Rede zur Eröffnung des 52. Sachsenhausen-Gedenklaufes 2017 in Schwerin
9. Mai 2017
Sachsenhausen, Stolpersteine, Todesmarsch
Herzlich willkommen zum 52. Sachsenhausengedenklauf. Wir bereits in den vergangenen Jahren wollen wir auch in diesem Jahr der Häftlinge aus den ehemaligen Konzentrationslagern Sachenhausen und Ravensbrück gedenken, die den Todesmarsch überlebten, die dabei ermordet wurden oder vor Hunger und Erschöpfung gestorben sind. Etwa 6.000 der 20.000 Häftlinge des Todesmarsches, sind dabei umgekommen. Unter Ihnen sind Menschen aller Altersgruppen aus zahlreichen Ländern Europas, Menschen die in das rassistische Raster der Nazis passten, wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer politischen Überzeugung oder religiösen Zuordnung verfolgt wurden.
Viele Häftlinge haben diesen mörderischen Marsch nur deshalb überlebt, weil sie durch Soldaten der Roten Armee an der Stöhr in Rabensteinfeld und durch die heranrückenden amerikanischen Alliierten in Schwerin befreit wurden. Für sie hatte die Befreiung die erste unmittelbare Wirkung auf dem Weg zu einer Welt des Friedens und der Freiheit, wie es im Schwur der Buchenwaldhäftlinge heißt. Heute wissen wir, dass diese KZ-Häftlinge zur Ostsee gebracht werden sollten, um auf dem Meer versenkt zu werden. Sie sind durch ihre Befreiung nur knapp dem Tod entkommen.
1985 hatte auch in Westdeutschland ein Bundespräsident erstmals von einem Tag der Befreiung gesprochen. Davon ist heute nicht mehr viel übriggeblieben. Erst kürzlich hat Kanzlerin Merkel in Sotschi in der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten gleich mehrmals vom Kriegsende besprochen. Kein Wort von Befreiung, was in diesem Rahmen sicher eine würdige Geste gewesen wäre. Aber die Befreiungsleistung ist eine Tatsache, ohne die es heute kein demokratisches Deutschland geben würde. Oder war das Kriegsende keine Befreiung von einer Diktatur, keine Befreiung vom dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte?
In Einem hat die Befreiung tatsächlich nicht ganz geklappt. Die Befreiung von der NS-Ideologie hat Jahrzehnte gedauert, und einiges scheint davon bis heute übrig geblieben zu sein. Das Bundesverfassungsgericht hat der NPD gerade eine spürbare Nähe zum Nationalsozialismus attestiert. Die Parolen einiger Rechtspopulisten klingen nicht zufällig manchmal ähnlich. Wenn wir heute mit dem Sachsenhausengedenklauf der Opfer des Todesmarsches gedenken, dann hat dieses Gedenken nur einen Sinn, wenn wir daraus für unser heutiges Leben Schlussfolgerungen ziehen. Denn leider haben im vergangenen Jahr die rechtsextremen Straftaten auf Asylbewerber, Migranten, Ausländer, Flüchtlingshelfer und politische Aktivisten mit über 10.000 Fällen wieder zugenommen. Darunter sind allein 1.000 Übergriffe auf Asylbewerberheime. Die wurden nicht nur von Neonazis begangen, sondern zunehmend von sogenannten besorgten Bürgern, in deren Sorge ich aber eher Intoleranz und Rassismus erkennen kann. Ich finde es deshalb wichtig, dass Schwerin dem aktiv etwas entgegensetzt.
Das Bekenntnis der Stadt am Rathaus als Ort der Toleranz halte ich für wichtig, aber auch das Bekenntnis der Teilnehmer zum 1. Mai dieses Jahres vor dem Rathaus zu Weltoffenheit und Demokratie. Auch die nunmehr über 48 Stolpersteine, gestiftet von zahlreichen einzelnen Bürgern der Stadt, sind ein wichtiges Bekenntnis zur Erinnerung und Mahnung an die Opfer des Faschismus und gegen Ausgrenzung und Rassismus. Gut, dass das Schweriner Filmfest vor zwei Tagen den Film „Winterjagd“ über einen SS-Mann in Auschwitz gezeigt hat, denn in Neubrandenburg zieht sich ein Auschwitz-Prozess gegen einen SS-Mann gerade in die Länge, weil der Staatsanwalt das Verfahren verzögere, wie in der Presse zu lesen war. Gut dass es diesen Gedenkort in Schwerin gibt und gut dass es diesen Gedenklauf gibt.
Gerade weil die Angriffe auf die Demokratie zunehmen und rechtspopulistische Auffassungen von Nationalismus, Rassismus und Intoleranz in ganz Europa Konjunktur haben, ist jede Bürgerin und jeder Bürger gefragt, dem persönlich in seinem Umfeld etwas Sichtbares und Spürbares entgegenzusetzten. Jeder kann bei sich selbst anfangen, die Werte unserer Demokratie zu leben und zu verteidigen, und das nicht nur mit seiner Stimme zur bevorstehenden Bundestagswahl.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und dem Sachenhausenlauf 2018 viel Erfolg.