Rede zur Eröffnung des 50. Sachsenhausen-Gedenklaufes 2015 in Schwerin
3. Mai 2015
Befreiung, Ravensbrück, Sachsenhausen
In diesem Jahr begehen wir hier in Schwerin zwei Jubiläen – den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und den 50. Sachsenhausen-Gedenklauf. Diese beiden Jubiläen sprechen für eine eigene Geschichte des Gedenkens.
Am 2. Mai 1945 wurden in Rabensteinfeld an der Stöhr tausende Häftlinge der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück auf ihren Todesmarsch in Richtung Ostsee befreit – von amerikanischen Truppen, die Schwerin besetzten und von sowjetischen Verbänden, die aus Osten in Richtung Schwerin vorstießen. Noch in den letzten Tagen ihres Todesmarsches waren hunderte Häftlinge in den umliegenden Wäldern von SS-Einheiten ermordet worden, darunter am Vorabend der Befreiung im anliegenden Wald der KPD-Reichstagsabgeordnete Karl Perlemann. Insgesamt 6.000 Häftlinge des Todesmarsches hatten die Befreiung nicht erleben könne, weil sie unterwegs von ihren Bewachern erschossen oder erschlagen wurden, weil sie vor Hunger an Entkräftung oder an Krankheiten starben.
50 Jahre Sachsenhausen-Gedenklauf – das ist ein Jubiläum, das in Schwerin kontinuierliche Traditionspflege zum Gedenken an die Opfer und an die Ursachen des Nazi-Regimes über Systemgrenzen hinweg zeigt. War das Gedenken in der DDR auch zunehmend erstarrt und waren auch hier einzelne Opfergruppen jahrzehntelang aus dem Gedenken ausgeschlossen gewesen – so hatte der Begriff der Befreiung vom Faschismus doch für jeden eine klare Bedeutung. Ein mörderisches Regime fand 1945 sein Ende, das in einem Eroberungs- und Vernichtungskrieg 65 Millionen Tote, unendliches Leid und Zerstörung über ganz Europa gebracht hatte. 1945 wurden hunderttausende überlebende Häftlinge, Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter befreit.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war kriegsmüde und wurde mit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten vom Kriegsgeschehen und weiterem Leid befreit. Schließlich wurden die Mehrheit der Deutschen über einen längeren und unterschiedlichen Prozess in Ost und West schrittweise von der Nazi-Ideologie befreit. Zu Recht sind wir deshalb mit dem Begriff der Befreiung vom Faschismus aufgewachsen. Es dauerte noch 40 Jahre, bis auch in Westdeutschland Bundespräsident von Weizsäcker 1985 an den 8. Mai als einen Tag der Befreiung von einem mörderischen Regime erinnerte.
Heute ist es wieder üblich vom Kriegsende zu reden. Die Zeitungen sind voll davon. Neben dem Leid der deutschen Zivilbevölkerung und den Vergewaltigungen durch sowjetische und andere alliierte Soldaten ist manchmal kaum noch etwas von den Ursachen des Krieges und den Opfern des Nazi-Regimes zu hören, wenn nicht gerade eine Gedenkstätte in den Fokus gerät.
Wir sollten deshalb heute, 70 Jahre nach der Befreiung vom Nazi-Regime daran erinnern, dass einflussreiche interessierte politische Kreise, Banker und Industrielle schon ab 1930 keine Bedenken hatten, den Nazis die Macht zu übertragen. Für die von den Nazis angekündigte Zerschlagung der Arbeiterbewegung und deren Ideen nahmen sie eine Diktatur widerspruchslos in Kauf. Das belegt ein Brief von einflussreichen Bankern und Industriellen aus dem Jahre 1932 an Reichskanzler Hindenburg mit der Bitte, Hitler die Macht zu übertragen. Aber auch in den meisten demokratischen Parteien der Weimarer Republik hatte sich Nationalismus breit gemacht. Fast alle Parteien waren antisemitisch beeinflusst und öffneten den Nazis damit die Tür für ihre Rasseideologie.
Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes bedeutet deshalb heute – 70 Jahre nach der Befreiung – nicht nur Erinnerung an die Nazi-Zeit und an seine Opfer. Es bedeutet vor allem, dem neuen Nationalismus und Rassismus in ganz Europa entgegenzutreten, der sich zunehmend breit macht. Leider haben schon wieder 40 Prozent der Deutschen rassistische Vorurteile gegenüber Ausländern und Migranten, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung seit über 10 Jahren kontinuierlich zeigt. Daran knüpfen neue Nazis und Rechtspopulisten von AfD und PEGIDA erfolgreich an, wie wir mit Erschrecken auf den Straßen Deutschlands sehen können. Deshalb gilt heute Bertholt Brechts Wort nicht weniger als vor 70 Jahren – wehret den Anfängen, denn der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!