NS-Zeit heißt heute, sich auch an die Defizite dieser Erinnerungsarbeit zu erinnern. Gerade ist das Buch „Das Braune Netz“ von Willi Winkler erschienen. Es zeigt, dass in den 50er Jahren, unterstützt durch eine Amnestie, tausende Nazis in Westdeutschland in den Beamtenapparat zurückkehrten und sich in Spitzenpositionen von Politik, Wirtschaft, Justiz, Bildung und Presse wiederfanden. Die demokratische Erneuerung wurde damit zumindest verzögert, kommentiert der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, diese Entwicklung.

Jahrzehntelang wurde der Opfer nicht gedacht, bevor in den 60er Jahren nach den Auschwitzprozessen eine gesellschaftliche Diskussion über die Nazizeit und die Mitverantwortung seiner Bürger einsetzte, bevor mit dem Film „Holocaust“ im Westen Millionen Menschen begannen, sich kritisch mit der Nazi-Geschichte auseinanderzusetzen. Im Osten hatte die Nazi-Aufarbeitung früher begonnen, war vielfach in Ritualen erstarrt, ist aber u.a. mit dem Schul-Buch und dem Film „Nackt unter Wölfen“ tief im Gedächtnis der Bürger bis heute verankert. Die Heraushebung einiger Opfergruppen und Vernachlässigung anderer Gruppen war ein Problem in Ost und West und wurde erst in den 90er Jahren überwunden.

Der Nazi-Opfer gedenken bedeutet heute, nicht nur an die Opfer, sondern auch an die Bedingungen zu erinnern, die den Nazismus ermöglicht haben. Vergessen wir nicht, dass die Nazis nicht durch einen Staatsstreich sondern durch Wahlen an die Macht gekommen sind. Zum Verständnis des Nazismus gehört es auch, den Prozess seiner Entstehung zu begreifen  –  von der Ideologie über die Bewegung bis zum autoritären faschistischen Staat. Die fehlende Auseinandersetzung der jungen Republik mit Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus und die Stärke nationalistischer Kräfte in Politik und Wirtschaft hat diese Entwicklung ebenso begünstigt wie der Kampf der politisierten Arbeiterbewegung gegeneinander.

Was damals geschah, könne immer wieder geschehen, kommentiert die Holocaustüberlebende Anita Lasker-Walfisch die Nazizeit. Damit das nicht passiert, müssen wir aktiv werden, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus entschieden entgegentreten.

Ich finde es wichtig und richtig, dass die demokratischen Parlamentarier im bayerischen Landtag der Rede der Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch, geschlossen in dieser Woche Beifall gespendet haben. Sie hatte zuvor die AfD als eine Partei bezeichnet, die die NS-Verbrechen verharmlose, mit Rechtsradikalen eng zusammenarbeite und nicht auf dem Boden der Verfassung stehe. Dies war ein wichtiges Zeichen, um den Anfängen zu wehren – ebenso wie der Widerstand von Hundertausenden gegen Rassismus im vergangenen Jahr bei Demonstrationen in ganz Deutschland. Das sind die richtigen Schlussfolgerungen aus unserer Geschichte. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.