Zum Tag der Befreiung vom Faschismus
6. Mai 2023
Wir feiern heute am 8. Mai den Tag der Befreiung vom Faschismus und gedenken der Opfer des Faschismus – auch derer, die über Jahrzehnte verschwiegen und unerwähnt blieben oder erneute Diskriminierung erfahren haben wie Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte oder Deserteure aus der faschistischen Armee.
Unvergessen bleiben die Opfer des Holocaust, der einzigartigen industriellen Vernichtung der europäischen Juden, derer die Nazis habhaft geworden sind. Wir vergessen aber auch nicht die Millionen Opfer in Polen sowie in der damaligen ukrainischen und belorussischen Sowjetrepublik, die aus rassistischen Gründen systematisch ermordet wurden, um für den verbrecherischen Nazi-Plan der deutschen Besiedlung im Osten Platz zu machen. Allein in Belorussland war ein Viertel der Bevölkerung im Krieg umgekommen.
Wir erinnern daran, dass die Befreiung Europas vom Faschismus eine gemeinsame Leistung der Alliierten war. Daran erinnert noch heute ein Denkmal für die Alliierten Befreier in Moskau. Unvergessen bleiben die Millionen Opfer der Befreier. Die Sowjetunion hatte mit ihren zahlreichen Nationen die größte Zahl der Opfer im Kampf gegen den Faschismus erleiden müssen.
Am 8. Mai erinnern wir aber aber auch den jahrzehntelangen problematischen Umgang Deutschlands mit seiner Nazi-Vergangenheit, die ihre Schatten bis in die heutige Zeit wirft. Gerade erst hat die Wismarer Bürgerschaft die Anbringung einer Gedenktafel am Rathaus beschlossen, auf der die Opfer des Faschismus mit denen anderer Diktaturen gleichgesetzt werden. Mit der Gleichsetzung der Nazi-Verbrechen mit den Verbrechen anderer Diktaturen wird nicht nur die deutsche Schuld sondern auch der Charakter des Nazi-Regimes, des Holocaust an den jüdischen Menschen in Europa und der Charakter des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nazis relativiert. Für das Gedenken an die Opfer anderer Diktaturen sollten deshalb auch andere Formen des Gedenkens gefunden werden.
Dies ist besonders fatal, weil in der Bundesrepublik Deutschland das Gedenken an die Opfer der Faschismus über Jahrzehnte unterblieb oder einseitig erfolgte, die Verfolgung der Nazi-Verbrechen behindert, zahlreiche Opfergruppen nicht anerkannt oder erneut diskriminiert wurden und die Einzigartigkeit der industriellen Vernichtung der europäischen jüdischen Bevölkerung und des Vernichtungskrieges der Nazis lange geleugnet oder relativiert wurden. Es ist bezeichnend, dass Bundespräsident von Weizsäcker erst über vierzig Jahre nach Kriegsende von der Befreiung vom Nazismus sprechen konnte.
Nur wenige Jahre zuvor wurden die Verbrechen der Wehrmacht mit dem Märchen vom Präventivkrieg im Historikerstreit, dabei von der deutschen Regierung unwidersprochen, relativiert und der Charakter der Nazi-Herrschaft und des Nazi-Krieges in Frage gestellt. Diese Unkultur der Relativierung der Nazi-Verbrechen wird nun mit der gewählten Formulierung einer Gedenktafel in Wismar bedauerlicherweise fortgesetzt. Nicht erwähnt wird dort die Mitverantwortung demokratischer Parteien, wie der des katholischen Zentrums, für die Machtübertragung an die Nazis. Gerade hieraus ergibt sich heute die besondere historische Verantwortung der demokratischen Parteien für die Verteidigung der Demokratie gegen jeglichen Nationalismus und Rassismus sowie gegen die Versuche der heutigen Feinde der Demokratie, die Demokratie verächtlich zu machen.
Der 8. Mai ist aber auch ein Tag, der an die Ursachen des Nazi-Regimes erinnern soll, das mit der Niederlage Deutschland in einem selbst gewählten Eroberungs- und Vernichtungskrieg endete. Nationalismus und Rassismus, die Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten oder die Annahme lebensunwerten Lebens sind solche fundamentalen Ursachen, einschließlich eines jahrhundertelang geförderten Antisemitismus. Nicht zuletzt haben Demokraten selbst die Übergabe der Macht an die Nazis erst ermöglicht, wie das katholische Zentrum, als es für das Ermächtigungsgesetz stimmte. Eine Demokratie lebt von der demokratischen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Das war in der Weimarer Republik schwer mit einem Staatsapparat durchsetzbar, der selbst erheblich monarchistisch und antidemokratisch geprägt war.
Die Verteidigung der Demokratie und der demokratischen Werte sind einer der wichtigsten Lehren aus dem Faschismus. Das trifft besonders heute für eine Zeit zu, in der Nationalismus und Rassismus an Einfluss in der Gesellschaft gewinnen. Das bedeutet auch, die zu benennen und juristisch zu belangen, die heute bereits wieder die Demokratie verächtlich machen.
Ich möchte aber auch auf ein weiteres wichtiges Ergebnis der Befreiung vom Faschismus aufmerksam machen. Erstmals haben sich Nationen nach Kriegsende darauf verständigt, Kriegsverbrechen konsequent zu verfolgen und zu ahnden. Der europäische Gerichtshof hat dieses Prinzip auf Kriegsverbrechen weltweit angewandt. Dieser Maßstab sollte weltweit anerkannt und gesetzlich ratifiziert werden – auch von bisher außen stehenden Staaten, wie Russland, China und den USA. Hinter die konsequente Verfolgung von Kriegsverbrechen sollte es kein zurück mehr geben, von welcher Seite die Verbrechen auch begangen worden sein sollten.
Mit der Zerschlagung des Faschismus begann für die Welt eine neue Friedensordnung, die in der Charta der Vereinten Nationen begründet und im Helsinki-Abkommen bestärkt wurden. Die Anerkennung und Verteidigung von grundlegenden Menschenrechten und Regeln des staatlichen Umgangs dürfen nicht erneut untergraben werden. Dazu gehören auch die Unantastbarkeit der Souveränität und der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen. Hinter diese vereinbarten Werte sollte es im Umgang der Staaten untereinander kein zurück mehr geben.
Das oberste Ziel und eine wichtige Lehre aus der Befreiung vom Faschismus ist für uns Antifaschisten aber die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Friedens. Wir als Organisation der Verfolgten des Naziregimes fühlen uns dem Friedensgebot der Staaten und Nationen besonders verpflichtet. Mit Blick auf den aktuellen Krieg in Osteuropa stellt sich aber die Frage, wie der Frieden wieder hergestellt werden kann. Hier kann eine strategische Weisheit des römische Politikers Cicero vielleicht hilfreich sein. Er behauptete, dass manchmal ein ungerechter Frieden besser sein kann als ein gerechter Krieg. Darüber lohnt es sich nachzudenken.