Widerstand am Kriegsende

geschrieben von Axel Holz

20. Juni 2025

Zum Kriegsende stellten sich zahlreiche Menschen den NS-Zerstörungsbefehlen entgegen und versuchten, die sinnlose Verteidigung ihrer Heimatorte zu verhindern. Einigen Widerständlern wurde im Nachkriegsdeutschland bereits früh gedacht, andere blieben lange Zeit vergessen. Die Ausstellung „1945 – Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Kriegsende“ in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand erinnert an diese Menschen und an ihren Mut angesichts der Todesdrohungen der NS-Führung. Im September 1944 hatten alliierte Truppen die Grenze Deutschlands bei Aachen überschritten und die rote Armee rückte im Oktober in Ostpreußen ein. Trotz dieser militärischen Übermacht rief die NS-Führung zum Kampf bis „zum letzten Blutstropfen“ auf. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung sollte jeder Ort verteidigt werden. Strategische Verbindungen, Brücken und Industrieanlagen sollten einem Befehl zu Folge zerstört werden. Wer sich dem widersetzte oder Kritik am Regime äußerte riskierte den Tod.

An vielen Orten in Deutschland stellten sich aber Einzelne und ganze Gruppen den Zerstörungsbefehlen der Nazis entgegen. Sie entwaffneten Mitglieder des Volkssturms, setzten Bürgermeister und NS-Funktionäre ab, Namen Kontakt zu den Alliierten ab, hängten weiße Laken heraus, bauten Verteidigungsanlagen ab oder protestierten gegen die Sinnlosverteidigung der Nazis. In einigen Orten forderten die Einwohner öffentlich eine kampflose Übergabe der Städte und Dörfer, darunter viele Frauen. Das Spektrum der Widerstandhandlungen kurz vor Kriegsende reichte von spontaner Verweigerung bis hin zu Aktionen politische NS-Gegner, die Nazis-Führer vor Ort zu entmachten. In einigen Fällen gelang die friedliche Übergabe an alliierte Truppen, nicht wenige Akteure mussten ihren Mut wenige Tage vor Kriegsende mit den Leben bezahlen.

Widerstand in Dachau

Besonders tragisch ist das Schicksal einiger Dachauer Häftlinge, von denen elf Häftlingen am 25. April 1945 mit Hilfe der ehemaligen Häftlinge Georg Scherer und Walter Neff die Flucht aus dem KZ gelang. Eine zweite Gruppe um den Sozialdemokraten Jakob Schmied beriet seit Anfang April darüber, wie eine Verteidigung der Stadt verhindert werden könne. Von der Existenz der Gruppe ehemaliger KZ-Häftlinge erfuhren sie erst am Vorabend des Aufstands. Am 28. April hörten sie im Radio die Aufrufe der „Freiheitstaktion Bayern“, die zwei Sender in München und Islaming besetzt hatte und zum Aufstand aufrief. Die Sprecher der etwa 400 Personen um eine Dolmetscher-Kompanie erklärten die Regierungsübernahme, forderten dazu auf, NS-Funktionäre zu entmachten und verlasen ein demokratisches 10-Punkte-Programm. Die Rundfunkaufrufe führten in Bayern zu fast 80 weiteren Aktionen, an denen etwa 1.000 Menschen beteiligt waren. Rudolf Hübner, der Kampfkommandant von München, organisierte noch am selben Morgen die Niederschlagung des Aufstandes. Einer der Organisatoren, der Adjutant des Befehlshabers im Wehrkreiskommandos VII, Günther Carraciola-Delbrück, wurde umgehend verhaftet und wie viele weitere Beteiligte von SS-Leuten ermordet, darunter auch die aus dem KZ geflohenen Häftlinge Erich Hubmann, Anton Hackl und Fritz Dürr. Ermordet wurden auch der Dachauer Arbeiter Johann Pflügler und einige Volkssturmangehörige, die sich der Widerstandsaktion angeschlossen hatten. Am Folgetag besetzten Soldaten der US-Armee Dachau und befreiten das Konzentrationslager. Bereits am 14. September 1947 wurde auf dem Rathausplatz eine Gedenktafel für die Opfer des Aufstands angebracht.

Zahlreiche lokale Aktionen

Ähnliche Aktionen gab es in weiteren Orten Deutschlands. Oft wurden Gedenkorte für die Opfer des Widerstandes durch Angehörige oder lokale Initiativen erst spät errichtet, die mittlerweile häufig durch die Bürgermeister der betroffenen Orte zum Gedenken genutzt werden. In Greifswald gelang es dem Stadtkommandanten Rudolf Petershagen mit Unterstützung des Universitätsprofessors Carl Engel, des Wehrmachtsobersts Otto Wurmbach und des Klinikdirektors Gerhard Katsch am 30. April, die Stadt kampflos an die Rote Armee zu überbergeben. Glück hatten auch zahlreiche Frauen in Pfullingen, die am 20. April mit dem Abbau von Panzersperren begannen, um die sinnlose Verteidigung der Stadt und den Tod weiterer Menschen zu verhindern. Anschließend zogen sie zum Protest spontan vor das Rathaus. Noch am 13./14. April hatte der Reutlinger Anzeiger die Bekanntmachung des Gauleiters veröffentlicht, in der er beim Abbau von Panzersperren und dem Hissen weißer Fahnen die Todesstrafe androhte. Der Pfullinger Kampfkommandant floh vor dem Protest aus dem Rathaus und die Protestlerin Sofie Schlegel beschloss, den französischen Truppen in weißem Kleid mit weißer Fahne entgegenzugehen. Über den „Pfullinger Frauenaustand“ informiert seit 2023 eine Erinnerungsstele am Pfullinger Rathaus.

Revision der Geschichte verhindern

Nicht in der Ausstellung enthalten ist die Aktion einer informellen Gruppe in Güstrow, der auch die Ukrainerin Slata Kowalewskaja angehörte. Die Gruppe hatte zum Kriegsende die friedliche Übergabe der Stadt an die Rote Armee arrangiert. Im Güstrower Anzeiger und der Welt wurde eine Studie des Rostocker Historikers Dr. Ingo Sens gewürdigt, die den angeblichen Mythos von der kampflosen Übergabe der Stadt Güstrow am 2.Mai 1945 widerlegen sollte. Die VVN hatte sich gegen den Revisionismus dieser Studie gewandt, die die ukrainische Ehrenbürgerin der Stadt abwerten sollte. Die Stadtvertretung in Güstrow hatte 2020 auf Antrag von SPD, Linken und Freien Wählern die beauftragte Studie mehrheitlich als unwissenschaftlich abgewiesen. Die Erinnerung an Widerstand zum Kriegsende ist heute ebenso notwendig wie die Abwehr der Versuche, die mutigen Taten der Widerständler zu relativieren oder gar zu nivellieren.