Haltung in dunklen Zeiten
5. Dezember 2018
Bruno Ganz, Nikolas Leytner, Robert Seethaler, Sigmund Freud, Trafikant
Die deutsch-österreichische Verfilmung des 2013 erschienen Bestsellers „Der Trafikant“ von Robert Seethaler läuft derzeit in den Kinos, indem der Autor selbst in einer Nebenrolle mitspielt. Dem Regisseur und Co-Autor Nikolaus Leytner gelingt es, zwischen Politischem und Privaten schwankend, die Selbstverständlichkeit deutlich zu machen, mit der sich ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung zu Komplizen der Nazis gemacht hat.
Im Mittelpunkt steht der 17-jährige Franz Huchel aus einem idyllischen Ort am Attersee im Salzkammergut in Österreich im Jahr 1937, dem nach dem überraschenden Tod seines Vaters und Fabrikbesitzers zusammen mit seiner Mutter die ökonomische Basis entzogen wird. Die Mutter Margarete schickt den unwilligen Sohn mit einer Ohrfeige motivierend in die Hauptstadt Wien. Dort soll er beim Tafikanten Otto Trsnjek in Lehre gehen. Eine Trafik ist das österreichische Wort für ein Kiosk, in dem Tabakwaren und Zeitungen vertrieben werden, aber im Film auch Schreibartikel und heimlich pornografische Literatur. Der einbeinige Kioskbesitzer weiht den etwas naiven Dörfler in die Geheimnisse der persönliche Kundenpflege ein. Er lässt als Veteran des ersten Weltkrieges eine spürbare Antikriegshaltung erkennen und pflegt in seiner Trafik persönliche Kontakte zu bürgerlichen Kunden ebenso, wie zu einem stadtbekannten Kommunisten oder dem jüdischen Psychoanalytiker Prof. Freud, gespielt von Bruno Ganz. Franz verliebt sich in die böhmische Varietétänzerin Anezka und macht seine ersten sexuellen Erfahrungen. Ihm ist es ein Rätsel, wie er Anezka an sich binden kann und mit deren Flatterhaftigkeit zu Recht kommen soll. Das Geheimnis der Frauen versucht er beim Zigarren-Stammkunden Siegmund Freund zu ergründen und dabei entwickelt sich eine Freundschaft zwischen dem unerfahrenen Teenager und dem neugierigen Professor. Der betagte Psychoanalytiker empfiehlt ihm, seine Träume aufzuschreiben, die den Jungen in surrealistisch stilisierten Traumsequenzen begleiten. Ebenso surrealistisch bleibt die klinisch reine Umgebung des Kioskes und der davor befindlichen Straße, die den Handlungsort im Film dominieren. Vielleicht gibt die geheimnisvolle Gestaltung des Drehortes einen Hinweis auf die latenten Veränderungen der österreichischen Gesellschaft nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland, die Franz Huchel nicht weniger unklar erscheinen wie manch anderem Zeitgenossen. Denn die österreichische Hauptstadt verändert sich gerade rasant. Das bekommt auch der Kioskbesitzer Otto Trsnjek zu spüren. Regisseur Nikolaus Leytner setzt die folgenlosen Übergriffe der Nazis eher dezent in Szene ohne sie zu verharmlosen. Der Weigerung Otto Trsnjeks, Nazizeitungen zu verkaufen, folgen nicht nur eine Drohung, sondern ungeahndete antisemitische Schmierereien an seiner Trafik. Es dauert nicht lange, dass Nazis den Laden überfallen und schließlich der Fleischer-Nachbar den Meister denunziert und damit in Gestapo-Haft bringt. Die Geschichte des Erwachsenwerdens eines neugierigen und offenen Jungen ist mit einem sehr dunklen Kapitel Wiens verbunden, als aus einer weltoffenen Stadt, für die der Analytiker Freud steht, ein Ort des Misstrauens wird. Während der Trafikbesitzer Haltung zeigt, laufen seine Nachbarn zu den Nazis über, wie der Fleischer an der Ecke und der Gastwirt, der zulässt, wie Nazis unbequeme Gäste aus seiner eigenen Kneipe werfen.
Als der Karton mit den wenigen persönlichen Sachen des Verhafteten aus dem KZ geliefert wird, will Franz Huchel selbst ein Zeichen setzen und hisst nachts die einbeinige Hose des ermordeten Trafik-Besitzers statt der Naziflagge vor dem Gestapogebäude. Dann wird auch er verhaftet. Hier endet der Film, während der Junge im Buch die Haft übersteht und in sein Heimatdorf zurückkehren kann. Haltungen werden im Film auch bei Franzens Mutter gezeigt, die, zurückblieben im Heimatdorf, den sexuellen Übergriffen ihres Chefs mit dem Verweis auf eine angebliche Beziehung zu einem SS-Mann entgeht und als die Lüge platzt, selbst kündigt. Eine andere Haltung zeigt Franzens angehimmelte Anezka. Sie hat sich schnell tatsächlich einem SS-Offizier angedient. Man müsse ja irgendwie zu Recht kommen. Die Haltungen zwischen den Verliebten Franz und Anezka können kaum unterschiedlicher sein, ebenso wie die vieler Wiener in dieser Zeit.