Fragile Mitte
16. Dezember 2014
Gruppebbezogene Menschenfeindlichkeit, Mitte, Rechtspopulismus
Die SPD hat ihren Koalitionspartner CDU aufgefordert, ihr Verhältnis zur AfD zur klären. Dafür gibt es gute Gründe, wie die neueste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt. Seit zwölf Jahren analysiert die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Deutschland rechtsextreme Einstellungen in der Gesellschaft. Die neue Studie „Fragile Mitte – feindselige Zustände“ zeigt Kontinuitäten dieser rechtsextremen Einstellungspotentiale auf, auf die Neonazis gezielt zurückgreifen. Demnach ist das gemessene Einstellungspotential von Personen leicht rückläufig, die ausländerfeindliche, antisemitische, chauvinistische und sozialdarwinistische Positionen vertreten, die das Nazi-Regime verharmlosen und eine Diktatur bevorzugen. Trotz dieses Rückgangs stellt die Studie fest, dass diese Einstellungen bei Anhängern der rechtspopulistischen Partei AfD etwa doppelt so häufig vorkommen wie bei CDU- und FDP-Anhängern. So sind neben 56 Prozent der NPD-Anhänger auch 41 Prozent der AfD-Anhänger chauvinistisch eingestellt gegenüber 12-15 Prozent bei Anhängern von CDU, FDP und SPD und 1-3 Prozent bei Anhängern von Grünen und Linken. Mit der Übernahme der neuesten Untersuchung durch das Institut für Internationale Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter der Federführung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer und Prof. Dr. Andreas Zick mit deren Forschungsprojekt zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wird nun in der FES-Studie ein Perspektivwechsel vollzogen. Neben der klassischen Auswertung der oben beschriebenen Nazi-Einstellungen erfolgt zusätzlich eine Sonderauswertung zum Antisemitismus, wird Demokratiemüdigkeit analysiert, wird marktförmiger Extremismus beleuchtet, werden europafeindliche Reflexe und menschenfeindliche Diskriminierungen untersucht. Ziel ist es, mit diesen Analysen die Verlagerung von offensichtlichen Nazi-Positionen hin zu softeren rechtspopulistischen Einstellungen zu beleuchten, die mit der Abwertung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen verbunden sind. Neben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit werden nun auch die Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Behinderten, Homosexuellen, Wohnungslosen und Asylsuchenden untersucht sowie Sexismus und die Vorstellung von vermeintlichen Etablierten-Vorrechten. Dabei sind die Diskriminierungspotenziale im Osten durchgehend höher als im Westen, wobei bundesweit mit 48 Prozent der Bevölkerung die Abwertung von Langzeitarbeitslosen, mit 44 Prozent die Diskriminierung von Asylsuchenden, mit 38 Prozent die Präferierung angeblicher Etablierten-Vorrechte und mit 27 Prozent die Diskriminierung von Sinti und Roma an der Spitze stehen. Solche Einstellungen kommen etwa darin zum Ausdruck, dass knapp die Hälfte der Befragten Langzeitarbeitslosen unterstellt, dass diese nicht wirklich an einem Job interessiert seien und 18 Prozent ein Verbot der Zuwanderung von Muslimen fordern. Ein rabiater Rechtspopulismus in der Gesellschaft suche Stimmengewinne durch eine mehr oder minder subtile Menschenfeindlichkeit und einem weniger offenen Chauvinismus, wird in der Studie erläutert. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Studie der Ebertstiftung einer Zunahme von sekundärem Antisemitismus, der sich in Relativierungen und Verharmlosungen bis hin zur Leugnung des Holocaust ausdrücke und versuche, einen Schlussstrich unter das Thema deutscher Schuld zu ziehen. Dies treffe auch für Kritik an der Politik Israels zu, wenn diese ausdrücklich mit NS-Bezügen, antisemitischen Bildern und Motiven verbunden sei. Immerhin meinen immer noch 50 Prozent der Befragten, dass „den Deutschen die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden“ und 40 Prozent meinen, Israel führe einen „Vernichtungskrieg“ gegen die palästinensische Bevölkerung. Besondere Anerkennung hat die Studie durch die Untersuchung des marktförmigen Extremismus verdient. Die ihm innewohnende Wettbewerbslogik und das auf Menschen bezogene Kosten-Nutzen Kalkül biete demnach bedrohten Menschen Gründe für die Abwertung Anderer, für das vermeintliche Überleben des Stärkeren oder die Ausgrenzung von Menschen wegen mangelnder Effizienz. Gerade in der Verbindung von Bedrohungsängsten und marktförmigem Extremismus vermuten die Studienmacher ein gesellschaftliches Potential, an das gegenwärtige politische Mobilisierungsversuche anknüpfen, die durch ihre Verbindung von Wettbewerbslogik mit Bedrohungsszenarien, Nationalismus und Menschenfeindlichkeit als wettbewerbspopulistisch bezeichnet werden. Interessant ist auch hier, dass AfD-Anhänger mit 38 Prozent eine mehr als doppelt so starke Zustimmung zum marktförmigen Extremismus aufweisen wie die übrigen Befragten. Es scheint, als hätten die Autoren damit die gegenwärtigen antiislamischen Proteste vorhergesehen.