Dr. Hans Lindenberg vor 65 Jahren ermordet
11. Oktober 2009
In diesem Jahr jährt sich zum 65. Mal die Ermordung von Dr. Hans Lindenberg im Konzentrationslager Auschwitz.
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zählte Dr. Hans Lindenberg zu den bekanntesten jüdischen Bürgern der Hansestadt Rostock. Dies war die Folge sowohl seines ärztlichen und sozialen Wirkens als auch seines politischen Engagements. Mit 24 Jahren zog 1911 der frisch promovierte und jung verheiratete Mediziner von Berlin nach Rostock. Er nahm eine Tätigkeit als Assistenzarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik auf. Sie währte nicht lange, denn der Erste Weltkrieg setzte ihr ein Ende. Dr. Lindenberg war als Arzt den gesamten Krieg über an verschiedenen Fronten in Ost- und Westeuropa eingesetzt. Obwohl er mit hohen Auszeichnungen bedacht worden war, hatten den Mediziner das Kriegserlebnis zum Pazifisten werden lassen. Nach Kriegsende musste er sich beruflich neu orientieren, da an der Universität keine Stelle mehr für ihn vorhanden war. Er ließ sich als frei praktizierender Arzt in Rostock nieder. Seine Wohnung und seine Praxis richtete er am Schröderplatz 1a ein. Sie wurde für fast 20 Jahre eine der besten Adressen medizinischer Versorgung der Stadt. Nur wenige Schritte musste der Mediziner gehen, um in die Feldstraße 2a zu gelangen. Denn dort richtete die AOK Rostock 1921 ihren Verwaltungssitz ein. Des öfteren führte der Weg Dr. Lindenberg dorthin, weil die AOK Rostock ihn als nebenamtlichen Vertrauensarzt ausgewählt und vertraglich gebunden hatte. Seine Aufgabe bestand darin, die Nachuntersuchung erkrankter AOK-Mitglieder vorzunehmen, die Anträge auf Beurlaubung nach außerhalb zu bearbeiten und Verordnungen zweifelhafter und nicht handelsüblicher Heilmittel zu prüfen. 1927/28 verbesserte die AOK grundlegend die Arbeitsbedingungen für den Vertrauensarzt durch die Einrichtung eines Diagnostischen Instituts. Der Anstoß zur Einrichtung eines derartigen Instituts wurde durch den enorm hohen Krankenstand der zurückliegenden Jahre gegeben. Der Vertrauensarzt war nicht in der Lage, die Zahl der zu Untersuchenden im eigenen Wartezimmer unterzubringen. Es war nichts Seltenes, dass Kranke im Treppenhaus, im Hausflur oder gar in der Wohnung des Vertrauensarztes warten oder gar mehrere Kranke gleichzeitig in einem Raum untersucht werden mussten. Diese Umstände bewogen den Vorstand der AOK zur Schaffung des eigenen Instituts, das am 1.Juli 1928 eröffnet wurde. Auf 150 m2 entstand eine Zimmerflucht von neun Räumen u.a. mit einem Laboratorium für chemische und mikroskopische Untersuchungen und schallsicheren Kabinen. „Der für später vorgesehene Röntgenapparat wird dann das diagnostische Rüstzeug soweit vollenden, dass das Vertrauensärztliche Institut sich mit jeder Poliklinik messen kann“ – schätzte der Vorstand ein, und es Dr. Lindenberg ermöglichte, 1929 etwa 5.600 Fälle zu bearbeiten. Das politisch Engagement Dr. Lindenbergs in verschiedenen jüdischen Organisationen und in der Deutschen Demokratischen Partei bzw. der daraus hervorgegangenen Deutschen Staatspartei richtete sich auf die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, die Sicherung der Gleichberechtigung der Juden als deutsche Staatsbürger und die Verteidigung der Weimarer Republik. Mit dem Machtantritt des Faschismus wurde das Wirken von Dr. Lindenberg und seiner Frau in der Öffentlichkeit für die Interessen der Stadt und des Landes Mecklenburg stark eingeschränkt. Die Parteien und Verbände, denen sie angehört hatten, waren verboten worden. Der gesellschaftliche Einsatz von Juden in den Kommunen war unerwünscht und wurde in immer stärkerem Maße unmöglich gemacht. Bei den Lindenbergs wuchs die Erkenntnis, Deutschland verlassen zu müssen. Das erreichten sie aber nur für ihre Tochter. Nach der Streichung aus dem Mecklenburgischen Ärzteregister im November 1938, der Ausgrenzung der Juden aus dem Leben der Stadt und dem Wegzug vieler Bekannter, siedelten sie nach Berlin um, wo es noch viele jüdische Bürger gab. Dr. Lindenberg arbeitete dort bis 1943 unter der diskriminierenden Bezeichnung Krankenbehandler als Mediziner, seine Frau stand ihm als Sprechstundenhilfe zur Seite. Nach ihrer völligen Enteignung durch den NS-Staat wurden sie in das KZ Theresienstadt deportiert. Eineinhalb Jahre später, am 9.Oktober 1944, erfolgte ihre Deportation in das KZ Auschwitz. Dort sind sie wahrscheinlich unmittelbar nach ihrer Ankunft vergast worden. Dieser Artikel ist auf der Grundlage der Publikation von Karl Heinz Jahnke „Endpunkt: Auschwitz. Frühere Angehörige der Universität Rostock.“ und der Geschäftsberichte der AOK Rostock aus den Jahren 1927 bis 1929 geschrieben worden. Heute erinnert in Rostock die Hans-Lindenberg-Straße an den Mediziner. Ein erinnernder „Stolperstein“ im Gehweg vor der Wohnstätte Dr. Lindenbergs fehlt noch…