Nordkonferenz mit guter Resonanz
6. März 2010
Die diesjährige Nordkonferenz am 27./28. Februar in Heideruh hatte den Nerv vieler AntifaschistInnen getroffen. Über vierzig Teilnehmer waren der Einladung der Neofaschismuskommission Küste gefolgt.
Das Programm musste kurzzeitig etwas umgestellt werden, was aber die mehr als 40 TeilnehmerInnen nicht davon abhielt zu kommen und mitzudiskutieren. Bernd Meimberg spann den Roten Faden durch die Entwicklung der globalen Friedensfrage nach Beendigung des Kalten Krieges. Schon Bundespräsident Herzog sprach recht deutlich von den Erfordernissen einer globalen deutschen Außenpolitik. Unter Kohl und Kinkel wurden die Weichen gestellt, um deutsche Interessen nach außen zur Geltung zu bringen. Im Widerspruch zu Artikel 26 des Grundgesetzes, der bereits Vorbereitungen zum Angriffskrieg verbietet, wurde unter Generalinspekteur Naumann 1991 dargelegt, dass die Sicherung der Rohstoffwege und der Rohstoffquellen zum Verteidigungsauftrag gehörten. Die politisch-strategischen Vorstellungen sind auf Einschätzungen des amerikanischen Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski zurückzuführen. Verstärkt wurde die Kooperation mit Europa auf militärischem wie wirtschaftlichem Gebiet gesucht. In den Mittelpunkt des US-Interesses rückte die Beherrschung der Öl- und Gasvorkommen Zentralasiens. Die EU-Osterweiterung sollte Hand in Hand mit einer Vergrößerung der NATO über die Ukraine bis in den Kaukasus betrieben werden. Die Aussage des damaligen SPD-Verteidigungsministers Struck, die Bundesrepublik müsse am Hindukusch verteidigt werden, belegt die zunehmende globale Bündelung imperialer Interessen. Die Einbeziehung Russlands in die G8-Gruppe, ihre Erweiterung um Brasilien und andere Schwellenländer zu G20 schuf ein Klima wachsenden Drucks, Rohstoffe und Verkehrsverbindungen den Interessen der Global Players unterzuordnen. In Afghanistan operieren heute die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich ohne UNO-Mandat, während die Bundeswehr und andere EU-Partner unter dem Schirm des ISAF-Einsatzes verstärkt zu Kampfeinsätzen heran befohlen werden. Die Anordnung des Luftangriffs auf Zivilisten an den Tankwagen bei Kundus ist nun ein Versuch gewesen, die Begrenzung des Artikels 26 zu sprengen und die direkte Einflussnahme deutscher Interessen stärker zur Geltung zu bringen. Es scheint die Herrschaften nicht zu stören, dass 70% der Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber dem Kriegseinsatz einnimmt. Unsere Nachbarstaaten wie die Niederlande gehen einen anderen Weg. Eingebettet in die friedenspolitischen Themen der Nordkonferenz war ein Workshop zum Thema „Rechte Musik“. Der Referent war Christian Waclawczyk aus Berlin, ursprünglich Lehrer, später freiberuflich tätig mit dem Schwerpunkt „Jugendkultur aus dem rechten Segment“. Für Waclawczyk war der Auftritt am Sonnabend eine Premiere: Bisher hatte er eher PädagogInnen, Soldaten der Bundeswehr, Polizisten, oder das LKA mit diesem Thema konfrontiert; der Auftritt vor AntifaschistInnen war ein Novum für ihn. Das Publikum im Alter von 16-96 Jahren füllte die Kantine von Heideruh bis auf den letzten Platz. Der Referent stellte zunächst seine Leitfragen vor: Wie ticken die rechten Musiker? Wie schulen sie ihr Publikum? Was steckt dahinter? Wie sieht das skizzierte rechte Weltbild aus? Ausgehend von diesen Leitfragen verdeutlichte W., dass die neofaschistischen Musiker ihre Musik und die unterlegten Texte sowohl für die Straße als auch für den „Nadelstreifenanzugträger“ erstellen. Text und Musik für die Straße ist eher „eine Mischung aus Verarsche und Provokation“ und arbeitet vor allem mit dem Tabubruch. Gleichzeitig aber geht es auch darum, das Publikum nicht zu verschrecken; so ist auffällig, dass die Musik häufig an bekannte Melodien z.B. aus der Volksmusik andockt und dabei Schnipsel aus rechter Ideologie unauffällig untermischt, z.B. ein immer wiederholtes Bekenntnis „für Deutschland“, „gegen Bonzokraten“ etc., sodass für den eher unbedarften Zuhörer keine scharfe Trennungslinie zwischen dem bekannten Text und rechts gefärbten Bekenntnissen erkennbar ist. Rechte Musik richtet sich dabei an ZuhörerInnen aller Altersklassen. Der Referent stellte uns eine ganze Reihe von Text- und Musikbeispielen vor, vom neofaschistischem Liedermacher Frank Rennicke über Annett Moeck bis zu dem US-amerikanischen DJ Gor. Rennicke knüpft von der Musik her häufig an z.T. anspruchsvollee Musik, etwa aus Irland, aber auch an Hannes Wader an und verbindet diese mit Texten, die wesentliche Elemente faschistischer Ideologie, wie Sozialdarwinismus (Das Leben ist immerwährender Kampf), Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus enthalten. Dabei arbeitet er eher mit Andeutungen, die Eingeweihte sofort verstehen, die dem unvorbereiteten Zuhörer jedoch nicht sofort auffallen. Wen wundert es, dass bundesdeutsche Juristen so gut wie nie einen Anlass zum Einschreiten sehen!! Erschreckend für die in Heideruh versammelten AntifaschistInnen war ein relativ aktuelles Musikbeispiel des US-amerikanischen DJ Gor aus dem Jahr 2009, der die bekannten 10 Fragen des Nazi-Propagandaministers Goebbels aus seiner Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 an das ausgewählte Publikum „Wollt ihr den totalen Krieg?….“ mit aktueller jugendtypischer Musik unterlegte. Das Ganze ist bezeichnenderweise völlig ungehindert im Internet abzurufen und auch als Video zu konsumieren. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Nazi-Frauenbild, das der Referent am Beispiel von Texten Rennickes, aber auch Annett Moecks aufzeigte. Neben den klassischen Elementen „Die Frau als Mutter und Quelle des Lebens“ waren auch neuere und in der Naziszene nicht unumstrittene Leitbilder zu erkennen, nämlich die (Elite-) Frau als politische Kämpferin. Die versammelten AntifaschistInnen, darunter sehr viele Jugendliche, beschränkten sich aber nicht nur auf das Zuhören, sondern sorgten für eine engagierte Diskussion. Imponierend dabei der 96jährige Antifaschist Walter Hähnel aus Lübeck, der sich mit seinen Erfahrungen einbrachte und den jungen Menschen berichtete, wie die Goebbelsche Sportpalastrede auf ihn und seine Zeitgenossen wirkte. Bezogen auf die vermittelten Inhalte war der Nachmittag sicherlich ein Höhepunkt; schade nur, dass bei der hohen Teilnehmerzahl Zeitmangel, die Räumlichkeiten und die Planung des Referenten den eigentlich vorgesehenen Workshopcharakter kaum möglich machten. Die andere Seite globaler Kriegseinsätze der Bundeswehr beleuchtete Ulrich Sander am Sonntag. Mit einer Verkürzung der Wehrdienstzeit soll die Zahl der zur Verfügung stehenden Reservisten erhöht werden. Für Auslandseinsätze kommen angesichts der komplizierten Technologie eher Langzeitfreiwillige in Betracht. Mit Erhöhung der Reservistenzahl einher geht die Verlängerung der Verfügungsbereitschaft von 45 auf 60 Jahre. Mit der Ausweitung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit werden an die fünf Millionen Reservisten sofort einsetzbar. Heiligendamm deutete eine neue Qualität an: bislang beschränkte sich der Einsatz der Bundeswehr auf Katastropheneinsätze nach Anforderung durch die zivile Verwaltung. Die Ausweitung der Einsatzgebiete wurde mit den Notstandsgesetzen auf den Spannungs- und Verteidigungsfall erweitert. Am Grundgesetz vorbei wird nun die Bundeswehr in Afghanistan zur Einsatzleitung für die Aktivitäten humanitärer Gruppen. In der Bundesrepublik sind Oberbürgermeister und Landräte gehalten, ihre Verwaltung, Technisches Hilfswerk, Sanitätsdienste, Feuerwehr bei Großereignissen mit den Möglichkeit der Bundeswehr abzugleichen. Bei den Innenministerien werden Verbindungsoffiziere zur Bundeswehr angesiedelt. Der Einsatz von Tornados und Hubschraubern zur Einschüchterung der G8-GegnerInnen in Heiligendamm deutet an, in welche Richtung Großereignisse angedacht werden: Streiksituationen im Energie- und Entsorgungsbereich, Verkehrs- und Nachrichtenzentralen, Konzernsitze. Im Ernstfall soll auf Reservisten zurückgegriffen werden können, die einsatzbereit sind. Der Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen und von Arbeitsplatzberatern der Bundeswehr in den ARGEN wird verstärkt. Die Nordkonferenz schloss mit Berichten aus Kreisen und Ländern mit einer Reihe wichtiger und interessanter Mitmachtermine. Im Mittelpunkt der nächsten Nordkonferenz in einem Jahr soll ein Vortrag von Prof. Dr. Ludwig Elm, bis 1991 Geschichtswissenschaftler an der Universität Jena, zum Thema Konservatismus als geistige Grundlage für eine Grauzone zum Neofaschismus und militaristischen Denken stehen.